Ein Abenteuer in London
[55] Ein Abenteuer in London. „Ich wurde,“ erzählt der junge Baron S…, der Sohn eines der ersten Banquiers von W…, „im Jahre 184. während meines Aufenthaltes in London mit einem Manne bekannt, der sich Lord L… nannte und, wie er sagte, in sehr naher Geschäftsbeziehung mit meinem Vater stehe. Er schloß sich schnell an mich an und schien überhaupt ein sehr verständiger und gebildeter Mann zu sein. Eines Tages lud er mich zu sich zum Thee ein, welcher Einladung ich auch den nächsten Tag Folge leistete. Lord L… war nicht zu Hause und man führte mich zur Lady, die ich noch nicht kannte, die indeß auffallend freundlich und zuvorkommend mir entgegen kam, was man sonst bei Engländerinnen gegen Fremde nicht findet. Sie lud mich ein, bei ihr auf dem Sopha Platz zu nehmen und ließ Thee und Confect herumreichen. Ueber das Ausbleiben ihres Mannes schien sie sehr erzürnt; überhaupt lobte sie denselben nicht sehr, sondern schilderte ihn mir als einen Trunkenbold, der sie hart behandelte. Dabei ergriff sie ganz gerührt meine Hände und klagte mir über den Stand der Frauen in England überhaupt, gegenüber dem des weiblichen Geschlechtes in Deutschland. Es schien ihr Trost zu gewähren, endlich einen Freund gefunden zu haben, dem sie ihren Kummer mittheilen konnte. Hierbei darf aber nicht vergessen werden, daß während dieser Zeit die Bedienten immer ein- und ausgingen und Alles sahen, was vorging. –
Plötzlich öffnete sich die Thüre des Saales und Lord L… trat ein. Finster runzelte er seine Stirn; seine Blicke schienen Feuer zu sprühen. Seiner erschrockenen Frau befahl er stolz, sich in ihre Gemächer zurückzuziehen, während er mich zornig anfuhr, ob ich die Gesetze des Landes nicht kenne? Auf meine verneinende Antwort erfuhr ich nun das sonderbare Gesetz, das noch aus den ältesten Zeiten Englands herkommt, nämlich: „daß, wenn der Ehemann einen Fremden bei seiner Frau auf dem Sopha antrifft und beide die Hände ineinander haben, der Ehemann dies als einen Angriff auf seine Ehre betrachten darf und das Recht hat, den Fremden auf zehn Tage in’s Gefängniß abführen zu lassen oder ihm eine Geldbuße aufzulegen.“ Der Lord ließ mir die Wahl. Die Summe setzte er auf 500 Pfund Sterling fest Ich erklärte ihm, daß ich eine so bedeutende Summe gar nicht bei mir habe, worauf er erwiderte: „er kenne meinen Banquier wohl, bei dem ich unbeschränkten Credit habe, ein paar Worte meinerseits[WS 1] genügten, um ihn bezahlt zu machen.“ Auch versprach er, mir sodann die Freiheit zu geben. Ich willigte ein, indem ich mir vornahm, gleich zu meinem Banquier hinzugehen und die Acceptation verweigern zu lassen. Allein fehlgeschossen. Ich ward in eine Dachkammer abgeführt, bis der Wechsel acceptirt wurde, worauf man mich entließ. Voll Wuth ging ich sogleich auf die Polizei und zeigte den Vorfall an. Ich erklärte, daß die Lady mich zu sich auf den Sopha eingeladen und meine Hände ergriffen habe, auch sei es eine Ungerechtigkeit, gegen einen Fremden, der die Gesetze nicht kenne, die ganze Schärfe derselben in Anwendung zu bringen. Einige Polizeimänner wurden mir beigegeben, um die Sache näher zu untersuchen. Aber wie groß war mein Erstaunen, als keine Seele mehr im ganzen Hause zu erblicken war. Es ward mir bald klar, daß ich von einer Diebesbande geprellt war. Die schöne Lady, die mit zur Bande gehört, hatte ihre Rolle meisterhaft gespielt. Ich erfuhr nun, daß das große Haus einem Lord gehöre, der auf dem Lande sei und es unterdeß vermiethet hatte. Die Bedienten waren verkleidete Diebe, die nur auf den günstigen Augenblick gewartet hatten, um ihren Herrn zu rufen.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: mienerseits