Number Our Days

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Film
Titel Number Our Days
Produktionsland USA
Erscheinungsjahr 1976
Länge 28 Minuten
Stab
Regie Lynne Littman
Drehbuch Lynne Littman,
Barbara Myerhoff
Produktion Loring d’Usseau,
Lynne Littman,
Barbara Myerhoff
Kamera Neil Reichline
Schnitt Lewis Teague

Number Our Days ist ein US-amerikanischer Dokumentar-Kurzfilm von Lynne Littman aus dem Jahr 1976. Er dokumentiert die Forschungen der Anthropologin Barbara Myerhoff im jüdischen Seniorenzentrum in Venice, einem Küstenstadtteil von Los Angeles. Der Film gilt als wegweisender Beitrag zur visuellen Anthropologie.[1][2] Er erhielt einen Oscar als bester Dokumentar-Kurzfilm.

Der Film begleitet eine Gruppe von Menschen über 80 Jahren, die sich täglich im Aliyah Senior Citizens’ Center in Venice treffen. Er dokumentiert ihren Alltag, insbesondere ihre religiösen und weltlichen Rituale. Der Film zeigt anhand von Szenen aus dem gemeinsamen Alltagsleben die Freude der Gemeinschaft an ihren im osteuropäischen Judentum verwurzelten Traditionen, aber auch ihre Angst vor Angriffen. So verlegte die Gemeinde die gemeinsame Feier des Schabbat auf den Freitagnachmittag vor, damit alle noch sicher im Hellen nach Hause gehen können. In individuellen Interviews sprechen einige der Gemeindemitglieder über das Alter, den Tod, Einsamkeit, Familie und Freundschaften und ihre Flucht- und Migrationsgeschichten aus Europa. Barbara Myerhoff ist als Kommentatorin zu hören und analysiert das Geschehen in Interviews mit Lynne Littman in ihrem Büro.

Nach ihrer Doktorarbeit über die Rituale der Huicholen in Mexiko beschloss Barbara Myerhoff, sich dem Studium ihrer eigenen Kultur zuzuwenden, auch weil indigene Gruppen um diese Zeit begannen, den exotisierenden Umgang der Anthropologie mit ihren Kulturen öffentlich zu kritisieren. Myerhoff verwarf ihren Plan, ein Forschungsprojekt zur Chicano-Kultur in Kalifornien zu beginnen, denn auch dort war sie aufgefordert worden, doch stattdessen ihre eigene Kultur zu studieren. So entwickelte sie eines der ersten anthropologischen Forschungsprojekte zur jüdischen Bevölkerung US-amerikanischer Großstädte.[2][3][4] Im jüdischen Seniorenzentrum von Venice in der Nachbarschaft ihres Instituts an der University of Southern California fand sie eine Gruppe Freiwilliger, die sie zwei Jahre lang begleitete.[4][5][6] Daraus entstanden der Film Number Our Days und ein gleichnamiges Buch. Myerhoff sah ihr Projekt in der Tradition des Regisseurs Jean Rouch als eine wechselseitige Erfahrung: Die alten Menschen des Gemeindezentrums waren für sie keine bloßen Studienobjekte, sondern kamen mit ihr zu gemeinsamen Erkenntnissen.[7][8] Myerhoff, die in einem säkularen jüdischen Umfeld aufgewachsen war und – zum Entsetzen der Mitglieder des Gemeindezentrums – weder Hebräisch noch Jiddisch sprach, näherte sich durch ihre Arbeit auch ihrer eigenen Familiengeschichte an.[4] Myerhoff reflektierte ihren Ansatz später in zwei Aufsätzen, “Life Not Death in Venice”: Its Second Life (1987) und Surviving Stories. Reflections on Number Our Days (1988).

Der Titel des Films ist dem Psalm 90[9] entlehnt. Barbara Myerhoff und Lynne Littman widmeten den Film ihren Großmüttern.[6]

Das Academy Film Archive der Academy of Motion Picture Arts and Sciences nahm Number Our Days 2007 in sein Archiv auf.[10]

Auszeichnungen und Rezeption

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Number Our Days wurde bei der Oscarverleihung 1977 als bester Bester Dokumentar-Kurzfilm ausgezeichnet.

Der Film wurde auch in der Fachwelt beachtet und überwiegend positiv rezensiert. Die Folkloristin Eleanor Wachs nannte ihn einen exzellenten Film, dessen Stärke es sei, Vorurteile über alte Menschen auszuräumen und Vorbilder für das eigene Alter zu schaffen.[6] Die Anthropologin Riv-Ellen Prell lobte den Filmschnitt, der den Film hervorragend strukturiere. Dem Film gelinge es durch seine Dokumentation individueller Fälle zu allgemeingültigen Aussagen zu gelangen.[11] Der Folklorist Larry Danielson kritisierte zwar, dass der Film emotionale Momente seiner Meinung nach effekthascherisch ausbeute und damit der Qualität der Dokumentation schade. Immerhin lege Myerhoff aber ihre emotionale Teilhabe am Geschehen offen. Insgesamt sei der Film dennoch eine wertvolle ethnographische und folkloristische Studie.[12] Myerhoffs Bedeutung für die Anthropologie liegt sowohl in ihrer Weiterentwicklung der visuellen Anthropologie als auch in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Verhältnis als Forscherin zu der von ihr erforschten Bevölkerungsgruppe.[2]

Buch und Theateradaption

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Für ihr Buch, das zwei Jahre nach dem Film unter demselben Titel erschien, erhielt Barbara Myerhoff mehrere Auszeichnungen. Ein auf dem Film und Buch basierendes Theaterstück von Suzanne Grossmann wurde 1981 unter der Regie von John Hirsch im Mark Taper Forum in Los Angeles uraufgeführt.[3][13]

  • Barbara Myerhoff: Number our Days. Dutton, New York 1978.
  • Barbara Myerhoff: “Life Not Death in Venice”: Its Second Life. In: Harvey E. Goldberg (Hrsg.): Judaism Viewed from Within and from Without. Anthropological Studies. State University of New York Press, New York 1987, ISBN 978-0-88706-356-5, S. 143–169.
  • Barbara Myerhoff: Surviving Stories. Reflections on Number Our Days. In: Jack Kugelmass (Hrsg.): Between Two Worlds. Ethnographic Essays on American Jewry. Cornell University Press, Ithaca 1988, ISBN 978-0-8014-9408-6, S. 227–304.
  • Gelya Frank: The Ethnographic Films of Barbara G. Myerhoff. Anthropology, Feminism and the Politics of Jewish Identity. In: Ruth Behar, Deborah A. Gordon (Hrsg.): Women Writing Culture. University of California Press, Berkeley/Los Angeles 1995, ISBN 978-0-520-20208-5, S. 208–232.

Einzelnachweise

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  1. Nancy Lutkehaus, Jenny Cool: Paradigms Lost and Found: The 'Crisis of Representation' and Visual Anthropology. In: Jane M. Gaines, Michael Renov (Hrsg.): Collecting Visible Evidence. University of Minnesota Press, Minneapolis 1999, ISBN 978-0-8166-3136-0, S. 118.
  2. a b c Misha Klein: Anthropology. In: Nadia Valman, Laurence Roth (Hrsg.): The Routledge Handbook of Contemporary Jewish Cultures. Routledge, London/New York 2015, ISBN 978-0-415-47378-1, S. 20–21.
  3. a b Riv-Ellen Prell: Barbara Myerhoff. In: Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. Jewish Women’s Archive, 20. März 2009, abgerufen am 15. März 2017 (englisch).
  4. a b c Ruth Behar: Folklore and the Search for Home (American Folklore Society Presidential Invited Plenary Address, October 2008). In: The Journal of American Folklore. Band 122, Nr. 485, 2009, S. 256.
  5. Shirley L. Patterson: Number Our Days by Barbara Myerhoff. In: Social Work. Band 25, Nr. 5, November 1980, S. 425–426.
  6. a b c Eleanor Wachs: Number Our Days by Barbara Myerhoff and Lynne Littman. In: The Journal of American Folklore. Band 94, Nr. 371, 1981, S. 138–139.
  7. Barbara Myerhoff: Surviving Stories. Reflections on Number Our Days. In: Jack Kugelmass (Hrsg.): Between Two Worlds. Ethnographic Essays on American Jewry. Cornell University Press, Ithaca 1988, ISBN 978-0-8014-9408-6, S. 227–304.
  8. Rosemary Lévy Zumwalt, Isaac Jack Lévy: Memories of Time past: Fieldwork among the Sephardim. In: The Journal of American Folklore. Band 114, Nr. 451, 2001, S. 52.
  9. Ps 90,12 KJV
  10. Preserved Projects des Academy Film Archive, abgerufen am 14. März 2017.
  11. Riv-Ellen Prell: Raananah, a World of Our Own by Marlene Booth; Number Our Days by Lynne Littman. In: American Anthropologist, New Series. Band 85, Nr. 4, Dezember 1983, S. 1007–1008.
  12. Larry Danielson: Folklore and Film: Lyrical Gerontology. In: Western Folklore. Band 40, Nr. 2, April 1981, S. 206–210.
  13. The Los Angeles Times vom 22. Januar 1982, S. 184, abgerufen am 6. April 2017.