INRI

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INRI vom Isenheimer Altar

INRI (auch I.N.R.I. oder J.N.R.J.) sind die Initialen des lateinischen Satzes Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – „Jesus von Nazaret, König der Juden“. Dieser Satz stand nach Joh 19,19–20 EU auf Hebräisch, Griechisch und Latein auf einer Tafel, die der römische Statthalter Pontius Pilatus oben am Kreuz Jesu anbringen ließ. Alle vier kanonischen Evangelien nennen mit kleinen Varianten eine solche Tafelinschrift. Sie wird daher auch Kreuzestitel (Titulus crucis) genannt.

Die Inschrift gab Jesu angebliches Vergehen, den Rechtsgrund seiner Kreuzigung, öffentlich bekannt. Nachdem damalige Anführer aufständischer Juden den Königstitel für sich beansprucht hatten, hatten die römischen Herrscher jüdischen Vasallen das Tragen dieses Titels verboten. Darum verweist der Kreuzestitel auf ein historisches Todesurteil des Pilatus, das Jesus durch einen impliziten oder expliziten Messias-Anspruch provoziert haben kann.

Nach dem Neuen Testament (NT) bezeichnete er sich nie als „König der Juden“, sondern verkündete durch Worte und Taten die Königsherrschaft Gottes. Für das Urchristentum bestätigte die Inschrift die Würde Jesu Christi als Messias seines Volkes Israel und Sohn Gottes, der am Kreuz die Schuld aller Menschen auf sich nahm.

Neues Testament

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Die vier Evangelien zitieren die Inschrift der Kreuzestafel wie folgt:

Mk 15,26 EU Mt 27,37 EU Lk 23,38 EU Joh 19,19–20 EU
Und eine Aufschrift gab seine Schuld an: Der König der Juden.  Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht, die seine Schuld angab: Das ist Jesus, der König der Juden.  Über ihm war eine Aufschrift angebracht: Das ist der König der Juden.  Pilatus ließ auch eine Tafel anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden.

Alle vier Versionen enthalten die Worte „der König der Juden“. Laut dem Markusevangelium und Matthäusevangelium gab dieses Tafelzitat Jesu Schuld als Grund der Kreuzigung an. Matthäus ergänzt seinen Namen, das Johannesevangelium dazu das Attribut „Nazoräer“.[1]

Die Markusversion gilt als die älteste und als Vorlage für die übrigen Versionen. Diese gelten als redaktionell von den übrigen Evangelisten erweitert. Der Ausdruck „der König der Juden“ entsprach römischem Sprachgebrauch und erscheint im NT nur in Aussagen von Nichtjuden. Dagegen bezeichneten jüdische Gegner Jesu ihn laut Mk 15,32 EU als „der König Israels“.[2]

Die Abkürzung INRI geht auf die lateinische Übersetzung der Johannesversion in der Vulgata zurück. Joh 19,19 VUL übersetzt das griechische Original „Jesus, der Nazoräer“ mit Iesus Nazarenos („Jesus, der Nazarener“). Beide Namenszusätze bezeichnen im NT Jesu Herkunftsort, das Dorf Nazareth in Galiläa.[3]

Nur die Johannesversion nennt die Inschrift titlos. Von dorther stammt der stehende lateinische Ausdruck titulus crucis.[4] Gemeint ist eine auf vergängliches Holz oder Papier aufgetragene, keine dauerhaft in Stein oder Metall eingravierte Schrift.[5]

Nur die Johannesversion nennt Pilatus als Urheber der Kreuzestafel und ergänzt: „Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst.“ Mit Hebräisch kann hier auch Aramäisch gemeint sein, die damalige Umgangssprache palästinischer Juden. Auf Aramäisch hätte der Satz malka dijehud(e)je gelautet.[6] Eventuell wollte Pilatus damit die jüdischen Adressaten besonders quälen. Bekanntmachungen damaliger römischer Beamter verwendeten sonst nie die Sprache eines unterworfenen Volkes.[5]

Die übrigen Evangelien nennen diese Details nicht. Die Zusätze machen den römischen Statthalter explizit für Jesu Kreuzigung verantwortlich und betonen, dass er seine Begründung dafür nicht nur den Juden, sondern auch den Bürgern des Römischen Reichs offiziell bekannt machte.

Historischer Hintergrund

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Römische Historiker überliefern einige Fälle, wo Vergehen mit einer Tafel öffentlich bekannt gemacht wurden, um den Täter vor oder nach seiner Bestrafung zusätzlich zu demütigen und vorzuführen. Dies erfolgte laut Sueton unter Kaiser Caligula bei einem beim Diebstahl ertappten Sklaven, unter Domitian bei einem Gladiatoren wegen einer Majestätsbeleidigung. Laut Cassius Dio wurde ein Mann vor seiner Kreuzigung mit einer Aufschrift zum Grund dafür über den Marktplatz geführt. Diese Anekdoten belegen eher die grausame Willkür einzelner Kaiser als einen allgemeinen römischen Rechtsbrauch bei Hinrichtungen.[7]

Nur das NT erwähnt das Anbringen einer Tafel über dem Gekreuzigten. Die meisten Neutestamentler halten zumindest eine Tafel für historisch, die den Strafgrund für Jesu Hinrichtung bekanntgab.[8] Meist gilt der Wortlaut der Markusversion als historisch.[2][9]

Jüdische Vasallenherrscher trugen von den Hasmonäern bis zu Herodes dem Großen den Titel „König der Juden“. Danach verweigerten die Römer jüdischen Herrschern bis zum Ende der Amtszeit des Pilatus (37 n. Chr.) diesen Titel und verwalteten Judäa, Idumäa und Galiläa direkt.[10]

Denn nach dem Tod des Herodes (4 v. Chr.) war es in diesen Provinzen zu jüdischen Aufständen gekommen. Deren Anführer, darunter wohl Judas der Galiläer, kämpften gegen die herodianische und römische Herrschaft und ließen sich von ihren Anhängern jeweils zum „König“ ausrufen (Flavius Josephus, Antiquitates Iudaicae 17,283-285). Roms Legat Publius Quinctilius Varus schlug die Aufstände bis 6 n. Chr. blutig nieder und ließ dabei tausende rebellische Juden kreuzigen. Für die nächsten 30 Jahre überliefert Josephus keine solchen Unruhen. Doch laut Mk 15,7 EU kam es auch bei Jesu Aufenthalt in Jerusalem (um 30 n. Chr.) dort zu einem „Aufstand“. Laut Mk 15,27 EU wurden zwei Beteiligte als „Räuber“ mit Jesus gekreuzigt. So nannten die Römer und Josephus die jüdischen Rebellen.[11]

Nach dem von Kaiser Augustus erlassenen Gesetz lex Iulia de maiestate galt ein in römischen Provinzen erhobener Anspruch auf eine Königswürde ohne kaiserliche Erlaubnis als Aufruhr (seditio, perduellio) und Angriff auf den Kaiser selbst (crimen laesae maiestatis). Dies war seit der Amtszeit von Kaiser Tiberius (14–37 n. Chr.) mit Kreuzigung zu ahnden.[12] Dabei unterschieden die Römer einen religiösen nicht von einem politischen Führungsanspruch. Sie fassten den Königstitel als Staatsverbrechen ähnlich dem heutigen Hochverrat auf. Der Neutestamentler Karlheinz Müller hielt den Satz „der König der Juden“ daher für die strafrechtliche römische Bezeichnung für jüdische Rebellenanführer.[13]

Im NT beziehen nur Nichtjuden diesen Ausdruck auf Jesus (in Mt 2,2 die Sterndeuter aus Babylonien, in den Passionstexten Pilatus und die Römer). Der Ausdruck spielt sprachlich nicht auf das Alte Testament an. Er stammte daher für den Historiker Paul Winter nicht aus den Messiaserwartungen des Judentums oder dem Glauben der Urchristen. Winter hielt Kreuzestitel und Kreuzigung Jesu für die einzigen historischen Details des Prozesses Jesu im NT: Nur für die Römer, nicht die Juden, habe Jesus eine vermeintliche Königswürde beansprucht und sei deshalb gekreuzigt worden.[14] Laut dem Neutestamentler Martin Karrer vollzog Pilatus ein politisches Verfahren: „Jesu Hinrichtung statuierte für Judäer, Galiläer und nicht zuletzt die Nachkommen Herodes des Großen ein Exempel, sich mit der von Rom gewährten nichtköniglichen Verwaltungsstruktur zu bescheiden.“[10] Laut dem Neutestamentler Klaus Wengst betrachtete Pilatus Jesus als „messianischen Aufrührer“ und ließ ihn deshalb hinrichten.[15]

Theologischer Hintergrund

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Die entscheidende Frage für Historiker und Theologen ist, welche Aktivität und welcher Anspruch Jesu das Todesurteil bzw. den Hinrichtungsbefehl des Pilatus ausgelöst haben kann. Denn im NT bezeichnet sich Jesus nirgends als „König der Juden“. Laut Mk 15,2-5 EU verlief sein Verhör durch Roms Statthalter wie folgt:

„Pilatus fragte ihn: „Bist du der König der Juden?“ Er antwortete ihm: Du sagst es. Die Hohepriester brachten viele Anklagen gegen ihn vor. Da wandte sich Pilatus wieder an ihn und fragte: Willst du denn nichts dazu sagen? Sieh doch, wie viele Anklagen sie gegen dich vorbringen. Jesus aber gab keine Antwort mehr, sodass Pilatus sich wunderte.“

Nach dem Kontext (Mk 15,1) beschloss der Sanhedrin (das damalige jüdische Religionsgericht in Jerusalem), Jesus an Pilatus auszuliefern, um ihn kreuzigen zu lassen. Dazu formulierte er offenbar eine politische Anklage gegen Jesus. Diese geht nur aus den Rückfragen des Pilatus an die Tempelpriester (die den Sanhedrin dominierenden Sadduzäer) hervor (Mk 15,12): „Was soll ich dann mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?“ Demnach klagte der Sanhedrin Jesus eines Anspruchs auf das politische Königsamt in Judäa an, also wegen Aufruhr und Hochverrat gegenüber Rom. Laut dem Neutestamentler Klaus Haacker bestätigte Jesus die Anklage mit seinem Schweigen gegenüber Pilatus und zog damit ein nach römischem Recht gültiges Todesurteil auf sich.[16]

Jesu Antwort „Du sagst es“ kann für sich als emphatische Zustimmung („Du selbst sagst es ja!“), als sarkastische Herausforderung („Du sagst es, aber glaubst es nicht!“), als Kontrast („Du sagst es – ich nicht“),[17] als Distanzierung („Das sagst du!“) oder als Aufforderung („Sage du es, urteile selbst“) verstanden werden.[18] Hätte Pilatus diese Antwort als Zustimmung, also Schuldgeständnis verstanden, dann hätte er sofort Jesu Hinrichtung befehlen müssen. Stattdessen bot er laut Mk 15,9-15 an, ihn freizulassen, da er ihn für unschuldig hielt.

Die späteren Evangelien rücken Jesu Messiasanspruch noch stärker von einem politischen Anspruch ab, am stärksten die Johannesversion (Joh 18,28 EU bis 19,16 EU). Dort antwortet Jesus auf Pilatus' Frage: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde.“ Auf die Rückfrage des Pilatus antwortet er: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Damit weist er den Vorwurf eines politischen Machtanspruchs zurück. Demgemäß betont Pilatus gegenüber den Anklägern: „Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.“ Nach allen Versionen ließ Pilatus Jesus dennoch nicht frei, sondern gab den fortgesetzten Forderungen der Tempelpriester und ihrer Jerusalemer Anhänger („Kreuzige ihn!“) schließlich nach. Demnach betrieben diese also Jesu Hinrichtung. Diese Tendenz, die römische Besatzungsmacht zu entlasten und den jüdischen Sanhedrin zu belasten, wird einer antijüdischen Evangelienredaktion zugeschrieben. Nach Josephus und römischen Quellen genügte gerade unter Pilatus schon der bloße Verdacht aufrührerischen Verhaltens, um Juden nach einem kurzen polizeilichen Verhör (coercitio) ohne förmlichen Rechtsprozess kreuzigen zu lassen.[19]

Die Tempelpriester protestierten nach Joh 19,21 EU bei Pilatus gegen dessen Kreuzestafel: Jesus habe nur behauptet, der „König der Juden“ zu sein. Dies weist auf den vorherigen Prozess oder das Verhör Jesu vor dem Sanhedrin zurück. Laut Mk 14,61-63 EU fällte dieser sein Todesurteil aufgrund Jesu Antwort auf die Messiasfrage des Hohenpriesters:

„Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“

Ein Messiasanspruch galt im Judentum nicht als todeswürdig, da der weitere Geschichtslauf ihn ohnehin beweisen oder entkräften würde. Jüdische Könige und Thronanwärter beanspruchten seit dem Untergang des jüdischen Königtums nie den Ehrentitel des von Gott Gesalbten (hebräisch maschiach, griechisch christos) für sich.[20] Auch Jesus tat dies nur an dieser einzigen Stelle der Evangelien, die stark von christlichen Verkündigungsabsichten geprägt ist.

Er hatte zuvor wie viele frühere Propheten, zuletzt Johannes der Täufer, nicht eigene Machtansprüche, sondern das Reich Gottes verkündet. Dieses wurde in der jüdischen Apokalyptik als jenseitiger Abbruch der Weltgeschichte, nicht als Ergebnis einer historischen Entwicklung verstanden. Dem entsprach Jesu überlieferte Reaktion auf den Jubel der Festpilger bei seinem Einzug in Jerusalem (Mk 11,9 f. EU; Mt 21,9 EU; vgl. Lk 19,38 EU):

„Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt.“

Dies drückte die damals verbreitete Erwartung eines politischen Befreiers im Gefolge König Davids aus, der die Römer aus Israel vertreiben würde. Diese Erwartung an Jesus teilten nach Lk 24,21 auch seine Jünger. Dagegen erinnerte Jesu Einritt auf einem jungen Esel an die Verheißung eines machtlosen Messias, der den Völkern vollständige Abrüstung aller Kriegsmittel gebieten werde (Sach 9,9 ff. EU; siehe auch Schwerter zu Pflugscharen). So weist diese Symbolhandlung die populäre davidische und zelotische Messiashoffnung zurück, bestätigt zugleich aber einen impliziten Messiasanspruch Jesu.

In Joh 12,13–16 fehlt der Bezug auf das Königtum Davids. Der Evangelist kann es weggelassen haben, um Jesus von damaligen messianisch-apokalyptischen Vorstellungen einer kommenden irdischen Königsherrschaft im Judentum abzurücken. Diese zeigten sich etwa in manchen Psalmen Salomos (17,1–4.21.42) und bei Lukas (Lk 19,38; Lk 23,2 f.; Lk 23,37 f.) und wurden im Titel „König der Juden“ zusammengefasst. Zugleich bezeichneten die Tempelpriester Jesu Anspruch laut Mk 15,32 gemäß weisheitlicher Königstradition (etwa in Weish 6,1–16; Jes 24,21–23; Mi 4,6–8; Zef 3,14 f.) als „König Israels“, der Gottes Königsherrschaft schon realisiert habe.[21]

Jesus provozierte seine Festnahme laut Mk 11,15 ff. durch seine Tempelreinigung, bei der er die Opferhändler aus dem Tempelvorhof für Nichtjuden vertrieben hatte. Dies mussten die sadduzäischen Tempelpriester – nicht die Römer – als Angriff auf den Tempelkult verstehen. Doch erst Jesu Selbstvorstellung als der kommende Menschensohn würde das überlieferte Todesurteil des Sanhedrin und Jesu Auslieferung an Pilatus erklären. Von allen in jüdischer Tradition vorgegebenen Hoheitstiteln kann Jesus den des apokalyptischen Menschensohns (Dan 7,14 EU) schon für sein irdisches Handeln beansprucht haben, da dieser etwa seine Vollmacht zum Sündenvergeben (Mk 2,10 EU) und sein Heilen auch am Sabbat (Mk 2,27 EU) begründet.[22] Dieser Anspruch ließ Jesu Tempelreinigung kurz vor dem Pessach als Gefährdung des Tempelkults erscheinen, so dass der Sanhedrin Jesus als politischen Aufwiegler an Pilatus überstellte.

Christliche Kunst

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Inschrift mit seitenverkehrtem N der Renaissance-Kapitalis, barockes Kruzifix, Klosterkirche Rockenberg (Hessen)

Nach Mt 27,37 und Lk 23,38 wurde die Tafel mit der Inschrift über dem Haupt des gekreuzigten Jesus befestigt. Darum nahmen Christen an, dass der Längsbalken des Kreuzes Jesu über den Querbalken in Armhöhe hinausragte, um so die Befestigung der Tafel zu ermöglichen. Dies führte im Christentum dazu, das Kruzifix als lateinisches Kreuz anstelle des bei Römern üblichen Taukreuzes darzustellen.

Die Abkürzung INRI wurde seit dem 4. Jahrhundert Bestandteil von Kreuzigungsszenen in der christlichen Ikonographie. Sie begegnet dort in Form einer beschrifteten oder gravierten Holztafel oder als Text auf Pergament. In der ostkirchlichen Ikonographie lautet die Kreuzüberschrift meist „Der König der Welt“ in der jeweiligen Landessprache, einer theologischen Umdeutung.

Die Tradition einer mit der lateinischen Abkürzung INRI beschrifteten Kreuzestafel geht auf das Itinerar der geweihten Jungfrau Egeria von etwa 380 zurück. In diesem Reisebericht gab sie an, sie habe das Original des titulus mit dem lateinischen Satz in der Grabeskirche Jesu in Jerusalem mit eigenen Augen gesehen (Kapitel 37,1).[23]

In der Schriftart Renaissance-Kapitalis bzw. der frühhumanistischen Kapitalis wird der Buchstabe N oft seitenverkehrt als retrogrades N dargestellt.

Die Reliquie des Titulus in der Basilika Santa Croce in Gerusalemme

Nach einer kirchlichen Überlieferung entdeckte Flavia Iulia Helena Augusta, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, im Jahr 325 in Jerusalem das Heilige Kreuz mitsamt drei Nägeln von der Kreuzigung und der Kreuzesinschrift. Sie soll den größten Teil des Fundes nach Rom in ihren Palast, genannt Sessorium, gebracht haben. Später schenkte sie diesen Palast der Kirche, die dessen Kapelle zur Basilika Santa Croce in Gerusalemme umwandelte. Im Jahr 1492 soll dort bei Umbauarbeiten die Kreuzestafel mit der Hälfte der Inschrift und dem Siegel von Papst Lucius II. wiederentdeckt worden sein. Seitdem wurde diese Reliquie als Originaltitel des Kreuzes Jesu gezeigt. Am 29. Juli 1496 erklärte Papst Alexander VI. sie mit der Bulle Admirabile Sacramentum für echt.

Die Tafel besteht aus Nussholz, ist 687 Gramm schwer, 25 Zentimeter lang, 14 Zentimeter breit und 2,6 Zentimeter dick. Sie ist mit drei Zeilen beschrieben. Die erste Zeile enthält sechs nur teilweise erhaltene hebräische Buchstaben. Besser erhalten sind die zweite und dritte Zeile mit der griechischen und lateinischen Inschrift, deren lesbare Wörter lauten:

  • ΙϹ•ΝΑΖΑΡΕΝȢϹΒ (IS•NAZARENOUSB; das Ζ ist als einziger Buchstabe nicht gespiegelt, Ϲ ist das lunare Sigma, Ȣ ist die OY-Ligatur.)
  • I•NAZARINVSRE (Es gab keine Unterscheidung zwischen U und V.)

Diese beiden Zeilen sind untypischerweise ebenso von rechts nach links geschrieben wie das Hebräische oder Aramäische, die beide eine linksläufige Schrift sind.

Am 25. April 1995 fotografierte und wog die Kirchenhistorikerin Maria-Luisa Rigato (Päpstliche Universität Gregoriana) in Rom die Tafel. Sie identifizierte die Buchstaben der ersten Zeile als aramäisch ישו נצר מ מ (Jeschu nazara m m) und deutete m m als Abkürzung für malkekem: „Jesus aus Nazareth, euer König“. Sie hält die Tafel für eine originalgetreue Kopie des ursprünglichen Kreuzestitels. Diesen habe ein jüdischer Lohnschreiber im Auftrag des Pilatus verfasst. Er sei somit das erste literarische Zeugnis über Jesus.[24]

1998 untersuchte Michael Hesemann die Holztafel und datierte den Schrifttyp der Inschrift in das 1. Jahrhundert. Er stellte seine Ergebnisse auch Papst Johannes Paul II. vor. Sieben Paläographen von drei israelischen Universitäten, Maria-Luisa Rigato und der Papyrologe Carsten Peter Thiede bestätigten seine Datierung.

Laut dem Althistoriker Werner Eck ist die Tafel ein späteres Produkt. Hesemann habe fundamentale epigrafische Methoden anzuwenden versäumt, daher sollten Wissenschaftler seine Untersuchung verwerfen.[25] Nach einer Radiokohlenstoffdatierung entstand die Tafel wahrscheinlich zwischen dem späten 10. und dem frühen 12. Jahrhundert.[26]

zum Neuen Testament

  • Klaus Wengst: Das Johannesevangelium. Kohlhammer, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-033331-4, S. 524–528
  • Paul L. Maier: The Inscription on the Cross of Jesus of Nazareth. In: Hermes, Band 124, Heft 1, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1996, S. 58–75 (Download)
  • Joseph Geiger: Titulus Crucis. In: Scripta Classica Israelica Band 15, Hebrew University of Jerusalem 1996, S. 202–207 (PDF-Download)
  • Ekkehard Stegemann, Wolfgang Stegemann: König Israels, nicht König der Juden? Jesus als König im Johannesevangelium. In: Ekkehard Stegemann (Hrsg.): Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen. Kohlhammer, Stuttgart 1993, ISBN 3-17-012202-9, S. 41–56.

zur Reliquie

  • Michael Hesemann: Die Jesus-Tafel – Die Entdeckung der Kreuzesinschrift. Herder, Freiburg 1999, ISBN 3-451-27092-7.
  • Carsten Peter Thiede, Jeffrey d’Ancona: The Quest for the True Cross. Palgrave Macmillan, London 2000, ISBN 1-4039-6212-X
  • Johannes Röll: Bemerkungen zum Titulus Crucis in S. Croce in Gerusalemme in Rom. In: Thomas Weigel, Britta Kusch-Arnhold, Candida Syndikus (Hrsg.): Die Virtus in Kunst und Kunsttheorie der italienischen Renaissance. Festschrift für Joachim Poeschke zum 65. Geburtstag. Rhema, Münster 2014, ISBN 978-3-86887-022-0, S. 93–110
Commons: INRI – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: INRI – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Joseph Geiger: Titulus Crucis. Jerusalem 1996, PDF S. 202
  2. a b Peter Egger: «Crucifixus sub Pontio Pilato». Das «crimen» Jesu von Nazareth im Spannungsfeld römischer und jüdischer Verwaltungs- und Rechtsstrukturen. Aschendorff, Münster 1997, ISBN 3-402-04 780-2, S. 195f. und Fn. 245–248
  3. Hans Heinrich Schaeder: Artikel Nazarenos, Nazoraios. In: Gerhard Kittel (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Band 4, Kohlhammer, Stuttgart 1990, S. 879–884
  4. Christoph Niemand: Jesus und sein Weg zum Kreuz: Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild. Kohlhammer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-17-019702-2, S. 433, Fn. 244
  5. a b David W. Chapman, Eckhard J. Schnabel: The Trial and Crucifixion of Jesus: Texts and Commentary. Hendrickson Publishers, 2019, ISBN 978-1-68307-266-9, S. 292
  6. Paul Winter: On the Trial of Jesus. De Gruyter, Berlin 1961, S. 107
  7. Christoph Niemand: Jesus und sein Weg zum Kreuz, Stuttgart 2007, S. 434
  8. Christoph Niemand: Jesus und sein Weg zum Kreuz, Stuttgart 2007, S. 434, Fn. 246
  9. Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-51380-1, S. 160 und Fn. 255
  10. a b Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-51380-1, S. 160f.
  11. Christoph Niemand: Jesus und sein Weg zum Kreuz, Stuttgart 2007, S. 438–441
  12. Wolfgang Reinbold: Der Prozess Jesu. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 3-525-61591-4, S. 84
  13. Karlheinz Müller: Möglichkeit und Vollzug jüdischer Kapitalgerichtsbarkeit im Prozeß gegen Jesus von Nazaret. In: Karl Kertelge (Hrsg.): Der Prozess gegen Jesus: Historische Rückfrage und theologische Deutung. 2. Auflage, Herder, Freiburg im Breisgau 1989, ISBN 3-451-02112-9, S. 41–83, hier S. 81f.
  14. Paul Winter: On the Trial of Jesus. 1961, S. 108 f.
  15. Klaus Wengst: Das Johannesevangelium. Kohlhammer, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-033331-4, S. 251 f.
  16. Klaus Haacker: Wer war schuld am Tode Jesu? In: Klaus Haacker: Versöhnung mit Israel. Exegetische Beiträge. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2002, ISBN 3-7887-1836-6, S. 33–48
  17. Christoph Niemand: Jesus und sein Weg zum Kreuz, Stuttgart 2007, S. 374
  18. Max Küchler, Rainer Metzner: Die Prominenten im Neuen Testament: Ein prosopographischer Kommentar. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-53967-5, S. 116, Fn. 413
  19. Wolfgang Stegemann: Jesus und seine Zeit. Kohlhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-012339-7, S. 370–375
  20. Martin Karrer: Jesus Christus im Neuen Testament. Göttingen 1998, S. 135–138
  21. Eckart und Wolfgang Stegemann: König Israels, nicht König der Juden? Stuttgart 1993, S. 44 f., 53, 412.
  22. Bertold Klappert: Die Auferweckung des Gekreuzigten. Der Ansatz der Christologie Karl Barths im Zusammenhang der Christologie der Gegenwart. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1971, ISBN 3-7887-0289-3, S. 114–118 (§ 7: Die Subjektsfrage im Kontext des Menschensohnproblems)
  23. Georg Röwekamp (Hrsg.): Egeria: Itinerarium, Reisebericht. Herder, Freiburg 1995, ISBN 3-451-22143-8, S. 272 f.
  24. Maria-Luisa Rigato: Il titolo della croce di Gesù. Confronto tra i Vangeli e la Tavoletta-reliquia della Basilica Eleniana a Roma. 2. revidierte Auflage, Pontificia Università Gregoriana, Rom 2005, ISBN 88-7652-969-1.
  25. Werner Eck: Judäa - Syria - Palästina: Die Auseinandersetzung einer Provinz mit römischer Politik und Kultur. Mohr Siebeck, Tübingen 2014, ISBN 978-3-16-153026-5, S. 128, Fn. 17
  26. Francesco Bella, Carlo Azzi: journals.uair.arizona.edu 14C Dating of the ‘Titulus Crucis’. University of Arizona, 2002, S. 685–689 (PDF, 75 kB)