„Zigeuner“ – Versionsunterschied
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Auch in die Rezeption der Musik der europäischen Roma durch die Mehrheitsgesellschaft gingen die bekannten, in diesem Fall vor allem romantischen Klischeevorstellungen ein. So wenn Roma unter dem Etikett „Zigeuner“ fälschlich als seit alten Zeiten „durch halb Europa ziehend“ beschrieben werden, was der Musik der verschiedenen Teilethnien eine grundlegende Gemeinsamkeit gegeben habe. Die liege unbeachtlich der ganz unterschiedlichen Kulturgeschichten, Musiktraditionen und Umgebungsgesellschaften in einem gemeinsamen „Saitengefühl“ und einer kollektiven [[Melancholie]], die auf eine mystische überall gleiche „alte Zigeunertradition“ zurückgehe.<ref>So |
Auch in die Rezeption der Musik der europäischen Roma durch die Mehrheitsgesellschaft gingen die bekannten, in diesem Fall vor allem romantischen Klischeevorstellungen ein. So wenn Roma unter dem Etikett „Zigeuner“ fälschlich als seit alten Zeiten „durch halb Europa ziehend“ beschrieben werden, was der Musik der verschiedenen Teilethnien eine grundlegende Gemeinsamkeit gegeben habe. Die liege unbeachtlich der ganz unterschiedlichen Kulturgeschichten, Musiktraditionen und Umgebungsgesellschaften in einem gemeinsamen „Saitengefühl“ und einer kollektiven [[Melancholie]], die auf eine mystische überall gleiche „alte Zigeunertradition“ zurückgehe.<ref>So z. B.: [[Joachim Ernst Berendt]]: ''Das Jazzbuch'', Fischer, Frankfurt am Main 1992, S. 392.</ref> |
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=== Bildende Kunst === |
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Version vom 26. Januar 2009, 09:43 Uhr
Mit der Fremdbezeichnung Zigeuner sind im deutschen Sprachraum seit dem 15. Jahrhundert im deutschen Sprachgebrauch die Angehörigen der Ethnie der Roma gemeint. Die Bezeichnung diente als soziografische, justizielle und polizeiliche Kategorie. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erhielt sie zunehmend einen ethnischen Inhalt. Im 19. Jahrhundert trat neben die ausschließende negativen Konnotation eine romantisch verklärende Begriffsfüllung.
Die Fremdbezeichnung hat eine lange Geschichte mit ebenso stabilen wie stigmatisierenden Konnotationen bis hin zu rassistischen Stereotypen. Sie ist gleichsam die Überschrift über eine lange Verfolgungsgeschichte mit ihrem Höhepunkt in der Zeit des Nationalsozialismus.
Die Eigenbezeichnung hat im medialen, administrativen, juristischen und politischen Sprachgebrauch die mehrheitsgesellschaftliche Bezeichnung inzwischen abgelöst. Als Sonderform ist im deutschen Sprachraum auch die Doppelbezeichnung „Sinti und Roma“ an die Stelle getreten. Roma wie Sinti haben eine andere Bedeutung als die Fremdbezeichnung Zigeuner, übersetzen sie also nicht, sondern ersetzen sie.
Zigeunerbegriffe
Etymologie
Das Wort Zigeuner ist eine Fremdbezeichnung, die im Deutschen wahrscheinlich aus dem Ungarischen (cigány) entlehnt ist und in ähnlicher Form in den meisten europäischen Sprachen vorkommt, so französisch Tsigane, Rumänisch Ţigan, italienisch Zingaro, spanisch Cingaro, portugiesisch Cigano, griechisch τσιγγάνος (tsingános), Skandinavien (zum Beispiel schwedisch) zigenare, russisch Цыган (Zygan), tschechisch Cikáni, polnisch Cygan, bulgarisch Циганин (Ziganin), Serbisch und Kroatisch Cigani und türkisch Çingene, ferner neulateinisch ciganus, tiganus, ziganus und ähnliche Formen, in einem der ältesten lateinischen Belege auf deutschem Gebiet auch secanus.[1]
Die genaue Herkunft dieses insofern gemeineuropäischen Namens ist nicht sicher. In der Regel wird als gemeinsame Wurzel das griechische Wort atsinganoi angenommen, das eine der im byzantinischen Schrifttum üblichen Bezeichnungen für „Zigeuner“ war. Es ist erstmals belegt in einer um 1168 auf dem Berg Athos entstandenen georgischen Quelle (dort in der Form adsincani), und zwar als Bezeichnung für eine Gruppe von Zauberern und Wahrsagern, die sich um 1150 am Hof von Konstantin Monomachos aufhielt und beschrieben wird als Samaritaner und Nachfahren von Simon Magus.[2] Das Wort atsinganoi ist wahrscheinlich eine korrumpierte Form von athinganoi, was der Name der im 9. Jahrhundert bezeugten gnostischen Sekte der Athinganen oder Athinganer war, seit dem 12. oder 13. Jahrhundert aber ebenfalls im Sinne von „Zigeuner“ verwendet wurde, so zuerst mit noch fraglichem Bezug bei Theodoros Balsamon († nach 1195) für Schlangenbeschwörer und Wahrsager,[3] und dann mit eindeutigem Bezug auf „Zigeuner“ ('o toùs kaì Aìgyptíous kaì Athingánous, s.u.) bei Gregorios II. Kyprios (1283–1289 Patriarch von Konstantinopel).[4] Ob auch die Belege des 11. und 12. Jahrhunderts schon die Anwesenheit von Roma in Byzanz bezeugen oder aber auf Wahrsager anderer Provenienz zu beziehen sind, wird dabei in der Forschung diskutiert.
Alternativ wurden auch Herleitungen von persisch Ciganch (Musiker, Tänzer), von persisch asinkan (Schmiede) oder von einem kiptschakischen Wort mit der Bedeutung „arm, mittellos“ [5] vorgeschlagen.
Speziell im Deutschen wurde Zigeuner volksetymologisch und fälschlich als „Zieh-Gäuner“, also „(umher-)ziehende Gauner“ umgedeutet, was mit ein Grund dafür ist, dass die Bezeichnung heute vielfach als negativ belastet abgelehnt wird.
Weitere Fremdbezeichnungen
Ein weiterer Name wird von Ägypten als Herkunftsland hergeleitet. Auch hier steht im Hintergrund byzantinischer Sprachgebrauch seit Gregorios II. Kyprios, bei dem von Steuern die Rede ist, die von „Ägyptern und Athinganern“ einzuziehen sind ('o toùs kaì Aìgyptíous kaì Athingánous).[6] Dahinter steht als realer Ansiedlungsort und Namensgeber eine für das 14. und 15. Jahrhundert nach einem Berg Gype auf der Peloponnes belegte Siedlung „klein Egypten“ von „Egyptianern genant Heyden“ bzw. von „romiti“.[7]
In der ersten Periode ihres Auftretens in Europa bezogen Romagruppen sich auf diesen Herkunftsmythos und bezeichneten sich als ägyptische Pilger. Als solche erhielten sie Almosen und Schutzbriefe.[8] „Ägypter“ wurde zu einer europaweiten mehrheitsgesellschaftlichen Bezeichnung: so spanisch Gitano, französisch Gitan, englisch Gypsy, griechisch γύφτος (gyftos) oder albanisch magjup.
Sowohl in Norddeutschland als auch in skandinavischen Sprachen und in dem früheren rumänischen Sprachraum findet sich auch die Bezeichnung Tatern oder Tattare (rum. tărtari oder tătăraşi) , die eigentlich die Tataren meint. Auch der Begriff Heidenen oder Heider (also „Heiden“) wurde historisch verwendet.[9] In Theodor Storms Werk „Der Schimmelreiter“ wurden Zigeuner, die von den einheimischen Nordfriesen geopfert werden sollten, als Slowaken bezeichnet.
Das Finnische verwendet den Begriff mustalainen (von finn. musta, „schwarz“).
Eine weitere Bezeichnung im Französischen und Spanischen ist bohèmiens bzw. bohemios („Böhmen, Böhmische“), dessen Bedeutung sich auf das mittellose Künstlertum, die Bohème ausgeweitet hat.
Verwendung der Fremdbezeichnungen heute
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma lehnt die Verwendung der Bezeichnung Zigeuner unter Hinweis auf die Wortgeschichte und vor allem auf die Verfolgung im Nationalsozialismus grundsätzlich ab: Zigeuner war die von der nationalsozialistischen Rassenforschung und den polizeilichen und sonstigen Verfolgungseinrichtungen vorgenommene Kategorisierung, auf deren Grundlage die Deportationslisten für Auschwitz, mithin für den Völkermord, zusammengestellt wurden. Auf diesem besonderen Hintergrund wird der Begriff im politischen, administrativen, juristischen und medialen Sprachgebrauch inzwischen nicht mehr verwendet. Im Gegensatz zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma verwenden die „Katholische Zigeunerseelsorge“ und die Sinti Allianz Deutschland, die einer von mehreren Zusammenschlüssen minderer Bedeutung neben dem Zentralrat ist, die Bezeichnung weiterhin.[10]. Die Katholische Kirche argumentiert, weil die Bezeichnung durch jahrhundertealte Vorurteile besudelt und die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus missbraucht worden sei, solle ihm durch Weiterverwendung seine Würde und Bedeutung zurückgegeben werden.[11] Die Sinti Allianz Deutschland vermeidet die Bezeichnung zwar in ihrem Vereinsnamen, verwendet sie aber ansonsten. Sie löst sich aus der Wortgeschichte und vertritt, es sei akzeptabel, von dem Ausdruck „Zigeuner“ zu reden, wenn es nicht abwertend gemeint sei.[12].
Im populären mehrheitsgesellschaftlichen Sprachgebrauch hat die Bezeichnung zwar nach wie vor Raum, befindet sich inzwischen aber auf einer Rückzugsposition. Im elaborierten Sprachgebrauch wird sie heute meist entweder vermieden oder mit begründenden Erklärungen versehen. Die Verteidiger der hergebrachten Verwendung geben den Fragen der Bezeichnungsgeschichte wie auch der Fremd-/Eigenbezeichnung nachgeordneten Stellenwert und argumentieren mit einem praktischen Vorteil: Zigeuner bezeichne die Gesamtheit aller Teilgruppen, während Sinti und Roma nur auf diese beiden Gruppen beschränkt sei und damit seinerseits diskriminierend sei.[13] Abwertend aber sei „Zigeuner“ nicht, wenn es gut gemeint sei. Wortgeschichte und Kontexte könnten in diesem Fall ignoriert werden. Die International Romani Union empfiehlt als Gesamtbezeichnung „Roma“.
Im französischen Sprachraum ist die Bezeichnung Gitans (vornehmlich für südfranzösische und spanische Zigeuner) und im englischen Sprachraum Gypsies wesentlich weniger umstritten und belastet als die deutsche Entsprechung. Beide Bezeichnungen leiten sich anders als Zigeuner von „Ägypter“ ab.
Im seltenen Fall wurde das Etikett „weiße Zigeuner“ seit dem 19. Jahrhundert auf die aus mehrheitsgesellschaftlicher Sicht „nach Zigeunerart lebenden Landfahrer“ angewendet. Dabei bezog der Blick sich auf eine ähnliche Lebensweise, wiewohl es um randständige Gruppen aus der Mehrheitsbevölkerung wie z. B. Jenische ging.
Zigeunerbilder in der europäischen Kunst
Literatur
Bereits Miguel de Cervantes machte in seiner Novelle La gitanilla (dt. Das Zigeunermädchen, erschienen 1613) eine Gitana zur Titelfigur. Diese frühe Schilderung wurde zum Vorbild für viele „schöne Zigeunerinnen“ der Literatur. In der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts erscheinen Roma zunächst als Wilde, Zauberer und Hexen.
Ausführlich verwendet Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in mehreren seiner Romane zeitgenössische populäre Stereotypen, wenn er Zigeuner als von Grund auf betrügerisch und unzivilisiert beschreibt.
Als erstes Beispiel für „Zigeunerromantik“ gilt die nächtliche Szene in einem „Zigeunerlager“ in Goethes Götz von Berlichingen (1773).[14] Die Titelfigur flüchtet sich verwundet dorthin. Der „Zigeunerhauptmann“ lässt ihn verbinden. Er stürmt mit Götz gegen die Truppen Adelberts von Weislingen und wird dabei erschossen wird. Götz kommentiert die Hilfe mit einem Satz, der sowohl die mehrheitsgesellschaftliche Abwertung wie auch den realen Tatbestand wiedergibt, daß Roma in der frühen Neuzeit in vielen europäischen Herren im Militärdienst standen: „O Kaiser! Kaiser! Räuber beschützen deine Kinder. Die wilden Kerls, starr und treu.“[15]
Ein häufig auftretendes belletristische Motiv war das des Kindes aus der Mehrheitsgesellschaft, oft aus der herrschenden Schicht der Feudalgesellschaft, dem Adel, das unter „Zigeunern“ aufwächst, ohne seine wahre Herkunft zu kennen. Auf dem Erbweg hat es höher entwickelte Eigenschaften und Kompetenzen mitbekommen, die das Leben unter als inferior erscheinenden Zigeunern nicht zunichte machen kann: Umwelteinflüsse können die „natürliche“, genetisch gegebene Überlegenheit nicht unterdrücken. In dieser Überlegenheit erweist sich am Ende die wahre Herkunft. Tendenziell ist dieses populäre Erklärungsmuster abseits einer romantischen Einkleidung und freundlichen Darstellung von Zigeunern rassistisch.
Ein frühes Beispiel dafür ist Goethes Figur der Mignon in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96), die besonders zahlreich bildende Kunst und Musik des 19. Jahrhunderts inspiriert hat.
Vor allem in der Zeit der Romantik, also etwa ab Beginn des 19. Jahrhunderts, fanden Zigeunerbilder zahlreich Eingang in die europäische Literatur. Die Idee vom freien, ortsungebundenen Leben außerhalb der sozialen Hierarchie sowie die vermeintliche sexuelle Freiheit der Zigeuner und die exotische Schönheit ihrer Frauen faszinierte die romantischen Künstler. Beispiele für erzählende Werke des 19. Jahrhunderts sind Цыганы (Cygany, dt. Die Zigeuner, 1824) von Alexander Sergejewitsch Puschkin, Notre Dame de Paris (dt. Der Glöckner von Notre-Dame, 1831) von Victor Hugo, der in der Figur der Esmeralda das Thema des unter Zigeunern aufgewachsenen Kindes wieder aufgreift, Prosper Mérimées Carmen (1847) und La Filleule (1853) von George Sand, die sich dem „Bohème-Leben“ so nah fühlte, dass sie über die vermeintliche Heimat Böhmen der Bohémiens forschte und den Eindruck zu erwecken versuchte, sie selbst sei „Zigeunerin“.[16] Karl May beschrieb 1875 einen als Gitano getarnten Regierungssoldaten in der Erzählung Der Gitano. Ein Abenteuer unter den Carlisten, in der er die Zigeuner und ihre Lebensweise ausgiebig und durchaus bewundernd schilderte.[17] In Bram Stokers weltbekanntem Schauerroman Dracula treten „Zigeuner“ als unheimliche Komplizen des verbrecherischen Grafen auf, die z. B. den Sarg, in dem dieser zu fliehen versucht, bewachen.
Auch in die Lyrik fanden Zigeunerbilder Eingang. Eines der berühmtesten „Zigeunergedichte“ ist Nikolaus Lenaus Die drei Zigeuner von 1838,[18] das Bewunderung für die „gelassene“ Lebenshaltung eines geigenden, eines Pfeife rauchenden und eines schlafenden „Zigeuners“ ausdrückt. Neben deutschen Gedichten erschienen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Übersetzungen spanischer und osteuropäischer Verfasser in deutscher Sprache. Nachhaltigen Einfluss hatten die Übersetzungen Emanuel Geibels (Volkslieder und Romanzen der Spanier (1843), Spanisches Liederbuch (1852), Romanzero der Spanier und Portugiesen (1860) u. a.), die vor allem durch berühmte Vertonungen Verbreitung fanden. Auch in ostmitteleuropäischen Ländern wurden „Zigeuner“ bedichtet, beispielsweise von den Ungarn Mihály Vörösmarty und Sándor Petőfi oder dem Tschechen Adolf Heyduk.
Musik
Klassische Musik
Romantisierende Zigeuner-Bilder wurden seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu einem verbreiteten und langlebigen Sujet in Oper und Operette. Im Mittelpunkt standen vor allem Frauen.
Es bildeten sich wie in der belletristischen Literatur feste Darstellungsmuster aus, die an ältere mehrheitsgesellschaftliche Stereotypen anknüpften: eine „wilde“, kaum zu steuernde Leidenschaftlichkeit, ein nicht rational, sondern intuitiv und emotional motiviertes Gesamtverhalten, ein unbezwingbarer Freiheitsdurst, kurz, eine imaginierte „ziganische Lebensform“ als das Gegenbild zur wohlgeordneten bürgerlichen Lebensweise, und als Preis der Freiheit der „Zigeuner“ deren Armut und Rechtlosigkeit.
1781 erschien in Wien die Komische Oper Les Bohèmiens des Mozart-Zeitgenossen Anton Eberl. Eine der ersten Opern-Zigeunerinnen, die die Bühnen bis heute vorhalten, war die Zaide in Gioacchino Rossinis Oper Il turco in Italia (1814). Als Wahrsagerin und Geliebte eines türkischen Prinzen erfüllte sie zwei beliebte Zigeuner-Klischees. Die Gitana mit dem Namen Preciosa aus der oben erwähnten Novelle von Cervantes wurde in einer deutschen Bearbeitung des Stoffes durch Pius Alexander Wolff mit Musik Carl Maria von Webers 1821[19] auf die Bühne gebracht.
Ein in der Literatur generell und eben auch in den romantisierenden und historisierenden Libretti auftretendes Klischee ist das von einem „Zigeuner“, dessen Persönlichkeitsmerkmale in bestimmten Punkten (männlich, Führungsstärke/Charisma, Mut, Überblick/Vernunft, unbeugsamer Gerechtigkeitssinn) auffällig und angenehm von der Darstellung seiner Mit-Zigeuner abweichen. Im Laufe der Handlung erweist sich dann ein solcher Protagonist als Findelkind, das tatsächlich aus der herrschenden Schicht der vormodernen Mehrheitsgesellschaft, dem Adel, kommt. Ein Beispiel hierfür ist die Titelfigur der äußerst erfolgreichen Oper The Bohemian Girl (dt. Das Böhmische Mädchen oder Die Zigeunerin, Text: Alfred Bunn nach dem Ballett La Gypsy) von Michael William Balfe, die 1839 in Paris zur Uraufführung kam.[20]
Weitere Beispiele für literarische und musikalische Bilder von „Zigeunerinnen“ finden sich in den Werken Gaetano Donizettis (La zingara, dt. Die Zigeunerin, 1822) und Giuseppe Verdis (Azucena in Il trovatore, 1853, Preziosilla in La forza del destino, 1862), sowie in Manuel de Fallas La vida breve (1905), dort als betrogene und unschuldig leidende Person.
Die berühmteste aller Opernfiguren dürfte Bizets Carmen (1875) sein, die auf der Titelfigur von Prosper Mérimées Novelle beruht. Sie trug mehr noch als ihre Vorlage zum Mythos von der leidenschaftlichen, bürgerliche Konventionen missachtenden (und dafür den Tod erleidenden) „Zigeunerin“ bei. Die Carmen-Figur wurde in zahlreichen Bühnen-, Tanz- und Film-Bearbeitungen bis ins 20. Jahrhundert aufgegriffen und so einer der berühmtesten Frauentypen der neuzeitlichen Dramatik.
Komponisten des mittel- und osteuropäischen Raums nahmen Zigeuner-Anklänge aus ihren jeweiligen Heimatländern in ihre Werke auf. Als Beispiel sind zu nennen der Tscheche Antonín Dvořák (Cigánské melodie – Zigeunerweisen op. 55, 1880), der Rumäne George Enescu (Caprice Roumain,[21] (ab 1925) für Violine und Orchester, unvollendet), zwei Opern mit ziganischen Anklängen sind weiters Manru (1901) des Polen Ignacy Jan Paderewski[22] und Алеко (Aleko) (1892) des russischen Komponisten Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow nach Puschkins Zigeunern (s. o.).
Das im 19. Jahrhundert entstandene Klischee einer angeblichen Zigeunermusik wurde besonders in der österreichischen Operette populär. Einer der berühmtesten Kunst-Csárdás ist die Arie der Rosalinde aus dem 2. Akt von Johann Strauß' 1874 uraufgeführter Fledermaus, mit dem die maskierte Hauptfigur ihre ungarische Herkunft ‚beweist‘. Das ungarisch-zigeunerische Kolorit war in Österreich-Ungarn von besonderem Reiz – der erste etablierte Exotismus der österreichischen Operette kam aus dem eigenen Staat, eben der der Zigeuner. Strauß' zweites berühmtes Werk, Der Zigeunerbaron, hat die Zigeuner bereits im Titel, doch die hier dargestellten Zigeuner (die Titelfigur ist ein ungarischer Baron, kein Zigeuner) sind nicht die aufbrausenden, freiheitsliebenden Außenseiter, wie sie in der Oper dargestellt wurden, sondern pittoreske Untertanen der k. u. k. Monarchie, gleichsam domestizierte Bohèmiens.[23] Dem Zigeunerbaron folgten viele Werke österreichischer und ungarischer Komponisten mit „Zigeunerklängen“, zu nennen sind Franz Lehár (Zigeunerliebe, 1910) Emmerich Kálmán (Der Zigeunerprimas, 1912, Die Csárdásfürstin, 1915, Gräfin Mariza, 1924), Paul Abraham (Viktoria und ihr Husar, 1930). Auch in der „internationalisierten“ Operette zwischen den Weltkriegen sind ungarisch-zigeunerische Figuren bzw. Musiken nicht selten, beispielsweise bei Robert Stolz.
Im 20. Jahrhundert wurde der Flamenco Gegenstand klassischer Musik: Die Freunde Federico García Lorca und Manuel de Falla waren an der Schaffung einer spanischen Kunstmusik interessiert, die nationale Elemente zentral aufgreift. Solche Elemente fanden sie im Flamenco Andalusiens und bei den „Gitanos“. Fallas Oper La vida breve, komponiert 1904–13, spielt im Zigeunermilieu Granadas und greift Melismatik und Rhythmus des Flamencos auf. Für die Flamenco-Künstlerin Pastora Imperio schrieb er das Bühnenwerk El amor brujo (dt. der Liebeszauber, untertitelt als Gitanería in einem Akt), das mit 15 Instrumenten begleitet ist und Liebesromanzen und einen Zauberschwur zeigt, mit dem eine verlassene Zigeunerin ihren Liebhaber zurückgewinnen will.[24]
Populäre zeitgenössische Musik
Auch im Nachkriegsschlager blieb das Zigeuner-Klischee in geradezu unzähligen Varianten lebendig. Ein sehr bekanntes Beispiel ist Zigeunerjunge der Sängerin Alexandra.
Rezeption der Musik der Roma als „Zigeunermusik“
Auch in die Rezeption der Musik der europäischen Roma durch die Mehrheitsgesellschaft gingen die bekannten, in diesem Fall vor allem romantischen Klischeevorstellungen ein. So wenn Roma unter dem Etikett „Zigeuner“ fälschlich als seit alten Zeiten „durch halb Europa ziehend“ beschrieben werden, was der Musik der verschiedenen Teilethnien eine grundlegende Gemeinsamkeit gegeben habe. Die liege unbeachtlich der ganz unterschiedlichen Kulturgeschichten, Musiktraditionen und Umgebungsgesellschaften in einem gemeinsamen „Saitengefühl“ und einer kollektiven Melancholie, die auf eine mystische überall gleiche „alte Zigeunertradition“ zurückgehe.[25]
Bildende Kunst
Der deutsche Maler Otto Pankok hat hauptsächlich in den 1930er-Jahren zahlreiche Porträts von mit ihm befreundeten Sinti geschaffen. Sie sind keine Abbilder der populären „Zigeuner“-Klischees.
Literatur
- Anita Awosusi (Hrsg.), Stichwort: Zigeuner. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien, Heidelberg 1998
- Alfred Dillmann: Zigeuner-Buch. Herausgegeben zum amtlichen Gebrauche im Auftrage des K. B. Staatsministeriums des Inneren vom Sicherheitsbureau der K. Polizeidirektion München, München 1905. (Digitalisat, PDF)
- Leo Lucassen: Zigeuner. Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland. 1700–1945. Böhlau Verlag, Köln u. a. 1996, ISBN 3-412-05996-X.
- Anita Awosusi (Hrsg.): Stichwort: Zigeuner. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 1998 (= Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, 8), ISBN 3-88423-141-3.
- Erich Hackl, Willy Puchner: Zugvögel seit jeher. Freude und Not spanischer Zigeuner. Herder, Wien 1987, ISBN 3-21024-848-6.
- Stefani Kugler: Kunst-Zigeuner. Konstruktionen des „Zigeuners“ in der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 2004 (= Literatur, Imagination, Realität, 34), ISBN 3-88476-660-0. (zugl. Dissertation; Universität Trier 2003)
Weblinks
- „Zwischen Romantisierung und Rassismus“. Sinti und Roma 600 Jahre in Deutschland Stuttgart 1998, hsrg. durch Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und Verband Deutscher Sinti & Roma, Landesverband Baden-Württemberg
- dROMa – zweisprachige Zeitschrift in Deutsch und Romani
- Gypsy Lore Society Collections (engl.) an der University of Liverpool
- http://www.studiiromani.org (engl.) Specialized Library whith Archive “Studii Romani”
- http://www.linguistik-online.de/16_03/kilian.html Jörg Kilian. Wörter im Zweifel. Ansätze einer linguistisch begründeten kritischen Semantik (v.a. Abschnitt 3: Zur Kritik des Zweifels – am Beispiel Zigeuner)
Einzelnachweise
- ↑ Belegt in Hermann Korners Chronica novella (hrsg. von Jakob Schwalm, Vandehoeck & Ruprecht 1895) als Latinisierung der Selbstbezeichnung einer Gruppe, die 1417 in Lübeck Aufsehen erregte und sich Secani nannte (Sec(h)anos se nuncupantes), in der mittelniederdeutschen Bearbeitung der sogenannten Rufus-Chronik dann eingedeutscht als Secanen (unde nomeden sik de Secanen), Karl Koppmann (Hrsg.), Die Chronikien der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, XXVIII: Die Chroniken der niedersäschischen Städte – Lübeck, Band 3, Hirzel, Leipzig 1903, S. 108, Nr. 1285.
- ↑ David Marshall Lang: Lives and Legends of the Georgian Saints. London/New York 1956, S. 154
- ↑ George C. Soulis: The Gypsies in the Byzantine Empire and the Balkans in the Late Middle Ages, in: Dumbarton Oaks Papers 15 (1961), S. 141–165, 146–147, zitiert nach Angus M. Fraser: The Gypsies, Blackwell, Oxford (u.a.) 1995, S. 46–47
- ↑ Viorel Achim: The Roma in Romanian Historiy, Central European University Press, Bukarest (u.a.) 2004, S. 9
- ↑ Studia Etymologica Cracoviensia 7 (2002), S. 159–169
- ↑ V. Achim: The Roma in Romanian History, 2005, S. 9, vgl. A. M. Fraser: The Gypsies, 1995, S. 47f.
- ↑ Rüdiger Vossen, Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung, Frankfurt (Main) u. a. 1983, S. 22f.
- ↑ Hierbei gaben sie zum Teil an, als Bußprediger für die Sünden ihrer Vorfahren auf Wanderschaft zu sein, die der Heiligen Familie während ihrer Flucht nach Ägypten Hilfe verweigert hätten. Siehe:Ines Köhler-Zülch, Die verweigerte Herberge: Die heilige Familie in Ägypten und andere Geschichten von „Zigeunern“ Selbstäusserungen oder Aussenbilder?, in: Jacqueline Giere (Hrsg.): Die gesellschaftliche Konstruktion des Zigeuners: zur Genese eines Vorurteils, Campus Verlag, Frankfurt am Main 1966 (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, 2), S. 46–86
- ↑ Stichwort „Zigeuner“ in Meyers Konversationslexikon von 1888
- ↑ Anlässlich des Anfang September 2008 in Freising durchgeführten Weltkongresses der „Katholischen Zigeunerseelsorge“ protestierte der Zentralrat gegen die Beibehaltung des Begriffs „Zigeuner“ durch die katholische Kirche und deren Haltung gegenüber Sinti und Roma. [1]
- ↑ Siehe die Erklärung von Norbert Trelle, Bischof von Hildesheim: [2].
- ↑ HP der Sinti Allianz, Köln.
- ↑ „Denkmal-Streit“ – Artikel von Eberhard Jäckel in der FAZ vom 5.2.2005
- ↑ Reimer Gronemeyer, Georgia A. Rakelmann: Die Zigeuner. Reisende in Europa, 1988
- ↑ Wikisource:Götz von Berlichingen, 5. Akt
- ↑ (pdf) Max von Hilgers: Spiegel, Schatten und Dämonen. Darstellungsformen urbaner Lebenswelt im Künstlerroman zwischen 1780 und 1860, Diss., Berlin 2004
- ↑ Eckehard Koch: „Der Gitano ist ein gehetzter Hund“. Karl May und die Zigeuner
- ↑ Die drei Zigeuner (Lenau) im Projekt Gutenberg
- ↑ www.schott.music.com
- ↑ operone.de
- ↑ Über Enescus Caprice Roumain (frz.)
- ↑ Egbert Swayne: Paderewski's Manru und Aleksandra Konieczna: Stylistic and Dramatic Features of Paderewski's Manru, in Polish Music Journal, Vol. 4, No. 2, 2001
- ↑ Volker Klotz: Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst, München (Piper) 1991, ISBN 3492030408
- ↑ Booklet zu Falla: El amor brujo, Arles 1991, Harmonia Mundi France Nr. 905213
- ↑ So z. B.: Joachim Ernst Berendt: Das Jazzbuch, Fischer, Frankfurt am Main 1992, S. 392.