Pfyner Kultur
Die Pfyner Kultur, benannt nach dem Fundort Pfyn im Kanton Thurgau, war eine jungneolithische Kultur des Alpenvorlands, ca. 4000 bis 3500 v. Chr.[1] Kupfer wurde bereits sowohl für Schmuck als auch für Werkzeuge (Beilklingen) verwendet (Kupfersteinzeit). Das Beil von Ötzi unterscheidet sich nur geringfügig von Beilen aus der Pfyner Kultur.
Kontext
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Pfyner Kultur entstand am Südrand der späten Michelsberger Kultur und folgte in der Bodenseeregion der Hornstaader Gruppe. Die ältesten Bauten der Pfyner Gruppe finden sich dort ab 3870 v. Chr. Um ca. 3700 ist das Pfyn am Bodensee voll entwickelt und breitet sich aus ins Schweizerische Mittelland, nach Schaffhausen und an den Zürichsee, wo es die Cortaillod-Kultur ablöst. Zu der Zeit lässt sich auch dendrochronologisch eine intensive Siedlungstätigkeit nachweisen. Allerdings weist das mittlere Pfyn im Vergleich zur Hornstaader Gruppe eine geringere Mobilität auf, und kaum Importe aus weiter entfernten Regionen. Zwar sind Siedlungen relativ kurzlebig, doch werden immer wieder dieselben Siedlungsstandorte aufgesucht. Das letzte Schlagdatum der Pfyner Gruppe fällt um 3507 v. Chr. Danach gibt es einen Hiatus am Bodensee, der allerdings auch mit dem Forschungsstand zu tun haben könnte.[2] In Oberschwaben bildete die Pfyn-Altheimer Gruppe den Übergang zur Altheimer Gruppe im südlichen Bayern.
Nach 3500 v. Chr. gibt es nur noch eine Fundstelle, die der Pfyner Kultur zugeordnet werden könnte: Arbon-Bleiche 3 (3384–3370 v. Chr.). Hier werden Einflüsse der Boleráz-Phase der Badener Kultur erkennbar, und die Keramik hat schon Merkmale der darauffolgenden Horgener Kultur.[2] Die Forschungsergebnisse von Arbon-Bleiche 3 legen sogar eine Einwanderung aus dem Bereich Niederösterreich/Slowakei/Westungarn nahe. Zum Beispiel zeigen die beiden Dorfhälften in Arbon deutliche Unterschiede in der Wirtschaftsweise, die sich am besten dadurch erklären lassen, dass in der einen Dorfhälfte Einwanderer lebten. Einige Merkmale der nachfolgenden Horgener Kultur lassen sich durch diesen östlichen Einfluss erklären.
Charakteristika
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Pfyn ist eine der Kulturen mit Feuchtbodensiedlungen, die auch als Pfahlbauten bekannt wurden. An grossen Seen wie dem Bodensee rekonstruiert man tendenziell abgehobene Bauten, an kleineren Seen mit niedrigen Seepegelschwankungen finden sich auch ebenerdige Häuser mit erhaltenen Böden. Am Bodensee sind die Gebäude in dichten Reihen angeordnet, zumeist mit einer lockeren Palisade. In Moorsiedlungen finden sich oft Bohlenwege. Dies deutet auf eine gemeinschaftliche Planung hin.[2]
Definiert wird die Pfyner Kultur über ihre flachbodigen, kaum verzierten Gefässe. Die Oberflächen konnten aufgeraut oder mit Schlick überzogen sein, und die Ränder wurden mit sogenannten Arkaden, Fingerkniffen, Leisten oder Knubben verziert.[3] Je nach Region variiert dies ein bisschen und weist Einflüsse aus den umgebenden Keramikgruppen auf. Es ist die erste Kultur in der Schweiz, die Kupferobjekte führte, ein Wissen, das in Horgener Zeit verlorengeht.
Einige Fundstellen weisen mit Lehm geformte Brüste auf, die wohl an der Hauswand angebracht wurden (Ludwigshafen-Seehalde, Reute-Schorrenried). Das Gebäude mit gynäkomorphen Darstellungen in Reute-Schorrenried war etwas grösser gestaltet und anders orientiert als die anderen Häuser.[2]
Fundstellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die namensgebende Fundstelle, Pfyn-Breitenloo, wurde 1944 vom ehrenamtlichen Thurgauer Kantonsarchäologen Karl Keller-Tarnuzzer mit polnischen Internierten ausgegraben, zumeist qualifizierten Handwerkern. Die Soldaten, die am 19.–20. Juni 1940 von der Westfront in Frankreich in die Schweiz gekommen waren, erinnerten sich gerne an diese Episode in ihrem Leben.[4] Der führende Archäologe konnte seine Funde wegen der beschränkten Kapazitäten nur vorläufig beschreiben,[5] systematisch ausgewertet wurden sie erst Ende des 20. Jahrhunderts.[6]
Einer der am besten untersuchten Plätze ist die Siedlung Niederwil, wie Pfyn im Raum Frauenfeld.[7] In Baden-Württemberg ist für diese Kultur die Moorsiedlung Reute-Schorrenried von Belang. Es handelt sich dabei um eine Feuchtbodensiedlung des 38. Jahrhunderts v. Chr. im Bad Waldseer Ortsteil Reute. Berühmt geworden ist Reute-Schorrenried durch den Fund eines Kupferdolches.
Liste von Fundstellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gachnang-Niederwil TG
- Pfyn-Breitenloo TG
- Hornstaad-Hörnle DE
- Reute-Schorrenried
- Arbon-Bleiche 3 TG
- Lenzburg-Goffersberg AG
- Eschen-Lützengüetle FL
- Schaffhausen-Schweizersbild SH
- Thayngen-Weier SH
- Feldmeilen-Vorderfeld ZH
- diverse Fundstellen am Zürichsee
Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2007 nahm das Schweizer Fernsehen die Pfyner Kultur zum Anlass, um in Form eines Living-Science-Projekts zehn Personen während eines Monats in die Steinzeit zurückzuversetzen. (siehe Pfahlbauer von Pfyn)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Werner E. Stöckli: Pfyner Kultur. In: Historisches Lexikon Schweiz. 2008, abgerufen am 23. Juni 2024.
- ↑ a b c d Robin Peters: Zwischen Wachstum und Krise. Die Pfyner Kultur am Bodensee. In: Thomas Link, Joanna Pfyzel (Hrsg.): Kulturkontakt und Kommunikation. Fokus Jungsteinzeit. Berichte AG Neolithikum 5. 2017.
- ↑ Sabine Hopert, Helmut Schlichtherle, Gunter Schöbel, Helmut Spatz, Peter Walter: Der "Hals" bei Bodman. Eine Höhensiedlung auf dem Bodanrück und ihr Verhältnis zu den Ufersiedlungen des Bodensees. In: Hansjörg Küster, Amei Lang, Peter Schauer (Hrsg.): Archäologische Forschungen in urgeschichtlichen Siedlungslandschaften. Festschrift für Georg Kossack zum 75. Geburtstag. 1998, S. 100–101.
- ↑ Piotr Wlodarczak, Urs Leuzinger: Soldiers on the Digs. Archaeological Excavations in Switzerland Involving the Deuxieme Division des Chasseurs. In: Archaelogia Polona. Nr. 61, 2023, S. 239–267.
- ↑ Karl Keller-Tarnuzzer: Pfyn (Bez. Steckborn, Thurgau). Pfahlbau Breitenloo. In: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte. Nr. 35, 1944, S. 28–33.
- ↑ Urs Leuzinger: Pfyn Breitenloo. Die jungsteinzeitliche Pfahlbausiedlung. Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, 2007, abgerufen am 23. Juni 2024.
- ↑ H.T. Waterbolk, W. van Zeist (Hg.): Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. Academia helvetica, 1978, abgerufen am 23. Juni 2024.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Annick de Capitani, Sabine Deschler-Erb, Urs Leuzinger, Elisabeth Marti-Grädel, Jörg Schibler: Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Funde (= Archäologie im Thurgau. Band 11). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2002, ISBN 3-905405-10-5 (PDF-Download).
- Albin Hasenfratz und Daan C. M. Raemaekers (Hrsg.): Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. Teilband 5: Anorganische Funde, Palynologie und Synthese (= Archäologie im Thurgau. Band 13). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2006, ISBN 3-905405-15-6 (PDF-Download).
- Stefanie Jacomet, Urs Leuzinger, Jörg Schibler (Hrsg.): Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Umwelt und Wirtschaft (= Archäologie im Thurgau. Band 12). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2004, ISBN 3-905405-12-1 (PDF-Download).
- Urs Leuzinger: Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Befunde (= Archäologie im Thurgau. Band 9). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2000, ISBN 3-905405-08-3 (zugleich: Dissertation, Universität Bern 1999; PDF-Download).
- Urs Leuzinger: Pfyn-Breitenloo. Die jungsteinzeitliche Pfahlbausiedlung (= Archäologie im Thurgau. Band 14). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2007, ISBN 978-3-905405-16-3 (PDF-Download).
- Helmut Schlichtherle, Rolf Rottländer: Gußtiegel der Pfyner Kultur in Südwestdeutschland. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Band 7, 1982, ISSN 0071-9897, S. 59–71 (online).
- Robin Peters: Demographisch-kulturelle Zyklen im Neolithikum. Die Bandkeramik im Rheinland und die Pfyner Kultur am Bodensee. In: Archäologische Informationen. Band 35, 2012, S. 327–335 (online).
- Guntram Schönfeld: Im Tal des Verlorenen Baches: Siedlungen der Jungsteinzeit in feuchten Talauen Bayerns. In: Helmut Schlichtherle (Hrsg.): Pfahlbauten rund um die Alpen (= Archäologie in Deutschland. Sonderheft. 1997). Theiss, Stuttgart 1997, ISBN 3-8062-1146-9, S. 81–87.
- Harm T. Waterbolk, Willem van Zeist (Hrsg.): Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. Teilbände 1–4 (= Academica Helvetica. Band 1). Paul Haupt, Bern/Stuttgart 1978–1991 (Digitalisate als PDF: Band 1; Band 2; Band 3; Band 4).
- René Wyss: Die Pfyner Kultur (= Aus dem Schweizerischen Landesmuseum. Band 26, ZDB-ID 1190122-6). Paul Haupt, Bern 1970.
- Josef Winiger: Feldmeilen-Vorderfeld. Der Übergang von der Pfyner zur Horgener Kultur (= Antiqua. Band 8, ZDB-ID 194744-8). Huber, Frauenfeld 1981.
- Josef Winiger: Das Fundmaterial von Thayngen-Weier im Rahmen der Pfyner Kultur (= Monographien zur Ur- und Frühgeschichte der Schweiz. Band 18). Birkhäuser, Basel 1971, ISBN 3-7643-0579-7 (zugleich: Dissertation, Universität Zürich 1971).