Gewissenhaftigkeit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Gewissenhaftigkeit ist ein faktorenanalytisch ermitteltes Persönlichkeitsmerkmal (vgl. Persönlichkeit) in der Differentiellen Psychologie. Sie beschreibt den Grad an Selbstkontrolle, Genauigkeit und Zielstrebigkeit, der einer Person eigen ist.[1]

Zusammen mit der Extraversion, der Verträglichkeit, der Offenheit und dem Neurotizismus bildet es die Big Five.

In der Psychologie unterscheidet man sechs Untereigenschaften (Facetten) der Gewissenhaftigkeit: Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit.[1]

Diagnostiziert wird das Ausmaß an Gewissenhaftigkeit über Adjektivlisten oder über Persönlichkeitstests wie den NEO-FFI oder das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung.

Die meisten Persönlichkeitsforscher vertreten heute die Ansicht, dass Gewissenhaftigkeit gleichzeitig das Produkt einer motivierenden und einer disziplinierenden psychischen Kraft ist. Motivierend, weil solche Menschen sich ganz auf eine Arbeit konzentrieren können, und disziplinierend, weil sie lockende Ablenkungen asketisch abblocken können.[1]

Am verbreitetsten ist auch heute noch der 1985 von Costa und McCrae entwickelte NEO-PI-R; dieses umfasst 240 Aussagen (Items) zur Fremd- oder Selbstbeurteilung auf einer 5-stufigen Ratingskala.

Adjektive wie ordentlich, genau, sauber, organisiert, sorgfältig, verantwortungsbewusst, zuverlässig, überlegt und gewissenhaftladen“ positiv auf dem Gewissenhaftigkeitsfaktor, wohingegen sich unsorgfältig, unachtsam und ungenau negativ auswirken. Gewissenhafte Menschen sind sich der Verantwortung ihrer Aufgaben bewusst und arbeiten zielstrebig und entschlossen auf ihre Ziele hin.

Zusammenhang mit Perfektionismus

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Theorie des Psychiaters und Neurowissenschaftlers Raphael Bonelli ist die Gewissenhaftigkeit ein funktionales Perfektions­streben, während der Perfektionismus ein dysfunktionales Perfektionsstreben darstellt. Der psychodynamische Unterschied zwischen der Gewissenhaftigkeit und dem Perfektionismus ist, dass erstere als gesundes Streben intrinsisch motiviert ist, letzterer extrinsisch. Je mehr Angst im Spiel ist, umso höher der Faktor Neurotizismus und umso extrinsischer die Motivation.[1]

Auch Stumpf und Parker stellen wie Bonelli einen hohen Zusammenhang zwischen Perfektionismus und den Big Five heraus. So korrelieren funktionale Perfektionismus-Facetten wie hohe persönliche Standards und Organisiertheit mit Gewissenhaftigkeit. Dagegen korrelieren dysfunktionale Facetten wie leistungsbezogene Zweifel und Fehlersensibilität mit Neurotizismus.[2]

Weitere klinische Zusammenhänge

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter den fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit sagt selbstbeurteilte Gewissenhaftigkeit das Vorgesetztenurteil über den Berufserfolg am besten vorher.[3] Gewissenhafte werden in psychologischen Studien von ihren Ausbildern besser bewertet, haben einen objektiv besseren Output am Arbeitsplatz, zeigen ein besseres Teamverhalten, weisen höhere Leistungen und bessere Führungsqualitäten auf. Sie sind motivierter bei der Zielsetzung, blicken umsichtiger voraus und gehen durchdachter und effizienter vor.[1]

Im Verlauf des Erwachsenenalters nimmt die Gewissenhaftigkeit zu.[4] Für hochintelligente Kinder der Terman-Studie war niedrige Gewissenhaftigkeit ein Risikofaktor für einen früheren Tod.[5]

Gewissenhaftigkeit und Extraversion sind die wesentlichen Persönlichkeitseigenschaften, die die Gruppenleistung beeinflussen.

Wiktionary: Gewissenhaftigkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e Raphael M. Bonelli: Perfektionismus: Wenn das Soll zum Muss wird. Pattloch-Verlag, München 2014, ISBN 978-3-629-13056-3, S. 62 ff.
  2. H. Stumpf, W. D. Parker: A hierarchical structural analysis of perfectionism and its relation to other personality characteristics. In: Personality and Individual Differences. 28 (2000), S. 837–852.
  3. Jens B. Asendorpf, Franz J. Neyer: Psychologie der Persönlichkeit. Springer; Auflage: 5., vollst. überarb. Aufl. 2012 (27. November 2012). ISBN 978-3-642-30263-3. Seite 170
  4. Jens B. Asendorpf, Franz J. Neyer: Psychologie der Persönlichkeit. Springer; Auflage: 5., vollst. überarb. Aufl. 2012 (27. November 2012). ISBN 978-3-642-30263-3. Seite 317
  5. Jens B. Asendorpf, Franz J. Neyer: Psychologie der Persönlichkeit. Springer; Auflage: 5., vollst. überarb. Aufl. 2012 (27. November 2012). ISBN 978-3-642-30263-3. Seite 330