INNENARCHITEKTUR
Der Traktat ist eine arabische Form. Sein Äußeres ist unabgesetzt und unauffällig, der Fassade arabischer Bauten entsprechend, deren Gliederung erst im Hofe anhebt. So ist auch die gegliederte Struktur des Traktats von außen nicht wahrnehmbar, sondern eröffnet sich nur von innen. Wenn Kapitel ihn bilden, so sind sie nicht verbal überschrieben, sondern ziffernmäßig bezeichnet. Die Fläche seiner Deliberationen ist nicht malerisch belebt, vielmehr mit den Netzen des Ornaments, das sich bruchlos fortschlingt, bedeckt. In der ornamentalen Dichtigkeit dieser Darstellung entfällt der Unterschied von thematischen und exkursiven Ausführungen.
PAPIER UND SCHREIBWAREN
PHARUS-PLAN. Ich kenne eine, die geistesabwesend ist. Wo mir die Namen meiner Lieferanten, der Aufbewahrungsort von Dokumenten, Adressen meiner Freunde und Bekannten, die Stunde eines Rendezvous geläufig sind, da haben ihr politische Begriffe, Schlagworte der Partei, Bekenntnisformeln und Befehle sich festgesetzt. Sie lebt in einer Stadt der Parolen und wohnt in einem Quartier verschworener und verbrüderter Vokabeln, wo jedes Gäßchen Farbe bekennt und jedes Wort ein Feldgeschrei zum Echo hat.
WUNSCHBOGEN. „Tut ein Schilf sich doch hervor – Welten zu versüßen – Möge meinem Schreiberohr – Liebliches entfließen!“ – das folgt der „Seligen Sehnsucht“ wie eine Perle, die der geöffneten Muschelschale entrollt ist.
Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/36&oldid=- (Version vom 9.6.2018)