PhA 095 - Görler - Kleine Schriften Zur Hellenistisch-Römischen Philosphie PDF
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HELLENISTISCH-ROMISCHEN PHILOSOPHIE
PHILOSOPHIA ANTI QUA
A SERIES OF STUDIES
ON ANCIENT PHILOSOPHY
FOUNDED BY J.H. WASZINKt AND WJ. VERDENIUSt
EDITED BY
VOLUME XCV
WOLDEMAR GORLER
CHRISTOPH CATREIN (HRSG.)
VON
WOLDEMAR GORLER
HERAUSGEGEBEN VON
CHRISTOPH CATREIN
BRILL
LEIDEN BOSTON
2004
This book is printed on acid-free paper.
Gorier, Woldemar:
Kleine Schriften zur hellenistisch-romischen Philosophie I von Woldemar Gorier.
Ed. by Christoph Catrein.
- Leiden ; Boston, 2004
(Philosophia antiqua ; Vol. 95)
ISBN 90 04 13736 X
ISSN 0079-1687
ISBN 90 04 13736 X
All rights reserved. No part qf this publication may be reproduced, translated, stored in
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20 Pflicht und ,Lust' in der Ethik der a1ten Stoa [1983] OOOOOOOOoOOOOOOOOOoOOO 16
60 Antiochos von Askalon tiber die ,Alten' und tiber die Stoao
Beobachtungen zu Cicero, Academici posteriores I 24-43 [ 1990] 87
11. Cicero und die ,Schule des Aristoteles' [1989] oooooooooooooooooooooooooooooo 193
15. Das Problem der Ableitung ethischer Normen bei Cicero [1978] .... 290
17. Dido und Seneca tiber Gluck und Vollendung [ 1996] .... ........... ..... 3 34
I Cicero, Lucul/us 145 (= SVF 1,66); vgl. auch Acad 1,41. Auf ahn1iche Weise
2 U.a. von M. Pohlenz, Die Stoa, Bd. 1, Gottingen 2 1959, 60; zuletzt von A.
Graeser, Zenon von Kition. Positionen und Probleme, Berlin u. New York 1975, 41
Anm. 10 (aufS. 42).
3 K. Bayer in: M. Tullii Ciceronis De Fato, lat.-dt. von K. B., Miinchen 1963
mitAnm. 1.
[84] ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE 3
Beim Weisen gibt es einen solchen Unterschied nicht, da aile seine Ka.ta.A~IJIE~ (und
seine Zustimmungen sind samtlich Ka.ta.A~IJIE~) zu i:mcr~f.!T) werdeno Aber es ist
unbefriedigend, analog dazu festzustellen, beim Nicht-Weisen wiirden aile Erkennt-
nisse, ob richtig oder falsch, zu M~a. (so Graeser, Zenon 66 Anmo 26 [auf So 67])0
Wahrscheinlich muB man unterscheiden zwischen M~a. als Zustand des Nicht-Weisen
und M~a. als jeweiliger Ansicht iiber einen bestimmten Gegenstando 1m Zustand der
M~a. bleibt der Nicht-Weise befangen; das bedeutet jedoch nicht, daB jede einzelne
seiner richtigen Erkenntnisse, nur wei! er ein Nicht-Weiser ist, zur ,Einzel-o&;a.' wirdo
Richtige Erkenntnisse bleiben vielmehr KUta.A~IJIE~ (sofern sie nicht wieder
verlorengehen oder verandert werden-was beim Nicht-Weisen moglich ist, aber
durchaus nicht immer geschieht)o Das Verstandnis der stoischen Erkenntnistheorie
wird vielfach dadurch erschwert, daB in unseren Zeugnissen nicht immer klar
geschieden ist zwischen dem einzelnen Erkenntnisakt, dem Gegenstand der Erkennt-
nis, dem (einzelnen) Ergebnis der Erkenntnis und dem Zustand des Erkennendeno
6 Stobaios eel. 2,7, in der Ausgabe von Wachsmuth (Berlin 1884, Nachdruck
1958) Bdo 2, Ill, 18-113,11. Stobaios wird fortan nur noch nach Seiten und Zeilen
dieser Ausgabe zitierto
4 ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE [84185]
7 D.i. als das Gegenteil dessen, was Sextus Emp. math. 7,151 (= SVF 1,68 und
2,90) tiber die E1tl<ITTU.tT( sagt: E1tl<Jul1.1TtV . . . dvm n)v a<J<pUAfj KUt ~E~UtUV KUt
Ul.lf:TU9E'WV U1t0 AOyOO KUTUAT(\jflV.
8 Long hiitte sich allenfalls auf Galen, De animi peccatis dinoscendis 1 (vol. 5, p.
58 Kuhn) = SVF 3,172 berufen konnen, wo sich Galen mit der Lehre ,einiger' ausein-
andersetzt, die a<J9evr)~ <myKUTU9E~ stehe in der Mitte zwischen apEnl und KUKtU.
Ob es sich dabei jedoch, wie von Arnim annimmt, urn Stoiker handelt, ist fraglich.
Fur den ethischen Bereich will Galen diese Auffassung nicht gelten lassen. Dberdies
ware mit einer solchen Feststellung auch nicht mehr gemeint, als daB ,schwache
Zustimmung' beim ,Fortschreitenden' vorkomme, nicht aber, daB der gesamte Be-
reich zwischen Nicht-Wissen und Wissen durch diesen Terminus charakterisiert
werde, wie es bei Long anklingt (,,Weak assent' describes the cognitive state [meine
Hervorhebung] of someone who has ,grasped' the object or what is really the case").
[85] ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE 5
(= SVF 1,71) klar zeigt: eA.Eye 8 llTJbEV dvat <fj<; oi~creoo<; &Uo<ptcfmpov np<'><; Kai-
AT]'IftV 't<DV E1tt0l"TJ!l00V.
12 Weitere Stellen bei V. Goldschmidt, Le systt:me stoi'cien et !'idee du temps,
Paris 1953, 61 Anm. I u. 2. Vgl. auch A. A. Long in: Long (Hg.), Problems in Stoi-
cism, London 1971, 99 und 112 Anm. 108 und 109.
[86187] ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE 7
13 Soli ist sprach1ich und sach1ich anstoBig. Wenn es tiberhaupt verstanden werden
kann, muB es bedeuten: , ... dies aber (das Erfassen) sei das einzige, dem man g1auben
dtirfe'. Aber der pradikative Gebrauch von solus in einem Casus ob1iquus ohne
beigefiigtes Beziehungswort ist ganz ungewohnlich. Und auch der Sinn befriedigt
nicht, denn se1bstverstand1ich darf man auch der sci entia ,g1auben'. An einer Text-
verderbnis ist kaum zu zweife1n.
14 Zu cru~uyonv-ra vgl. auch Sextus Emp. math. 8,11 (= SVF 2,166, S. 48,17).
Auch dort geht es nur urn die begriftliche Zuordnung, nicht urn Phasen. Abwegig ist
die Bezeichnung der drei Begriffe Entcrrfu.tTJ, Ml;a und Ka-raAT]IJfts a1s ,Kriterien" bei
Graeser, Zenon 66 Anm. 26 (aufS. 67).
8 ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE [87188]
erer Priifung aber eine feste Zustimmung erteilt werden kann. Urn
diese Frage zu beantworten, muB gekHirt werden, was in den uns vor-
liegenden Berichten unter &cr9EV1)c; <ru"(Ka'ta9emc; zu verstehen ist.
Im bereits kurz betrachteten Bericht des Sextus Empiricus (math.
7,151 = SVF 1,67 u. 2,90) heiBt es (86~av dvm) ... TI]v &cr9Vfl Kat
\jiEU8fj <ruyKa'ta9EcrtV, ahnlich Stobaios 2,111,20f. = SVF 1,68c tiber
die ayvota: TIJV yap ayvotav flE'ta1t'tffi'tlK~V (Usener: fl'tU1t'tffinlV
codd., Long) eivm <ru"(KU'ta9ecrtv Kat &cr9Vfl. Bei Cicero, Acad. 1,41,
sind beide Bereiche (in auffallend unpraziser Ausdrucksweise)
rniteinander identifiziert: ... ex qua (sc. inscientia) existebat etiam opi-
nio, quae esset imbecilla et cum falso incognitoque communis. Han-
delt es sich urn einander erganzende, einander ausschlieBende oder urn
synonyme Pradikate? Eine scheinbare Klarung bringt der bei Stobaios
kurz darauf (112,2-4) folgende Satz: 8tnac; yap dvm 86~ac; TI]v flEv
aKa'taA~1t'tq> <ruyKa'ta9ecrtv, TI]v 8 imDATJ\jllV &cr9Vfl. 15 Long versteht,
wie oben bereits angedeutet, aKamA~1t't(tl auyKa'ta9ecrtc; als ,totally
false opinion', bezieht im6AT]\jltc; &cre~c; dagegen, wie oben bereits
angedeutet, auf die Annahme von objektiv Wahrem (,true in ref-
erence to belief). 16 Das ist nicht nur aus den bereits oben genannten
Griinden, sondern auch wegen der engen V erbindung von &cre~c; mit
\jiEU8~c; bzw. ayvota an den zuletzt betrachteten Stellen ganz un-
wahrscheinlich.
Wie der Satz wirklich zu verstehen ist, zeigt der V ergleich mit
Plutarch, Stoic. rep. 1056F (= SVF 2,993), wo verschiedene Arten des
Irrens aufgezahlt sind. W er gegen das Gebot der enom
gegenliber
allen nicht vollig eindeutigen, d.i. kataleptischen Vorstellungen ver-
stoBe, verhalte sich falsch: I wuc; fl~ enxovmc; Uflap'taVElV A.Eyoucrtv'
15 Es fallt auf, daB hier nicht, wie an den anderen Stellen, von uaSEVT]c;
cruYJCataSemc;, sondern von 1m6AT)'lftc; ucr9evftc; die Rede ist. 'Yn6AT)'lftc; kommt meist
der Bedeutung o~a sehr nahe (mit ucr9evftc; verbunden auch Stob. 2,89,2 = SVF
3,378). Trotzdem darf man, wie schon Long es getan hat, auch an dieser Stelle das
Attribut acr9evftc; primiir auf den Akt der Zustimmung beziehen. Stobaios nennt im
ersten Teil der Dichotomie den (verfehlten) Erkenntnisakt, im zweiten Teil das
Ergebnis eines (auf andere Weise verfehlten) Erkenntnisaktes (vgl. oben Anm. 5 a.E.).
Diese Variation mag stilistische Griinde haben: vielleicht soli auch ausgedriickt
werden, daB die ,schwache', d.i., wie sich zeigen wird: fahrlassige und voreilige Zu-
stimmung keine eigentliche cruyKataSemc; ist.
16 Hellenistic Philosophy 129 mit Anm. 1 (meine Hervorhebungen).
[88] ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE 9
17 Jede ouyKa'ta9e~, auch die zur KamA,rpmKl] cpavrama, ist ein ,Weichen'. Mit
Recht erinnert Cherniss ( oben Anm. 10) daran, daB es sich nach streng stoischer Lehre
nicht urn einen rein passiven Vorgang handelt. Ffu unseren Zusammenhang ist diese
Unterscheidung ohne Bedeutung.
10 ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE [88189]
demnach mehr als die erste. Das fiigt sich gut zu Plutarchs eben
betrachtetem Bericht, wo, wie sich gezeigt hat, unter aKa"taA~1t'LO~
ElKElV nicht nur \jfet>OEOW ElKEtV, sondern auch aO~AOl~ ElKElV
begriffen wurde. Bei Stobaios folgt nun als Begriindung: ou1 'tO f..LllOE
oo~asmv mhov 18 f.lllO' ayvoEtV f.lllDEV. Auch bier wieder eine
Steigerung: ,. . . da er auch nicht ,meine' und nicht ,nicht-wisse'."
Diese Begriindung, die nichts ist als das Zitat eines stoischen Dogmas,
bedarf selbst einer Begriindung, die denn auch sofort folgt: n)v yap
ayvmav f.lE"ta1t'LffiTIKTJV Etvat cruyKa"ta8EcrtV Kat ao8EVfl. Das sieht so
aus, als ware nur der zweite Teil der Behauptung (f.lllO' ayvoctv f.lllOEY)
begriindet, aber wie sich gleich zeigen wird, ist die Grenze zwischen
OO~USElV und UyYOEtV jetzt verwischt. 'J\yvma wird definiert als
,schwache' und , veranderbare' Zustimmung. Die Definition von
ayvota erweist sich nun als erster Vordersatz eines Syllogismus; der
zweite Vordersatz lautet f.lllOEv I 0' U1tOAaf..LMVclV ao8cv&~, aUa
f..LUMOV ampaA&~ Kat ~E~a{ro~ ... 19 Als Konk:lusion erwartet man:
folglich ist der Weise frei von ayvma. Es wird jedoch gefolgert: oto
Kat's:'s:.J'.'r' '
f.llluE uo"a.,mv 'LOV oo<pov.
Der tiberraschende SchluBsatz zeigt einerseits, daB zwischen
ayvota und oo~a fiir den Verfasser bier kein fundamentaler Unter-
schied besteht; andererseits zeigt das steigernd hinzugefiigte f..LllOE, daB
der V erfasser glaubt, mehr bewiesen zu haben, als schon bekannt war
(, ... daB der Weise daher auch nicht meine'). Diese Unk:larheit beruht
darauf, daB die Begriffe 06~a, oo~asEtV und ayvota im bis jetzt
betrachteten Teil des Berichtes unpdizise verwandt wurden. Bereits in
Ill ,20 wirkten oo~asEtV und ayvoEtV beinahe als Synonyme, und als
in 111,21 in die Definition der ayvma (im engeren Sinne = B bei
Plutarch) auch die ao8cvlj~ <ruYKaa8Ecrt~ ( eigentlich A bei Plutarch)
aufgenommen wurde, war der Begriff offenkundig so erweitert
worden, daB er genau dem entsprach, was bei Plutarch mit Kmv&~
aKa"taA~1tLOl~ clKElV (C) und oo~asEtV bezeichnet war. Darum ist es
formal richtig, wenn der SchluBsatz lautet oto Katf..LllOE oo~asEtv ov
oo<p6v (im Sinne von C bei Plutarch).
An dieser Stelle mag dem Verfasser bewuBt geworden sein, daB er
durch die unscharfe Verwendung der Begriffe seinen Lesern zuviel
2 Kerferd schliigt vor (brieflich), das tiberlieferte UKUTUA~7tTmv zu halten und als
herstellt, bleibt fraglich. Vielleicht liegt ein Glossem vor. Obrigens ist auch der
Uberlieferte Wortlaut (mit ~aUov statt Wachsmuths <pauwv) zur Not verstiindlich:
,Das Straucheln vor (oder: anstelle der) zuverliissigen Erfassung sei eher ein
Zustimmen nach Art eines Voreiligen.' Aber die Aussage ist fast tautologisch, und die
Wendung KUTU TOV 7tp07tetfj (Tp07tov?) ist ungewohnlich.
22 1m Bericht des Stobaios ist wenig spiiter die Jttcrttc; als positiver Gegenbegriff
zur im6A-llwtc; &cre~c; genannt ( 112, II f.): tl]v liE 7ttcrttv acrtd<:fl ( acrte'iov codd. edd.)
imarxew, dvat yap imoAT)\jftV (codd., KUTUAT)\jftV Wachsmuth) icrxupav, ~e~atoucrav
TO imoA-a~~av6~evov. V gl. auch Sextus Emp. math. 3,8 ~Tot icrxupov i:crtt Kat ~E~atov
7tpoc; 7tlcrttV TO i;~ ll7t06Ecreffic; Tt Aa~etv ~ U7ttcrtOV TE Kat acr6evEc;.
12 ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE [89190]
Stobaios (112,2f.) auf Cicero, Acad. 1,42 (= SVF 1,60) wo neben temeritas und
ignorantia auch opinatio und suspicio genannt sind, sowie auf Pap. Here. 1020 (=
SVF 2,131, S. 40,21-25), wo von OOKrJm<; und OtTJmc; die Rede ist. Aber in heiden
Fallen handelt es sich nicht wie bei Stobaios urn eine Dichotomie, sondem (soweit
feststellbar) urn langere Listen von Fehlhaltungen.
24 Vgl. auch SVF 2,130, S. 39,33 ayu!lVU<HOU<; (ExElV) 'tel<; <pavmcr{a<;, ,die
Keil, Hermes 40, 1905, 155-158). Der oben nach von Arnim wiedergegebene Text
beruht nicht auf Autopsie ... Eine durch freundliche Vermittlung von M. Gigante,
Neapel, iibersandte Photographie (zum Verfahren s. Cronache Erco1anesi 2, 1972,
106, und 3, 1973, 117f.) brachte keine neuen Aufschliisse. [Nach Dberpriifung am
Papyrus durch Tiziano Dorandi diirfen von Arnims Lesungen jetzt durchweg als ge-
sichert gelten; s. Long/Sedley, The Hellenistic Philosophers, Cambridge 1987, Band
2, 257 (zu 41D).]
[90191] ZUR STOISCHEN ERKENNTNISTHEORIE 13
Der Erkennende muB Kraft zeigen gegen die cpavmcr{m, er darf sich
nicht von ihnen fortreiBen lassen. Dieser Gedanke ist der stoischen
Lehre auch sonst nicht fremd. Plutarch zitiert in Stoic. rep. 1057A (=
SVF 3,177) aus Chrysipp, daB auch der Weise und die Gottheit gele-
gentlich falsche cpavmcr{m eingeben, denen man sich zu widersetzen
habe (ate; TO 11~ flUXcr8at ... yl<A116v Ecrnv). Und Widerstand sei
auch moglich, denn keine cpavmcr{a fiihre unmittelbar zur Zu-
stimmung. Diese konne durchaus verweigert werden; die Menschen
jedoch stimmten aus Schwache zu (1057B): ~!lac; 8 cpauA-ouc; ovac;
U1t' acr8ew;{ac;26 cruyKaTUTt8cr8at Tat<; TOlUUTat<; cpavmcr{atc;. 27 Jeder
auch nur , wahrscheinlichen' cpavmcr{a28 wohnt I Uberzeugungskraft
inne, jede drangt den Menschen zur Zustimmung, wenn auch in
unterschiedlichem MaBe. Das Drangen der KaTUAll1tLtKTJ cpavTacr{a
vollends ist so nachhaltig, daB ein Widerstand, der hier freilich auch
nicht gefordert wird, fast aussichtslos ist. 29 Aber auch den anderen
26 Vgl. auch Plutarch, adv. Col. 1122C tiber die Skeptiker: (q>E1)youm) to &o~<lSEtv
se interdum eisque quae videntur imbecillius adsentiuntur ... Auch hier kann nur
gemeint sein: ,aus Schwache', wei! sie schlieBlich den Trugbildem erliegen.
28 Zur Einteilung der cpavmmat s. Sextus Emp. math. 7,242 (= SVF 2,65).
29 Sextus Emp. math. 7,257 aun) yap lvaPY'l<; oocra Kat 7tATJKTt!dj ,..Ovov ouxt T<OV
<pavmcr{at ist oft nicht leicht zu widerstehen, und so kommt es, daB
die Menschen immer wieder straucheln und irren. Von besonderer
Bedeutung ist das Motiv der voreiligen Zustimmung ,aus Schwiiche'
auf dem Gebiete der Affekte und dem des menschlichen Handelns
ganz allgemein. Dieser Gedanke kann hier nicht weiter verfolgt
werden; es mag genilgen, auf Stobaios 2,88,22-89,2 (= SVF 3,378) zu
verweisen, wo die zum Affekt fuhrende ,Meinung' (86~a) als acr9EV~<;
urr6A-rpjft<; bezeichnet ist. 30
gelehrt haben, was die jtingeren nur mit der genannten Einschrank:ung gelten lassen
wollten: Sie zwingt den Erkennenden zur Zustimrnung. Ebenso unbegrtindet ist
Sandbachs Skepsis gegentiber der zweiten Stelle, an der der determinierende
Charakter der Ka'taAT)7t'tUCTJ <pav-racr{a klar ausgesprochen ist: Cicero, Luc. 38 ut ...
necesse est lancem in libram ponderibus inpositis deprimi, sic animum perspicuis
cedere. GewiB folgt Cicero primiir Antiochos, aber alles spricht dafiir, daB Antiochos
in diesem Punkte die stoische Lehre genau wiedergibt (perspicua = E\'apyfj).
Sandbachs Hinweis auf Luc. 34 beweist nichts, denn dort ist yon einer skeptischen
Richtung die Rede. Vgl. femer Sextus Emp. math. 7,405 d ouv KaTUAT)7t'ttKa{ nv<;
dm <pav-raa{at nap6aov lmiyov-rat ~J.lU<; d<; cruyKani8Emv ... Die Frage, ob man im
Faile der (zwangsliiufigen) Annahme einer KaTUAT)7t'ttKTJ <pav-rama tiberhaupt von
cruyKa-r<i8mu; sprechen konne, wurde zwischen Stoikern und skeptischen Akademi-
kem heftig diskutiert; vgl. Plutarch, de Stoic. rep. 1055F, 1056E, adv. Col. 1122A,
dazu D. Babut, Plutarque et le stolcisme, Paris 1969, 280f. Die ganze Frage ist
offenkundig aufs engste verkntipft mit dem stoischen Dogma einer allgemeinen
Kausaldetermination. Nicht nur abstrakt-kontemplative Erkenntnis vollzieht sich ja
nach stoischer Auffassung aufgrund von <pav-racr{at und den ihnen erteilten
Zustimrnungen, sondern das gesamte menschliche Handeln. Darauf kann hier nicht
niiher eingegangen werden; es sei verwiesen auf A. A. Long, Freedom and Deter-
minism in the Stoic Theory of Human Action, in: Long (Hg.), Problems in Stoicism,
London 1971, 173-199; ders., The Early Stoic Concept ofMoral Choice, in: Images of
Man in Ancient and Medieval Thought. Studia Gerardo Verbeke ... dicata, Leuven
1976, 77-92; J. C. Gould, The Stoic Conception of Fate, Journal of the History of
Ideas 35, 1974, 17-32; demniichst J. Barnes, Le determinisme stolcien [erschienen
unter dem Titel: La doctrine du retour etemel, in: Les Stolciens et leur logique, wie
Anm. 3, 3-20]. Verfehlt ist der Losungsversuch von Y. Belaval, Sur Ia liberte
stolcienne, Kantstudien 67, 1976, 333-338. Belaval sieht die Freiheit der ,Zustim-
mung' darin begrtindet, daB der Mensch (im Gegensatz zum Tiere, das nur automa-
tisch zustimrnen kann) den Sinn der ihm abverlangten Zustimrnung versteht, sich
aneignet und damit personalisiert. Er beruft sich dabei auf den Begriff des AEK-r6v
(etwa: das ,Gemeinte'), das er nur im Akt des Denkens und darnit nur im Individuum,
also nur subjektiv verwirklicht sieht. Der Mensch stiftet nach Belaval in jedem
Erkenntnisakt und in jeder Handlung einen ihm eigenen Sinn. Diese Interpretation ist
unhaltbar, da unter den AEK'ta mit Sicherheit tiberindividuelle, objektive ,Bedeu-
tungen' zu verstehen sind.
30 V&l. femer Plutarch, De virtute morali 447A (= SVF 3,459b), tiber die Affekte:
06~a<; Etvat Kat Kp{aEt<; noVT)pa<; . . . oA.ou -rou ~YEJ.lOVtKou pona<; Kat Ei'~Et<; Kat
cruyKa'ta8EaEt<; . . . oocrnEp ai 'tWV na{ooov E1tt0pOJ..tat ... 'tO a<poopov E1tta<paM<; U1t0
&a8EVEta<; ... iixoum; Galen, De Hippocratis et Platonis deer. 4,6 (= SVF 3,473)
[91192] ZUR STOISCHEN ERKENNTNlSTHEORIE 15
Es hat sich gezeigt, daB die wohl schon von Zenon gebrauchte und
frlih zum festen Terminus erstarrte Wendung acr8ev~<; (J1)yKma8ccrt<;
(im6ATJ\jft<;) in eigentiimlicher Weise doppeldeutig ist. DaB wir
berechtigt sind, zu verstehen: noch keine ,feste', ,entschlossene',
,wohliiberlegte' Zustimmung, steht durch den Handvergleich auBer
Frage. Und es geht auch daraus hervor, daB als Gegensatz icrx;up6<; und
~s~ato<; verwandt werden. Aber ebenso unbezweifelbar ist, daB die
,schwache' Zustimmung auch eine Zustimmung ,aus Schwache' ist,
und eben dies ist ja an einigen Stellen mit aller Klarheit gesagt. 31 Dies
ist ein iiberraschendes Ergebnis, aber die I Zweideutigkeit der hier
untersuchten Wendung ist nicht ohne Parallele. Die genaue Bedeutung
des Adjektivs im Begriff Ka'tUATJ1t'ttK~ <pavracria ist bis heute um-
stritten: Ob KU"tUATJ1t'ttKO<; aktivisch zu verstehen ist (die <pavmcria
ergreift den ihr zugrundeliegenden Gegenstand) oder passivisch (die
<pavacria laBt sich ergreifen), oder ob gemeint ist, die <pavmcria
Ka'tUATJ1t'ttJOl bemachtige sich durch ihr eindeutiges Drangen des
erkennenden Individuums, laBt sich auf keine Weise entscheiden. 32 Es
ist nicht unwahrscheinlich, daB Zenon und Chrysipp in heiden Fallen
bewuBt mehrdeutige Ausdriicke gewahlt und geschickt benutzt
haben. 33
(Xpumnno~) ai:nutat 'tOOV npano~wv oUK ope&~ U'tOVtUV 'tE KUt ucr9EvEtuV rij~
\jfUJcij~.
31 Dber die Verwendung dieser Zweideutigkeit durch Cicero vgl. Vf.,
Untersuchungen zu Ciceros Philosophie, Heidelberg 1974, 192-194.
32 Dariiber zuletzt eingehend Graeser, Zenon 42-52.-Wir hatten oben festgestellt,
daB die <pav-rucr{a KU'tUA1]1t<tKf] den Menschen ,fast bei den Haaren packt' und zur
Zustimmung zwingt. Aber es ist eine andere Frage, ob die Bezeichnung der <pavmma
KU<UA1]1tnldj mit diesem Vorgang in Verbindung gebracht werden sollte, so daB KU't!l-
A1]1t'ttK6~ der Bedeutung ,zupackend', ,ergreifend' nahe kommt. Diese Meinung hatte
vor allem Zeller vertreten; Sandbachs scharfe Ablehnung (Problems 14) scheint
zumindest iibertrieben (vorsichtiger Graeser 45 Anm. 22 [auf S. 46]).
33 Fiir wichtige Hinweise und fruchtbare Kritik danke ich Albrecht Dihle, George
1 Vgl. die alphabetische Obersicht u. S. 38f. [414). Die dort genannten Arbeiten
werden im folgenden nur mit Verfassemamen (ggf. Erscheinungsjahr usw.) und Sei-
tenzahl zitiert.
[3971398] PFLICHT UND ,LUST' 17
Bevor wir die wichtigsten Zeugnisse tiber W esen und Wert der
ti8ovt1 genauer durchgehen, ist eine Vorbemerkung angezeigt. Sowohl
in der Lehre als auch in der T erminologie wei chen die fiihrenden
Vertreter der Schule voneinander zum Teil betrachtlich ab. Vor allem
in der sogenannten mittleren Stoa, bei Panaitios und bei Poseidonios,
wurde die Affektenlehre gegentiber der alten Stoa stark modifiziert.
Die folgenden Betrachtungen sind auf die alte Stoa beschrankt, also
im wesentlichen auf Zenon, Kleanthes und Chrysipp. Auch innerhalb
der alten Stoa hat die Affektenlehre gewisse Modifikationen erfahren,
von denen einige uns noch beschaftigen werden. Im allgemeinen aber
wird die alte Stoa im folgenden als eine Einheit betrachtet, ein I Ver-
fahren, das deshalb ebenso unausweichlich wie berechtigt ist, weil
unsere Quellen zwischen Chrysipp und Zenon, auch wo die Namen
genannt sind, nicht immer zuverlassig unterscheiden.
Zenon und Chrysipp bezeichnen die ftbOV~ als ein a8uiq>Opov, als
etwas Gleichgtiltiges. 2 Nun ist nach stoischer Lehre alles auBer Tu-
gend und Laster ohne jeden wirklichen Wert, also a8ui<popov, aber
innerhalb der groBen Klasse der a8ui<popa unterschied man doch
Wertvolleres und weniger W ertvolles. Auch unter dies em einge-
schrankten Gesichtspunkt findet die ti8ov~ in der Mehrzahl der
Zeugnisse keine Anerkennung: Sie gehOrt nicht zu den nporm.tva,
freilich auch nicht zu den anonpOTJYf.lEvU. 3 Das ist alles andere als
selbstverstandlich, denn die npOTJYf.lEvU, die relativ wertvollen Dinge,
werden oft gleichgesetzt mit den ,naturgemaBen' Dingen, dem groBen
Bereich der KaTa <puow. .
Dazu gehOren das Leben, Gesundheit, Starke, aber auch Reichtum,
Ansehen und ahnliches. Der Begriff des NaturgemaBen ist also durch-
aus nicht eng gefaBt. Es ist schwer einzusehen, daB die ti8ovt1, die
doch oft eindeutig naturgemaBe Ursachen hat, im allgemeinen nicht zu
den Ka'ta <puow gerechnet wird. Freilich gibt es Ausnahmen: Ein sonst
wenig bekannter Vertreter der Schule, Archedemos von Tarsos, gab
zu, daB die ti8ovt1 zu den Ka'ta <puow gehOre, aber schrankte dies
Zugestandnis sofort ein, indem er sagte, das gleiche gelte auch fur die
2 SVF 1,190 (Stob. eel. 2, p. 58,2-4 Wachsmuth); SVF 1,195 (Gellius 9,5,5).
3 SVF 3,155 (Sextus Emp. math. 9,73); SVF 3,136 (Stob. eel. 2,81,11-15). Pearson
(The Fragments of Zeno and C1eanthes, London 1891, 69) vermutet, daB fiir Zenon
und Kleanthes die ~ooV11 zu den anonporm.tva gehorte. Das wird von Graeser 135
uberzeugend widerlegt.
18 PFLICHT UND ,LUST' [3981399]
Haare in der AchselhOhle; einen Wert habe die ~<>oV11 nicht. 4-0hne
Einschrankung heiBt es in der Darstellung der Lehre Zenons bei
Diogenes Laertius 7, 148 (SVF 2, 1132), die Allnatur strebe nach dem
Ntitzlichen und nach Lust; das konne man erkennen am kunstvollen
Bau des Menschen. Eine solche Auffassung der ~8ov~ ist mit der
stoischen Grundforderung, entsprechend der Natur zu leben, O!lOAO-
you!lSvffi<; Ttl <pucret sflv, durchaus vereinbar. Das Streben nach ~<>oV11
ist ja-zumindest in seiner ursprtinglichen und unverfalschten Form,
die beim Kleinkind beobachtet werden kann-fast immer auch ein
Streben nach NaturgemaBem: nach Nahrung, Warme und liebevoller
Geborgenheit. Dies Streben aber leugneten die Stoiker keineswegs; es
ist im Gegenteil der Ausgangspunkt ihrer ethischen Deduktionen. Und
doch wird die ~<>oV11 im allgemeinen mehr oder weniger schroff
abgelehnt. Warum gaben die Stoiker nicht zu-oder doch nur selten
und zogernd-, daB der Mensch von Natur aus (und damit berech-
tigterweise) nach der ~<>oV11 strebe? Der Grund dafiir ist offensichtlich
das Bedtirfnis nach Abgrenzung von den Epikureern. Ftir die Epi-
kureer war die ~<>oV11 das eigentliche Ziel, das TEAO<; des menschlichen
Strebens. Fur die Stoiker dagegen ist das Telos das NaturgemaBe, das
in einem spateren Entwicklungsstadium des Menschen nicht mit der
~8ov~ im gewohnlichen Sinne zusammenfallt. Deshalb lehrten sie, die
~8ov~ sei zwar oft eine Folgeerscheinung, ein my~11a des Natur-
gemaBen;5 erstrebt I aber werde nicht die ~8ov~, sondern das sie auslo-
sende KaTa <pumv. Man darf vermuten, daB sich die Vertreter dieser
Lehre durchaus dessen bewuBt waren, daB in der Praxis kaum ein
Unterschied hestand zwischen dem Streben nach dem NaturgemaBen
und dem Streben nach der aus dem NaturgemaBen resultierenden
~<>oV11, also etwa zwischen dem Streben nach Nahrung und dem
Streben nach Sattigung. Es hatte fur die Stoiker nahegelegen, die
~8ov~ ohne alle Einschrankung als naturgegeben anzuerkennen, als
ein lenkendes Prinzip, das durch seine Anziehungskraft den heranrei-
fenden Menschen auf die KaTa <pumv aufmerksam macht, und in
spateren Texten klingt eine solche Lehre auch an. Aber wohl im
Hinblick auf die Epikureer haben die friihen Stoiker der ~<>oV11 die
Eigenschaft, naturgemaB und damit ein 7tP011Y!lSYOV zu sein, meist
nachdrticklich abgesprochen. 6
Bereits aus dem bis jetzt Gesagten ergibt sich, daB mit dem Gebot
der ana8ta, das fur den stoischen weisen, den schlechthin vollkom-
menen Menschen, gilt, nicht die konsequente Bekampfung jeder Form
von Lust, von ~<>oV11, gemeint sein kann. Denn da die ~<>ov~ eine un-
ausweichliche F olgeerscheinung des Erlangens bestimmter naturge-
mii.Ber Gtiter oder bestimmter naturgemaBer Handlungen ist, konnte
sie ja nur dadurch vermieden werden, daB man eben diesem Natur-
gemaBen a us dem W ege geht. Das aber ware das genaue Gegenteil der
stoischen Maximen.-DaB mit der Forderung der ana8ta, der
Freiheit von na811, nicht etwa Gefiihllosigkeit gemeint sein kann,
ergibt sich auch aus einem hochinteressanten, merkwtirdigerweise fast
vollig unbeachteten Text (SVF 3,448 = Diog. L. 7,117) : ... cpacrt ()
Kat anaOil dvm 'tOY crocp6v, Dux 'tO UVEfl1t'tOHOV dvat. tVat () Kat
UMOV anaOil, 'tOV cpauA.ov, Ev t<Jq> AtYOf..LVOV 0 <JKAllP<Zl Kat U'tEYK'tffi.
Harte und Unerweichlichkeit gehOren zum Gegenbild des Weisen; es
ist ein Zeichen auBerster Torheit, alle Gefiihle von sich fern zu halten
und in sich abzutOten. 7
Auch der Weise empfindet also Lust und Freude, 8 und einige
Stoiker batten sicher keinen AnstoB daran genommen, diese Empfin-
dungen als ~()ov~ zu bezeichnen. Aber 1 wahl schon friih9 differen-
~oovfjc; eine Streitschrift gegen die Epikureer war. Ffu die negativen Assoziationen,
die dem Begriff ~ooVJ1 schon seit langem anhafteten, ist auch der bekannte Ausspruch
des Antisthenes bezeichnend jlaV!:tT]V jliiUov ~ ~cr6etT]V (fr. 108 Decleva-Caizzi). Es
kann nicht iiberraschen, daB man in der stoischen Schule den Eindruck einer positiven
Bewertung der ~oo~ sorgfaltig vermeiden wollte. Immerhin zeigt Diog. L. 7,103
(nicht in SVF) aU' ouof: TI]v ~oovljv aya66v q>amv 'EKlhwv -r' ev -rq) eva'tCQ Ilept
ayae&v (Gomoll 5) Kat Xpummtoc; EV 'tOte; Ilept ~oovfjc; etvat yap Kat aicrxpac;
~oovtic;, jlT]OEv o' aicrxpov ElVUl aya66v, daB die Ablehnung nicht grundsatzlich war.
Selbst Chrysipp erkannte, wenn er einmal vom strengen Sprachgebrauch abwich, auch
,gute' ~oova{ an.-DaB die ~oo~ zu den ootaq>opa gehort, ist iibrigens auch im
gegenteiligen Sinne zunachst auffallig: Im Hinblick auf ihre Einordnung als eines der
vier verwerflichen :n:a6Tj sollte man eine negative Bewertung erwarten. Vgl. dazu u.
Anm. 10. Bei Graeser 135-138 sind die heiden Probleme nicht klar geschieden.
7 Vgl. auch Seneca ep. 71,27 non educo sapientem ex hominum numero nee
dolores ab illo sicut ab aliqua rupe nullum sensum admittente summoveo; Epict. 3,2,4
ou OEl yap jlE dvat a:n:aefj roc; avoptUV'tU.
8 Es ist irrefuhrend, wenn z.B. bei Gould 34, 172, 187 ohne jede Einschrankung
vom Ideal der a:n:a8eta gesprochen wird. Ffu eine Revision des verbreiteten Bildes
vom gefuhllosen Wei sen pladieren entschieden Haynes und Rist 1969, 25 f, 31 f;
1978, 260. Long 1974, 176 Anm. 2 und Lloyd 233 verzichten zum Nachteil ihrer
Darlegungen auf die Behandlung der Lehre von den eima8etat (vgl. unten Anm. 19).
9 In den Zeugnissen ist Zenons Name nicht genannt, aber die von Rist 1969, 31
fur eine friihe Datierung angefuhrten Griinde iiberzeugen. Fiir Chrysipp ist die Lehre
von den ei>:n:a8etat durch SVF. 3,440 gesichert.
20 PFLICHT UND ,LUST' [400]
10 Auch mit dieser Klassifizierung steht es auf den ersten Blick im Widerspruch
(vgl. o. Anm. 6), daB die ~oov~ zu den aoui<popa, gelegentlich sogar zu den
npmm.tiva gerechnet wurde. Hier ist offenbar zu unterscheiden zwischen ~8o~ im
Sinne von ,Lustempfindung' als einem objektiven Phiinomen, das sich bei bestimmten
Handlungen einstellt (in dieser Bedeutung ist ~8o~ ein a8ui<popov), und der
Bedeutung ,Gemiitsbewegung', die erst durch ein zustimmendes Urteil zu diesem
Phiinomen zustandekommt, welches auf der irrigen Annahme beruht, die Lust-
empfindung (die als solche gar nicht bestritten wird) sei ein ,Gut'.
II SVF 3,431 (Diog. L. 7,116): dvat 8!: KUl e\ma9Et(l <pam 'tpE~, x~av,
euA.a~etav, ~ouA.T]crtV. Kat rf)v ~ xapav i:vavnav <pamv dvm Tfi ~8ovt\, oucrav
d)A.oyov iinapmv rf)v 8!: EiJA.<i~etav 4> <po~cy, o~crav euA.oyov iiKKA.tmv q>O~TJ~crecr9m
~ yap ov cro<pov ou8aJ.u'O~, wA.a~lJ~crecrem 8!:. Tfi 8!: am9u!ltQ. i:vav't{av <pamv dvm
TIJV ~OUAT]crtV, ~crav wA.oyov op&;tv. Es ergibt sich das scheinbare Paradox, daB
cimi9eta und a1t!i9eta identisch sind. Aber wiihrend U1t!i9cta vomehmlich eine
permanente Verfassung des Weisen beschreibt, begegnet wna9eta als Benennung der
je einzelnen ,richtigen' Gemiitsbewegungen, tritt darum hiiufig auch im Plural auf.
Zum lexikographischen Hintergrund beider Termini vgl. jetzt White 115-119, der
richtig betont, daB wnae~~ als stehendes Attribut des Weisen fur die Stoiker wohl
deshalb nicht brauchbar war, wei! die Grundbedeutung ist ,easily affected'
(Liddeli/Scott/Jones), ,easily prone to n<i9T]' (White). Er iiberzeugt jedoch nicht mit
seiner Annahme, daB mit nna9~qana9eta das Fehlen solcher Affekte gemeint ist, die
dem Weisen von auBen aufgenotigt werden. Die ,Zustimmung' (oder ihre Verwei-
gerung) zu den ,falschen' Affekten steht in der Macht des Individuums, der Mensch
ist verantwortlich fiir seine n<i9T] und die daraus entstehenden U!!U~!lam. Und auch
die Eilna9etat werden , von auBen her', in der Regel durch Sinneseindriicke, ausgelost.
12 Nemesius Emesenus, De natura hominis, ed. C. F. Matthaei, Halle 1802, p. 223:
KaAoUcrt 8!: 'tU~ E1tUKOAou9oocra~ Tfi eeoop{q. KUl m~ KaAat~ npa~EcrtV ~8ova~ ou naST]
aA.A.a ndcre~ nv!:~ 8!: KUptoo~ n1v 'tOtaU'tT]V ~8ov~v xapav A.Eyoumv. IIEtcrt~ begegnet
u. a. bei Marc Aurel als Synonym fur na9o~, als Gegenbegriff zu naeo~ jedoch nur
hier. Nemesius nennt die stoische Schule nicht, aber die nur fur die Stoa belegte
Gegeniiberstellung ~8o~/xapa schlieBt einen Zweifel an der Quelle weitgehend aus.
Im griechischen Text (hier nach Bonhoffer 1890, 293) setzt Matthaei nach ~8ova~ ein
Komma, versteht also ou na9T] O.Ua nEtcrEt~ als Apposition. Die zahlreichen
lateinischen Obersetzer des Nemesius haben das Begriffspaar nicht verstanden, da fur
sie na9o~ gleichbedeutend mit passio war: Alfanus, Erzbischof von Salerno ( 11. Jh.)
iibersetzt (ed. Burkhard, Lipsiae 1917, p. 99,19) non passiones sed actiones,
Burgundio v. Pisa (12. Jh.; ed. Verbeke/Moncho, Leiden 1975, p. 98,21) non
[4001401] PFLICHT UND ,LUST' 21
passiones sed suas iones, ebenso Fr. Io. Con on [Kuno], Argentorati 1512 (nach
Matthaei), Georg. Valla, Lugduni 1533 (nach Matthaei) suavitates. DaB Cicero die
naheliegende 1ateinische Obersetzung mit passio (passio = Leidenschaft erst seit
Augustin und Servius) vermieden hat, macht es wahrscheinlich, daB auch er die
Bezeichnung 1tetmc; in seinen griechischen Texten nicht vorgefunden hat. Zu seiner
Wiedergabe von dma9eta mit constantia s.u. Anm. 31.
13 Vgl. SVF 2,993 = Plut. Stoic. rep. 1056F J.!~ ensxovmc; UJ.!apnivetv Aiyoumv, uv
14 TO OE lClVoUV TI]v OP!l~V OUOEv ihepov dvm Aiyoumv a/J....' ~ <pavmcr{uv OP!ll]-
TlKlJV Toil Ka9~KOVTO<; auT69ev, TI]v 8e op11~v etvm <popav 'lfUxf\<; En{ n KUTa To yf.vo<;.
15 SVF 3,391 ([Andronicus] Ilepl. nu9&v 1 Glibert-Thirry, p. 11 Kreuttner) Ila9o<;
EcrTtV a'A.oyo<; wuxf\<; KtVl]m<; Kilt napa <pumv ~ OP!l~ n'A.eovai;oucru ... TU yevtKd>Tepa
1tU91] TEcrcrupu AU1t1], <polk><;, E1tt9ulltll, ~8oVJ1. AU1t1] ~ oOV EGTlV a'A.oyo<; crucrTOA~, ~
M~u 1tpocr<paTO<; KUKOU nupoucr{u<;, E<p' ((! OlOVTUt 8eiv crumellicr9at. <po~o<; M
ii.'A.oyo<; EKKAtcrt<; ~ <pll~ U1t0 1tpocr80Kffi~OU OEtvOU. E1tt9u!ltll OE ii.'A.oyo<; ope~t<; ~
Mm~t<; 1tpocr80Kffi~OU ayu9oil. ~8o~ OE a'A.oyo<; E1tUpcrt<; ~ M~a np6cr<pUTO<; aya9oil
napouma<;, E<p' ((! otovmt 8eiv Enu{pecr9at.
[4021403] PFLICHT UND ,LUST' 23
16 Vgl. o. Anm. 15 sowie SVF 1,205 (Diog. L. 7,110) ean 8e a\rro to rra9os mm
Z~vrova ~ u'Aoyos Kat rrapa qn)mv 'lfUX~s KlVT]GJS, ~ Opfl~ rrA.Eova~ouaa. (Stoh. eel.
2,44,4) rrav rra9os Opfl~ rrA.Eovasouaa (ih. 2,88,8-10) rra9os ()' Etva{ <pamv Opfl~V
rrAovasouaav Kat arrEt~ 1:(\l aipoilvn AiryU) ~ KlVT]CJtV 'lfUX~s <UAoyOV> rrapa qromv.
17 Hier und im folgenden ist vorausgesetzt, daB mit der Definition des Affekts als
einer opJl~ rrA.Eovasouaa ein anderer Sachverhalt gemeint ist als in der ehenfalls weit
verhreiteten Definition des Affekts als einer u'Aoyos Kat rrapa qn)mv 'l'ums KtVTJms
(u.a. SVF 1,205 = Diog. L. 7, 110). Diese Annahme erscheint zwingend, auch wenn in
den Zeugnissen heide Definitionen meist durch einfaches ~ verhunden sind, so daB sie
auf den ersten Blick als austauschhar angesehen werden konnen. Das einfache ~
schlieBtjedoch einen Gegensatz nicht aus; vgl. z. B. SVF 3,500 = Stoh. eel. 2,93,16-
18 W., wo mit i] zwei einander ausschlieBende Arten des UJ.lUPTIJJ.la (durch Tun bzw.
durch Unterlassen) verhunden werden. Ferner: Eine nur durch ihr DbermaB
fehlerhafte opJ.l~ dfu'fte kaum ohne weitere Qualifizierung als rrapa <pumv (s.o.)
hezeichnet werden. Graeser (152 m. Anm. 22) heruft sich fiir die Beziehung heider
Definitionen auf ,ein und dasselhe Phiinomen" auf SVF 3,479 (Galen PHP 4,5, p.
366f. M., p. 262,6-12 De Lacy) und auf SVF 3,462 (Galen PHP 4,2, p. 338f. M., p.
240,21-23 De Lacy). Aher an heiden Stellen setzt Chrysipp die Definitionen zuniichst
als verschieden voraus; dann hemliht er sich, die Gemeinsarnkeiten herauszustellen.
Besonders deutlich ist p. 262, 1Of. De Lacy urr~:p~a{vouaa yap tov Myov ~ opJ.l~ Kat
rrapa 1:0U1:0V a9p6ros <pEpOJlEVTJ OtKEtros t' av rrA.EovasEtV Prt9drt Kat Kata 1:0U1:0 rrapa
<pumv y{yv~:a9at Kat dvat uA.oyos, ffis urroypa<pOJlEV, wo durch Kata 1:0U1:0 (,unter
diesem Gesichtspunkt') die Formulierungen rrapa qn)mv und u'Aoyos fiir die opJl~
rrA.Eovasouaa gerechtfertigt werden. In der Tat kann man Chrysipp zugehen, daB jede
opJl~ rrA.Eovasouaa in einem gewissen Sinne auch eine u'Aoyos KtVT]ms ist; aher es ist
schlechterdings sinnlos, ein schon im Ansatz, d.i. in seiner Zielrichtung falsches
Strehen als opJl~ rrA.Eovasouaa zu hezeichnen. Die inhaltliche Gleichsetzung der
heiden Definitionen wiire nur unter der Voraussetzung denkhar, daB es iiherhaupt
keine falschen <pavmmat OPJlT\'ttKat giht. Diese ohnehin nicht sehr wahrscheinliche
Annahme wird durch die Parallelitiit zum kognitiven ErkenntnisprozeB widerlegt, wo
zwischen ,falsch' und ,unklar' scharf geschieden ist. Vgl. o. Anm. 13.
24 PFLICHT UND ,LUST' [403]
unmittelbar einleuchtend fur die Begierde und fur die Furcht (in
diesem Falle ist die Opfl~ eine zu weit gehende Fluchtbewegung, eine
aq>Opfl~). Es ist dagegen nicht ohne weiteres einzusehen, daB auch die
heiden anderen Grundaffekte, ~ooV11 und All1t'l, ein ,Streben' sind. Sie
unterscheiden sich von Furcht und Begierde ja gerade dadurch, daB
das vermeintliche Gut oder Obel schon da ist, wahrend es im Falle
von lm8uf.t{a oder <po~o~ erst fur die Zukunft erhofft oder befurchtet
wird. 'HooV11 und AU1tTJ werden daher mehrfach auch ohne jeden
Bezug auf eine opfl~ definiert, namlich als aA.oyoc; ~napcru; bzw.
aA.oyo~ crucrwA.~, als nicht vernunftgemaBe Erhebung bzw. nicht
vernunftgemaBe Zusammenziehung. Diese Definitionen sind klar und
versHindlich; wenn man ihnen folgt, sind ~ooV11 und AU1tTJ keine opf.tat,
sondern eher Reaktionen. Nach Erlangung eines vermeintlichen Gutes
oder Obels stellt sich folgende <pavtacr{a ein: ,Dies ist ein Gut, uber
das sich zu :freuen angemessen ist"; dieser <pavmcr{a wird die Zustim-
mung erteilt, darauf tritt die Freude ein. Zumindest ein Zeugnis
allerdings scheint zu beweisen, daB diese naheliegende ErkHirung der
stoischen Lehre nicht gerecht wird. Galen zitiert aus Chrysipp
folgende ErkHirung des Nachlassens der AU1tTJ (SVF 3,466, p. 117, 25-
28 =Galen PHP 4,7, p. 395f. M., p. 284,7-9 De Lacy): ch' lm<ppmv
<pllcr{ OOKct OE flOt ~ flEv tOtaUtll M~a OtaflEvEtV, Ott KaKOV auto 0 0~
mipccrttv, ly:xpovtsOfl~~ 8' avtccr8at ~ crucrtOA~ Kat me; Otflat ~ E1tt
~v crucrtoA.~v opfl~ Auch fur die ErkHirung der A:61tT] ist hier also der
Begriff der opfl~ herangezogen. Die cruyKata8Ecrtt; lOst nicht die AU1tT]
selbst aus, sondern eine opfl~ lnl ~v crucrwA.~v, ein Streben nach
,Zusammenziehung'. Entsprechendes laBt sich selbstverstandlich fur
die ~ooV11 sagen. Es ist wohl kein Zufall, daB Chrysipp nicht von einer
opfl~ lnl ~v AU1tT]V spricht, denn die AU1tTJ selbst gilt ihm ja als opf.t~;
nur andert das an der Sache nicht viel. Auch die Parallelitat zwischen
den prasentischen und den futurischen Affekten wird durch diese
Theorie nur scheinbar gerettet: Begierde und Furcht sind doch wohl zu
verstehen als Streben nach bzw. Flucht vor einem scheinbaren Gut
oder Obel. Dort ist eindeutig der Affekt selbst die opfl~, ihr
Gegenstand ist eine Sache. In strenger Analogie zur opfl~ lnl ~v
crucrtoA.~v dagegen sollte man die Begierde verstehen als eine Opfl~
lnl ~v lm8ufltav, also als ein Streben nach einem unmaBigen Stre-
ben. Diese Widerspruche lassen sich auf Grund der uns vorliegenden
Zeugnisse nicht aufhellen.
[4031404] PFLICHT UND ,LUST' 25
18 Das bezeugt Galen, der an drei Stellen mit Bestimmtheit spricht: SVF 3,461b
(Galen PHP 5,1, p. 405 Muller, p. 292,17-20 De Lacy), Xrummtoc; ~ o~v f.v 4>
npomp IlEpt nue&v ano8EtKVUVUl 1tEtpihat KptcrEtc; nvac; dvat 'tOU A.oytcrnKoU 'ta
1tU6Tj, Z~VWV 8' oU 1:ac; KptcrEtc; Ul>'tac;, fi)..),U 1:ac; emytyvo~ac; Ulrcll\c; O'UO''tONlc; KUt
8tUxtJO'Etc; E1tapcrEtc; 'tE Kilt 'ta1tElVOOO'Etc; 'tfic; wuxflc; EvOj.lt/;;EV dvat 'ta 1tU6Tj. PHP 4,2, p.
337 Muller, p. 240,5-9 De Lacy (nicht in SVF) KUt yap ai j.lEtOOO'Etc; KUt ai enapcrEtc;
Kal ai cru=oA.al Kal ai 8taXJ}crEtc;-Kal yap 'tOt>'twv evto'tE fl11VTJ'tat-'ri\c; &A.Oyou
8uvaj1Eooc; ecrn nue~j1U'tU 'tlltc; 86~1ltc; emytyvOj.lEVU. 'totU1J'tTjV M nvu Tl)v oucriuv 'tOOV
1tll6&v 'EntKOupoc; Kilt Z~vwv, OUK uun)c; lJ1tOMxj1PavEt, SVF 1,209b (Galen PHP 4,3,
p. 348 Muller, p. 246,38-248,3 De Lacy) Kat yap Z~vwvt Kll'ta yE 'tOU'to ... Kat eau1:(\l
KUt noM.olc; UM.otc; llUXE'tat 'tOOV :E'tWtK&V Ot oil ac; KptO'Etc; llU'tUc; rfjc; wuxflc; fi)..),U
[Kilt] 'tac; E1tt 'tlllhatc; aA.6yO'!c; O'UO''tONlc; KUt 'tU1tElVOOO'Etc; Kilt li~~ac; E1tapcrEtc; 'tE KUt
8tllXJ}crEtc; unoA.a11Pavoumv dvat 1:a 'tfic; wuxflc; na6Tj. An einer vierten (bei von Arnim
fehlenden) Stelle (Hinweis I. G. Kidd) iiuBert er sich uber Zenons Lehre nur mit gro-
Ber Zuriickhaltung und Vorsicht: PHP 5,6, p. 458 Milller, p. 334,23-30 De Lacy
"Qcr'tE Kat 'ta npoc; 'tOV XpUcrt1t1tOV UV'tElPTJ!livU j.lot 8ta 'tO 1tpOKElj.lEVOV eytvE'tO, Kilt
Z~vwv, Ei j1Ev 'ta UU'ta PooA.ot'tO XpUcrtmt(!,l, 'tOte; llU'tO\c; eyKA~j.lUO'lV uncieuvoc;
KU6E~~E'tat, Ei 86 'tlllc; 'tOO IIA.chwvoc; apxmc; enot'tO KWv6Et KUt IIocrEtOWVt(!,l
1tllpll1tATjcrtwc;, 'tfic; ~j.lE'tEpllc; uv o\hw j.lE'tExot c:ptA.omxptllc;, Ei 8', OnEp EyOO nd6oj1Ut,
KptcrEcrtV emy{yvEcr6at 'ta 1tU6Tj VOj1tsOt, ~croc; av EtTj 'tfic; 'tE XElptcr'tTjc; unep UU't&V
aipecrEwc; rfjc; XpUcrt1t1tOU Kilt 'tfic; aptcr't:Tjc; ~v 'InnoKpa'tTjc; 'tE Kilt IlAU'tWV U1tUv'tWV
np&1:ot j.lE'tf:XEtptcrllV'tO. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, daB die
Formulierung der Abweichung Chrysipps von Zenon in der Definition der na6Tj auf
einer Rekonstruktion Galens beruht. Aber daB es in dieser Fmge einen Dissens
zwischen Zenon und Chrysipp gab, sollte nicht ernsthaft bezweifelt werden. Galens
Zitate zeigen deutlich, daB Chrysipp gegen eine altere Auffassung polemisiert.
26 PFLICHT UND ,LUST' [404]
19 Zum vieldiskutierten Unterschied in der Definition der miOr] durch Zenon und
durch Chrysipp s. zuletzt Pohlenz 1938, 187-197; Rist 1969, 31; Gould 181-185;
Lloyd. Rist betont im AnschluB an Pohlenz den Dissens, wlihrend Lloyd durch eine
eigenwillige Interpretation der chrysippeischen Lehre den Unterschied zu nivellieren
sucht. Er versteht die Entstehung der Affekte als ein Zusammenwirken verschiedener
Faktoren (238, 244): ,imagination, judgment, assent, action'. Diese Faktoren sind
nicht als rein zeitliche Abfolge aufzufassen: es handelt sich vielmehr (237) urn
,aspects rather than stages", wobei jedoch nicht an vollige Gleichzeitigkeit gedacht ist
(vgl. 237 ,overlapping', 238 ,telescoping'). Bereits hier sind Bedenken anzumelden.
Lloyd versteht Chrysipps Kp{cn~ a1s einen der Zustimmung (logisch, teilweise auch
zeitlich) vorausgehenden Akt, den er mit der Dbersetzung ,judgment' verdeutlicht.
Aber die Kf{~ ist ~chts ~nde;es als,d!e ~ustimmU?g fvgl. z.B. SVF 2,~92 ~le,mens
strom. 2 rracra ... oo~a Kat Kptcn~ Kat urroATJijf~ Kat j.tUOrjcr~ ... cruyKata9ecn~ ecrnv,
SVF 3,171 Stob. eel. 2,88,1 micra~ 8E tu~ opj.t~ cruyx:ata9cre~ elvat, SVF 3,380
Cicero Tusc. 4,14 omnes perturbationes iudicia censent fieri et opinione ...
opinationem autem ... volunt esse imbecillam adsensionem. Die richtige Interpretation
u.a. bei Gould 185; Voelke 31,89). Lloyd dagegen versteht unter x:p{~ =,judgment'
etwas vollig anderes: Da nach stoischer Lehre die Zustimmung stets einer Aussage
(u~tcoj!U) erteilt wird (vgl. SVF 3,171 Stob. eel. 2,88,2-5 aMo} j.tSv elvm
cruyx:ata9cret~, err' aUo OE opwi~ Kat cruyKata9cret~ j.tSv U~tiDj!U<nV ... ), miisse vor
der Zustimmung die Formulierung einer Aussage angenommen werden (239 , ...
implies a AEK'tov and a proposition or judgment"). Das mag theoretisch richtig sein;
aber fiir die Affektenlehre ist diese Zwischenstufe nicht bezeugt, denn Kp{cn~ kann die
von Lloyd behauptete Bedeutung ,judgment' im Sinne von ,Aussage' aufkeine Weise
haben. Der stehende Ausdruck fiir ,Aussage' ist u~tcoj!U. (Das Bedeutungsfeld von
Kp{~ wird von Galen PHP 4,5, p. 350 Muller, p. 248,21-25 De Lacy= SVF 3, p.
115,6-10) gut umrissen, wo neben der Bedeutung ,Entscheidung' auch die Bedeutung
rreptcrx:Eijlt~ ,DberlegungsprozeB' anerkannt wird.) Auch im folgenden kann man
Lloyd nicht zustimmen. Er trennt die Affekte (,emotions') von den zugehorigen
,feelings' (239), die er als unabhlingig von der Faktorenreihe ,presentations or sense
impressions-representations-judgments-assents' sieht. Dafiir gibt es in den
Zeugnissen nicht den geringsten Anhalt, ebensowenig wie fiir die Behauptung (239)
, ... if Chrysippus said that emotions were erroneous judgments he meant erroneous
judgments that led to irrational feelings". Lloyd erkllirt nun (240), Zenons Definition
der Affekte (,feelings resulting from erroneous judgments'= SVF 1,209a, Galen PHP
5,1, p. 405 Milller, p. 292,18-20 De Lacy ou tu~ Kptcret~ autu~ &UU tu~ emytyvo-
~u~ uumi:~ crumoAa.~ ... dvm tu miOr] sei nicht temporal zu verstehen, sondern im
Sinne einer kausalen hnplikation; mithin seien die Definitionen Chrysipps und
Zenons inhaltlich identisch. Lloyds Verstlindnis von emy{yvecr9at ist zwar nicht
grundslitzlich auszuschlieBen (vgl. z.B. Platon Ph/b. 37b), aber die temporale
Verwendung uberwiegt zu allen Zeiten ganz eindeutig. An zwei Stellen (PHP 4,3, p.
348 Muller, p. 246,37 De Lacy, nicht in SVF; ib. p. 349 Milller, p. 248,19 De Lacy=
SVF 3 p. 115,4) findet sich errecrElut als Synonym fiir emy{yvecr9m; auch hier driingt
sich das temporale Verstlindnis auf Bei dieser Auffassung, die offensichtlich auch
von Galen geteilt wird, bleibt der Unterschied in den Definitionen Zenons und
Chrysipps in voller Schlirfe erhalten.-Auch ein lilterer Versuch, die Abweichung
Chrysipps von Zenon als gegenstandslos zu erklliren, ist unhaltbar. Philippson (154)
vermutet, daB Zenon ,wie Chrysipp ... die crucr'tOAut usw. nicht fiir die rrO.Orj se1bst,
sondern fiir deren Folgen und diese fiir x:p{cre~ hielt." Dieser Meinung war Chrysipp
[4051406] PFLICHT UND ,LUST' 27
Kehren wir zu den moglichen Reaktionen auf eine cpavmcr{a opf. HJ'tt~
zuriick und damit zur Einteilung der Affekte, die sich auf folgende
Weise veranschaulichen laBt:
Gemiitsbewegungen
aru.o~ ~
a"-oyo.; KlVTJ<rt<; richtiges Ziel
napa qn)mv Ktv.:
naSo<; Obennqp richtiges Ma.fJ
(Schema 1)
DaB die Positionen a) und b) fehlerhaft und verwerflich sind, liegt auf
der Hand, auch wenn es im Rahmen der monistischen stoischen
Psychologie nicht leicht einzusehen ist, wie es iiberhaupt zu einem
Fehlverhalten durch Fehlurteile kommen kann. Die Zustimmung, die
den Affekt auslost, gibt ja das ~YEflOVtK6v, das leitende rationale I
Prinzip im Menschen. Das ~YEf.tOVtK6v aber ist Teil des gottlichen
Logos. Kann der gottliche Logos irren? Oder, anders gefragt: 1st es
denkbar, daB eine allumfassende planende Vernunft unzuverlassige
cpavmcr{m opj.LTJ'ttKa{ zulaBt, ist es denkbar, daB sie das erkennende
Individuum mit unzulanglicher Erkenntnisfahigkeit ausstattet? Auf
diese Frage, im Kern die alte Frage nach der Herkunft des Schlechten
gerade nicht; das von Galen referierte wortliche Zitat (PHP 4,2, p. 367 M. p. 240,3ff.
De Lacy = SVF 3, p. 116,3) beschriinkt sich auf die Definition ... n)v ... AU1tTJV
optl;;OJlSVO~ JlElW<llV siva{ <pl]crtV E1tl <pEUK'tfi? OOKOUV'tl U1tUPXElV. Das folgende ist ein
(bOswillig) interpretierender Zusatz Galens, der Chrysipp einen Widerspruch
unterstellen will. Zudem scheidet die von Philippson fiir Kptm<; angenommene Bedeu-
tung aus (aucrtoA.~ als Folge des naSo.;, also als Zustand).
28 PFLICHT UND ,LUST' [406]
20 Vgl. Sextus Emp. math. 7,257 &ve&vlie oox anA.&~ Kprrftptov ytVEtal til~
~TJeda~ ~ KlltaATJ7t'tttal cpavtama, aU' OtllV !lTJiiEv Ev<mJ!lll EXQ. llUtTJ yap &vapy~~
micra Kat ni.TJKttKTt 116vov oiJxt t&v tptxoov, cpam, A.a!i~avetat, Katacrnwcra ~!la~ e~
croyKata9emv; SVF 3,131 (Stob. eel. 2,75,1-3) litacpepetv lie A.Eyoumv aipetov Kat
ATJ7ttOV. aipEtOV !iEY yap dvat tO OP!lfl~ lll>tOtEA.&~ KlVTJ'ttKOV, <ATJ7ttOV lie 8
EUAoytcrt(O~ EKAzrO!lE9U>. 00"(9 lie lit(l(j>EpEt tO aipEtOV tOU ATJ7ttoU ...
autoteA.&~ Long: autoteA.ou~ mss. KtVTJttKOV Canter: VtKTJttKa mss. add. Wachs-
muth (zur Interpretations. Long 1976, 82-85)].
21 Voe1ke 88-91; Kerferd 1978a, bes. 489-491.
[4061407] PFLICHT UND ,LUST' 29
fahig; ist die xapa auf den Weisen beschrankt? Diese Fragen sind
nicht leicht zu beantworten. Xapa wird definiert als naput~ ei5A.oyo~.
Das gleiche Attribut begegnet auch in der Definition des Ka8f1Kov, des
in einem eingeschrankten Sinne Sittlich-Richtigen (SVF 3,493 = Diog.
L. 7,107): enDE Ka9flK6v <pautv dvat 0 npaxeev ei5A.oyov ['t"E] lO"XEl
anoA.oytO"flOV, otov 'tO UKOAoueov tv ["tij] ~rofj, 01tEp Kat E1tt 'ta <pU'ta
Kat ~q,a 8ta't"EtVEt. Man kann zweifeln, ob ei5A.oyo~ bedeutet ,im A6yo~
fest gegriindet' oder aber in einem weniger anspruchsvollen Sinne
,vemtinftig', ,plausibel'. Aber da das Ka9f1Kov I im Gegensatz zum
Ka't6p9rolla auch dem Nicht-Weisen gelingt, spricht alles dafiir, e\5-
A.oyo~ im weiten Sinne als , vemtinftig' zu verstehen. Dann ist auch fur
die xapa nicht der Vollbesitz des A6yo~ Voraussetzung, tiber die nur
der Weise verfiigt, xapa ist dannjede ,vemtinftige' Freude, also auch
die des Nicht-Weisen. Auch bei dieser Auffassung allerdings wird
man ein MindestmaB von theoretischer Einsicht in die Berechtigung
der freudigen Emotion voraussetzen; eine berechtigte und maBvolle,
jedoch ganzlich naive Freude hatte man sicher nicht als xapa
bezeichnet.-Es ist uns jedoch auch eine strengere Auffassung be-
zeugt. So berichtet Philo (SVF 3,671), der <pauA.o~ babe nie AnlaB zur
xapa, da nur die Kardinaltugenden xapa auslosen konnen. DaB nur der
Weise der xapa fahig sei, scheint sich auch aus SVF 3,7622 zu
ergeben: Wenn xapa ein mySvvJ,11a Lfl~ apELfl~ ist, nur der Weise
aber tiber &p~::-nl verfiigt, muB dem Nichtweisen die xapa unbekannt
sein. 23 Seneca24 sagt es ausdriicklich: scio ... gaudium nisi sapienti non
contingere ... Und er tragt noch einen neuen Gesichtspunkt bei: gau-
dio autem iunctum est non desinere nee in contrarium verti. Es scheint
schwierig, aufgrund dieser widerspriichlichen Aussagen eine der
heiden Auffassungen als die ,richtige', d.i. als die der klassischen Stoa
zu bezeichnen. Aber die Widerspriiche hellen sich auf, wenn die
Aussagen tiber die Mfekte in Parallele gesetzt werden mit den
Aussagen tiber die kognitive Erkenntnis und tiber das praktische
Handeln. Auch hier gibt es manche Unklarheiten in der Terminologie;
auch hier ist das Gemeinte jedoch vollig klar.
22 Diogenes L. 7,94 {wtoiltov o' dvat n]v clPETJlV) OOCH'tE> j.l'tSxOvta 'tU~ 'tE
npa~El~ 'tel~ KU't' c:ipt:n)v Kat lOU~ crnouoa{ou~ dvat, E7ttyEVVI]J!a'tU OE n1v 'tE xapelv Kat
n)v Wq>pocr6VT]V Kat 'tel napa7tA~crta.
23 Vgl. auch SVF 3,438 (Cicero, Tusc. 4,12): earn (die ~OUATJ~) putant in solo
esse sapiente.
24 Ep. 59,2 (SVF 3,435).
30 PFLICHT UND ,LUST' [4071408]
Kognitive Erkenntnisvorgiinge
zu Un~t;cht / ~ zu Recht
erte/ ~eilt
'!'WOO<;
(06~a i.w.S.)
schwach
c. KUtUAfl'!'l<;,
lmcm1J.trt
(Schema2) I
Sowohl die opf.L~ nA.covasoucra als auch die M~a sind ja nicht vollig
verkehrt, es fehlt jeweils nur an der notigen Kraft, am -r6voc;, den
Affekt zu ztigeln bzw. die <pav-racria kraftig zu packen, so daB die
OUYJ(a-ra9ccrt<; zur ,Ergreifung', zur KUTUAT}'Ift<; wird. Dem <pauA.oc;
milllingen nun aber nicht samtliche cruyKa-raescrctc;. In einigen Fallen
erteilt er die Zustimmung zu Recht, ist sich dessen auch bewuBt, und
packt darum so fest zu, daB wirkliches Wissen entsteht, zunachst
freilich nur ein partielles Wissen von isolierten Einzeltatsachen. Sol-
che Erkenntnisakte heiBen, wie eben bereits gesagt, KamA~'IfEt<;,
,Erfassungen'. Diese Art des Erkennens hat der Nicht-Weise mit dem
Weisen gemeinsam. Das kann auch nicht anders sein, denn jede ein-
zelne Ka-raAT}'Ift<; ist in sich vollkommen; auch der Weise kann also im
[4081409] PFLICHT UND ,LUST' 31
Einzelfall nicht noch besser erkennen. Der Unterschied ist aber der,
daB der Weise eine Ka'taA:rpJ!t<; an die andere reiht, wlihrend dem
Nicht-Weisen-auch im fortgeschrittenen Stadium-doch immer
wieder eine fehlerhafte Zustimmung, \j!WDO<; oder M~a, unterlauft.
Der Ubergang vom Toren zum Weisen vollzieht sich nun nach
stoischer Lehre bekanntlich nicht graduell, sondem als punktueller
Umschlag. Sobald die Weisheit erreicht ist, ordnen sich aile einzelnen
KUTUA~\j/Et<; zu einem System, das sich gegenseitig stiitzt und dadurch
jeden Irrtum fortan unmoglich macht. Dies in sich festgefiigte Wissen
des Weisen heiBt E1ttO"~Illl Der gleiche Ausdruck bedeutet jedoch
gelegentlich auch das einzelne vom Weisen erkannte Faktum, das mit
einer KUTUAT]\jlt<; zusammenfallt, jedoch weil es einen Teil des Systems
der mcr~1111 bildet, unwandelbar und unverlierbar ist. Die Entwick-
lung lli.Bt sich etwa folgendermaBen veranschaulichen:
(Schema 3)
25 Die Identitiit kann rein auBerlich, also zufallig sein (vgl. SVF 3,498 =Cicero fin.
3,59, wo die Gesinnung des Handelnden offenbar gar keine Rolle spielt). Der npmc6n-
tow jedoch liiBt sich mehr und mehr auch von sittlichen Grundsiitzen leiten (vgl. Kidd
1978 und u. Anm. 26), die freilich noch nicht von der vollen Einsicht getragen sind.
26 Es ist zuniichst nicht einzusehen, daB nicht auch dem npoK6ntwv einzelne
Katop9ffi!J.ata gelingen sollten, und ein Zeugnis scheint diese Moglichkeit in der Tat
anzuerkennen: SVF 516b = Sext. Emp. math. 11,207 '1\.Um OE eimv oi t<'Q otoJ.UXA.tcr-
!lCV KUl ta/;Et taiha owp{Sccrem VO!J.tsOVtE<;. Kaea. yap E1tl t&v !!Ecrwv tEXVIDV i'Ot6vecrn
tou tcxvhou to tEtay!!Evw<; nnotEtv Kat to ev tot<; anotEAEcr!J.am oto!J.a.AtsEtv (nm~
crat yap Uv 1t0tE KUl iOtcOTTJ<; to tEXVlKOV epyov, UMU crnavtw<; KUl ou 1tUVtOtE, oUOE
KUtU to auto KUl fficrautw<;), fi>oE KUl tOU ~ q>pOVl!J.OU q>UcrlV epyov Etvat tO Ev tot<;
Katop9ffi!J.am Oto!J.UAtsEtv, tou ot uq>povo<; touvaVt{ov (vgl. dazu Tsekourakis 53).
Der Weise ware dernnach vom npoK6ntwv nur durch die Unbeirrbarkeit der q>p6VTt~
unterschieden. Aber dieser Text steht isoliert. Weshalb das Kat6p9w!J.a dem Weisen
vorbehalten ist, hat unliingst I. G. Kidd (1978) einleuchtend gezeigt. Er wendet sich
gegen neuere Versuche, die stoische Ethik in zwei voneinander scharf getrennte Sphii-
ren zu zerlegen: in den Bereich der KU~KOVta, in dem allein das inhaltliche Ziel tiber
den Wert der Handlungen entscheidet, und in den Bereich der Katop9ro!J.ata, in dem
nur noch die Gesinnung des Handelnden von Gewicht sei. Auch in der (dem Weisen
vorbehaltenen) Sphiire der Katop9ffi!J.Uta behalte das inhaltlich bestimmte Ziel seine
volle Bedeutung, wiihrend umgekehrt auch in der Sphiire der KU~Kovta ein Handeln
ohne sittliche Grundsiitze gar nicht moglich sei. In jeder konkreten Situation sei niim-
lich eine Auswahl unter mehreren konlcurrierenden npotlY!!Eva zu treffen, so daB stets
auch unbestreitbare npmlY!!Eva ,zuriickzusetzen' seien. (Zum Problem der stets nur
relativen Giiltigkeit der Ka9~Kovta vgl. jetzt auch White 111-115.) In vollendeter
Weise konne diese Auswahl nur der Weise treffen. Zwar bilde auch der Nicht-Weise
seine sittliche Einsicht immer weiter aus; sie sei jedoch noch nicht vollkommen und
verdiene noch nicht die Bezeichnung q>p6VT]crt<;. (Kerferd 1978b, bes. l34f., betont
ebenfalls die Interdependenz von ,How' und ,What'; seine Darlegungen sind jedoch
auf den Weisen beschriinlct.) Eine auf einen isolierten Akt beschriinkte q>p6VT]crt<; des
Nicht-Weisen konne es nicht geben und damit auch kein isoliertes Kat6p9w!J.a des
1tpOK61ttWV.
27 Vgl. u. a. SVF 3,510 (Stob. 4,39,22): Xpucrt1t1t0U. '0 o' en' UKpov, q>TJcr{, npo-
K61tt(OV anuVta naVtw<; anoofOwm tO. Ka9~Kovta Kat oooev napamnEt. tov ot tOUtou
~{ov OUK dva{ 1t(O q>TJO"lV EUOUl!J.OVU, aU' EntytvEcr9at aut<'Q n]v EUOUl!J.OvlUV, OtaV ai
!!Ecrm npai;Et<; a~tat npocrM~wm to ~E~atOV KUl EKttKOV KUl io{av nfjl;tv nva
M~wmv.
[4091410] PFLICHT UND ,LUST' 33
KUtclAT]Ijlu; =
kognitiver Bereich lfleUOo~, M~a KUtclAT]Iflu;
lmcm11lTJ
praktisch-sittlicher KaSfjKov=
UflUP'tTJilU Ka8fjKOV
Bereich Kat6p8roflU
mieo~ (?)
Affekte im &Una8eta
naeo~ &UnaSeta (?)
allgemeinen ne'tm~
ne'tm~ (?)
(Schema4)
28 Sandbach (67f.) betont, daB die Beschrii.nkung der xapa auf den Weisen nur
dann iiberzeugen kann, wenn der Gegenstand der xapa ausschlieBlich die ,wahren'
Giiter, d.i. die Tugenden sind. Dieser Auffassung war z. B. Seneca: ep. 59,2 gaudium
... est animi elatio suis bonis verisque fidentis; ib. 16 gaudium hoc non nascitur nisi
ex virtutum conscientia. Die weitaus iiberwiegende Zahl der Zeugnisse laBt jedoch
keinen Zweifel daran, daB der Gegenstand der xapa der gleiche ist wie der der
Ka811Kovta: der weite Bereich der Kata q>umv. (Vgl. auch u. S. 36 [412]) Mit Recht
34 PFLICHT UND ,LUST' [410\411]
erkHi.rt Sandbach, daB unter dieser Voraussetzung nicht Ieicht einzusehen ist, daB der
npoK6ntwv niemals xup<i empfinden sollte. Seine vorsichtig geiiuBerte Vermutung
(68) jedoch, Plutarch u.a. hiitten die stoische Lehre in diesem Punkte miBverstanden
und verflilscht, wird man nicht teilen mogen. Das MiBverstiindnis liegt vielmehr bei
Seneca (vgl. auch u. S. 35 [411]). Die Annahme einer ,richtigen' Freude auch des
Nicht-Weisen ist zwingend; wie man sie bezeichnet hat, muB ofTen bleiben.
29 ,Richtig' im Sinne des KU9fjKov, nicht des Kat6pewllu, in anderen Worten: Die
Gemiitsbewegung des Nicht-Weisen, vor allem die des npoK6mwv, ist als Phiinomen
(in der Zielrichtung wie in der lntensitiit) mit der des Weisen identisch; es fehlt jedoch
noch die Einsicht in die Berechtigung der Emotion. Almlich wie beim Ka9ijKov kann
die ,Richtigkeit' rein iiuBerlich und zufallig sein; aber beim npoK6ntwv wird man
auch hier ein schrittweises Heranreifen an die voile Einsicht annehmen durfen (vgl.
Anm. 25). Eine vollendete xupci des Nicht-Weisen allerdings kann es ebensowenig
geben wie ein Kat6pewllu (vgl. Anm. 26): Die Bestimmung des ,rechten MaBes'
bedeutet stets ein Abwiigen zwischen konkurrierenden Werten; dies Abwiigen aber
setzt eine vollendete Einsicht in den kosmischen Logos voraus.
[4111412] PFLICHT UND ,LUST' 35
3 Ciceros Wortlaut scheint ebenso wie SVF 3,510 (vgl. o. Anm. 27) auf eine
Phase unmittelbar vor Erlangung der ,Weisheit' hinzuweisen, in der der npoK01tTOOV
faktisch bereits wie der Weise unfehlbar ist. Vielleicht ist aber in heiden Texten nur
gemeint, daB im letzten Stadium fast keine Fehler mehr unterlaufen.
31 Auch Ciceros Obersetzung von eumi8cta mit constantia (SVF 3,438 = Tusc.
wise man ... is possessed of three basic and stable (meine Hervorhebung) emotional
... dispositions."
33 Vgl. auch SVF 3,103. p. 25,2 und SVF 3,210, p. 50,23.
[4121413] PFLICHT UND ,LUST' 37
konnte verstanden werden als ein Streben nach xapa, die gesamte
stoische Ethik ware einem Hedonismus sehr nahe geriickt.
Aber davon kann keine Rede sein. Nicht Freude ist dem Weisen
garantiert, sondern sUOatf.tOVta, was vielleicht am besten mit Seelen-
ruhe iibersetzt wird. Und dem Weisen ist garantiert, daB er freudige
Empfindungen, wenn sie ihm beschieden sind, stets in der richtigen
Form, als xapa, empfindet. Das gibt uns AnlaB zu einer letzten Frage.
Ist die xapa des Weisen eine schwachere, eine stumpfere Freude als
die ~oovfJ? 1st sie auf den geistigen Bereich beschrankt? Darf der
Weise nur mit Vorbehalt, nur innerhalb I enger Grenzen Freude
empfinden? Die Fragmente bieten keinen Anhaltspunkt fiir solche
zunachst naheliegenden und oft geauBerten Annahmen. Eine unter
dem Namen Andronikos iiberlieferte Schrift Ilept na8&v, die in
diesem Punkte sicher stoisch beeinfluBt ist, nennt als Unterarten der
xapa: TEp\jftc;, clcppocrUVIl, s68uflta. 34 TEp\jftc; aber ist die angemessene
Freude am Niitzlichen fur die eigene Person, bezieht sich also auf
Korperliches und AuBeres. Die auf den geistigen Bereich beschrankte
clcppom)VIl ist nur eine von mehreren Moglichkeiten der xapa. Die
enge V erwandtschaft von xapa und ~oov~ beweist auch eine bei
Galen mehrfach iiberlieferte Definition der ope~tc;, die als positives
Gegenstiick zur em8UfllU erscheint: opil;;e'tal youv a1rn1v Opfl~V
A.oyt!d)v eni n ocrov XP~ ~8ov. 35 Nicht durch ihren Gegenstand unter-
scheiden sich xapa und ~oovfJ (als opfl~ nA.eova<;;oucra), sondern durch
die ,Richtigkeit' der xapa. Nicht durch Abstriche ist die xapa gegen-
iiber der ~8ovft charakterisiert, sondem durch ein Mehr, eine zusatz-
liche Dimension: durch das Wissen urn ihre eigene Berechtigung. Es
ist nicht einzusehen, weshalb ein solches Wissen die Intensitat der
Freude dampfen sollte. Auch die Definition des Pathos als einer opfl~
nA.eova<;;oucra zwingt nicht zu der Annahme, die xapa des W eisen sei
grundsatzlich verhalten und schwach. Erstens ist es, wie betont, nicht
sicher, ob ~oovfJ und AU1tTJ als gegenwartsbezogene Affekte iiberhaupt
unter diese Definitionen zu subsumieren sind. Aber selbst wenn das
Verbot des nA.eova<;;etv auch fur die Freude gilt: Es ist nirgends
bezeugt, daB es fiir jede Freude ein ,rechtes MaB' gibt, und die Pole-
rnik der Stoiker gegen die peripatetische Lehre von der Metriopathie
ist nicht nur irn negativen Sinne zu verstehen. Ferner: ITA.eovasEtv ist
ein relativer Begriff, auf die jeweilige Situation bezogen. Wenn durch
ein OberrnaB an Freude tiber ein geringerwertiges npOflYf.UNov die
Erlangung eines hoherwertigen npOflYJlEvOV geHihrdet wird, hat die
Wamung vor dern nA.eovasEtv-nicht nur innerhalb des stoischen
Systerns-ihren guten Sinn. Aber sie ist nicht zu verstehen als eine
Mahnung, das berechtigte MaB an Freude nur halb auszukosten.
Das populare Bild des stoischen Weisen, der weder von Freude
noch von Leid beriihrt wird, hat sich als unhaltbar erwiesen, ebenso
wie Senecas romantisierende Version, der Weise lebe dahin in steter
geistiger Freude. Das Ideal hat einige rnenschliche Ziige gewonnen
und ist dadurch attraktiver geworden. An der Schwierigkeit, es zu
erreichen, hat sich freilich nichts geandert, denn urn jede Freude als
xapa zu erleben, urn niernals in ~&ovft zu verfallen, ist der Erwerb der
wahren und vollstandigen nt<rn1Jlll unabdingbare Voraussetzung, und
dieser Voraussetzung gegeniiber gibt es einstweilen nur npo-
K01t'tovw;. 36 I
Literaturhinweise:
A Bonhoffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen zur stoischen Philosophie,
Stuttgart 1890, S. 261-316.
W. Gorier, Acr9cvTj~ cruyKa'ta9Em~. Zur stoischen Erkenntnistheorie, Wiirzburger
Jahrbiicher fur die Altertumswissenschaft, N. F. 3, 1977, S. 83-92. [s.o. S. 1-15]
J. B. Gould, The Philosophy of Chrysippus, Leiden 1970 (Philosophia Antiqua, 17),
s. 181-198.
A. Graeser, Zenon von Kition. Positionen und Probleme, Berlin u. New York 1975,
bes. S. 135-138; 154-172.
R. P. Haynes, The Theory of Pleasure of the Old Stoa, Am. Joum. Phil. 83, 1962,
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G. B. Kerferd, The Search for Personal Identity in Stoic Thought, Bulletin of the John
Rylands University Library of Manchester 55, 1972. S. 177-196 (a).
- - , Cicero and Stoic Ethics, in: Cicero and Virgil. Studies in Honour of Harold
Hunt, ed. by J. R. C. Martyn, Amsterdam 1972, S. 60-74 (b).
- - , The Origin of Evil in Stoic Thought, Bulletin of the John Rylands University
Library of Manchester 60, 1978, S. 482-494 (a).
- - , What Does the Wise Man Know?, in: The Stoics, ed. by J. M. Rist. Berkeley
usw. 1978, s. 125-136 (b).
36 Fiir wichtige Hinweise und fruchtbare Kritik danke ich H. F. Chemiss, A. Dihle,
Galens Schrift De Placitis Hippocratis et Platonis (PHP) wird zitiert nach der
Ausgabe von P. H. De Lacy, Berlin 1978 (Corpus Medicorum Graecorum
5,4,1,2),
P1utarchs Schriften iiber die stoische Lehre nach der Ausgabe von H. Chemiss:
Plutarch's Moralia in 17 volumes, vol. 13.1-2, Cambridge, Mass. 1976 (The
Loeb Classical Library).
3
*) Fiir fruchtbare Kritik und wichtige Hinweise danke ich Jaap Mansfeld (Utrecht)
und Peter Steinmetz (Saarbriicken).
1 Die oben ausgeschriebenen Obersetzungen aus: M. Tulli Ciceronis De fato,
Determinism in the Stoic Theory of Human Action, in: Problems in Stoicism, ed. by
A. A. Long, London 1971, S. 172-199, bes. 181f.; ders., Hellenistic Philosophy,
London 1974, S. 167; ders., The Early Stoic Concept of Moral Choice, in: Images of
Man in Ancient and Medieval Thought. Studia G. Verbeke dicata, Leuven 1976, S.
77-92, bes. 83; A. J. Kleywegt, Fate, Free Will and the Text of Cicero, Mnemosyne
26, 1973, S. 342-349, bes. 342f; P. L. Donini, Fato e volonta umana in Crisippo, Atti
Accad. Torino, cl. sc. mor. 109, 1975, S. 187-230, bes. S. 188, 223 (dort vergri:ibert:
,due generi fondamentali, esterne ed interne"); K.-H. Rolke, Die bildhaften Ver-
gleiche in den Fragmenten der Stoiker von Zenon his Panaitios, Hildesheim 1976, S.
376 Anm. 150; J. Dillon, The Middle Platonists, London 1977, S. 86 (,external and
internal causes"); M. van Straaten, Menschliche Freiheit in der stoischen Philosophie,
Gymnasium 84, 1977, S. 501-518; M. Frede, The Original Notion of Cause, in: Doubt
and Dogmatism. Studies in Hellenistic Epistemology, ed. by M. Schofield, M.
Bumyeat, J. Barnes, Oxford 1980, S. 217-249, bes. 237-246; R. Sorabji, Causation,
Laws and Necessity, ebda. S. 250-282, bes. 272-276; R. W. Sharples, Necessity in the
Stoic Doctrine of Fate, Symbolae Osloenses 56, 1981, S. 81-97, hier S. 85 (,external
stimulus and the agent's character, the latter being the more important factor"); M.
Forschner, Die stoische Ethik, Stuttgart 1981, S. 96f. (,vorausgehende Ursachen und
Hauptursachen"); B. Inwood, Ethics and Human Action in Early Stoicism, Oxford
1985, S. 46. A. Magris, L'idea di destino ne1 pensiero antico, vol. 2, Trieste 1985, S.
535 m. Anm. 180; Sophie Botros, Freedom, Causality, Fatalism and Early Stoic
Philosophy, Phronesis 30, 1985, S. 274-304, hier S. 283f.; R. W. Sharples, Soft
Determinism and Freedom in Early Stoicism (Auseinandersetzung mit Botros),
Phronesis 31, 1986, S. 266-279, hier S. 272f.; M. J. White, Agency and Integrality.
Philosophical Themes in the Ancient Discussions of Determinism and Responsibility,
Dordrecht usw. 1985 (Philosophical Studies Series in Philosophy. 32), S. 121f und
136f (mit vorsichtiger Formulierung, Zweifel am iiberlieferten Text); J. Ta1anga,
Zukunftsurteile und Fatum. Eine Untersuchung iiber Aristoteles' De interpretatione 9
und Ciceros De Jato ... , Bonn 1986 (Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Klassische
Philologie 36), S. 132f Diese Arbeiten werden im folgenden nur mit dem Verfasser-
namen (ggf. mit Erscheinungsjahr) zitiert.
2 Unsere Stelle ist nach Ausweis der Lexika der friiheste Beleg iiberhaupt. Aber
Lukrez gebraucht an zwei Stellen (2,423 und 5,246) principia/is (principalis ist im
Hexameter nicht verwendbar) in der Bedeutung ,anfanglich'. Das war Cicero durch
seine Herausgebertatigkeit (Hieronymus bei Eusebius chr. p. 149, 24 Helm [Gr.
Christl. Schr. 7]; Cicero ep. Q. Jr. 2,10,3) vermutlich bekannt: Noch Quintilian
verwendet inst. 9,1,4 in der Defmition des Tropus principalis im Sinne von
,urspriinglich'. Fiir Ciceros Sprachgebrauch bezeichnend auch Ac. 1,26 earum ...
qualitatum sunt aliae principes, aliae ex his ortae.
42 ,HAUPTURSACHEN'? [2551256]
3 Die gleiche Verwendungfat. 36, wo die Frage nach einer Hinger zuriickliegenden
Ursache fiir das Schicksal Philoktets zuriickgewiesen wird mit der Begriindung: post
autem causafuit propior et cum exitu iunctior.
4 Vgl. auch Cicero, part. or. 94 sunt autem aliae causae, quae aut propter
5 Diese Stelle nahm Madvig (M. Tullii Ciceronis De finibus bonorum et malorum
Rede war. In Diogenes Laert. 7,43 wird als Teil der Semantik erwiihnt m:pt yevffiv Kat
do&v. Damit ist offenkundig die Einteilungslehre (otatpEm<;) gemeint. ,Nach einem
salopperen Sprachgebrauch kann also yf.vor:; im Sinne von otatpEm<; verwendet
werden" (brieflicher Hinweis von J. Mansfeld).
7 Dazu steht es in merkwiirdigem Gegensatz, daB Cicero auf seine eigenen
sauberen divisiones sehr stolz war und z.B. den Epikureem Ungenauigkeiten vorwarf
(fin. 2,26).
44 ,HAUPTURSACHEN'? [2571258]
aliae autem ... und ib. 63 omnium autem causarum in aliis inest incon-
stantia, in aliis non inest. Es gilt also festzuhalten: Mit ungeschickten
und unprazisen Formulierungen durch Cicero ist zu rechnen. I
DaB es richtig ist, die Begriffe causae peifectae und causae
principales zu trennen, zeigt sich noch deutlicher, wenn man versucht,
Ciceros Bezeichnungen mit den uns aus mehreren Berichten8
bekannten griechischen Termini der stoischen Lehre von den verschie-
denen Ursachen in Obereinstimmung zu bringen. Perfectus ist ohne
jede Frage die Wiedergabe von a\rron:A-~~- 9 Aber welcher griechische
Ausdruck verbirgt sich hinter Ciceros causae principales? Filr die
bislang vertretene Bedeutung ,Hauptursache' sucht man vergeblich
nach einem griechischen Aquivalent, und das ware unerklarlich, wenn
die Unterscheidung von ,Haupt'- und ,Nebenursachen' in der Antike
wirklich getroffen worden ware. Man hat zu Fiktionen gegriffen:
Turnebus 10 paraphrasierte kiihn a\rronoA1~ ahtat Kat K'6ptat. Bei
Pohlenz 11 sind daraus-ohne jeden Hinweis auf die Quellenlage-
m'rro'tEAct~ Kat KDptmm'tat ah{m geworden; vorsichtiger dann wieder
Frede: 12 ,We may assume that the Greek underlying Cicero's ,For of
causes some are perfect and principal ... ' is something like this: , ... of
causes some are autotele and kuria (or kuriotata)'. " 13 Ein solches
ai-na oder 'to atnov, wie schon Galen (9, p. 458, 7f. Kiihn) festzustellen fiir notig hielt:
cUiiT]AoV ()' on lita<pepet I!TJiiEv ~ 9T]AUK&~ ebtetv atria~ ~ oUiie'tEpro~ atna. Die bei
Arius Did. fr. 18 Diels = Stob. eel. 1,138,23-139,4 = SVF 2,336 fur Chrysipp
bezeugte Unterscheidung von ah{a und atnov steht ganz vereinzelt. Mit Recht hat J.
Mansfeld (Mnemosyne 31, 1978, 157) von dieser Stelle ausgehende Uberlegungen A.
Graesers (Zenon von Kition, Berlin und New York 1975, 83) in Frage gestellt.
9 Es ist auffallend, daB in den liingeren Listen die ah{a m'no'teA~~ nur als
angebliches Synonymon zur ah{a cruveKn~ erscheint (vgl. dariiber u. Anm. 34). Das
kann daran liegen, daB die Stoiker eine ,aus sich selbst heraus vollkommene'
Ursache nicht gelten lieBen, da sie alles Geschehen durch das Zusammenwirken von
verschiedenen Ursachenarten erkliirten. Aber selbstverstiindlich kannten und
benutzten sie das Wort; vgl. z. B. Plutarch, Stoic. rep. !056B = SVF 2,997 (dariiber u.
s. 47 [261]).
10 In seinem zuerst 1552 erschienenen Kommentar (abgedruckt bei BayerS. 119-
165).
II S. 106.
12 s. 239.
13 Es ist irrefiihrend, wenn Rieth 138 und 143 im AnschluB an SVF 2,344 =
Clemens Alex., strom. 8,9,25,5 Stiihlin atnov liE KUp{ro~ AEye'tat 'to napeKnKov 'ttvO~
evepY'lnK&~ von ,dem' KUptro~ atnov spricht, als ob es sich urn eine Ursachenart
handele. Kup{ro~ heiBt selbstverstiindlich nur ,im eigentlichen Sinne'.-Auch die
Versuche, principalis mit einem fur die stoische Ursachenlehre bezeugten
griechischen Terminus zu verbinden, sind miBlungen. Forschner (90; iihnlich vorher
[2581259] ,HAUPTURSACHEN'? 45
Suchen I und Tasten erweist sich sofort als tiberfltissig, wenn man von
der richtigen Bedeutung ,anfanglich' ausgeht. Cicero hat mit causa
principalis offensichtlich atnov npoKampKttK6v wiedergegeben, 14 ein
Terminus, der in allen Darstellungen der stoischen Ursachenlehre, oft
an erster Stelle, begegnet. Betrachten wir die wichtigsten Aussagen
tiber diese Art von Ursache. Nach Clemens Al., strom. 8,9, 25,1-4 (p.
95f. Stiihlin) = SVF 2,346 handelt es sich bei den atna npoKa'tapK-
nKa urn a npomoc; aq>opll~v nap~::x611EVa ~::ic; o yiyv~::creai n. Als
Beispiel fiihrt Clemens an: Ka8anEp 'to KaM.oc; wtc; aKoA-acrwtc; wu
eponoc; oq>e\1 yap mhot:c; ~v spom~v 8ta8EO"lV E!!1tOlEt !lEY, ou ll~V
KaTilvayKacrllE\Iwc;. Ein atnov npoKa'tapKnK6v, eine ,vorbereitende'
oder ,Anfangsursache', schafft demnach eine bestimmte Voraus-
setzung, eine Pradisposition, fiir ein spateres Geschehen, aber nicht
,zwangslaufig' (diese Einschrankung bezieht sich selbstverstandlich
auf eine mogliche Tat des aK6Aacroc;, nicht auf ~v 8ta8~::mv E!!1tOlEt).
Es handelt sich urn eine bloBe ,Bereitschaft'. Bezeichnend ist der im
Beispiel verwandte Begriff 8ta8~::mc;, Zustand. Denn es liegt in der Art
einer solehen auf ihre Verwirklichung gewissermaBen wartenden
,Vor-Ursache', daB sie tiber einen langeren Zeitraum hin da ist.' 5 l
schon Rieth 142f. ohne nahere Begriindung) geht aus von SVF 2,351 = Clemens
Alex., strom. 8,9,33,2 St. TO Be m>VEK'ttKOV O'UVOOvUj.lffi~ Kat amoreA~ KaAoUcrtV,
bteto~ aunipKOO~ Ot' ainou 1totll'ttKOV EO'Tl TOU anoret.lcrJ!UTO~ (s. dazu unten Anm.
34) und folgert: ,Vermutlich hat Cicero m>VEKTtKOV mit principalis und auroret..~ mit
perfecta iibersetzt und in die Forme! causa perfecta et principalis zusammen-
gezogen." Das ist nachweisbar fa1sch; nicht nur wei1 principalis sich dann gar nicht
mehr von perfecta unterschiede, sondern vor allem, wei! Cicero m>VEKnK6~ im
gleichen Zusammenhang (fat. 44) zweimal mit continens iibersetzt; die causa
continens aber ist die causa (adiuvans et) proxima. W. C. Greene (Moira. Fate, Good
and Evil in Greek Thought, Cambridge, Mass., 1944, S. 349) setzt Ciceros causa
perfecta et principalis mit npo11youJ.tEvr1 ahia gleich. Das ist eine denkbare
Entsprechung fiir principalis (nicht fiir perfecta). Trotzdem kann auch dieser
Vorschlag nicht iiberzeugen. In den bekannten Listen der von den Stoikern unter-
schiedenen Ursachenarten (SVF 2,346-354) erscheint nirgends eine 1tPOllYOU!!Evll
ah{a, und das ist nicht iiberraschend, denn npo11yei:cr8at heiBt im Zusammenhang mit
ahta!atnov ganz allgemein ,vorausgehen': j ede Ursache ist also ftir die Stoiker eine
npo11youJ.tEvr1 ah{a (vgl. u. Anm. 30).
14 Soweit ich sehe, ist diese Entsprechung bisher nur zweimal vorgeschlagen
Clemens Alex., strom. 8,9,33,1 p. 101 Stiihlin = SVF 2,351 p. 121,25 r&v ~ ouv
1tj)OKarapKnKWV aipoJ.tEyoov J!EvEtTO U1t01:EAEO'J!U, Galen 9, p. 2, 11-13 Kuhn ocra ~
e~ooeev ovra TOU O'OOJ!UTO~ UMotot n r&v Kar' aur6, 7tpOKU1:UpKrtKU Myerat,
46 ,HAUPTURSACHEN'? [2601261]
bekanntlich, in dieser Hinsicht sei der Mensch frei, und darin sieht
Plutarch einen uniiberbriickbaren Widerspruch zur Lehre von der alles
bestimmenden Heimarmene (1056B ... o1x~::m 'tO navnov ah{av ~::tvat
TI)v Etf.!apf.!EvT}V). Folgende Ausflucht will Plutarch nicht gelten lassen
(1056B = SVF 2,997): ... on Xpucrmnoc; OUK aU'tO'tEAfj 'tOU't(J)V (d.i.:
'tOU Ka'top8ouv, <ppOVElV USW.) ah{av a~ 1tpOKa'tapKTIKftV f.!OVOV
enot~::l'to TI)v Etf.!ap f.!Evf}V. 18
Was Plutarch (nicht unbedingt auch Chrysipp) mit der Unter-
scheidung von ah{a au'tO'tEA~c; und ah{a npoKampKn~ meint, ist
klar: Die Heimarmene ist eine ,pradisponierende' Ursache fiir
menschliches Verhalten-mehr nicht (f.!OVov). Im Gegensatz zu einer
,vollendeten' Ursache (aina aU'tO'tEA~c;) ist sie fiir spatere Verande-
rungen offen. Das verdeutlicht Plutarch gleich darauf (1 056C) noch
einmal unter Benutzung des stoischen Begriffsapparats: 'tO ...
npommpKnKOV a1nov acr8EVEO"'tEp6v Ecr'tt 'tOU aU'tO'tEAouc; Kat OUK
E~tKVEl'tat Kpa'tOUf.!EVOV {:m' aUrov Evtcr'taf.!EvOOV, ahnlich wenig spater
(1056D) npoKa'tapKnKft 8. (o\)cra ~ TI~::nprof.!Evf}) 'tO aKmAu'toc; ~::tvat
Kat 'tEA~:>moupyoc; an6Uumv ,wenn Chrysipp die Vorsehung als
(bloBe) aina npoKa'tapK'ttK~ auffaBt, ist sie nicht mehr ,ungehindert'
(d.i. unbeeinfluBbar durch andere, spater hinzutretende Ursachen) und
erreicht nicht immer ihre Ziele."
Die Bewertung dieser Argumentation ist schwierig. 19 Plutarch
behauptet nicht, wortlich zu zitieren, und in der Tat ist es kaum denk-
bar, daB Chrysipp von der Heimarmene gesagt haben sollte, sie sei nur
ah{a npoKampKn~, also fiir V eranderungen I offen. 20 Das hieBe ja,
18 Eng verwandt ist Ciceros Argumentation in fat. 9: ... fatemur, acuti hebetesne,
valentes imbecilline simus, non esse id in nobis. qui autem ex eo cogi putat, ne ut
sedeamus quidem aut ambulemus voluntatis esse, is non videt, quae quamque rem res
consequatur. ut enim et ingeniosi et tardi ita nascantur antecedentibus causis itemque
valentes et imbecilli, non sequitur tamen, ut etiam sedere eos et ambulare et rem
agere aliquam principalibus causis definitum et constitutum sit. Auch hier ist das
Wirken der Heimarmene beschriinkt: Anderungen in Einzelheiten bleiben moglich,
denn das Einzelne ist nicht principalibus causis (das entspricht Plutarchs ainu
npoKampKnKJl) festgelegt. An dieser Ubereinstimmung ist merkwiirdig, daB Cicero
gegen Chrysipp argumentiert, Plutarch dagegen einen flktiven Anwalt Chrysipps
reden laBt. Wahrscheinlich hat Plutarch Chrysipps Lehre in polemischer Absicht
simpliflziert (siehe oben), urn ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen zu konnen. Die
Annahme einer gemeinsamen akademischen Quelle (Antiochos?) drangt sich auf
19 Zur Frage der Authentizitat (wortliches Zitat, Interpretation der eigenen Schule,
aus Chrysipp (SVF 2,1000 = Gellius 7 [6], 2,11): ... ordo et ratio et necessitas fati
48 ,HAUPTURSACHEN'? [262]
21 Wichtig in diesem Zusammenhang ist das folgende bei Gellius erhaltene Zitat (7
[6], 1,7-13 = SVF 2,1170): (Chrysippus) existimat ... non fuisse hoc principale
naturae consilium, ut faceret homines morbis obnoxios ... eaque per naturam (d.i.
,diese Ubel seien zwar auch von der Natur erzeugt, jedoch ... ', die hier meist gegen
die Autoritiit der Handschriften eingeschobene Negation ist eher storend), sed per
sequel/as quasdam necessarias facta dicit, quod ipse appellat Krt"ta rrapaKoA.o68r}mv.
Leider ist nicht leicht zu entscheiden, ob principale und per sequel/as (Kata
rrapaKoA.ou8t]crtv) temporal oder logisch aufzufassen sind. Gegen die logische
Auffassung (,Hauptplan', der wegen synchroner lmplikationen zu iindem war) lii/3t
sich einwenden, daB Chrysipp die Versicherung, es sei nicht die Hauptabsicht der
Natur gewesen, die Menschen krank zu machen, kaum fiir notwendig gehalten haben
diirfte. Wenn man aber den Satz temporal auffaBt, darf man eine Beziehung sehen
zwischen dem principale consilium (= ,urspriinglicher', nachtriiglich veriinderter Plan)
und den ah{m rrpoKampKnKaL 1m ubrigen zeigt der Text klar, daB das nur
,prokatarktisch' Festgelegte keineswegs beliebig veriinderbar ist: die Obel sind ,von
der Natur gemacht', also von der Heimarmene, und sie sind ,notwendige'
F olgeerscheinungen.
22 So auch Pohlenz S. 107, Theiler S. 62 Anm. 2 (74 Anm. 122), Donini 189f. m.
Anm. 3, die jedoch die atna rrpoKa"tnpKnKa mit Ciceros causae adiuvantes gleich-
setzen. Mit Ciceros Text (top. 59) vollig unvereinbar ist Dillons (S. 87) Deutung als
,material causes".
50 ,HAUPTURSACHEN'? [26312641265]
perceptio, comprehensio. Vgl. Hans-Joachim Hartung, Ciceros Methode bei der Uber-
setzung griechischer philosophischer Termini, Hamburg, Phil. Diss. 1970, hier S. 26 f.
24 Die Anwendung dieses Gegensatzpaares auf cpavwcr{a und cruyKa'ta9ecrt~ ist
sehr problematisch, denn eine <pUV'tacrta kommt nicht immer von ,auBen', wie
Sharples 95 Anm. 40 mit Recht betont. Aber Sharples tut Cicero unrecht, wenn er ihm
unterstellt, seine Ubersetzung visum trage diesem Sachverhalt nicht Rechnung. Videre
(und mehr noch videri) bezeichnen oft unsinnliche Vorstellungen, Meinungen u. a. Im
ubrigen ist auch <paV'tama von einem Verbum des optischen Bereichs abgeleitet.
[2651266] ,HAUPTURSACHEN'? 51
25 Zu den griechischen Termini fiir die ,mitwirkende' Ursache siehe unten S. 53f.
[267f.].
26 Wie das bekannte Hundegleichnis (SVF 2,975 = Diels Dox. 571,11-16) zeigt, ist
es dagegen moglich, daB mit dem Individuum auch ohne seine Zustimmung etwas
,geschieht'. Aber das ist keine eigentliche Handlung, sondem ein reines Erleiden.
27 Vgl. Theiler 65-67 (77-80); Pamela M. Huby, An Epicurean Argument in
28 So versteht Donini (189, 190, 192) Ciceros Satz, und da das in der Tat eine
sinnlose Aussage ware, begegnet er Cicero durchweg mit groBtem MiBtrauen: er habe
die stoische Lehre in harmonisierender Tendenz verfa1scht; nur aus der Version des
Gellius (SVF 2,1 000) 1asse sich das wirk1ich Gemeinte rekonstruieren.
29 Es sei daran erinnert, daB alle a1ten Handschriften am Ende der ersten Hiilfte
1968, S. 340, mit ,antecedent cause", da sich hier allzuleicht die Verbindung zu den
causae antecedentes (und iihnlichen Formulierungen) einstellt. Dieser Terminus ist
jedoch vie! weiter gefaBt: ,Vorausgehende' Ursachen sind aile Glieder der
Kausalkette, ohne jede ni:ihere Spezifizierung. V gl. z.B. Cicero fat. 31 si omnia
antecedentibus causisfiunt, 40 omnia jiunt causa antecedente, 41 omnia causis jiant
antepositis; Gegensatz ist jeweils die Vorstellung eines ursachlosen Geschehens,
ebenso SVF 2,912 =[Plutarch] Defato II, 574E !lTJI>Ev UVattt(l)~ y{yv~:cr9at u"JJ...U Kata
npoTJyou!Jiva~ ait{a~.
S. 109 (wo mehrfach irrtiimlich ,Bongard' statt ,Bardong' gedruckt ist).
31
Daran laBt Ciceros Wortlaut keinen Zweifel: fat. 44 (iiber das visum) quod
32
proxima ilia ... causa non moveat adsensionem; ib. concedens adsensionis proximam
[2691270] ,HAUPTURSACHEN'? 55
.. . causam esse in viso positam; etwas weniger deutlich fat. 42 cum id visum
proximam causam habeat, non principalem (hier ist entweder habeat im Sinne von
,darstellt' gebraucht, oder aber Cicero geht in der Kausalkette urn ein Glied zuriick).
Das visum ist also bei Cicero die Ursache, die konkretes Geschehen auslOst, die eine
Pradisposition aktualisiert. Eigenartigerweise ist das bei Gellius (7 [6], 2,11 = SVF
2,1 000) anders. Dort erscheint der individuelle Charakter als das konkretisierende
Element (actiones ipsae), der AnstoB dagegen als etwas seit langem Vorbereitetes,
aber noch Allgemeines und ,Offenes' (genera ipsa et principia causarum). Das
Verhaltnis von ainu npoKa-rapK'ttKJl und ouvEK'ttKJl scheint geradezu verkehrt. Diese
Diskrepanz ist jedoch weniger tiberraschend, als es auf den ersten Blick scheint. Man
beachte, daB bei Gellius von cpaV'tama und OUYJCUTa9am~ tiberhaupt keine Rede ist.
Bei Gellius geht Chrysipp von den auBeren Kausalketten aus und betrachtet diese als
atna npoKa-rapKnKa: was darin als bloBe Moglichkeit angelegt ist, wird durch
konkretes Handeln von Individuen in bestimmter Weise verwirklicht. Hier tritt das
Individuum als ah{a ouvEKnKJl und damit als ,letzte', auslosende Ursache hinzu. In
der Cicero-Stelle dagegen geht Chrysipp von der Veranlagung des Individuums als
einer ah{a npoKaTapKnKJl aus; die von auBen kommende cpavrama ist die das
Handeln auslosende ahia ouvEKnKJl. DerVergleich der heiden Stellen zeigt, daB
npoKa-rapKnK6v und OUVEK'ttKOV relative Begriffe sind (menschliche Veranlagung ist
nur ein Spezialfall eines npoKa-rapKnK6v). Das ist mit Chrysipps Grundanliegen
durchaus vertraglich: er will ja nur zeigen, daB konkrete Wirkungen immer erst durch
das Zusammenkommen von zwei verschiedenen ainat entstehen; von denen aber
kann, je nach Blickrichtung, bald die eine, bald die andere als al:rla npoKa-rapKn!dj
betrachtet werden. (Ahnlich, wenn auch mit u.E. verfehlter Einzeldeutung der Ursa-
chenarten, Forschner 97: ,Das MaB des Beitrages bzw. das Verhaltnis der zusammen-
spielenden Kriifte dtirfte wohl dartiber entscheiden, welcher Gegenstand jeweils als
Haupt-, Mit- oder Nebenursache der ins Auge gefaBten Bewegung anzusprechen ist.")
33 Kein gtiltiges Argument fiir diese Gleichsetzung ist der Titel der lateinischen
Obersetzung von Galens Schrift Ilapt n7lv ouvEKnKrov ah{cov in der bislang einzigen
Ausgabe (Progr. Marburg 1904): Dieser Titel stammt vom Herausgeber Karl
Kalbfleisch, vgl. u. Anm. 41. Der alteste lateinische Beleg fur die Verbindung von
causa und continens (nebenfat. 44) ist m.W. Celsus, prooem. 13 Mudry abditae et
morbos continentes causae, wo freilich das hinzugefiigte Objekt zweifeln laBt, ob
wirklich ein erstarrter Fachausdruck vorliegt.
34 Im Bericht des Clemens Alex. wird an zwei Stellen behauptet, ouvaKnK6~ und
UUTOTEA~~ seien Synonyme: strom. 8,9, 25,3 Stahlin = SVF 2,346, p. 120,2-4
ouvaKnKa 8e anap ouvcowf.!CO~ Kat auoaA.fj KMEt-rat, enat8~nap auapK~ 8t' a\nrov
1tOU]'ttKU ecrn 'tO'U U1tO'tEAEcriJ.U'tO~, strom. 8,9, 33,2 St. = SVF 2,351, p. 121,27f. 'tO 8e
ouvaKnKov ouvcovUIJ.CO~ Kat auToTE~ KaAoBmv, enat8~ auapKco~ 8t' a\nrov nmlJnKa
ecrn 'tOU U1tO'tEAEcriJ.U'tO~. Damit kann nur gemeint sein, daB das atnov OUVEK'ttKOV
durch sein Hinzutreten die Wirkung sofort auslOst und keiner weiteren atna bedarf; es
hat also eine gewisse oberflachliche }Jmlichkeit mit einem atnov aUTOTEAE~. Wenn
56 ,HAUPTURSACHEN'? [2701271]
man mit Frede (245) die Angaben bei Clemens wortlich nimmt und Ciceros causa
continens als ,containing cause" und darnit als atnov a1rroteAE~ versteht, sind die
Schwierigkeiten unuberwindlich. Frede muB zunachst feststellen, ,that this term
(continens) now is not used in the Stoic sense." Aber es handelt sich urn einen Bericht
aus Chrysipp! Dann tut er dem Text Ciceros zweimal Gewalt an, urn doch noch den
gewtinschten Sinn zu erhalten: In fat. 44 ... quod proxima illa et continens causa non
moveat adsensionem . . . faBt er moveat als Potentialis (, ... the possibility that the
impression, though it is the containing cause of the assent, also might not have
brought about the assent ... "). Das ist unmoglich. Ohne die Hinzufiigung von z.B.
interdum muBte jeder Leser den Konjunktiv als obliquus verstehen; es handelt sich
urn eine klare Negation, die auch gar nicht i.iberraschend ist: die <pavracr{a allein kann
als bloBer ,AnstoB' nichts bewegen; als weitere Voraussetzung fiir die Bewegung
(Zustimmung) ist die volubilitas der Walze bzw. ein entsprechend pradisponiertes
Individuum (atnov 7tpoKatapKttK6v) erforderlich. (Vgl. Plut., Stoic. rep. 1055F =
SVF 2,994 tiber Chrysipp: n)v yap <pavmmav ~ouA.OJ.lEVo~ ooK o6crav auror~:A.ij tij~
(Jl)YKata8Ecreffi~ ah{av U7tObetKVUetv) Noch arger ist es, wenn Frede, urn die causa
continens als auroteA.~~ zu erweisen, Ciceros Satz: neque enim Chrysippus concedens
adsensionis proximam et continentem causam esse in viso positam [neque] earn
causam ad adsentiendum necessariam concedet ... So ubersetzt: ,Chrysippus will
not admit that the proximate and containing cause of the assent lies in the impression
and hence he will also not admit that this cause, i.e. the impression, necessitates the
assent." Ob man niimlich das zweite neque mitder Mehrheit der Herausgeber athetiert
oder aber mit anderen (zuletzt Giomini nach Kleywegt) beibehalt---es kann nicht
zweifelhaft sein, daB das erste neque den Hauptsatz negiert, also zu concede! gehort;
dann aber ist concedens nicht negiert. Und das ware auch vollig unsinnig, denn
Chrysipp raumt hier gerade ein, daB das visum die causa proxima und continens is t.
Amore/..~~ dagegen ist sie nicht. Wer an diesem Definitionsmerkmal aus dem Bericht
des Clemens festhalt, kann Ciceros causa continens auf keine Weise mit dem atnov
(Jl)VEKttKOV identifizieren; continens hieBe dann nur ,benachbart' und ware nichts als
epexegetisches Synonym zu proxima. Aber die Parallele zu Galens ahtat (Jl)VEKttKat
~ 7tpocrexe"i:~ scheint unabweisbar, und Cicero verdient mehr Vertrauen als die spaten
Definitionen. Zu Forschners verfehlter Gleichsetzung des atnov (Jl)VEKttKOV mit
Ciceros causa principalis s.o. Anm. 13.
35 So schon BayerS. 161 Anm. 2.
[2711272] ,HAUPTURSACHEN'? 57
Kiihn OUVEK'ttKOV ... &reo 'tO'U OUVEXEtv a1n&v (der Krankheiten) TI]v oucr{av
&voJ.lacr!ffivov, Celsus prooem. 13 Mudry morbos continentium causarum notitiam.
Vielleicht gibt Cicero fat. 19 die Dbersetzung einer entsprechenden Wendung mit
causas cohibentes in se efficientiam natura/em. Etwas anders Ps.-Aristoteles, De
mundo (woh1 1. Jahrh. n. Chr., unter stoischem EinfluB?) 397b9f. A.omov oe o~ rcspl.
Tfj~ 'tOOV oA.mv <ruVEK'ttKfj~ ah{a~ . . . drcdv etwa: ,das oberste Prinzip, das alles
zusammenhiilt'.
37 In diesem Sinne nennt es Long, Philosophical Quarterly 18, 1968, S. 340
38 Dem scheint es zu widersprechen, daB die ah{m rcpoKampKnKa{ u.a. bei Celsus
Dbersetzung De causis contentivis, spricht dann aber fast nur noch von causae
coniunctae. Was den modernen Herausgeber der Dbersetzung, Karl Kalbfleisch,
veranlaBt hat, seine Ausgabe mit dem Titel De causis continentibus zu versehen, ist
unerfindlich (auf Cicero beruft er sich nicht). Aber die Verwirrung geht weiter:
Kalbfleischs Edition (urspriinglich Programm Marburg 1904) wurde nachgedruckt im
Supplementum Orientale, vol. 2, des Corpus Medicorum Graecorum (Berlin 1969), p.
131-141 (vgl. das ,Praemonitum' von Jutta Kollesch, D. Nickel und G. Stromaier,
p.ll5f. ). Dort erhielt sie stillschweigend wieder den Titel De causis Cf!.ntentivis (dafiir
wurde Galenus zu Galienus). Voran geht (p. 50-73) eine arabische Ubersetzung der
Schrift, ediert von Malcolm Lyons, sowie eine Riickiibersetzung ins Englische. Diese
Riickiibersetzung heiBt nicht (nach Long) ,On connecting causes" oder (nach Frede)
,On containing causes", sondern: ,On cohesive causes".
42 Im Brief an Atticus 9,7,1 kokettiert Cicero mit dem griechischen to cruvexov.
Nicht alle der markigen Sprtiche des alteren Cato diirfen heute auf
Beifall rechnen; aber daB er mit rem tene, verba sequentur 1 im
wesentlichen recht hat, wird nicht leicht jemand bestreiten: daB die
Sache, eine soli de Kenntnis der Sache, den Worten tiber die Sache
logisch und zeitlich vorauszugehen hat. Die umgekehrte Reihenfolge
hatte Cato entsetzt. Erst die Worte, dann die Sache? Wir kennen den
Primat des Wortes als Ratschlag des Teufels: ,Im ganzen-haltet
Euch an Worte!", sagt Mephistopheles zum Schiller, ,dann geht Ihr
durch die sichre Pforte I zum Tempel der GewiBheit ein." Der Schiller
protestiert zaghaft: ,Doch ein Begriff muB bei dem Worte sein", aber
Mephisto zerstreut seine Bedenken: , . . . denn eben wo Begriffe
fehlen, I da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. I Mit Worten laBt
sich trefflich streiten, I mit Worten ein System bereiten ... " (Faust I,
1990-1993. 1995-1998).
An einem Beispiel aus Ciceros philosophischem Werk laBt sich
zeigen, daB in der Tat ein Wort, eine zufallige Gegebenheit der
Sprache ein gedankliches System pragen kann-und daB das nichts
mit Teufelswerk zu tun hat, sondern daB es sich urn einen Vorgang
handelt, der bei der Obersetzung aus einer Sprache in eine andere, vor
allem bei der Obersetzung abstrakter Gedankengange nicht selten zu
beobachten ist.
Einige grundsatzliche Oberlegungen vorweg. Cicero war, wie jeder
gute Obersetzer, urn eine moglichst prazise Wiedergabe der von ibm
behandelten griechischen Termini bemiiht. In bewundernswerter Wei-
se hat er urn wirklich treffende lateinische Aquivalente gerungen, bis
kurz vor die Grenze der Vergewaltigung der von ibm so geliebten
lateinischen Sprache. Comprehendibilis :fiir KaTaA:rptnK6c; hat er nur
1 Aus der Lehrschrift an seinen Sohn, iiberliefert bei Iulius Victor c. 1, p. 3 74,17
streng die eigentlichen ,Skeptiker' ( 01<E7tTtKot), die ihre Lehre auf Pyrrhon von Elis
zuriickfiihrten und darum auch Pyrrhoneer (Iluppmvstot) genannt wurden, von der
erkenntniskritischen Richtung in der Akademie; deren Anhanger werden in antiken
Texten stets a1s Academici (AKaOTU.tatKo{) hezeichnet. Schon in der frlihen Kaiserzeit
hestand jedoch Unklarheit dariiher, wodurch sich die heiden Schulen letztlich unter-
schieden, und neuere Forschungen hahen verdeutlicht, daB auch auf die Akademie
unter Arkesilaos ein nicht unbetrachtlicher EinfluB von Pyrrhon ausgegangen ist.
64 EIN SPRACHLICHER ZUFALL [162]
zu lesen, die Schule habe erlaubt, sie zu ,billigen'. Das klingt einfach
und fugt sich gut in die abgeschwachte Version der akademischen
Skepsis. Aber die Verhaltnisse sind komplizierter. Die ,Wahrschein-
lichkeitslehre' des Kameades ist uns im wesentlichen durch die
Darstellung des Sextus Empiricus in griechischer Sprache (math.
7, 159-189; kiirzer und mit leichten Abweichungen Pyrrh. hypo f.
1,226-231) und durch Ciceros lateinische Darstellung (vor all em in
den Academici libri) bekannt. Der Begriff ,Billigung' ist die Uber-
setzung von Ciceros Terminus probare I probatio. Wie das deutsche
,billigen' kann probare bedeuten ,priifen und als brauchbar anerken-
nen'. Das fugt sich, wie gesagt, vortrefflich in die kameadeische
Lehre. Eigenartigerweise gibt es jedoch in den griechischen Berichten
keinen einheitlichen Terminus fur die ,Billigung' von ,Wahrscheinli-
chem'; Sextus verwendet viele verschiedene Verben, 5 und keines von
ihnen kann als direktes Vorbild fur Ciceros probare gelten. Auch die
adjektivischen Bezeichnungen fur ,wahrscheinlich' variieren: zwar ist
der weitaus haufigste Ausdruck m8av6~, aber daneben finden sich
andere W endungen, die oft mit den V erben semantisch korrelieren.
Das zeigt die folgende Zusammenstellung, die nach semantischen
Schwerpunkten geordnet ist; genannt sind jeweils (soweit gegeben)
a. das Wesensmerkmal, das die <pavracr{a als wahrscheinlich ausweist
(adjektivisch oder substantivisch), b. die von ihr ausgehende Wirkung,
c. die erlaubte Reaktion des erkennenden Individuums (bei Cicero die
,Billigung'); bei den Beispielen innerhalb der Gruppen ist Vollstan-
digkeit nicht angestrebt.
5 Zum ersten Male zusammengestellt von Gisela Striker, Sceptical Strategies, in:
7 Eine gewisse Analogie zu den stoischen Termini, mit denen das dem ,relativ
ander. Vielleicht hat er selbst seine Meinung gelindert, vielleicht wurde er (der sich
wie Sokrates nie schriftlich geliuBert hat) nach seinem Tode von den Schiilern ver-
schieden interpretiert. Metrodor von Stratonikeia und spater Phi1on von Larisa
behaupteten, nach Karneades stimme auch der ,Weise' gelegentlich zu (Cicero Luc.
67); Kleitomachos dagegen bestritt das (Cicero Luc. 78. 104. 108). Zum Stand der
modernen Diskussion s. Striker (wie Anm. 5) 78-83 (,die strengere Deutung durch
Kleitomachos ist die historisch richtige'); M. Frede, The Sceptic's Two Kinds of
Assent and the Question of the Possibility of Knowledge, in: R. Rorty I J. B.
Schneewind/ Q. Skinner (Hrsg.), Philosophy in History, Cambridge 1984, 255-278;
Ioppolo (wie Anm. 5) 14. 64. 195-197 (Metrodors Deutung richtig).
[1641165] EIN SPRACHLICHER ZUFALL 67
9 Die wahrscheinliche <pavmma selbst wird haufig als probabilis (etwa 50 Hille),
seltener als veri simi/is (etwa 25 Falle) bezeichnet. Da diese Adjektive oft als
substantiviertes Neutrum auftreten, ist allerdings nicht immer zu klaren, ob eine
<pavrama im eigentlichen Sinne (etwa: Sinneseindruck) gemeint ist oder ein eher
abstrakter Sachverhalt. Eine Aufzahlung scheint hier entbehrlich. Zum teilweise
unterschiedlichen Gebrauch von probabilis und veri simi/is s. unten Anm. 13.
10 hnmerhin hat er einige der oben zusammengestellten Ausdriicke sinngemiill
Vor allem aber: Nur ein im Lateinischen gut eingefiihrtes Wort fiir
,wahrscheinlich' konnte fiir Cicero in Betracht kommen: Da lag es
nahe, auf die Rhetorik zuriickzugreifen. Noch vor der Philosophie
hatte die Rhetorik mit dem Begriff des Wahrscheinlichen operiert; der
weitaus haufigste griechische Terminus ist dort (wie in der spateren
erkenntniskritischen Diskussion) nt9av6c;. Dieser Terminus vor allem
war also Cicero und seinen gebildeten Zeitgenossen geHiufig. Zwei
lateinische Aquivalente standen zur Verfiigung: veri simi/is und
probabilis. Bereits in seiner Jugendschrift De inventione bevorzugte
Cicero probabilis. 11 Als er sich mehr als ein Vierteljahrhundert spater
daran machte, die Auseinandersetzung zwischen der Stoa und der
skeptischen Akademie fiir ein breiteres Publikum darzulegen, gab er
wiederum probabilis den Vorzug-diesmal aus dem bereits genannten
Grunde: weil er im stammverwandten Verbum probare genau das
fand, was sich bei einer engen Obertragung eines griechischen
Terminus nicht finden lieB--ein leicht eingangiges, terminologisch
scharfes Gegenstiick zur ,Zustimmung'. 12 Der ,erkenntnisvermit-
telnden' <pavracria darf man ,zustimmen' (genauer: man dlirfte es,
wenn es sie gabe); das Wahrscheinliche, bei Cicero als das probabile
= ,Billigenswerte' bezeichnet, wird ,gebilligt' (probatur); der cruy-
Ka'ta9ecrtc;, lat. adsensio, entspricht die probatio. Veri simi/is bot diese
Vorteile nicht: es hat kein stammverwandtes Verbum und erst recht
durch die oben (Anm. II) beschriebene Verwendung von probabilis, ,glaubwiirdig',
als einer fur die Argumentation (probatio) geforderten Eigenschaft. Zur Einwirkung
des rhetorischen Bedeutungsfeldes (,glaubwiirdig machen', ,einen Beweis erbringen',
probatio = ,Beweis') auf die philosophische Verwendung s. unten S. 70 [167].
70 EIN SPRACHLICHER ZUFALL [1661167]
die rhetorische Frage (jin. 5,76): Quis ... potest ea, quae probabilia
videntur ei, non probare? 14 Da schwingt nichts mit von BetOren und
Beschwatzen; vielmehr darf man heraushoren: ,Anerkennung, wem--
wegen seiner Ttichtigkeit-Anerkennung gebtihrt.' Dieses Beispiel
zeigt auch, daB die positive ethische Bedeutungskomponente in den
gnoseologischen Bereich hineinwirkt. Probare unterscheidet sich
deutlich von allen tiberlieferten griechischen Bezeichnungen fur die
Anerkennung von Wahrscheinlichem: Es heiBt nicht: ,gerade eben und
mit schlechtem Gewissen noch gelten lassen'-es heiBt vielmehr:
,nach sorgfaltiger Prtifung als zuver Hissig und brauchbar anerkennen',
ja oft geradezu ,beweisen'. Die lateinische Wendung hoc mihi
probatum est will sagen ,davon bin ich tiberzeugt', ohne jeden Anflug
von Vorbehalt oder Zweifel; probare alicui aliquid bedeutet ,jemand
von der I Richtigkeit einer Sache tiberzeugen'. Oft verwendet Cicero
das Verbum fur philosophische Standpunkte, manchmal im Sinne
fester Oberzeugung (A cad. post. 1, 7): (Academiam veterem) nos
probamus, ,ich bekenne mich zur alten Akademie' .15 GewiB, der
Bedeutungsgehalt und der Gebrauch von probare im allgemeinen darf
nicht ohne weiteres auf pro bare im hier untersuchten Sinne tibertragen
werden. Aber die an anderer Stelle so deutliche Konnotation der
Sicherheit und Zuverlassigkeit kann nicht ganz ohne Wirkung bleiben
auf die technische V erwendung.
Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Unterschied. Das zu m8av6~
gehorige Verbum nd8Ecr8at bezeichnet ein passives Verhalten, ein
Gehorchen, ein ,Mit-sich-geschehen-Lassen', allenfalls darin akti-
visch, daB man verstehen kann: ,den Widerstand aufgeben'. Das set-
tenere mcr-rcimv hat keine negative Farbung, aber es bezeichnet
ebenfalls eher einen Zustand als eine Tatigkeit; das gleiche gilt fur
,sich bewegen lassen', ,folgen'; selbst das ,Hinnehmen' und das
,Benutzen' haben in dies em Zusammenhang eher den Charakter eines
,Nicht-von-sich-Weisens' als den eines zupackenden Ergreifens.
Probare dagegen ist durch und durch aktiv, nicht nur im Genus verbi.
Es ist eine aktive bejahende Entscheidung-und darin der (den
Akademikern verbotenen) vollen ,Zustimmung' genau analog. Selbst
14 Vgl. auchfat. 1 ... quo facilius ida quoque probaretur, quod cuique maxime
probabile videretur ... ;nat. d. 3,49 ... quod si probabile non est, ne illa quidem ...
unde haec manant probanda sunt.
15 Weitere Beispiele: Luc. 139 intellegere ... quid Carneadi probaretur; 113 ita
durch seinen syntaktischen Aspekt unterscheidet sich pro bare von fast
allen ,griechischen' V erben: Es ist ingressiv-punktuell, die anderen
Bezeichnungen dagegen durativ.
Dieses aktiv-zupackende Bedeutungselement von probare verbin-
det sich bei Cicero mit der eben genannten Konnotation des ,Tiichti-
gen' und ,Bewahrten'-und damit erhalt sein Skeptizismus ein vollig
anderes Gesicht als der seiner griechischen Vorganger. Filr Kameades
war die Anerkennung von Wahrscheinlichem eine ungem vollzogene
Konzession, ein Notbehelf, urn menschliches Handeln iiberhaupt zu
ermoglichen. Cicero dagegen macht es an vielen Stellen deutlich, daB
fiir ihn das probare alles andere ist als ein Notbehelf. Er ,billigt' mit
wahrer Begeisterung (Luc. 66): ,Ich bin nicht der Mann, der niemals
etwas Falsches billigt, der nie zustimmt, der nie in Meinung
verfallt . . . Ich selbst bin ganz graB im Meinen (bin ich doch kein
Weiser), und ich orientiere das Schiff meines Denkens nicht an einem
klimmerlichen (wenn auch praktischen) Stembild, sondem am
strahlenden Siebengestim, das heiBt an erhabenen und erhebenden
Gedanken, nicht an kleinlicher Rationalitat. Und so kommt es, daB ich
auch Irrwege einschlage und in die Feme schweife." Trotz der
scheinbaren Einschrankung am SchluB ist uniiberhorbar, wieviel Stolz
aus diesem Bekenntnis spricht. Der positive Aspekt iiberwiegt bei
weitem; nur beilaufig ist von Irrtum die Rede. Im Vordergrund steht
die Erfahrung von Weite und Helligkeit. Diese schOne Stelle aus dem
Lucullus konnte als Motto tiber dem ganzen Corpus von Ciceros
Philosophica stehen: Oberall wagt er es, das Wahrscheinliche zu
billigen: so nachhaltig zu ,billigen', daB es einem I Bekenntnis gleich-
kommt und sich von einer formlichen ,Zustimmung' kaum noch
unterscheidet. Es ist kein Zufall, daB auch bei Cicero die Grenze
zwischen ,Zustimmung' und ,Billigung' vielfach verwischt ist. 16
16 Das ist formal daran zu erkennen, daB bei Cicero die Termini fiir ,Billigung' und
formliche ,Zustimmung' nicht streng geschieden sind: neben adsentiri ist adprobare
das haufigste Wort fiir das griechische <ruyKaTUTt9w9at (Ac. post. 1,41.45; Luc. 29.
38. 53. 107. 128. 141), aber zweimal (Luc. 104) hates die Bedeutung ,billigen' (s.
oben S. 68 [165]). Freilich geht Cicero mit dieser Ungenauigkeit nicht weiter, als es
Karneades oder seine Interpreten bereits getan hatten (s. oben Anm. 8). Viel wichtiger
ist die geiinderte Grundhaltung: Im Gegensatz zu den griechischen Skeptikern halt
Cicero einen Erkenntnisfortschritt fiir moglich und mahnt, bei der Suche nach der
Wahrheit nicht zu ermiiden (jin. 1,3; Luc. 7 u.o.). Die Doppeldeutigkeit von probare
triigt dazu bei, daB zwischen ,Gebilligtem' und ,Bewiesenem' ein gleitender Obergang
zu bestehen scheint.
[169) EIN SPRACHLICHER ZUFALL 73
17 Dafiir war ihm das von Kameades entwickelte System, das mehrere Stufen der
1,8 ... vetus et Socratica ratio contra alterius opinionem disserendi. nam itafacillime,
quid veri simillimum esset, inveniri posse Socrates arbitrabatur. Die Vermutung
scheint unabweisbar, dal3 Cicero selbst diese Wende zu einem optimistisch-
konstruktiven Skeptizismus vollzogen hat, indem er die zunachst fiir sinnliche
<pavramat entwickelte Wahrscheinlichkeitslehre des Karneades mit dessen elenkti-
scher Diskussionsmethode verband. Wenn man innerhalb der Akademie wirklich, wie
Cicero behauptet, eine derartige ,Annaherung an die Wahrheit' fiir moglich gehalten
hatte, hatte ein Pyrrhoneer wie Sextus Empiricus dariiber nicht geschwiegen.
18 M. Bumyeat, Carneades was no probabilist, Vortrag 1979 (zitiert u.a. von Gisela
Striker, Ober den Unterschied zwischen den Pyrrhoneem und den Akademikem:
Phronesis 26, 1981, 153-171, hier 170 Anm. 2). Burnyeat teilt brieflich mit, daB der
bis1ang unpublizierte Vortrag zum Buch erweitert werden soll [bislang nicht
erschienen].
19 Siehe jedoch Sextus Emp. math. 7,175 , ... weil sich nur selten eine falsche
20 Die vorstehenden Oberlegungen haben sich bei den Vorarbeiten fiir die
I fi est d'autant plUS etonnant que l'histoire de Cette notion ll'ait jusqu'a present
pas ete traitee de fa90n detaillee. Etonnant aussi que les termes EvUPYJl<; I evapyeta,
perspicuum I perspicuitas, evidens I evidentia ne figurent pas dans les indices par
ailleurs tres riches de H. von Arnim (ed.), Stoicorum veterum fragmenta, vol. IV
~procure par M. Adler), Leipzig, 1924, et de M. Pohlenz, Die Stoa, Gottingen, vol. 1,
1959. Dans Long/Sedley (eds.), The Hellenistic Philosophers, Cambridge, 1987, I, p.
489 les textes les plus importants sont mentionnes sous la rubrique self-evidence .
On attend la publication d'une conference de Katerina Ieradiakonou (Edimbourg,
juillet 1995) : The notion of enargeia in Hellenistic philosophy . Des aspects
partiels ont ete traites par G. Striker, Kpt-nlptov rij<; &AT] Seta<; , Nachrichten der
Akademie der Wissenschafien in Gottingen, phil.-hist. Kl., Gottingen, 1974,2, p. 82-
101 ; M. Frede, Stoics and Skeptics on Clear and Distinct Impressions , dans M.
Bumyeat (ed.), The Sceptical Tradition. Berkeley etc., 1983, p. 65-93 (= M. F., Essays
in Ancient Philosophy, Oxford, 1987, p. 151-176) ; A. M. Ioppolo, Opinione e
scienza, Naples, 1986, p. 80-82,188 sq.; C. Levy, CiceroAcademicus, Rome, 1992, p.
229 sq.
[1321133] LES EVIDENCES 77
2 TI n'existe pas de verbe evidere; ce n'est pas avant Amobe qu'on lit evideor,
cadre plus general, voir M. Sells, Mystical Languages of Unsaying, Chicago, 1994, p.
8.
4 Par exemple Ciceron, Lucullus, 101 : insignis ilia et propria percipiendi nota. A
propos de Ia critique emanant de I' Academie sceptique, voir Ioppolo, lac. cit., Levy,
lac. cit., et W. Gorier dans Ueberweg Antike, N, Bale, 1994, p. 800, 856 sq.
[1341135] LES EVIDENCES 79
intellego cur non idem sol sit an nullus dubitare possit : qui enim est
hoc illo evidentius ? (De natura deorum, II, 4 sq.)
Trois elements de ce texte meritent notre attention :
1. La preuve est superflue ;
2. Tous sont d'accord (adsensu omnium);
3. L'invitation emphatique: Regardez done, ouvrez les yeux-
alors vous n'aurez plus de doutes .
Mais ces assertions de Balbus sont toutes trois contestables. Car,
s'il croit que les tentatives pour prouver l'existence de Dieu sont
superflues, pourquoi essaie-t-il de faire justement cela d'une maniere
si detaillee, au cours de plus de vingt I paragraphes ? 5-Ensuite, il sait
tres bien qu'il n' y a pas de consensus omnium-autrement il pourrait
se taire. Le point le plus interessant est le troisieme, !'invitation a
diriger son regard vers le ciel, ce qui est cense faire disparaitre les
doutes. Il en est de meme que lors de la discussion au sujet de la
certitude sensorielle: le StoYcien nous renvoie a quelque chose de
visible. Il exprime cela fort bien, d'une maniere astucieuse et raffinee,
car, d'une part, suspicere, contemplari et aspicere designent l'action
reelle de regarder quelque chose et, d'autre part, nous comprenons
sans difficulte que le ciel n'est qu'un symbole. Balbus veut dire:
Notre regard doit se diriger vers Dieu dans sa perfection. Balbus
pense done a une vision spirituelle, a une sorte d'intuition non
sensorielle, c'est-a-dire a une faculte de 1' arne, qui n' est pas donnee a
tout le monde et qui est bien plus discutable que celle des yeux.
Nous arrivons maintenant a 1' ethique-et nous verrons que la
pretendue evidence devient tout a fait abstraite. Un principe ethique
est invisible: on ne peut meme pas le voir sous forme de symbole,
comme c'etait encore possible quand il s'agissait du Dieu stoYcien.
Les Epicuriens affirmaient que tous les efforts de l'homme tendent
a atteindre la volupte. C'etait clair, selon eux, et aucune preuve n'en
etait necessaire :
[Epicurus] negat opus esse ratione neque disputatione, quamobrem
voluptas expetenda, fugiendus dolor sit. Sentiri haec putat, ut calere
5 De natura deorum, II, 23: [... ] negaram [... ] hanc primam partem (esse deos)
egere oratione, quod esset omnibus perspicuum deos esse ; tamen id ipsum rationibus
physicis [... ] corifirmari volo ; ibid, 44: quae qui videat non indocte solum verum
etiam impie faciat si deos esse negat.
80 LES EVIDENCES [135[136[137]
ignem, nivem esse a/bam, dulce mel. Quorum nihil oportere exquisitis
rationibus conjirmare, tantum satis esse admonere. 6 I
11 suffit de faire remarquer que nous le sentons (sentiri), disaient les
Epicuriens, cherchant ainsi un appui dans la perception sensorielle. Et
c' est egalement en affirmant que taus les hommes aspirent a la
volupte et fuient la douleur que l'Epicurien Torquatus fait appel a un
phenomene perceptible et verifiable. Pour notre propos peu importe
qu'il en soit ainsi ou non. Mais, meme si tousles hommes agissent de
cette maniere--Torquatus a-t-il raison d' employer les gerondifs
voluptas expetenda, dolor fugiendus ? Nous le nierons. Car ce que
nous pouvons voir et verifier, c'est seulement que beaucoup
d'hommes (peut-etre tous les hommes) agissent de telle maniere. Mais
il ne resulte en aucune fa~on de ces donnees statistiques que l'homme
doive agir comme cela, et ce n'est aucunement evident. 11 n'est pas
possible de prouver l'evidence d'un principe ethique.
Les adversaires des Epicuriens, les Stoi"ciens et les Academiciens,
n'admettaient absolument pas que, par sa nature, l'homme aspire ala
volupte. Eux, au contraire, enseignaient que c'est la vertu qui doit etre
la fin ultime. Leur position etait plus faible. Probablement-et en est-
il autrement aujourd'hui ?-ceux qui trouvaient convaincant que
l'homme doit chercher son plaisir etaient-ils plus nombreux que ceux
qui se croyaient obliges de preferer la vertu a tout ce qui leur faisait
plaisir. Les Stoi"ciens ne pouvaient done pas se referer a un phenomene
verifiable et visible pour tous. C'est pourquoi ils essayaient
d'expliquer pour quelle raison leur doctrine n'etait ni immediatement
evidente ni facilement comprehensible. L'homme, disaient-ils, murit
moralement au cours de sa vie et ce n'est qu'a la fin de ce processus
qu' il peut voir clairement (de fa~ on intuitive, bien entendu) les
principes essentiels de la moralite : I
Prima est enim conciliatio hominis ad ea, quae sunt secundum
naturam. simul autem cepit intelligentiam [ ... ] viditque rerum
agendarum ordinem et [ ... ] concordiam, multo earn pluris aestimavit ...
(Ciceron, Definibus, III, 21).
6 Ciceron, De finibus, I, 30. Albrecht Dihle m'a rappele dans des lettres (mars et
mai 1995) que die Epikureer der gelungenen, auch vulgarethischen (Polystratos !)
Sentenz dieselbe Evidenz auf dem Gebiet der Moral zugesprochen zu haben scheinen,
wie dem Sinneseindruck in der Erkenntnistheorie . ll renvoie a Seneque, Epistulae,
94 (passim); 95,64; 108,9; 120,4, etc., ainsi qu' a Sextus Empiricus, Adversus
mathematicos, I, 278.
[1371138] LES EVIDENCES 81
essentiel de l'ethique stolcienne, a savoir que ce n'est pas a cause d'un avantage que
l'homme aspire a la vertu, bien qu'elle entraine--en general-des avantages: Les
astres et leur course sont utiles a 1'homme, sans aucun doute, mais nous ne les
admirons pas a cause de leur utilite; nous les admirerions s'ils n'etaient pas utiles du
82 LES EVIDENCES [1381139]
tout. L' appel direct (23,3 aspice ista tanto superne coetu labentia, 24,1 non caperis
tantae molis aspectu ... ?) est significatif: Seneque veut que l'aspect de phenomenes
physiques visibles rende egalement evidente )) la doctrine ethique abstraite des
stolciens.
8 Ciceron, Lucullus, 45. De la meme maniere, des verites abstraites rayonnent :
Lucullus, 31: nihil[ ... ] veritatis luce dulcior (comparer Lucullus, 26), De officiis, I,
30: aequitas lucet ipsa per se; Ps. Varron, Sentences, 49 : quod verum est, per se
lucet. Sur ce motif en general, voir H. Blumenberg, Licht als Metapher der
Wahrheit , Studium Generate, 10, 1957, p. 432-447.
9 Il en est de meme dans !'expression stolcienne de !'existence de Dieu, cf.
Ciceron, De natura deorum, II, 44 : esse igitur deos ita perspicuum est, ut id qui
neget, vix eum sanae mentis existimem.
10 TheConceptofLaw,Oxford, 1961,p. 182.
[139f140] LES EVIDENCES 83
qui aurait pu faire taire les critiques de 1' ethique stoYcienne etait, en
fait, inexistante. A l'inverse les StoYciens, eux, ne voyaient pas, guides
par une clarte intuitive, ce que les Epicuriens appelaient evident. Peut-
etre les deux ecoles auraient-elles du se contenter de !'evidence que
chacune avait de son propre principe ethique. Mais ni les Epicuriens ni
les StoYciens ne se contentaient de proclamer que c'etait pour eux que
la primaute de 1'~8ov~ ou de la vertu etait evidente : ils affrrmaient
que c' etait tout bonnement evident pour tout le monde. En effet, la
notion de !'evidence revendique la validite generale. Lorsque je dis
qu'une chose est evidente, je dis plus que si je disais: Telle chose me
parait claire. Meme en disant: Je considere cela comme evident
le caractere general subsiste. Dans la fameuse preface a la Declaration
d'independance americaine de 1776, les mots we hold these truths to
be I self-evident ne signifient certainement pas que les auteurs eux-
memes et pour eux seuls consideraient le droit de l'homme a l'egalite,
ala liberte et au bonheur individuel comme evident, que ce n'etait que
leur opinion personnelle et que les autres pouvaient en penser ce que
bon leur semblait. Non, au contraire: le mot evident possede le
caractere d'un appel, l'appel a ce que tous consentent a cette
declaration et admettent egalement pour eux-memes : Oui, c'est
juste par evidence, c'est incontestable. Et vice-versa: ceux qui ne
voulaient pas admettre 1' evidence de ce texte important etaient blames
indirectement de se refuser a une verite universelle. Il y a comme du
zele missionnaire toutes les fois que quelqu'un nous renvoie a
!'evidence, quand il s'agit de questions theologiques ou ethiques. La
notion de 1' evidence n' est pas tres eloignee de celle de la foi.
Que le renvoi a 1' evidence ne constitue qu 'un pis-aller, cela
apparait dans deux passages de Ciceron,-passages vraiment cicero-
niens, d'ailleurs, puisqu'ici, il ne traduit pas du grec, mais exprime sa
pensee personnelle. Il ne discute plus si certains dogmes stoYciens sont
evidents ou non; il n'exhorte plus a s'assurer de leur evidence par
intuition-it les postule tout simplement. Dans le premier livre du
traite Sur les lois," Ciceron fait admettre a Atticus, l'Epicurien, que
les dieux dirigent le monde selon un plan ingenieux: Dasne [... ] hoc
nobis [ ... ] deorum immortalium vi [... ] naturam omnem regi ? Il fait
semblant de vouloir raccourcir leur dialogue en lui demandant cette
concession et lui offre de prouver cette hypothese au cas ou Atticus ne
11 De legibus, I, 21.
84 LES EVIDENCES [14011411142]
12 Voir, par exemple, Gaius, Institutions, III, 92 sq. (De obligationibus verbis
contractis ).
[1421143] LES EVIDENCES 85
13 Selon I' opinion courante, a~tro!la veut dire a peu pres ce qu'on juge correct
(ainsi, par exemple, M. Frede, Die stoische Logik, GOttingen, 1974 [Abhandlungen
der Akademie der Wissenschaflen in Gottingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge, 88], p. 32, n.
1). La concession que 1'on prie 1'interlocuteur d'accorder s'appelle UlTTt!lU, le verbe
est ahsro. Mais i1 existe des convergences avec a~tro!la. A propos de 1'histoire de ces
termes, voir entre autres :H. Maier, Die Syllogistik des Aristoteles, II, 1, Tiibingen,
1900, p. 5, n. 2 ; K. von Fritz, Die UPXUt in der griechischen Mathematik, Archiv
fur Begriffi;geschichte, I, 1955, p. 13-103, n\impression K. v. F., Grundprobleme der
Geschichte der antiken Wissenschafl, Berlin, 1971, p. 335-429, spec. 31-66/354-390 ;
A. Szabo, article Axiom dans le Historisches Worterbuch der Philosophie, I, Bale,
1971, p. 737-741. C'est surtout dans les traites logiques d'Aristote que a~tro!lU et
UlTTt!lU sont en grande partie synonymes.
86 LES EVIDENCES [143]
Protagoras, 337a: &!;too Ullii~ crurxropeiv Kat UM~Ao~ 7tEpt TOOV Myrov Ull<ptcrPrtTElV
~, ep{l,;etv 8e 11~, qui nous est conservee chez Priscien, Grammatici Latini, II, 402,
22 sq. : postulo ut de isto concedatis alter alteri et inter vas de huiuscemodi rebus
controversemini, non concertetis. D'autre part, &siro11a dans le sens de proposition
est rendu en general, chez Ciceron, par enuntiatum.-La signification philosophique
de postulare que nous venons d'ebaucher paralt etre limitee a Ciceron; voir Ia vue de
I' ensemble du materiel lexical dans le Thesaurus linguae Latinae, X, 2, 1982, 266,
55-66; 267, 58-65; 274, 53-56. Sens comparable, a Ia rigueur, chez Varron, De lingua
latina, 6, 39: si etymologus principia verborum postulet mille, de quibus ratio ab se
non poscatur, et reliqua ostendat, quod non postulat ...
6
Der erste Teil von Ciceros Academici libri-soweit ihn der Zufall der
Uberlieferung erhalten hat--enthalt einen Dberhlick iiher die philo-
sophische Entwicklung von Sokrates his in die Mitte des 3.
Jahrhunderts vor Christus. Es ist eine hochst ungewohnliche Darstel-
lung, und daran mag es liegen, daB sie in der modernen F orschung nur
wenig Beachtung findet: 1 Es handelt sich urn zwei einander ausschlie-
Bende, jeweils hewuBt suhjektive, ja parteiliche Interpretationen der
Entwicklung. Zunachst herichtet Varro im Sinne des Antiochos von
Askalon; 2 ah 43 iihernimmt Cicero die Darstellung im Sinne der
skeptischen Akademie. Der wichtigste philosophiehistorische Streit-
punkt zwischen den heiden Schulen war die Frage, oh mit Arkesilaos,
der die skeptische Phase von Platons Schule einleitete, etwas grund-
satzlich Neues hegann, oder aher oh Arkesilaos, indem er die
Moglichkeit sicherer Erkenntnis hestritt, weiterhin im Geiste von
Cicero, Academica. The text revised and explained by J. S. R., London 1885
(Nachdrucke); der Kommentar von M. Ruch: Academica posteriora, liber 1-
Secondes Academiques, livre I, edition, introduction et commentaire de M. R., Paris
1970 (Erasme ), bringt wenig Neues gegeniiber Reid.
2 Ciceros einleitender Wortlaut (ac. 1, 14) HiBt keinen Zweifel daran, daB eine
Schrift des Antiochos zugrundeliegt: Im fiktiven Gesprach mochte Atticus ,das vor
Ianger Zeit bei Antiochos GehOrte sich ins Gedachtnis zuriickrufen lassen' und
zugleich feststellen, ob es in angemessener Weise ins Lateinische iibersetzt werden
kann; auch am Ende von Varros zusammenhangendem Vortrag wird Antiochos
ausdriicklich zitiert (ac. 1,43). Es ist darum ganzlich abwegig, wenn neuerdings 0.
Gigon den Varro-Vortrag als ,Testimonium' fiir die Lehre des Aristoteles (!) ausgibt
und in voller Lange in einer Sammlung der Aristoteles-Fragmente abdruckt:
Aristotelis opera, val. 3: Libra rum deperditorum fragment a co/legit ... 0. Gigon,
Berlin und New York 1987 (erschienen Herbst 1988), 101-106 (s. dazu die ,Prole-
gomena' !Of.). Der ,denaturierende EinfluB" der These des Antiochos ist nicht
,durchweg sehr begrenzt" (Gigon !Of.); der ganze Vortrag geht aufihn zuriick und ist
durchweg von seiner Lehre gepragt.
88 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1231124]
3 Beide Seiten konnten sich vor allem auf die sokratische Ironie berufen; treffend
Carl Werner Muller, Die Kurzdialoge der Appendix Platonica, Miinchen 1975, 253:
,Wie der dogmatische Platoniker das sokratische Nichtwissen mit dem Zauberwort
der dprovda sich in ein Nichts auflosen Hillt, so verfliichtigt sich fiir den Skeptiker die
Prlisenz des metaphysischen Hintergrundes in den platonischen Dialogen allzu Ieicht
in die Unverbindlichkeit von Spiel und Mythos."-Ober das Verhaltnis der
,skeptischen' Akademie zu Sokrates und Platon im allgemeinen s. jetzt A. A. Long,
Socrates in Hellenistic Philosophy, Classical Quarterly 38, 1988, 150-171 und Julia
Annas, Plato the Sceptic, angekiindigt fiir 1989 [ersch. u.d.T. Platon le sceptique, in:
Revue de Metaphysique et de Morale 95 (1990) 267-291; engl. Originalfassung (Plato
the Sceptic) in: J. C. Klagge, N.D. Smith (Hg.), Methods of interpreting Plato and his
dialogues (Oxford 1992), Oxford Studies in Ancient Philolosphy, suppl. vol. 1992,
43-72.).
[1241125] ANTIOCHOS UND DIE STOA 89
4 Unabhangig voneinander haben vor kurzem John Glucker und Peter Steinmetz
starke Griinde dafiir angefiihrt, daB Cicero in seiner mittleren Schaffensperiode dem
eklektizistischen Dogmatismus des Antiochos zuneigte; erst urn 45 v. Chr.-kurz vor
der Abfassung der Academici libri-sei Cicero zur skeptischen Grundhaltung seiner
Jugend zuriickgekehrt: Glucker, Cicero's Philosophical Affiliations, in: J. M. Dillon I
A. A. Long (Hgg.), The Question of Eclecticism, Berkeley usw. 1987, 34-69;
Steinmetz, Beobachtungen zu Ciceros philosophischem Standpunkt, in: W. W.
Fortenbaugh I P Steinmetz (Hgg.), Cicero's Knowledge of the Peripatos, New
Brunswick, N.J. 1989 (Rutgers University Studies in Classical Humanities 4), 1-22.
[Zur Widerlegung dieser ,Konversionsthese' s. Ver, unten S. 240-267]
90 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1251126]
Antiochus and the Late Academy, Gottingen 1978 (Hypomnemata 56), 98-106 und
passim, ist jetzt fast allgemein akzeptiert: H. Tarrant, Prudentia 12, 1980, 106; ders.
Scepticism or Platonism? The Philosophy of the Fourth Academy, Cambridge 1985,
136 Anm. 2; D. Sedley, Phronesis 26, 1981, 67; J. Barnes, Journal of Roman Studies
71, 1981, 206; T. Dorandi, Cronache Ercolanesi 16, 1986, 116. Zuriickhaltend nur
Anna Maria Ioppolo, Elenchos 2, 1981, 217.-Es bleibt auffallig, daB im ersten Teil
von Varros Rede ( 15-18) Sokrates' skeptische Grundhaltung mehrfach stark betont
wird. Diese Akzentuierung lauft der antiocheischen Deutung zuwider und ist mit dem
Hinweis auf ,die berlihmte sokratische Ironie' (Glucker, Antiochus 299f.) nicht uber-
zeugend erklart.
6 Die Vorbereitung des Neuplatonismus, Berlin 1930 (Problemata 1), Nachdruck
mit neuem ,Vorwort' (Auseinandersetzung mit der Kritik) Zurich und Berlin 1964.
Vor allem die im spateren Neuplatonismus vertretene Deutung der platonischen Ideen
als Gedanken Gottes versuchte Theiler auf Antiochos zuriickzufuhren (S. 15, 17,
40).
[1261127] ANTIOCHOS UND DIE STOA 91
7 Zustimmung zu Theiler u.a. bei G. Luck, Der Akademiker Antiochos, Bern und
81-83.
92 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1271128]
10 Siehe Reid zu ac. 1,15-32; Dillon, Middle Platonists a.a.O.; Dorrie, Die
geschichtlichen Wurzeln 472-483.
11 Dillon, Middle Platonists 81f.: , ... the physical system which Antiochus
accepted ... was, not surprisingly, a blend of Platonic and Stoic doctrine ... "; Ruch z.
St. bezeichnet einerseits (mit Recht) Antiochos' Lehre von der ,Weltseele' a1s rein
stoisch, leitet andererseits (sicher zu Unrecht) die stoische Lehre vom immanenten
Logos aus Platons Timaios ab.
[128] ANTIOCHOS UND DIE STOA 93
ov anav Ev nvt 't07r(J? Kat KU'tSXOV xropav nva ... Diesen Text diirfte
Antiochos wirklich vor Augen gehabt haben; dafiir spricht nicht nur
die wenig spater erwahnte ,Weltseele', sondern auch ein unmittelbar
benachbartes Zitat aus dem Timaios, von dem sogleich zu reden sein
wird. Aber niemand hat, soweit ich sehe, bisher darauf hingewiesen,
daB bei Platon dieser Satz im Dienste einer Argumentation steht, die
der des Antiochos genau entgegengesetzt ist: Nach Platon ist die
Annahme, alles sei raumlich, eine verfehlte Traumerei, der man sich
freilich kaum entziehen konne. Schon zuvor hatte er iiberdeutlich
gemacht (51 b-e), daB es ein immaterielles ewiges Sein gibt, das sich
nur dem Denken erschlieBt, und der schwierige Satz, 12 dem das Zitat
entnommen ist, laBt sich etwa so paraphrasieren: Das wahrhaft
Seiende ist unkorperlich; deshalb darf nur in einem notgedrungen
unzureichenden Bilde von seiner ,Teilhabe' und von seinem ,Enthal-
tensein' in der Sinnenwelt die Rede sein. Varros Satz dagegen: ,Es
gibt nichts, das nicht notwendigerweise an einem bestimmten Orte ist'
kann nicht anders verstanden werden denn als eine entschiedene
Absage an die Vorstellung eines immateriellen und unraumlichen
Seins. 13 Ein merkwiirdiger Befund: Antiochos, der sich als Erneuerer
der Alten Akademie sah, zitiert Platon, urn Platon zu widerlegen!
Das benachbarte Timaios-Zitat wurde bisher noch gar nicht
bemerkt. N ach Antiochos bei Varro lehrten die ,Alten', Bewirkendes
12 Zur ErkHirung u.a. Eva Sachs, Die fiirif platonischen Korper, Berlin 1917
(Phi1ologische Untersuchungen. 24), 205; Wilamowitz, Platon. Beilagen und
Textkritik, Berlin 1919 (,3. Auflage' = Nachdruck, Berlin 1962), 319f. (mit niitz1icher
Paraphrase); F. M. Comford, Plato's Cosmology, London 1956, 193f.; K. A. Algra,
Concepts of Space in Classical and Hellenistic Philosophy, Diss. Utrecht 1988, 78-81
[ = , Concepts of Space in Greek Thought', Lei den 1995 (Philosophia Anti qua 65),
106-110].
13 Irrefiihrend Theilers ( Vorbereitung 39) Verweis auf Albinos 166,17 nucra
JtotOTf]<; f:v unoKEtJlEv<Q: DaB Antiochos den Timaios ziti.~rt, ist unbestreitbar, und
damit auch, daB von der Existenz im Raum die Rede ist. Uber den materialistischen
Charakter der antiocheischen Physik richtig H. Strache, Der Eklektizismus des
Antiochus von Askalon, Berlin 1921 (Philologische Untersuchungen. 26), 19-21.-
'A.vayKaiov dvat bei Platon bezeichnet eindeutig logische Notwendigkeit; Ciceros
Formulierung dagegen lliBt zumindest auch an physische Notwendigkeit denken, denn
cogere in der Bedeutung ,zu der Folgerung notigen' erscheint sonst nur in
unpersonlicher Konstruktion (ratio cogit, cogitur, mit a.c.i.). Es ist nicht auszu-
schlieBen, daB in der von Cicero benutzten antiocheischen Schrift eine Doppeldeutig-
keit vorlag, vielleicht veranlaBt durch die unmittelbar vorangehenden physisch-
konkreten Aussagen (cohaerere).-Lambinus (Denis Lambin) empfand die schroff
materialistische Aussage des ,Akademikers' Antiochos als so schwer vereinbar mit
der Ideenlehre Platons, daB er in seiner Ausgabe (Paris 1566) den Satz athetierte.
94 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1281129]
14 Dem liegt offenkundig die stoische Lehre von der ,volligen Durchdringung'
16 Cicero ac. 1,30oo mentem valebant rerum esse iudicem 00., quia sola cerneret
id, quod semper esset simplex et unius modi et tale quale esse! (hanc illi loeav
appellabant, iam a Platone ita nomina/am, nos recte speciem possumus dicere).
17 ac. 1,31 000 res
000 subiectae sensibus ooaut ita mobiles et concitatae ut nihil
umquam unum esset <et> constans, ne idem quidem, quia continenter laberentur et
jluerent omnia. itaque hanc omnem partem rerum opinabilem appellabant; scientiam
autem nusquam esse censebant nisi in animi notionibus atque rationibus.
18 Platon Phaidon 78d5-7 000 ad EKaO'TOV, 0 iicrn, ).lOVOEt8Ec; ov aUTO Ka9' a\n6,
fficrauTmc; KaTa muTa EXEt Kat ouMnoTE ou8a).l1] ou8a).l&c; UUo{mmv ou8E).l{av
EvOEXETUt, vgl. Symposion 21lbl-2, Timaios 35a2; Timaios 28a1-3 TO )lEv 8~ vo~m:t
)lETa A6you 1tEptA1]1tTOV, ad KaTa TaUTU ov TO 8' au 06~u )lET' alcre~crEmc; aA6you
8o~am6v, ytyv6).levov Kat anoUu~-tevov, ovTmc; M ouMnmE ov (Cicero Timaeus 3 000
Reid, Ruch und Dillon, Middle Platonists (s. Anm. 7) 91-93.-Die iilteren Interpreten
haben sich durch die zahlreichen ,Zitate' nicht den Blick dafiir verstellen lassen, daB
Antiochos keine transzendenten Ideen kennt: R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros
philosophischen Schriften,3. Theil, Leipzig 1883, 499-503 (Anmerkung 2 zu 499); H.
Strache, Eklektizismus (s. Anm. 13) 15-18. Das MiBverstiindnis beginnt mit Theiler
(Vorbereitung 38-41), der ganz auf die ,Suche nach Beziehungen zu Seneca und zur
Gaiusgruppe" (38) fixiert ist.
19 Freilich ist der Satz umakzentuiert, indem die Kemaussage in den Nebensatz
gelegt ist (quamquam oriretur a sensibus, tam en non ... ). Auch das triigt zum ,plato-
nischen' Aussehen der Lehre bei.
20 Dieses Erkenntnismodell ist insofem stoisch, als alles Wissen aus der Erfahrung
bezogen wird: es gibt keine eingeborenen Ideen. Aber unstoisch ist die Trennungslinie
zwischen ,Meinung' und ,Wissen'. Fiir die Stoa ist nirgends bezeugt, daB Begriffe per
definitionem stets richtig sind und ,Wissen' darstellen, einzelne Sinneswahmehmun-
gen dagegen stets unbegriindete ,Meinungen' sind (so richtig A A. Long, Hellenistic
Philosophy, London 2 1986, 228). Fiir die Stoiker ist das entscheidende Wahrheitskri-
terium die ,erfassende Vorstellung' (Kata/crpmldj <pavracr{a), die im Regelfall eine
einzelne Sinneswahmehmung ist. Denkbar ist, daB Individualbegriffe wie ,Sokrates'
oder ,Athen' gemeint sind, denn auch nach stoischer Auffassung entsteht GewiBheit
und Evidenz dadurch, daB die aktuelle ,Vorstellung' mit friiheren ,Vorstellungen' des
gleichen Gegenstandes verglichen wird. Vielleicht besteht auch eine Beziehung zu
den Luc. 58 genannten ,Begriffen' (species etformae quaedam) von Einzeleindriicken
(dazu Hirzel, Untersuchungen [s. Anm. 18] Theil3, 329f. Anm. 1).
96 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1301131]
Bericht gemeint: nicht zufallig werden auch hier ( 32) zuerst die
Begriffe, dann die ratio genannt.
Nun konnte man einwenden, in der skizzierten Entwicklung des
Erkenntnisvorgangs werde nicht ausgeschlossen, daB das ,Immerwahr-
ende' und ,Einfache', das in den Begriffen gefaBt wird, auch an und
fiir sich, unabhangig von seiner korperlichen Erscheinungsform
existiert. GewiB, Antiochos auBert sich hier nicht tiber die Seinsweise
der Universalien (urn die griffigen Formeln der spatmittelalterlichen
Diskussion hier einzufiihren); er sagt nicht ausdriicklich: universalia
post res. Aber ist es denkbar, daB er ein eigenes Sein der Ideen, wenn
er denn daran glauben sollte, schweigend iibergeht oder als selbstver-
standlich voraussetzt? Ein unabhangig von der Sinnenwelt und damit
,ante res' I existierendes Reich von Ideen ist immerhin eine metaphy-
sische Annahme von groBter Tragweite. Theiler21 beschuldigt Cicero,
er habe ,in diesem Teil bedenklich fliichtig exzerpiert". Aber kann
man so fliichtig exzerpieren? Selbst ex silentio diirften wir schlieBen,
daB Antiochos Nominalist war: die Begriffe sind ihm bloBe Namen,
die der Mensch nach der Wahrnehmung mehrerer ahnlicher Dinge
(also ,post res') durch DenkprozeB diesen beilegt. 22 Es gibt jedoch
auch ein direktes Zeugnis dafiir, daB Antiochos den Universalien kein
eigenes Sein im Sinne der platonischen Ideen zuerkannte. Das vierte
Buch von De finibus bonorum et malorum ist eine nach Antiochos
gestaltete Auseinandersetzung mit der stoischen Ethik. Die Kritik
richtet sich vor allem dagegen, daB in der Stoa die ,naturgemaBen
Dinge', von denen man ausgegangen war, bei der Formulierung des
eigentlichen sittlichen Ziels ,verges sen', aufgegeben seien. Diese
tadelnswerte Inkonsequenz wirdfin. 4,42 in Parallele gesetzt zu ,einer
gewissen philosophischen Richtung, die von den Sinnesdaten aus-
gegangen war, dann aber, nachdem sie GroBeres und GOttlicheres
gesehen hatte, von den Sinnen nichts mehr wissen wollte'. Damit kann
nur Platon und seine Schule gemeint sein. Nur die Ideen konnen das
,GroBere und Gottlichere' sein, das die Sinne aus dem ihnen
21Vorbereitung 39
Allenfalls sah er die Begriffe ,in rebus', im Sinne der stoischen
22
23 Bereits Madvig (im Kommentar [Kopenhagen 1876] zur Stelle) hatte fin. 4,42
auf die platonische Akademie bezogen; Hirzel (Untersuchungen, Theil 3 [s. Anm. 18],
503 [Anm. 2 zu 499]) und Strache (Eidektizismus [s. Anm. 13] 15f.) verwiesen
auBerdem auf Cicero ac. 1,33: (species), quas mirifice Plato erat amplexatus, ut in
iis quiddam divinum esse diceret; dazu zuletzt Dillon, Middle Platonists [s. Anm. 6]
92f. Anm. 1: , ... a note of irreverence, ... mildly ironic undertones ... ", und Dorrie,
Die geschichtlichen Wurzeln [s. Anm. 8] 480: ,kritische Distanz", etwas anders 482.
In der platonisierenden Antiochos-Deutung Theilers und seiner Nachfolger bleiben
die Stellen unbeachtet.
24 Wie fest Antiochos im Materialismus verwurzelt ist, zeigt auch folgende Stelle,
auf die Dillon, Middle Platonists 83 aufmerksam macht (fin. 4,36): ... cum ... ipse ...
animus non inane nescio quid sit-neque enim id possum intellegere-, sed in quodam
genere corporis ... Antiochos erkliirt unumwunden, unkorperliches Sein konne er sich
nicht vorstellen und nicht begreifen. Almlich fin. 4,29: eine ganzlich immaterielle
Seele, d.i. ohne eine wenigstens ,korperahnliche' Schicht in ihr (28 quaedam similia
eorum, quae sunt in corpore) kann es nicht geben: id ne cogitari quidem potest quale
sit, ut non repugnet ipsum sibi.
25 Oberliefert ist: haec erat illis prima a Platone tradita (G prima erat illis prima);
cuius quas acceperim disputationes si vultis exponam. Im ersten Satz ist Madvigs
Emendation: haec erat illis prima forma ... so gut wie sicher; im zweiten Satz schreibt
Baiter dissupationes (im Sinne von ,Verfallsformen'), Reid nach Davies
immutationes; Dorrie, Die geschichtlichen Wurzeln 480 Anm. I halt neuerdings
disputationes (,ein zur Erorterung-Stellen").
98 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1321133]
26 Reid, Einleitung zur Ausgabe S. 75: ,departures", Zenon und Arkesilaos ,both
disloyal", jedoch richtig tiber die altere Akademie (,kept the old tradition"); Ruch,
Einleitung S. 16 ,les ,deviations' peripateticiennes et stoYciennes" (ebenfalls richtig
tiber die altere Akademie).
27 ac. 1,33 Aristoteles ... primus species ... labefactavit, quas mirifice Plato erat
amplexatus, ut in iis quiddam divinum esse diceret. Diese Aussage schillert zwischen
bedauerndem Tadel und sachlicher Billigung: DaB Aristoteles getadelt winl, ist durch
den Zusammenhang sicher; andererseits ist in mirifice und divinum quiddam eine
kritisch-ironische Distanz untiberhOrbar (s. auch oben Anm. 24). Diese doppelte
Wertung ist wohl so zu erklaren: In Antiochos' Rekonstruktion der ,Alten Akademie'
hatte die ,Idee' als Ausdruck des Beharrenden und damit Wahren eine wichtige
Funktion (s. oben 94f. [130]); insofem tadelt er Aristoteles, der den Begriffverwarf;
auch im Rahmen der sogleich zu besprechenden ,Erbfolge' lag ein scharfer Tadel fiir
Aristoteles nahe. Aber Antiochos muBte es billigen, daB Aristoteles die Ideen ihres
metaphysischen Charakters entkleidet hatte (gut Dorrie, Die geschichtlichen Wurzeln
480 und 482).
28 Eine ahnliche Wertung bei Cicero fin. 5,12-14 ( ebenfalls nach Antiochos ).
[1331134] ANTIOCHOS UND DIE STOA 99
Die ,Alten'
(Sokrates, Platon)
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Arist~teles (?)
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'I ,Skeptische' Akademie
Stoa
In Ciceros Bearbeitung ist das weniger klar, als wir es fur Antiochos'
Original voraussetzen diirfen, denn Cicero hat uns Antiochos' Kritik
an Arkesilaos nicht iibermittelt. Im Leben und im fiktiven Dialog
stand er ja auf der Seite der Skepsis (vgl. oben S. 88f. [124]).
wird (einziges antikes Zeugnis: Strabon 13 p. 614 = SVF 1,10): Als Zenon die
Akademie urn 300 v. Chr. verlieB, war Arkesilaos erst etwa 15 Jahre alt und
vermutlich noch nicht in Athen.-Zum Wettstreit zwischen Zenon und Arkesilaos urn
die richtige Interpretation Platons gut informierend Anna Maria Ioppolo, Opinione e
scienza. II dibattito tra Stoici e Accademici nell III e nel II secolo a. C., Neapel 1986,
bes. 13 und 19.
100 ANTIOCHOS UND DIE STOA [1341135]
30 Wahrscheinlich einer Schrift des Phi1on von Larisa: G1ucker, Antiochus (s.
Bi1d gekleidet: Der Antiocheer Lucullus verg1eicht die ,skeptische' Akademie mit
Aufriihrern und Unruhestiftern, wie sie Cicero aus der Tagespo1itik kannte:
ebensowenig wie die seditiosi cives sich auf C. F1aminius und den lilteren Africanus
berufen dtirften, dtirften die Skeptiker Empedok1es, P1aton und Sokrates a1s ihre
Vorbi1der nennen; Ciceros Antwort aus skeptischer Sicht Luc. 72-76.-Es verdient
Beachtung, daJ3 Antiochos (und vor ihm die li1teren dogmatischen Gegner des
Arkesi1aos) die ,skeptische' Akademie offenbar niema1s po1emisch dem Pyrrhonismus
g1eichgesetzt oder auch nur angenlihert haben. In der Auseinandersetzung mit der Stoa
tiber die Sonderstellung der Tugend erscheint dagegen oft der Gedanke: ,Mit dieser
Lehre stellt ihr euch auf eine Stufe mit der radika1en pyrrhoneisch-aristoneischen
Ethik' (Cicero fin. 3,11 videsne verborum gloriam tibi cum Pyrrhone et cum Aristone
esse communem?, fin. 3,12 eadem dicere posses, si sequerere Pyrrhonem aut
Aristonem, fin. 4,60 (Zeno) si ea, quae dicit, ita sentiret, ut verba significant, quid
inter eum et vel Pyrrhonem vel Aristonem interesset?, vgl. ferner fin. 4,49; Luc. 130).
DaJ3 die dogmatischen Gegner der ,skeptischen' Akademie auf diese Art der deductio
ad absurdum verzichtet haben, zeigt einrna1 mehr, daJ3 man den Pyrrhonismus, die
,Skepsis' im antiken Sprachgebrauch, a1s glinzlich wesensverschieden von der akade-
mischen ,Skepsis' (im modernen Sprachgebrauch) ansah.-Als Antwort auf den
Vorwurf des Abfalls von der Lehre P1atons betonten die ,skeptischen' Akademiker
stets die Kontinuitlit aporetischen Denkens von den Vorsokratikern tiber Sokrates und
Platon his hin zur eigenen Zeit; neben ac. 1,44-46 typisch z.B. Cicero, n. d. 1,11 ...
haec in philosophia ratio contra omnia disserendi nullamque rem aperte iudicandi
profecta a Socrate, repetita ab Arcesila, confirmata a Carneade usque ad nostram
viguit aetatem. Zum oben ausgeschriebenen historischen AbriJ3 antiocheischer
Prligung findet sich ein Gegensttick aus dezidiert skeptischer Sicht in De oratore
3,67f.: dort werden Arkesilaos und Karneades ausdriicklich als die wahren Erben
sokratisch-platonischen Denkens herausgestellt.
[1351136] ANTIOCHOS UND DIE STOA 101
32 U.a. Annemarie Lueder (s. Anm. 8) 12, 66f.-Nach einer sehr wahrscheinlichen
Vermutung Gluckers (Antiochus [s. Anm. 5] 28-30) diirfte auf stoischer Seite vor
allem Panaitios seine eigene Lehre wirklich als eine ,Verbesserung' der Lehre der
Alten Akademie angesehen haben; da Antiochos den Panaitios-Schiiler Mnesarchos
horte, wird er die erste Anregung zu diesem von ihm spater immer wieder geauBerten
Gedanken von Panaitios und Mnesarchos empfangen haben.
102 ANTIOCHOS UND DIE STOA [136[137]
33 Ruch (zur Stelle) nennt das eine ,verwirrende Bemerkung', ahnlich Gigon (s.
Anm. 2) S. 11. In der Ethik und in der Giiterlehre teilt Cicero die antiocheische
Auffassung, die Stoiker unterschieden sich nur durch eine andere Terrninologie von
der akademisch-peripatetischen Lehre (s. Verf., Untersuchungen zu Ciceros
Philosophie, Heidelberg 1974, S. 198-205). Aber hier war von der stoischen Ethik nur
knapp die Rede (ac. 1,37 haec non tam rebus quam vocabulis commutaverat), und es
bleibt merkwiirdig, daB Cicero Varro und damit Antiochos in einem so umfassenden
Sinne beipflichtet, zumal er doch unmittelbar danach zeigen will, daB vielmehr die
,skeptische' Richtung des Arkesilaos das platonisch-sokratische Denken legitim
fortgefiihrt habe. Gorenz vermutete einen Oberiieferungsfehler und anderte in: horum
(der Stoiker) esse arbitror ... Aber das ist sprachlich nicht iiberzeugend und lindert an
der Sache nichts. Vielleicht ist Ciceros AuBerung nur als ein freundliches
Kompliment zu deuten; es ist aber auch nicht auszuschlieBen, daB Cicero mit
Antiochos manche Obereinstimmung zwischen der Stoa und dem friihen Platonismus
sah.
[137] ANTIOCHOS UND DIE STOA 103
34 Dieser Vorwurfist zuerst fur Karneades bezeugt (Cicero Tusc. 5,120;fin. 3,41;
vgl. rep. 3,12), vor allem aber fiir Antiochos se1bst (Cicero leg. 1,38; 1,54;fin. 3,10;
4,57; 4,60; 4,78; 5,22; 5,74; Tusc. 5,32; n. d 1,16 u.o. A. M. Ioppolo, Opinione (s.
Anm. 29) 19 sieht in der oben besprochenen Stelle (Luc. 16) zu Unrecht ein Zeugnis
fiir eine solche Behauptung schon durch Arkesi1aos. Dorrie, Die geschichtlichen
Wurzeln (s. Anm. 8) 420 vermutet einen Irrtum Ciceros.-Ganzlich unglaubhaft ist es,
daB bereits Polemon lehrte, Alte Akademie und Stoa stimmten in der Sache iiberein,
und daB bereits er seinen SchUler Zenon im gleichen Sinne wie spater Antiochos
(Cicero fin. 5,74; s. dazu oben) des Diebstahls bezichtigte, was unlangst C. Levy
(Revue des Etudes Latines 62, 1984, 124) aus Diogenes Laertios 7,25 = SVF 1,5
herausgelesen hat: (Polemon zu Zenon) ,lch bemerke sehr wohl, daB du dich durch die
Gartentiire einsch1eichst und mir meine Lehrsatze stiehlst, die du dann phOnizisch
einkleidest' (vielleicht aus Hippobotos' Schrift II~:pt aipsouuv; so M. Gigante,
Frammenti di Ippoboto, in: A. Mastrocinque [ed.], Omaggio a Piero Treves, Padua
1983, fr. 10 und S. 170; anders Wilamowitz, Antigonos von Karystos, Berlin 1881
[Nachdruck 1965], 104 Anm. 2). Nach Antiochos hestand zwischen Alter Akademie
und der Stoa sachliche Obereinstimmung, die nur durch terminologische
Mystifizierungen von stoischer Seite verunklart wurde; Po1emon und Zenon dagegen
stritten sich iiber die Sache (Cicero fin. 4,45). Wenn die ,ganz torichte anekdote"
(Wilamowitz) nicht lediglich eine Riickprojektion des spateren antiocheischen
Standpunkts ist, bezieht sich der Vorwurf des ,Diebstahls' auf den gemeinsamen
Ausgangspunkt: Wie Polemon war Zenon vom ,NaturgemaBen' ausgegangen, dann
aber zu ganz anderen Ergebnissen ge1angt.
104 ANTIOCHOS UND DIE STOA [13711381139)
1 Aus Laktanz, inst. 6,5,2f., zitiert nach C. Lucilii carminum reliquiae, rec. et
enarr. F. Marx, vol. 1-2, Lipsiae 1904-5; knappe Kommentierung in Lucilius, Satiren,
lat. u. dt. von W. Krenke!, T. 1-2, Berlin 1970, 710f. (fr. 1342-54).
2 Zuletzt von S. Koster, Neues virtus-Denken bei Lucilius, in: Begegnungen mit
daB Lucilius I stoische Lehren wiedergibt. Meist wird dabei auf Pan-
aitios verwiesen. 3 In der Tat ist es wahrscheinlich, daB der Dichter
durch Panaitios, der wie er dem Freundeskreis urn Scipio Aemilianus
angehOrte, mit der stoischen Philosophie vertraut gemacht wurde.
Aber im einzelnen ist ein EinfluB des Panaitios nicht zu beweisen. Mit
Ausnahme des im letzten Verspaar ausgesprochenen Gedankens (Vor-
rang der patria vor dem eigenen Vorteil), der in Cicero, off 1,58 eine
gewisse Entsprechung hat, HiBt sich kein ausdriicklich fiir Panaitios
bezeugter Gedanke erkennen. 4 Der Text enthalt jedoch-und das ist
merkwlirdigerweise fast unbeachtet geblieben-mehrere Termini der
alteren stoischen Ethik in origineller lateinischer Dbersetzung und
verdient schon deshalb genauere Beachtung: als ein fiiiher V ersuch
der Obertragung spezifisch philosophischer Sprache in das noch
ungefiige Medium des Lateinischen. Auch als Erganzung unserer eher
sparlichen N achrichten tiber die stoische Gtiter- und W ertlehre
zwischen Chrysipp und Panaitios sind die Verse des Lucilius auf-
schluBreich und wichtig, so daB eine erneute Behandlung ge-
rechtfertigt erscheint.
1.
Bereits SchmekeP und Pohlenz6 hatten darauf beilaufig hingewiesen,
daB hinter pretium persolvere mit groBer W ahrscheinlichkeit der
stoische Begriff a~{a, , Wert', stehe, und auch in dies em Zusam-
menhang Panaitios I genannt. In den uns vorliegenden Zeugnissen
a.a.O. 118; M. Puelma Piwonka, Lucilius und Kallimachos, Frankfurt a.M. 1949, 36
m. Anm. 1; 39; Krenke! z. St.; Garbarino 521 m. Anm. 4. Der Aussage von Laktanz
(inst. 6,5,4 = Panaetius fr. 43 v. Str.) ab his definitionibus, quas poeta breviter
conprehendit, Marcus Tullius traxit o.fficia vivendi Panaetium Stoicum secutus eaque
tribus voluminibus inclusit, darf nicht entnommen werden (Koster 8), schon Laktanz
habe im AnschluB an Cicero die Luciliusverse mit der Philosophie des Panaitios in
Zusammenhang gebracht.
4 Die Erwahnung von utile und hones tum beweist nichts: Beide BegritTe wurden in
der Stoa von Anfang an verwandt, meist in bewuBt paradoxer Gleichsetzung. Vgl.
Adlers Index (SVF vol. 4) s. v. KaA6v, crDJ.l<pepov, XP~ffiJ.lOV, A.umn:Al~, w<peAtJ.lOV.
5 A. Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa (in ihrem geschichtlichen
tiber die stoische Lehre vom ,Wert' wird Panaitios jedoch nirgends
erwahnt, wohl aber seine heiden bedeutenden Lehrer Diogenes ,von
Babylon' und Antipater von Tarsos. Wir erfahren, daB sie tiber die
Bedeutung und tiber die Funktion des Begriffes a~ia verschiedener
Meinung waren. GewiB ist es denkbar, daB auch Panaitios in dieser
Frage Stellung bezogen und seine eigene Meinung im Scipionenkreis
dargelegt hat; aber da jedes Zeugnis dariiber fehlt, ist es geraten, ihn
zunachst ganz aus dem Spiel zu lassen und den Lucilius-Text mit den
gesicherten Aussagen tiber die stoische Lehre von der a~ia zu
vergleichen.
Es sind im wesentlichen zwei Texte, 7 in denen die Bedeutung der
a~{a innerhalb des stoischen Systems dargelegt wird. Da der Uberlie-
ferungszustand schlecht und der Wortlaut oft nicht eindeutig ist,
empfiehlt es sich, sie im einzelnen durchzugehen. Der erste Bericht
findet sich im AbriB der stoischen Ethik des Areios Didymos, der bei
Stobaeus erhalten ist (2,83,10-84,17 = SVF 3,124f.): mivra 8 n1 Kara
<pUOW ~iav EXctV Katmivm ra napa <pUOW ana~iav. TI]v 8 a~iav
Akyccr8m rptx&~, r~v rc 86mv Kat LtJ.l~V 8 Ka8' aino Kat TI]v UJ..LotP~v
LOU 8oKtJ..LaaLOU ...
Da erst nach diesem Abschnitt eine dritte Bedeutung erwahnt
wird, sind offenbar innerhalb des Abschnitts nur zwei der ange-
kiindigten drei Bedeutungen genannt; zwei der drei Formulierungen
gehOren also zusammen. Das wird auch dadurch bestatigt, daB weiter
unten (84,9 f.) im AnschluB an einige Erlauterungen zu den Wortem
86m~ und 8oKtJ..Lacr~~ (-6v) festgestellt wird, nun seien zwei
Bedeutungen behandelt. Der Schltissel zum V erstandnis liegt in der
7 Nicht drei, wie die willkiirliche Zerlegung des Stobaeusberichtes durch von
Arnim suggeriert. Beide Texte wurden eingehend behandelt von M. Schafer, Ein
fiiihmittelstoisches System der Ethik bei Cicero, Miinchen, Phil. Diss. 1934, 42-60; R.
Philippson, Besprechung von Schafer, Philologische Wochenschrift 56, 1936, 596-
599; E. Grumach, Physis und Agathon in der alten Stoa, Berlin 1932 (Problemata 6),
21 m. Anm. I; 0. Rieth, Grundbegriffe der stoischen Ethik, Berlin 1933 (Problemata
9), 95-101; M. Forschner, Die stoische Ethik, Stuttgart 1981, 165-171. Vgl. auch
Pohlenz, Stoa 2, 68; A. A. Long, Phronesis 12, 1967, 65-69; H.-Th. Johann,
Gerechtigkeit und Nutzen. Studien zur ciceronischen und hellenistischen Naturrechts-
und Staatslehre, Heidelberg 1981, 661 Anm. 37.
oe
8 Oberliefert ist ... n)v 06ow Kat TI]v ... Das kann nicht richtig sein, da dann
bereits drei Bedeutungen genannt wliren. Meinekes oben aufgenommene Konjektur ist
bestechend: 06mv Kat n~-t~V ist dann ein explikatives Hendiadyoin. Aber eine gewisse
Unsicherheit bleibt, und Forschner (165, 168) hlitte aus diesem Wortlaut keine
weiterreichenden Folgerungen ziehen sollen.
108 ZUM V1RTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4471448)
9 So richtig Philippson, a.a.O., 597 m. Anm. 4 (,ein Urteil, das einer Sache Wert
,gibt'"); falsch Pohlenz, Die Stoa 2, 68 (,,was man dafur zu geben hat', wohl
Handelsausdruck"): ~6mv nou:tcr9ai nvos heiBt , Wert legen auf etwas'-vgl. Dionys.
v. Hal., Dem. c. 18 nOtOUJ.!I:VOt rils ~oovf\s 06mv, c. 48 Toilnptnovws Enou:l:w 06mv,
c. 51 Tfls oiKoVOJ.!tU<; noU~v n. o. Auch in der hier vorliegenden Bedeutung ( ethische
Wertzumessung) begegnet die Junktur nou:tcrOat 06mv (SVF 3,684 = Stob. 2,
105,11ff.): J.!T]OE yap ~v KUT' a~{av nou:tcrOat 06mv rils &perij<; TWV <pUUAwV nvci,
crnouoatov J.!Ev yap dvat ~v 06mv, Enl<JnlJ.!TJV m'lcrav, Kae' ~v ~t6A.oy6v Tl ~YoUJ.!cOa
n~:pmou:tcrOat ...
10 So richtig schon A. Bonhoeffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, Stuttgart 1894
(Nachdruck Stuttgart 1968), 171 Anm. 1, gegen den Grumach (a.a.O. 21 Anm. 1) zu
Unrecht polemisiert (aJ.totP~ = ,Vollzug des Wertens"; iiber diese vollig abwegige
Deutung s. Rieth, a.a.O. 96). Auch Longs (a.a.O. 67) Obersetzung (,appraisal of an
expert") iiberzeugt nicht, denn UJ.!OtP~ bezieht sich in der Regel auf einen vollzogenen
Handel, nicht aufbloBe Schatzung.
11 Gelegentlich wird ,absolut Wertvolles' und ,Sittlich-Wertvolles' gleichgesetzt
(z.B. bei F. Klose, a.a.O. 135; J. Moreau, Ariston et le stolcisme, Revue des Etudes
Anciennes 49, 1947, 27-48, hier 29); alles andere, wie das ,Niitzliche' und das
,NaturgemaBe', heiBt dann ,relativ wertvoll'. Dieser Sprachgebrauch ist durch nichts
gerechtfertigt und stoischem Denken fremd, wie allein die gut bezeugte
Unterscheidung zwischen npOTJY!lEva ot' ainu und npoTJYJ.tEva ot' ihepa (vgl. u. S. 116
[454]) beweist.
12 Falsch Rieth, a.a.O. 96, Long, a.a.O. 66 (vgl. jedoch seine Anm. 20), und
Forschner, a.a.O. 165, die die an erster Stelle genannte a~{a auf das Sittlich-Gute
beschriinken. Das wird schon durch die klare Aussage Stob. 2,84,9ff. widerlegt, die
heiden vorangehenden Bedeutungen von a~{a seien auf npmwJ.tEva zu beziehen.
[4481449] ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 109
TWV npayJ.HlTffiV TUO nva J..laUov avn TWVO aip01lf..l8a, otov uyttav
UV'tt v6aou Kat sro~v avn eavawu Kat 1tAoihov UV'tt 1tVtat;.
Man kann verstehen: ,Antipater hat die dritte (auch ihm bereits in
einer alteren Liste vorliegende) Bedeutung von a~{a die ,auswahl-
bezogene" (,auswahlende") genannt.' Weiter unten (84,11ff.) wird
jedoch mitgeteilt, daB Antipaters Vorganger, Diogenes von Babylon,
eine ganz andere dritte Bedeutung kannte, so daB es naherliegt, hier zu
paraphrasieren: ,Als dritte Bedeutung nannte (im Sinne von: fiigte
hinzu) Antipater ... ' Fiir diese Interpretation spricht auch, daB die
Auswahl ( lKA.o'Yll) in Antipaters Ethik zentrale Bedeutung hat; wahr-
scheinlich hat er darum auch bei der Definition des Wertes die
Bedeutung der ecloy~ herausgestellt. Wodurch sich die zweite Bedeu-
tung von der dritten Bedeutung Antipaters unterscheidet, ist klar: Im
Falle der zweiten Bedeutung hat derjenige, der einen als wertvoll
erachteten Gegenstand erwerben mochte, einen Kautpreis zu entrich-
ten (eben die Uf..lotP~); im Falle des Auswahlwertes dagegen nicht: Es
stehen jeweils zwei oder mehr Dinge zur Auswahl, 13 und man hat nur
eine Entscheidung zu treffen. Die wohl nicht von Antipater stammen-
den Beispiele sind ein wenig grob geraten, denn es ist im Regelfall
kaum an die Wahl zwischen Gegensatzen zu denken. I
Wir iibergehen einen Satz, in dem erlautert wird, daB auch der
Begriff , Unwert' (ana~{a) dreifach verwendet wird. 14 Stobaeus fahrt
gestatten', d.i. wenn beides zur Verfiigung steht (so richtig Phi1ippson, a.a.O. 599).
Abwegig Rieth, a.a.O. 97:, ... bedeutet, daB die Dinge selbst den AnlaB zu der 86m~
geben, das eine mehr als das andere zu wahlen." Rieth (a.a.O. 97-101) betontjedoch
mit Recht den objektiven Charakter auch der EiliKn!dj al;{a (falsch Pohlenz, Die
Stoa, Bd. 1, Gottingen 2 1959, 187: ,Wert, den die Dinge erst dadurch erhalten, daB
wir sie aus den Adiaphora als unserer Natur entsprechend auswahlen"). Eine our
subjektive Geltung des Auswahlwertes ware ganz unstoisch. Auch den npormuNa
haftet ihr Wert objektiv an, und ohne eine solche objektive Giiltigkeit der Werthohe
konnten sie ihre Orientierungsfunktion (z.B. in der Oikeiosis) gar nicht erfiillen. Aber
das schlieBt nicht aus, daB in der Relation zu anderen Giitem (und das ist der
Normalfall im praktischen Leben) der gleiche Gegenstand bald hoherwertig, bald
minderwertig erscheint. Auch Seneca, ep. 92, ll-13 darf nicht als Argument fiir eine
,wertstiftende' Funktion der tKA.oy~ verstanden werden: Dort ist nur klargestellt, daB
der sittliche Wert in der Handlung liegt, nicht in ihrem Gegenstand. Vgl. H. Chemiss
zu Plutarch, comm. not. c. 26, 1071 B (= SVF 3 Ant. 52), in: Plutarch's Moralia in 17
Volumes, vol. 13,2, with trans!. by H. C., Cambridge, Mass. 1976, 751-753 Anm. g,
M. Soreth, Die zweite Telosformel des Anti pater von Tarsos, Archiv Geschichte der
Philosophic 50, 1968, 61 Anm. 35.
14 Nach Stobaeus (2,84,3) gilt fiir die drei Arten der anal;{a in Umkehrung das tn1
Tfj~ nporrrt~ al;ta~ Gesagte (Wachsmuth schreibt Tpmfj~). Gemeint ist wohl ,die erste
110 ZUM V7RTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4491450]
fort mit Erlauterungen, die Diogenes von Babylon zu zwei der bereits
erwahnten Bedeutungen von &#a gegeben hat, namlich zur &#a als
86crt~ und Bewertung Ka8' ain6 und zur a#a als Uf..l01~~ 'tOU
OOKtf..taO"TOU (84,4-9): 't~V OE 06crtv cpTJO"lV 6 ~toyevT]c; KplcrtV dvat, scp'
ocrov XPtav til cpucret napexetat. 'tO OE OOKtf..laO"'tOU, 15 oux me; A-eyetat
TU npayf..taTa OOKtf..taO"TU napaAaf..t~avw8at, aU' me; 00Ktf..tacrn1v
cpaf..tev dvm 1:ov 1:a npayf..tata ooKtf..tasovTa. Tile; oDv uf..tot~flc; 1:ov
Totou1:6v cpTJcrt16 OOKtf..tacr~v etvat.
Auch nach Auffassung des Diogenes also ist die 86mc; eine
objektive Entscheidung und Beurteilung. Neu (und wahrscheinlich
seine eigene Prazisierung) ist die Unterscheidung zwischen unmittel-
bar NaturgemaBem und solchen Dingen, die ,fUr die Natur von
Nutzen' sind. Was damit gemeint ist, ergibt sich z.B. aus SVF 3,135 =
Diog. L. 7,107: eucpuia, ,schOner Wuchs', vielleicht auch: ,gute An-
lagen', npoKon~, ,geistiger und sittlicher Fortschritt', sind wertvoll an
sich (ot' aina npoflKTat); Reichtum, Adel usw. dagegen sind wertvoll
als Mittel zum Zweck (ot' Ihepa), denn sie konnen von Nutzen sein
beim Erwerb des NaturgemaBen (on neptnotet XPiac; ouK 6A-iyac;). 17-
Zur I zweiten Bedeutung von &~ia gibt Diogenes lediglich eine gram-
matische Erlauterung. Dann faBt er zusammen (84,9-11 ): Kat taUTac;
f..lEv Tac; Mo &~iac; Ka8' ac; AEYOf..lBv nva til a~{g npoflx8m, und fahrt
fort (84,11-13): TPl'TIJV oe cpTJcrtV dvat, Ka8' ilv cpaf.!EV a~tffiJ.lU nva
EXEtV Kat &~iav, ilnep nept aotacpopa ou yivTat, UMU 1tpt f..lOVa TU
Einteilung' von a~{a-vgl. Stob. 2,42,22 ta np&ta ~PTJ mu ~eucou A6you, wo auf
die erste (grobe) Einteilung eine feinere Unterteilung folgt. Diogenes L. 7,84 (= SVF
3, I) nennt m:pt Tfj~ npc&TTJ~ a~{w; a1s Tei1gebiet der Ethik; was damit gemeint ist, ist
dunkel. In der Formulierung vergleichbar ist Cicero, Lucullus 99 duo placet esse
Carneadi genera visorum; in uno hanc divisionem ... Aus dem Zusammenhang ist
klar, daB genus hier nur ,Einteilungsprinzip' heiBen kann.
15 Konjektur von Meineke; iiberliefert ist OOKt~tam6v.
16 Konjektur von Wachsmuth; iiberliefert ist <pam; in Z. 11 (tpt'tT)V 0 <pT)mV dvat)
sind be ide F ormen iiberliefert. Ausschlaggebend scheint, daB in Z. 13 nur der Singular
erscheint: dann muB sich auch das Vorangehende aufDiogenes beziehen.
17 Ahnlich SVF 3,133 = Stob. 2, 80,15 (fiber die aoui<popa mit hoherer oder
geringerer a~{a): Kat 'tU ~ KaB' ainu, 'tU of. 1tOIT)'ttKU. In Analogie dazu steht die
Unterscheidung zwischen ayaea teAtKa und ayae<i 1totT)'ttKU, z.B. SVF 3,106 = Stob.
2, 71,15-72,3: Ein Freund ist nur ein ,herstellendes', , vermittelndes' Gut; echte Freude
(xapa), Getrostheit (Bappoc;) und-ein wenig iiberraschend-,vemiinftiges Einher-
schreiten' (<ppovt~TJ nepma'tT)mc;) sind ayaea teA.tKa. Dieser Terminus allerdings ist
auf die ayaea beschrankt: Kata <pumv (als 1tpOTJY~Eva) heiBen nie 'ti:AtKU (gegen
Phi1ippson 598); denn teAtK6c; (nicht tA.etoc;!) bedeutet ,zurn Telos gehOrig',
,beitragend zur Erfullung des Telos'. Das aber gilt fur die npoT(y~INa gerade nicht.
[4501451] ZUM VlRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 111
18 In SVF 3,16 = Stob. 2,77,18f. wird das ,Leben in Ubereinstimmung' mit dem
,Leben nach der Natur' ausdriicklich identifiziert. Ob Zenons Schrift IIspt toil Katu
qn)mv ~{ou (vgl. SVF 1,41 = Diog. L. 7,4) einer unvollkommenen Lebensform
gewidmet war, ist ebenfalls sehr zweifelhaft. Rieth a.a.O. 101 und Forschner a.a.O.
217f. gehen wohl zu Unrecht davon aus, daB der Gegensatz terminologisch fixiert ist.
Besonnen Pohlenz, Die Stoa 2, 68.
112 ZUM f'iRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [451]
19 A.a.O. 596.
20 Weizen und Gerste werden erwahnt; Ieider ist die Dberlieferung gestOrt, und es
wird nicht klar, welche Funktion der Maulesel hat ( crUV ~1-UOVCQ ). Vielleicht ist mit von
Arnim ~1-ttoA.{ou~ zu schreiben, also ein Tausch im Verhaltnis 1:1,5 gemeint. Wichti-
ger als diese Einzelheiten ist, daB hier (bei Diogenes von Babylon, oder fiiiher) Kauf
und Tausch offenbar noch nicht geschieden sind; Antipater v. Tarsos unterschied dann
die UJ.tot~~ als Kaufpreis von der eiliKttK~ a~ta. Long, Phronesis 12, 1967, 67 Anm.
22, verweist zu ~v iiv 6 eJ.tm::tpo~ TOOV npaywhmv TU~1] ansprechend auf Chrysipps
Telosformel SVF 3,4 = Diog. L. 7,87 KaT' EJ.l7tEtptav Tffiv <pucrst cruJ.t~atv6vTmv ~fjv.
[4511452] ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 113
immer wieder angegriffen. 21 In gleicher Weise ist in der alten Stoa der
Begriff des ,NaturgemaBen' (KaTa cpuow) I fast ausnahmslos auf die
nporm.uwa beschrankt. 22 Das mag iiberraschen, denn es ware ja fUr die
Stoiker, die im ,Leben in Obereinstimmung mit der Natur' das hOch-
ste sittliche Ziel sahen, nicht gerade systemwidrig, auch die Tugend
und die sittlichen Giiter als ,naturgemaB' zu bezeichnen; aber von den
friihen Stoikern hat das offenbar niemand getan. Im Gegenteil: Wir
erfahren ausdriicklich, daB alle KaTa cpuow zu den &ouicpopa gehOren.
Daraus ergibt sich, daB der Begriffsumfang der nporm..teva, der KaTa
cpucnv und der &~iav exovTa im wesentlichen identisch ist. 23 Die von
Diogenes von Babylon an dritter (im Bericht des Diogenes L. an
erster) Stelle genannte Verwendung von &~ia als ,Wiirde des Sittlich-
Guten' konnte es also noch nicht geben: Sie ist in der Tat eine Neue-
rung des Diogenes von Babylon.
Aber wir konnen noch einen Schritt weiter gehen. V ermutlich geht
auch die bei Stobaeus an zweiter (bei Diogenes L. an dritter) Stelle
genannte Bedeutung nicht his auf Zenon zuriick, sondern ist eine
21 Nur ganz selten wird dem ,Guten' Ui;{u zugesprochen: SVF 1,192 und SVF
3,128 = Stob. 2,85,3f.: ou8ev 8e 'tOOV ayaewv dvut 1tOTJY~OV 8ta ton)v f..le'(t<m]V
a~{uv UU'tU EXEtv-wahrscheinlich von Zenon selbst formuliert im Zusammenhang mit
der Einfiihrung der Begriffe npoT]y~ov und anonpoT]y~ov, also noch vor der
terminologischen Verfestigung; SVF 3,208 = Stob. 2, I 00,18 (in einer teils
hymnischen, teils bewuBt paradoxen Aufziihlung von Epitheta der apetft): ... Kilt
1t0MOU a~tov, on UVU7tEp~AT]'tOV EXEl n)v U~tuv. Cicero spricht gelegentlich (inv.
2, 157; part. or. 89; Tusc. 2,46) von der dignitas des Sittlich-Guten. Damit ist jedoch
kaum der priignante stoische Begriff a~iu gemeint, sondern die glanzvolle Wtirde, die
der Tugend und ihren Vertretern anhaftet (vgl. auch fin. 2,51; Tusc. 5,31 ). 1\-S{a im
technischen Sinne gibt Cicero wieder durch aestimatio; was a~{u hat, heiBt
aestimandum, aestimabile, aestimatione dignum I dignandum (vgl. H.-J. Hartung,
Ciceros Methode bei der Dbersetzung griechischer philosophischer Termini, Ham-
burg, Phil. Diss. 1970, 155-158). Infin. 3,34 ist zwar die aestimatio virtutis genannt,
aber deutlich abgesetzt von der aestimatio, quae a~{a dicitur (vgl. fin. 3,39; Seneca,
ep. 74,27). In fin. 3,53 spricht Cicero---soweit ich sehe, ohne Parallele-von
aestimatio mediocris (f..!Ecros bezeichnet auch sonst den Bereich der a8uicpopu-vgl.
Adlers Index, dazu Cicero Lael. 22 mediocris amicitia). Seneca unterscheidet ep.
71,33 das pretium der &8uicpopu von der dignitas des ,Guten' (vgl. dazu u. S. 126f.
[462]).
22 Vgl. Long, a.a.O. 65 m. Anm. 15.
23 Zu den in sich nicht ganz widerspruchsfreien Berichten iiber eine Abstufung
innerhalb der a8uicpopu mit a~{u s. M. E. Reesor, The ,lndifferents" in the Old and
Middle Stoa, T.A.Ph.A. 82, 1951, 102-110; I. G. Kidd, Stoic Intermediates and the
End for Man, in: A. A. Long (Hg.), Problems in Stoicism, London 1971, 150-172
(erste Fassung in Classical Quarterly N.S. 5, 1955, 181-194); G. B. Kerferd, Cicero
and Stoic Ethics, in: Cicero and Virgil. Studies in honour of Harold Hunt, Amsterdam
1972, 60-74.
114 ZUM VTRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4521453]
24 Die technische Verwendung von a~{a und arca~{a geht wahrscheinlich bis auf
Zenon zuriick; vgl. SVF 1,192 = Stob. 2,84,23f.: Z~vmvoc; mumc; tac; ovo!!amac;
9e!!evou rcpdnou tote; rcpay!!amv (wenn man mit Kidd, a.a.O. 165, diese Aussage auf
beide zuvor genannten Begriffspaare beziehen dart).
25 SVF 1,361 = Sextus Emp., math. 11,64-67; eine ahnliche Relativierung auch
not. c. 23, 1069E, das wohl mit Recht meist der Polemik gegen Ariston zugewiesen
wird. Das erste Argument besonders ausfiihrlich SVF 3,26 = Plutarch, comm. not. c.
27, 1071F; das zweite SVF 3,114 =Clemens Alex., strom. 4,6 p. 265,30-266,1 Stahlin
a
(GCS 52): aveu 8 t&v !!l:'ta~U, 8~ UAT]c; lrcxet ta~tv, ou9' at aya9at ou9' at KUKUt
cruvimavtat rcpa~etc;. Zu den Kata <pumv als UATJ der Sittlichkeit vgl. u. S. 116-119
[454-456].
[4531454] ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 115
Unwert umschlagen konne, aber er hielt auch daran fest, daB der Wert
etwa von Gesundheit und Reichtum objektiv, iiberindividuell und
absolut sei. Die Einschatzung konne unter zwei verschiedenen Aspek-
ten geschehen: als Wertzumessung ,an sich' oder als relative Hewer-
tung in einer konkreten Situation-entweder als 86crt~ und Ka8' m'n6,
oder als allot~~ wu 8oKt!lamou, wie es bei Stobaeus formuliert war.
Der urspriinglich einheitliche a~ia-Begriff war damit in zwei
verschiedene Bedeutungen aufgefachert. Fiir die Richtigkeit dieser
These spree hen auch andere Indizien: Der absolute Wert ist bei
Stobaeus bezeichnet durch Ka8' a1rr6. Das ist nun aber auch eine der
vier Kategorien, die die Stoiker nach Simplikios kannten. 27 Und es ist
gut bezeugt, daB Chrysipp sich in einer besonderen Schrift gegen
Aristons Tugendlehre gewandt hat, in der es im wesentlichen urn die
Zuordnung der Tugenden zu einer bestimmten Kategorie ging. 28 Es
liegt also nahe, daB Chrysipp sich auch in der Frage der a~ia dieses
terminologischen Apparats bedient hat. Ferner: Ariston hatte in seiner
Polemik gesagt (SVF 1,361 = Sextus Emp. math. 11,67): ... v TOt~
!lEa~u &perij~ Kat KaKia~ npawamv ou <pumKJ1 n~ yivE'tat hepmv
nap' !hcpa np6Kptcrt~, Ka'ta nEpicrmow 8 !liiAAOV. Der Terminus
nEptcr'tacrt~ begegnet nun auch in einem nahe verwandten Begriffs-
paar. Die Stoiker unterschieden zwei Arten von ,einwandfreien' d.i.
naturgemaBen, aber noch unterhalb der Ebene des Sittlichen liegenden
Handlungen (SVF 3,496 = Diog. L. 7,109): Kat a !lEv dvm
Ka8~KOV'ta UVEU 1tcp10"'t"UO"Effi~, a 8 1tEptcr'tU't"lKU. Kat avcu !lEv
1tEplO"'tU0"(0~ 'tUb' vymia~ S1tlJ.lEAEtcr8at Kat aicr8r]'tl']ptffiV Kat 'tU
O!lota KU'ta 1tptO"'t"UcrtV 8 'tO 1tTJpOUV aU'tOV Kat TIJV Krijcrtv
8tappmn:1v. Die Beispiele kommen den oben referierten des Ariston
so nahe, daB man auch hier an eine Auseinandersetzung mit ihm
denkt: 29 I Es wird ein Mittelweg gesucht zwischen der dem Kynismus
27 SVF 2,403 = Simplicius in Arist. cat. p. 165,32-166,29 Kalbfl. (CAG VIII). Vgl.
dazu Rieth, a.a.O. 84-88; J. M. Rist, Categories and their Uses, in: A. A. Long (Hg.),
Problems in Stoicism, London 1971, 38-57; P. Moraux, Der Aristotelismus bei den
Griechen, Bd. 1, Berlin 1973, 158; F. H. Sandbach, The Stoics, New York 1975, 93f.;
A. Graeser, The Stoic Categories, in: J. Brunschwig (Hg.), Les StoYciens et leur
logique, Paris 1978, 199-221; Forschner, a.a.O. 44-53.
28 SVF 2,17, S. 9,41; vgl. SVF 1,373.
29 Vgl. auch SVF 3,747b = Diog. L. 7,121 ywcrecr8a{ Tf: Kat av8pom{vcov crapKCOV
KaTa 7tep{crmmv (nicht fur Chrysipp bezeugt, wie die Anordnung bei von Arnim
suggeriert). Da/3 einige Stoiker den jeweiligen Umstlinden entscheidende Bedeutung
beima/3en, zeigt der von Proklos (SVF 3,206 = comm. in Plat. Tim. Diehl I, p. 57, lf.)
bezeugte, offenbar hliufig geliu/3erte Satz 80~ 1tep{mamv Kat Aa~E TOV avopa.
116 ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [454]
sittliche Wert ,auf dem Rucken" des auf den GUterwert gerichteten Willensaktes
verwirklicht wird (Der Formalismus in der Ethik, Bern u. Munchen 5 1966 =
Gesammelte Werke 2,48); vgl. auch H. Reiner, Zeitschr. f. phi1os. Forschung 21,
1967, 274; Forschner a.a.O. 182.
[4541455] ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 117
Material des Sittlichen31 nur den Standpunkt von Zenon und Chrysipp
scharfer formuliert hat oder eigene W ege gegangen ist. 32 Aber gewich-
tige Zeugnisse deuten daraufhin, daB bereits in I der alten Stoa die
Auffassung vertreten wurde, das Sittlich-Gute werde verwirklicht
anhand der naturgemaBen Giiter, bestehe in deren verniinftiger
Auswahl:
1. SVF 3,491 =Plutarch, comm. not. c. 23, 1069E: ... dva A.a~ro
Tou Ka8~Kovw~ &px~v Kat UATJV Til~ &pcTfj~, &<pet~ T~v <puow Kat Ta
KaTa <pumv; (wortliches Zitat aus einem Buch Chrysipps). Durch die
rhetorische Frage scheint angedeutet, daB er auBer den KaTa <pumv
keine Materie fiir die ape~ kennt. 33
2. Im gleichen Zusammenhang referiert Plutarch (SVF 3,195 =
comm. not. c. 26, 1071B) ohne Namensnennung: 34 TEA.o~ J.lEv yap TO
EKA-Eyccr8at Kat A.aJ.L~avmv EKetva <ppov{J.Lro~ EKc'iva 8' a\na Kct TO
wyxcivctV a1n&v ou TEAO~, aU' W<J1tcp UATJ n~ l>1tOKctTat ~v EKAEK-
n~v a~{av EXOU<Ja. Plutarch meint die Stoa als ganze: nur der
Fachausdruck EKAEKTtK~ a~{a geht wahrscheinlich auf Antipater
zuriick. 35
31 Eine hiibsche Erlauterung fiir diesen im Grunde ganz schlichten Gedanken gibt
Seneca, ep. 92, 11-13: Dem Menschen als einem mundum et elegans animal ist
saubere Kleidung, gehorige Nahrung, ein schicklicher Gang usw. ,naturgemaB'. Es ist
darum seine Pflicht, nach diesen Werten zu streben. Aber Kleidung, Nahrung usw.
sind deshalb nicht etwa (sittliche) Giiter: ,gut' ist das Streben nach und der Umgang
mit dem NaturgemaBen; actiones nostrae honestae sunt, non ipsa quae aguntur.
32 ,Orthodoxie' von Diogenes und Antipater nehmen an H. Cohn, Antipater v.
Tarsos. Ein Beitrag zur Geschichte der Stoa, Giel3en, Phil. Diss. 1905, 58-60; 0.
Rieth, Ober das Telos der Stoiker, Hermes 69, 1934, 13-45, bes. 14-23; R. Philippson,
Philo!. Wochenschrift 56, 1936, 593-599; M. van Straaten, Panetius, Paris 1946,
152f.; I. G. Kidd, a.a.O. (vgl. Anm. 22), 158; Long, Phronesis 12, 1967, 68-71; ders.,
Hellenistic Philosophy2 London 1974, 195; V. Goldschmidt, Le systeme stoi'cien et
l'idee de temps, Paris 1969, 138-140; I. Hadot, Seneca und die griechisch-romische
Tradition der Seelenleitung, Berlin 1969, 72; Forschner, a.a.O. 224f. Eine stlirkere
Abweichung nehmen an M. Schafer, a.a.O. 16ff. u. passim; M. Pohlenz, Stoa 2, 95f.
In Stoa 1, 186f. formuliert Pohlenz vorsichtiger: ,Er (Diogenes von Babylon) bediente
sich dazu des Begriffes der ,Auswahl', der schon friiher gelegentlich in der Schule
gebraucht worden sein mag, aber jetzt erst konstituierende Bedeutung erhielt."
Unentschieden auch H.-Th. Johann, Gerechtigkeit und Nutzen, Heidelberg 1981,414-
417.
33 Vgl. o. S. 114f. [453] und SVF 3,68 =Plutarch, Stoic. rep. c. 9, 1035C.
34 Vgl. jedoch c. 27, 1072F = SVF 3 Ant. 59 a}.).a 1:0\ho J.!Ev Eimv oi npoc;
Bemerkung, mit der Plutarch die Argumentation gegen die SKA.o'fll-Formel (c. 23-27)
abschlieBt (s. vorangehende Anmerkung), so verstanden werden muB, daB er selbst
die Argumentation als gegen die ganze Stoa giiltig ansah.
118 ZUM nRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4551456]
3. SVF 1,183 =Plutarch, comm. not. c. 23, 1069F: oux1 Kat Z~V(J)V
'tOU'tot~ (namlich Xenokrates und Polemon) ~KOAoU8TJO'CV unon8s-
JlEvot~ crmxEia Til~ sl>8atJlovia~ n)v <pumv Kat a Ka'ta <pumv; Aus
Plutarchs Antwort auf Chrysipps rhetorische Frage (vgl. o. 1.); es
bleibt allerdings offen, ob mit crmxst:a das ,Material' (UATJ) tugend-
hafter Akte oder der Ausgangspunkt (apm) der sittlichen Entwicklung
des Individuums gemeint ist.
4. SVF 3,123b =Plutarch, comm. not. c. 23, 1070A: Die Stoiker
sind inkonsequent, indem sie die gleichen Dinge ouMv JlEv npo~ ~Jla~,
apxa~ bE 'tWV Ka811KOV'tffiV nennen.
5. SVF 3,191 = Epiktet, diss. 2,6,9 (wortlich aus Chrysipp): JlEXPt~
av UbllAU JlOl u
'ta E~fj~, as\ 'tWV sU<pUSO"tEpmv EXOJlat npo~ 'tO
rurxavstv 'tWV Ka'ta <pUO'tV' aU'tO~ yap Jl, 6 8so~ 'tOtoU'tffiV EKASKTIKOV
noi11crcv. Der Versuch von Pohlenz, die Stelle Chrysipp abzu-
sprechen, iiberzeugt nicht. 36
6. SVF 3,114 =Clemens Alex. strom. 4,6 p. 265,30-266,2 Stahlin
"
(Gcs 52) : avsu ... mv
~
JlS'ta..,u,
~ I
an u11 ' I I~ , , ' ' e \
UJI.ll~ snsxst a..,tv, ou 8 at aya at
<;: \ <I~.
ou8' at KaKat O'UVtO"taV'tat 1tpa~st~ OtOV /;;mfj~ Aym Kat uytsta~ 'tWV 'tS
aUmv 'tWV avaYKatffiV ~ 1tcptcrmnKWV. Die Beispiele passen freilich I
nicht recht zur Aussage: Leben und Gesundheit sind elementare Vor-
aussetzungen fur Handeln iiberhaupt, nicht ,Materie' sittlicher Akte.
7. SVF 3,64 = Alexander Aphrod. de an. p. 160,10-14 Bruns
(CAG supp.1 II , 1) : ouK , " , I ' , \ \ \ , I
scrnv aumpKll~ 11 aps11 npo~ m~ otKsta~
vspysia~, nd 8sl'tat Kat 'tWV 1tcpl a ~ vpysta E~mesv OV'tffiV auTfl~.
ou8 yap, ro~ <pacriv, 'tOV cbv OUK avsu A6yov EXEt m\ha, aU' crnv
KtVllTIKa Til~ apsTfl~ ... moxai;;smt yap aU'tWV, ro~ Kat Til~ oiKda~
uA-11~ oi 'tS)(Vtmt. Selbstverstandlich kann die Stoiker diese
peripatetische Kritik nicht treffen.
8. SVF 1,365 = Cicero, fin. 3,50 (tiber die Wertunterschiede
innerhalb der Natur): quam (sc. differentiam rerum) si non ullam esse
diceremus, confunderetur omnis vita, ut ab Aristone, neque ullum
sapientiae munus aut opus inveniretur, cum inter res eas quae ad
vitam degendam pertinerent, nihil omnino interesse! neque ullum
defectum adhiberi oporteret. Hier kann allerdings ,mittelstoischer'
36 So richtig Johann, a.a.O., S. 662 Anm. 39. Auch SVF 1,182 = Epiktet, diss.
1,20,15 {wi:irtlich aus Zenon) dA.oc; tml 1:0 enwl.lm l.leoi:c;, ouma 8' ayal.lou JWfjmc; ol'a
bet <pavmm&v wird von Pohlenz wahl zu Unrecht abgewertet (Die Stoa 2, 149),
zumal der Gedanke durch SVF 3,119 = Diog. L. 7,1041:fjc; noi:ac; aun7Jv (Reichtum,
Ruhm usw.) XP~cmuc; eulim!lovucfjc; ODCJllS ~ KaKolim!lovtKfjc; gestiitzt wird.
[456] ZUM f'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 119
Nicht ganz richtig darum Forschner, a.a.O. 224 Anm. 68, der unter <JKon6~ ,das
Treffen des anvisierten Zieles' versteht; M. Soreth, a.a.O. (vgl. o. Anm. 13) 50 Anm.
9, die die EUOat!-!OVta als <JKon6~ ansieht, kann sich dafur auf Stob. 2,77,25 berufen;
eine gewisse Widersprtichlichkeit in der Uberlieferung kann nicht bestritten werden.
39 Gelegentlich ist apodiktisch vom ,Bogenschiitzen des Antipater' die Rede; fur
Philippson, Philologus 85, 1930, 360; Rieth, Hermes 69, 1934, 22; dagegen M.
Pohlenz, Hermes 74, 1939, 24, Die Stoa 2, 96; M. Soreth a.a.O. 50f. m. Anm. 9.
120 ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4561457)
3.
Wir kommen zu Antipater von Tarsos. Von ihm sind zwe1
Telosformeln iiberliefert. Die erste entspricht weitgehend der des
Diogenes von Babylon I (SVF 3 Ant. 57a = Stob. 2,76,11-13): sf\v
El<AYOf.lEvOU~ f!Ev ta Kata cpuow, am:KN::yOf!EvOU~ 88 ta napa cpuow
8tl]VEK&~. Die zweite, vielleicht41 unter dem EinfluB der Kritik des
Karneades entstanden, lautet (SVF 3 Ant. 57b = ib. 76,13-15): nav to
Ka8' a{nov notetV btl]VEKffi~ Kat anapa~ano~ npo~ tO ruyxavetv t&v
npol]youf!E\'rov Kata cpuow.
Diese Formel unterscheidet sich von der des Diogenes und der
,ersten"42 Antipaters in zwei Punkten: 1. Nicht ein ,Auswahlen' wird
gefordert, sondern unablassige und unbeirrbare Bemiihung, die
npol]yOuf.teva Kata cpuow zu erlangen. Damit ist offenbar nicht eine
gelassen abwartende Haltung gemeint, die dann-und nur dann-,
wenn eine Entscheidung zwischen zwei Kata cpumv zu treffen ist, dem
hoherwertigen ,NaturgemaBen' den Vorrang gibt. Bereits das legt die
V ermutung nahe, daB es in der F ormel des Antipater nicht nur urn die
(sittlich indifferenten) Kata cpuow geht, die man, wenn sie bequem zur
Verfugung stehen, ,mitnimmt', sondern auch urn wahre Werte oder
ayaea. 2. Objekt des Strebens sind nicht ta Kata q>UcrtV, sondern ta
npol]yOUJ..lEVa Kata cpumv. Diesem Unterschied haben die neueren
Interpreten wenig Beachtung geschenkt; sie sahen darin nur eine
stilistische Variation. 43 Es wird sich zeigen, daB sie damit unrecht
haben.
Wie die ,zweite" F ormel Antipaters zu verstehen ist, wird deutlich,
wenn man die Abweichung Antipaters von Diogenes in der
Telosformel mit der oben betrachteten Abweichung in der Definition
von a~{a in Verbindung bringt. Stobaeus berichtet, Antipater habe-
wir diirfen aufgrund der Lebensdaten annehmen: nach, und dann doch
wohl auch gegen Diogenes-als dritte Bedeutung von a~{a den
Reihenfolge nirgends die Rede ist; noUaK~ bei Stobaeus deutet eher darauf hin, daB
Anti pater bald die eine, bald die andere Forme! vertrat.
43 Long, a.a.O. 69; Soreth, a.a.O. 49. Poh1enz, Die Stoa 1, 188 iibersetzt treffend:
45 Treffend K.idd, a.a.O. (vgl. o. Anm. 23) 155 (m. Anm. 35-37): ,They are
instanced in babies or young children, and therefore can have nothing to do with the
logos, which according to the Stoics flowered late; on the contrary they seem centred
on the body." Vgl. auch R. Philippson, Das Erste NaturgemaBe, Philologus 87, 1932,
445-466.
46 The Stoics 56.
47 U.a. von A. Schmekel, a.a.O. (vgl. o. Anm. 5), 334, K. Reinhardt, Poseidonios,
Miinchen 1921, 330, Rieth, Hermes 69, 1934, 34-38; Long, Phronesis 12, 1967,84-
86; Sandbach, a.a.O., 56; Theiler z.St. Mit Theiler ist gegen De Lacy in Z. 18 an
Wyttenbachs Konjektur i>otaq>Oprov festzuhalten.
48 Auch in De divinatione erscheint er als Stoiker, anderswo (z.B. fin. 5,96) als
zeigen', und das traf fiir die nprota Kllta qnxnv zu. Aber im philosophischen Bereich
dominiert die oben genannte Bedeutung durchaus. Ganz anders liegt der Fall in SVF
3,128 = Stob. 2,84,24f: nporrnwov 8' dvat Aiyoumv, oaoui<popov <OV> eKAr6J.tE9a
Katu 7tPOTJYoUJ.lEVOV Airyov, wo man durchaus verstehen kann ,unter FUhrung des
Logos', denn hier gibt es keinen Widerstreit zwischen Prioritiit der Bedeutung und
zeitlicher Reihenfolge. Sandbach, a.a.O. 55 Anm. 1, denkt an eine Verschmelzung
beider Bedeutungen.
51 Vgl. auch Die Stoa 2, 95, ... ist nicht etwa nur an die npormwva zu denken."
Erwiigenswert ist Pohlenz' Hinweis auf SVF 3,115 u. 116, wo 7tpOTJY01J!!EVIl aya9a
(prima bona) von Gutem niederer Klassen unterschieden werden.
52 S.o. S. 116f. [454).
124 ZUM f'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4591460]
53 o
SVF 1,190 = Stob. 2,57,2lf. {ayatl6v =) ttuv icrnv apen) ~ lll::tExOV apetilc;.
54Seneca, ep. 71,33 gibt als Kriterium des bonum: quae virtute contacta sunt.
Dber die verschiedenen Eintei1ungen der &.yaM zu1etzt Forschner, a.a.O. 179 f.
55 Vgl. o. Anm. 42.
[4601461] ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 125
den a8ui<popa zur Seite. Bin Bruch mit dem System ist das nicht:
Beim Streben und bei der Auswahl wird der Weise stets die ayaM
richtig einschatzen und ihnen absoluten Vorrang vor allen a8ui<popa
gewahren. Dem npoKonnov allerdings konnen lrrtiimer unterlaufen;
und darum ist es ein Zeichen sittlicher Vollendung, beim Streben die
jeweilige WerthOhe zu beachten, in der Formulierung Antipaters: die
npOTJYOUJ.lEVU Kata <pumv als solche zu erkennen. Auch ein anderes
sehr wenig beachtetes 56 Zeugnis macht deutlich, daB Antipater ein
Konkurrenzverhaltnis und ein Abwagen zwischen ayaM und
a8ui<popa fiir moglich hielt (SVF 3 Ant. 53 = Seneca, ep. 92,5):
quidam ... augeri summum bonum iudicant ... Antipater quoque ...
aliquid se tribuere dicit externis, sed exiguum admodum.
Antipater hatte demnach keinen Zweifel am absoluten Vorrang der
wahren ayaea, aber er sah sie doch auf einer Bbene und-wenn auch
mit immensem Abstand-auf einer Wertskala mit den Kata <pumv. 57
Bs ist wohl nur ein I Zufall, daB es in den erhaltenen griechischen
Texten an konkreten Beispielen fehlt; nirgends erscheinen ayaM und
indifferente Kata <pu<nv in einer Liste. Aber wir haben bereits auf
Seneca, ep. 95,58 hingewiesen, wo, ohne daB ein Unterschied auch
nur angedeutet wiirde, ganze Gruppen von ayaea und von a8ta<popa
nebeneinander stehen. Bin anderes Beispiel ist das virtus-Fragment
des Lucilius, auf das wir noch ausfiihrlicher eingehen wollen. Zuvor
jedoch empfiehlt es sich, auch die spatere Bntwicklung kurz ins Auge
zu fassen.
4.
Antipaters N euerung war folgenreich. Die , W erteinschatzung' galt
spater als eines von drei Teilgebieten der Bthik. In augusteischer Zeit
lehrte Budoros von Alexandria, ein auf dem Gebiet der Bthik stoisie-
56 Vgl. Schafer, a.a.O. (o. Anm. 7) 26; M. Poh1enz, Grundfragen der stoischen
vita beata und vita beatissima (Cicero, fin. 5) vorgepragt. Antipater hielt diese Lehre
offenbar fiir vereinbar mit dem Dogma von der Autarkie der Tugend, denn er vertrat
in drei Btichern den Standpunkt (SVF 3 Ant. 56= Clemens Alex. strom. 5,14 p. 390,
11-13 Stahlin, GCS 52) "On K!l'tcl IIAihrova 116vov 1:0 KaAOv &ya96v und 'bn Ka't'
!ll}'tOV !llmlpKI]~ ~ apETijn:po~ eOO!l1JlOVt!lV.
126 ZUM f'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4611462]
render Platoniker58 (Stob. 2,42,13ff.): -rou ... 'li9tKou -ro JlEv nEpt TJ1v
9Empiav til<; Kae' EKUO''tOV a#a<;, <'tO OE 1tEpt n1v OPJl~V>, 'tO OE 1tEpt
TJ1v npu~tv. Das erste der drei genannten Teilgebiete, die 9Empia,
befaBt sich, wie Eudoros ausdriicklich sagt, mit der Bewertung nicht
nur der aKonoi und der 'tEAT), sondern auch mit dem, was der
Erreichung des 'tEAo<; dient (43,1-4).
DaB es sich dabei nicht eigentlich urn ein akademisches, sondern
urn ein schultibergreifendes Lehrsttick handelt, zeigt Seneca, ep.
89,14, wo die Ethik in der gleichen Weise dreigeteilt ist: ... mora/em
eius (sc. philosophiae) partem primum incipiamus disponere. quam in
tria rursus dividi placuit, ut prima esset inspectio ( = 9eropia) suum
cuique distribuens et aestimans, quanto quidque dignum sit, 59 maxime
uti/is ... , secunda de impetu, de actionibus tertia. Der erste Teil wird
wenig spater (15) genauer charakterisiert: ... dignitates ( = a#as) et
pretia rerum nosse. Auch hier sei nochmals an Seneca, ep. 95,58
erinnert: ... haec omnia aestimatorem desiderant. scire liceat, quanti
quidque in censum deferendum sit. Bedingt vergleichbar ist auch
Cicero, off 2,18: etenim virtus omnis tribus in rebus Jere vertitur,
quarum uno est in perspiciendo, quid in quaque re verum sincerum-
que sit, ... alterum cohibere motus animi turbatos ... , tertium iis, qui-
buscum congregemur, uti moderate et scienter .. . Allerdings ist hier
gerade der erste Teil, die 9Empia, stark abweichend charakterisiert. 60 I
Hochst aufschluBreich ist Seneca, ep. 71,32f., aufschluBreich auch
:fiir die leichte Widersprtichlichkeit, die Antipater in das System
58 Vgl. H. Dorrie, Der Platoniker Eudoros von Alexandreia, Hermes 79, 1944, 25-
39, u. J. Dillon, The Middle Platonists, London 1977, 122-zuletzt in: ,Der
Mittelplatonismus' (WdF 70), hg. v. C. Zintzen, Darmstadt 1981, 12-Nach W.
Theiler, Parusia. Festgabe Hirschberger, Frankfurt a.M. 1965, 216, ist auch die oben
sogleich zu besprechende Seneca-Passage (ep. 89,14) tiber Arius Didymus auf
Eudoros zuriickzufiihren.
59 Vgl. auch ep. 81,8 uni sapienti notum est, quanti res quaeque taxanda sit; dial. 6
(Marc. cons.), 19,1 tanti quodque malum est, quanti illud taxavimus; ep. 24,2 timorem
tuum taxa.
60 Offenbar im Bestreben, die drei Teile zugleich als Umschreibungen der
gebracht hat. Seneca beginnt mit dern alten Kernsatz unum bonum
esse virtutem, urn ihn dann sofort einzuschranken: nullum certe sine
virtute, eine Konzession, die schon Zenon gernacht hatte. Was aber ist
die virtus? iudicium verum et inmotum. Die virtus ist hier also mit der
9eropia gleichgesetzt; virtus bezeichnet-genau wie bei Lucilius-die
Fahigkeit, allen Dingen den richtigen Wert zuzuerkennen. Dann spielt
Seneca wieder auf die Ablaufphasen an: ab hoc (sc. iudicio) enim
impetus venient mentis; ab hoc omnis species, quae impetum movet,
redigetur ad liquidum-die cpavtacriat opJlT]ttKai werden gepriift und
,zur Gewillheit gelautert', so daB kein Irrturn bei der ,Zustimmung'
und darnit bei der Zulassung einer opJl~ unterlaufen kann. Das heillt
selbstverstandlich nicht, wie man aufgrund der eben genannten
Cicerostelle (off 2, 18 . . . cohibere motus animi turbatos) verrnuten
konnte, daB jede opJl~ zu unterdriicken ist. Irn Gegenteil: Die opJlat
sind unabdingbare Voraussetzung fiir rnenschliches Handeln, auch fiir
das Handeln des Weisen. 61 Es heiBt vielrnehr, daB ein Teil der opJlat
zugelassen wird, und zwar irn rechten MaBe. Nur wenn die opJl~ tiber
das rechte MaB hinausgeht, wird sie zurn Mfekt und fiihrt zu sittlicher
Verfehlung. 62 Omnis species ... redigetur ad liquidum rneint in der
Sache eben das, was Lucilius (v. lf.) irn Bilde ausdriickt durch
pretium persolvere verum ... potesse-den richtigen Preis zahlen zu
konnen, abstrakt: den impetus in genau der Starke zuzulassen, die der
Sache angernessen ist. Und dabei gibt es selbstverstandlich groBe
Unterschiede. Wir erfahrenjetzt (Seneca, ep. 71,33), wie die virtus als
iudicium die Werte zuerkennt: huic iudicio consentaneum erit omnia,
quae virtute contacta sunt, et bona iudicare et inter se paria. Es ist
bezeichnend, daB hier nur rnehr von den virtute contacta die Rede ist,
also von ,sittlichen Gtitem' neben der Tugend. Die Tugend selbst-
als ein Aktwert-hat unter den Objektwerten, urn die es hier geht,
keinen sinnvollen Platz. Ein Teil der Objektwerte, tiber die geurteilt
wird, ist nun als ,sittlich-gut' anerkannt; innerhalb dieser Gruppe gibt
es, wie Seneca versichert, keine weitere Abstufung, die Abstufung ist
61 Vgl. z.B. Seneca, ep. 113,2 virtus agit aliquid; agi autem nihil sine impetu
potest.
62 'OpJl~ 7t/.ovlil;oucra als eine Definition des mie~ bereits bei Zenon (SVF 1,202,
S. 50, Z. 9ff.; 1,205, ib. Z. 29), spiiter iiberaus hiiufig (SVF 3,377ff.). Zur stoischen
Affektenlehre vgl. Vf., Pflicht und ,Lust' in der Ethik der alten Sto~, in: Actes du VIle
Congres de Ia Federation Intemationale des Associations d'Etudes Classiques,
Budapest 1983 [oben S. 16-39].
128 ZUM f'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4621463)
5.
Wir kommen zuriick zu Lucilius. Die zuletzt angefiihrten Stiicke aus
Seneca dfuften jeden Zweifel daran beseitigt haben, daB das virtus-
Fragment einer stoischen Telosdefinition sehr nahe kommt. Der
Einwand, hier werde die virtus definiert und nicht ein Telos, gilt
gerade fiir die Stoa nicht, denn nach der nie ernsthaft in Frage
gestellten Grundlehre fallen ja c:ipen1 und 'tBAo~ zusammen. So kann es
nicht iiberraschen, daB c:ipen1 und 'tEAo~ oft ganz ahnlich umrissen
werden. Ein Beispiel dafiir ist die eben genannte Stelle aus Senecas
71. Brief, ein anderes etwa SVF 1,202 = Plutarch, virt. mor. c. 3,
441C: (n)v c:ipe-nlv) A6yov ... Of.lOAoyouf.!evov Kat ~E~atov Uf.lE'tlhmo-
'tOV imo'tt9ev'tat, was weitgehend mit den Telosdefinitionen Stob.
2,76,11- 15 iibereinstimmt; oder SVF 3,205 =Alexander Aphrod., de
an. p. 167,10 Bruns (CAG suppl. II,1): (c:ipen1 =) nav'to~ x.p'flcn~
clloatf.lOVt~ mit SVF 1,182 = Epiktet 1,20,15 (wortlich aus Zenon):
. . . 'tEw~ Ecrn o necr8at 9eoU;, oucr{a o' ayaeou x.p'flm~ o1a oet
q>av'tam&v. 64
Wir sind nun auch in der Lage, das Lucilius-Fragment mit einiger
Sicherheit einer bestimmten Entwicklungsphase der stoischen Ethik
zuzuweisen. Es geht urn die richtige Bewertung von honestum und
utile, von Annehmlichkeiten und sittlichen Werten. Ein Hauptmerk-
mal der Luciliusverse ist es, daB hier-wie bei den eben betrachteten
Senecastellen-bona und utilia, Sittlich-Gutes und NaturgemaBes,
also c:iyaea und c:iouxq>opa unbefangen nebeneinander stehen. Und das
weist mit aller Deutlichkeit auf Antipater als geistigen Hintergrund.
Er hat, wie wir gesehen haben, als erster die aya9a neben der
Tugend bewuBt in seine T elosformel aufgenommen und damit die
Griechisch ware denkbar ~{a - &.;trof.!U. In ep. 89,15 (vgl. o. S. 126 [461]) stehen
beide Begriffe nebeneinander. Ob sie auch dort im technischen Sinne (als einander
ausschlieBend) zu verstehen sind, bleibt fraglich. Immerhin bezieht sich die inspectio
= 9eropta (ep. 89,14) auf ,Gutes' und aouicpopu.
64 Vgl. o. Anm. 36.
[4631464] ZUM fJRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 129
Aufgabe der Ethik neu umrissen. Aufihn geht mit groBer Wahrschein-
lichkeit die spater verbreitete Dreiteilung der Ethik zuriick, in der die
eerop{a, die Zumessung der jeweiligen WerthOhe, das erste und
grundlegende Teilgebiet war. Man sollte allerdings Antipater nicht als
,Quelle" des vir/us-Fragments bezeichnen. Allein die Tatsache, daB
Antipater zwischen zwei Telosformeln schwankte, mehr noch die gut
bezeugten Auseinandersetzungen zwischen der Stoa und Kameades
machen es ganz unwahrscheinlich, daB es in der Zeit unmittelbar vor
Lucilius eine einheitliche und erstarrte ethische Lehre gab. Alles war
vielmehr in FluB geraten, vielleicht-wie oben vermutet-durch eine
urn sich greifende Anerkennung von immer mehr &yaM neben der
Tugend. Aber auch im Scipionenkreis 65 selbst, wo Lucilius seine An-
regungen empfangen haben durfte, wurden schwerlich dogmatisch
fixierte Lehren vertreten. Lucilius stand in personlichem Kontakt mit
dem Akademiker Kleitomachos, war also jedenfalls kein vollig I fest-
gelegter Anhanger der Stoa. 66 Und Panaitios dfufte wahrend seiner
romischen Zeit die Formeln seines Lehrers nicht unkommentiert und
unkritisch wiedergegeben haben: Man wird eher an eine fortwahrende,
lebendige Diskussion denken-eine Diskussion, die vielleicht auch
durch Blossius von Cumae, einen anderen prominenten Schuler
Antipaters, belebt wurde. All das bleibt freilich Vermutung.
Betrachten wir die Verse des Lucilius im einzelnen. Es laBt sich
Ieicht erkennen, daB das pretium verum der aJlOl~~ 'tOU OOK1Jl(lCHOU
entspricht, dem Kaufpreis, den der Fachmann zahlt. Gemeint ist, daB
man fur das, was einen umgibt, und fur das, wovon man lebt (quis
vivimus), einen Preis zu zahlen hat. Die lateinische Formulierung ist
nicht nur anschaulicher als das griechische Aquivalent (aJlOl~~ 'tOU
ooKtJlClCHou), sondem auch klarer: Es wird deutlich, daB der Erwerb
eines NaturgernaBen in der Regel nicht ohne eine Gegengabe moglich
Der ,Scipionenkreis', Hermes 94, 1966, 60-72; vgl. dagegen A. E. Astin, Scipio
Aemilianus, Oxford 1967, 294-306, und J. E. G. Zetzel, Cicero and the Scipionic
Circle, Harvard Studies in Classical Philology 76, 1972, 173-179.
66 Es sei daran erinnert, daB die akademische Skepsis keine eigene Ethik
entwickelt hat. Auf diesem Gebiet waren die Stoiker ,fiihrend': wer sich ,modern'
ausdriicken wollte, bediente sich ihrer Terminologie. Zu den (oft nur oberfliichlich
aufgesetzten) stoischen Elementen in akademisch-peripatetischen Schriften s. C. W.
Muller, Die Kurzdialoge der Appendix Platonica. Philologische Beitriige zur
nachplatonischen Sokratik, Miinchen 1975 (Studia et Testimonia Antiqua 17), 253,
303, 311, u. J. Dillon, a.a.O. (vgl. o. Anm. 58) 122 bzw. 13.
130 ZUM VIRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4641465]
ist, daB er ein Opfer verlangt. Das entspricht genau der Lehre des
Antipater von Tarsos, der-wie oben (S. 120f. [457]) gezeigt werden
konnte-die Telosformel seines Vorgangers Diogenes neu akzentuiert
hat: Fiir ibn besteht die sittlich vollkommene Haltung nicht in einem
gelassenen Abwarten, nicht in bloBer Auswahl, sondem in aktiver
Bemiihung (nav 'tO KaO' ainov 1tOU:lV 8t'flVEK&~ Kat anapapan.o~ ... ).
Und nun versteht man auch, weshalb Antipater als dritte und neue
Bedeutung von a~{a den ,Auswahlwert' herausgestellt hat: Erst im
Gegensatz zum ,Auswahlwert', der keine Bemiihung und kein Opfer
erfordert, wird ganz deutlich, daB mit der UJ.lotP~ 'tOU 8oKt)laO"'tOU
nicht eine gelassen abwagende Auswahl gemeint ist, sondern die
,Zahlung' einer konkreten Gegengabe. Diese Bedeutung von a~{a
dominiert im ersten Teil des Lucilius-Fragments, vor allem in v. 1-2
und in v. 7-8. In den SchluBversen ist wahrscheinlich auf die EKAeK-
n~ a~{a angespielt: W enn man sich zu entscheiden hat zwischen
Vaterland und den eigenen Interessen, hat das Vaterland den Vorrang.
Zwei der drei von Antipater unterschiedenen Bedeutungen von a~{a
sind demnach bei Lucilius erwahnt. Es ist sehr verlockend, in v. 8 ...
id dare quod re ipsa debetur honori eine Wiedergabe der von
Antipater an erster Stelle genannten Bedeutung zu sehen: der a~{a als
Mcr~ Kat KaO' ain6. Darunter ist, wie oben gezeigt, der objektiv
giiltige Wert zu verstehen, der Wert, der einem nporrnuNov inne-
wohnt, unabhangig von einer konkreten Situation. Nun mag man
einwenden, das Individuum, das sich im praktischen Leben urn
richtige W erteinschatzung bemiihe, stehe immer in einer konkreten
Situation. Auf der anderen Seite spricht Lucilius von der virtus,
beschreibt also die 9erop{a des Weisen-und beim W eisen konnen der
objektiv I giiltige Wert und der relative, situationsgebundene Wert
zusammenfallen. Denn ein ,Kaufpreis' muB auch bier gemeint sein:
allzu deutlich weist die Formulierung dare quod re ipsa debetur auf
pretium verum persolvere zuriick; das Motiv des ,rechten Preises'
rahmt den ersten Teil unseres Fragments.
Das V erstandnis von v. 8 ist auch dadurch erschwert, daB sich nicht
mit Sicherheit sagen laBt, was unter honos zu verstehen ist. Zwei
einander auf den ersten Blick ausschlieBende Moglichkeiten bieten
sich an. Einerseits scheint es ratsam, honos (v. 8) nicht von den
zugehOrigen Adjektiven honestus I inhonestus (v. 4 u. 5) zu trennen;
[465] ZUM n-RTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 131
67 So z.B. F. Klose, a.a.O. (s. o. Anm. 2) 118, der freilich zugeben muB, daB honos
damit ,in einem von dem sonstigen Gebrauch gii.nzlich abweichenden Sinne verwen-
det (ware), weder in der urspriinglichen noch in irgendeiner abgeleiteten Bedeutung."
68 Die virtus-Anapher ist zugleich ein Tricolon crescendo: In v. l steht virtus allein,
die Bedeutung ,sittlich-gut' ganz fembleibt (Properz 4,4,53 matris honor statt mater
honesta; Horaz, epo. 17,18 honor = ,menschliche Ziige kehren auf das Gesicht
zuriick').
70 Es ist freilich ganz unwahrscheinlich, daB sie dabei am Ausdruck su8o~{a
festhielten, der schon wegen der Wurzel 8o~- mit der Konnotation des Eitlen und
Falschen behaftet gewesen sein diirfte. Spii.ter (SVF 3,161) unterschied man die M~a
132 ZUM Ji1RTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4651466]
und miisse man sich kiimmern. Der ethische Status von Ruhm und
Ehre war also kurz vor Lucilius heftig diskutiert worden. W enn I man
Cicero glauben und dessen Aussage auf Antipater beziehen darf, hatte
dieser die sU&o~{a als npmm.tevov &t' auto (vgl. SVF 3,135) bezeich-
net. Nach anderen Zeugnissen gehOrte die Ehre (nJ.t~) sogar zu den
ayaea, und zwar zur Untergruppe der np6c; tt nroc; ~x.ovta (SVF 3,112
= Stobaeus 2,73,18).
Auch Seneca bemiiht sich in einer sehr seltsamen Beweisfiihrung,
die claritas quae post mortem contingit als ein bonum zu erweisen (ep.
102,3-10). Es verschlagt nicht viel, ob wir nun Cicero glauben oder
Seneca. Wichtiger ist es, daB wir am Beispiel des Ruhmes erkennen,
wie der Begriff des ,Guten' eine Ausweitung erfuhr: Ober den Zwi-
schenstatus eines ,1tpOTJYJ.I.BvOV urn seiner selbst willen' wurde er,
vermutlich als ein ,mit der Tugend zusammenhangender' Wert in den
Status des (Sittlich-) Guten erhoben. Und Ciceros Aussage laBt keinen
Zweifel daran, daB diese Fragen gerade zur Zeit des Antipater erortert
wurden.
Der in v. 9 geauBerte Gedanke, es gehOre zur Tugend, ein Feind
aller Schlechten zu sein, ist mit stoischen Grundsatzen unvereinbar.
Dem stoischen W eisen liegen HaB und F eindschaft fern. 71 Hier ist
Lucilius also eigene Wege gegangen, sicher nicht nur, urn eine rheto-
risch wirksame Antithese zu der im folgenden V erspaar geforderten
Freundschaft unter den ,Guten' zu schaffen: Auch hier spricht der
Romer. Die Freundschaft aller ,Guten' ist dagegen gut stoisch, ein
festes Dogma, zumindest seit Chrysipp, auf den die durch ihr Paradox
einpragsame Formulierung zuriickgehen diirfte (SVF 3,627 = Plut-
arch, comm. not. c. 22, 1068F): /\v cic; crO<poc; onou&~notE npotEtVU
tOV bUKtUAOV <ppOVtJ.lffi<;, Ot Kata n)v OtKOUJ.I.BvTJV cro<pot 1tUVtE<;
ro<pcA.ouvtat. 72-Es liegt nahe, in commoda (v. 12f.) eine Obersetzung
von npOTJYJ.I.Bva73 zu sehen. Wenn das so ist, haben wir hier ein
der Toren vom moe; der Weisen. Lucilius hatte die Wahl zwischen gloria und honos;
im Sinne von Antipater konnte er sich nur fiir honos entscheiden.
71 Vgl. z.B. SVF 3,396 = Diog. L. 7,113, wo J.ttcroc; a1s Unterart der em9uJ.1tU
erscheint; SVF 3,632 = Stob. 2,115,10-17 (Der Weise ist ,milde' und ,friedlich'); vor
allem Epiktet, diss. 4,5. Die Toren dagegen hassen und befehden einander: SVF 3,625
= Stob. 2,94,4-6; Seneca, ep. 109,4.
72 Vgl. allgemein SVF 3,625-627, 635 (dazu Pease); ferner Cherniss zu Plutarch,
(Unterart der 7tpoTfYJ.tEva?). Auch bei Cicero geht es urn die Beziehung zu den
[4661467] ZUM JIJRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 133
75 fin. 3,24.
134 ZUM T'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS [4671468]
76 leg. 1,37; fin. 2,56; 2,99; 4,46; 5,19; Lael. 82; ac. 1,23 u.o. Vgl. Seneca, ep.
et cum virtute; fin. 3,14 unum istud, quod honestum appellas, rectum, laudabile,
decorum ...
78 Das Wesentliche bei Klose, a.a.O. 110 und Poh1enz, Die Stoa 1,260.
79 Zu Ciceros Zeit ist der terminologisch festgelegte Gegensatz zu honestum stets
turpe: off 1,9 honestumnefactu sit an turpe;fin. 2,38 nihil ... bonum nisi honestum,
nihil malum nisi turpe u.o.
80 Aber auch bei Cicero finden sich erweiterte Dbersetzungen, z.B. dom. 107 nihil
... quod sit iniustum atque inhonestum; fin. 3,14 nihil malum, nisi quod turpe,
inhonestum, indecorum, pravum, flagitiosum, foedum.
[468] ZUM f'IRTUS-FRAGMENT DES LUCILIUS 135
Oberlieferte Listen
Antipater von Tarsos Diogenes von Babylon Anonyme Liste bei
(Stob. 2,83, 10-84,1) (Stob. 2,84,4-13) Diog. L. 7,105
Zeitliche Abfolge
a. Seit Zenon gilt ein Teil der &oux<popa (die npormuhra) als mit &~ia
aus gezeichnet.
b. Nach der Kritik Aristons unterscheidet Chrysipp den objektiven
Wert (oocrt~, ~{a Kae' mho) vom ,Kaufpreis' (relativer, sub-
jektiver Wert).
c. Diogenes von Babylon nennt daneben als dritte Bedeutung von &~ia
die ,Wiirde des Guten'.
d. Antipater von Tarsos differenziert zwischen ,Kaufpreis' und
,Auswahlwert'. Da er &yaM und &oux<popa auf einer Ebene sieht,
verzichtet er auf die Unterscheidung von &~ia des ,Guten' und &~ia
der &oux<popa (npmm.tva). 81
81 Fur Hinweise und fruchtbare Kritik danke ich C. W. Muller und P. Steinmetz.
8
I
There are two major passages in De rerum natura where the human
mind is compared to a vas, to a vessel or jar. Towards the end of the
third book, Nature herself (931: rerum natura) is made to sharply re-
buke those who are afraid of death and are unwilling to die. Here is
the full text, with some graphic illustration of its structure (III.931-
965):
1 Naugerius' emendation (OQ nam gratis fuit). There can be no reasonable doubt
that it is correct, nor about Lachmann's transposition of verse 955 (now 952).
[1931194] STORING UP PAST PLEASURES 137
We shall come back to this text more than once; now let us note only
that two classes of people are distinguished: those who are 'grateful';
who are satisfied with their previous life (935: si grata fuit ... vita
anteacta) and who did not whatever life has offered them 'pour it, as
it were, into a perforated vessel', and, on the other hand, those who,
foolishly, have done just this: who have let pass away as through a
sieve all commoda they had occasion to enjoy. In close analogy to
verse 935 Lucretius says about them (941): vita in offensa est, 'they
are dissatisfied with their (previous) life'. Let us also note that, oddly,
both classes are characterized by more or less the same words and
expressions, the antithesis being brought about by the use of nega-
tions: the sensible people's mind is not like a perforated vessel; they
138 STORING UP PAST PLEASURES [194119S]
do not let the commoda pass away. But the opposition is clear: water-
tight vessel versus leaky or indeed perforated one.
The simile of the perforated jar is taken up shortly after with a clear
allusion to the Danaids (III.1003-1010):
Those who cannot stand the thought of what will happen to their body
after death do not 'ring true', as cracked jars do not 'ring true'.
Allusion is made to the well-known I method of testing jars by
knocking on them-a method that not only helps to sort out cracked
pieces of pottery but, as may be seen from a Philebus passage, 2 to tell
apart clean from putrid or otherwise rotten ones.
The two types of fault, cracks and rottenness, are mentioned one
after the other and neatly distinguished in the second major Lucretian
passage. Epicurus is praised for having freed mankind of all sorts of
fear; he was able to do so, we are told, as he had seen and realized
what was the root of all human lapses and errors (VI.9-27):
2 Plato Ph/b. SSe: yevvafroc; OE, ElxU n craep<'>v i(xEt, 1tUV 1tEptKpOUffif.lEV, roc; on
Ka9aprotat6v Eat' aut&v cpUO"El, toflto KanMvtEc; Eic; rf]v KptcrtV J(j)cOf.lE9<l rf]v
Kmvr)v toic; tE rourrov Kat rotc; Tijc; iJ&ovijc; ~pEmv M119Ecrtarmc;. Further Tht. 179d:
7tpomreov oOv Ey-yurepro ... Kat O"KE1ttEOV rf]v <pEpo~v taUf1lV oocrfav OtaKpooovta
EttE {Jylc; EttE cra9pov <p9EyyEtat. There may have been a half-conscious conflation of
cra9p6c; and cra1tp6c; in the spoken language. For sincerum sonere compare Ennius fr.
scaen. 108 Jocelyn: nam neque irati neque blandi quicquam sincere sonunt.
[1951196] STORING UP PAST PLEASURES 139
' ... he then did understand that it was the vessel itself which wrought
the disease, and that by its disease all things were corrupted within it,
whatsoever came into it gathered from without, yea even blessings; in
part because he saw that it was leaking and full of holes, so that by no
means could it ever be filled; in part because he perceived that it
tainted as with foul savour all things within it, which it had taken
in ... ' (17-23, Bailey's translation).
Strictly speaking, it is two different types of defect Lucretius talks
of: firstly those people who prove unable to keep in their mind
whatever advantages had 'entered' it from without, and so are never
satisfied, indeed insatiable, and secondly those who have an unsound,
a rotten mind so that whatever is received gets rotten as if by con-
tagion. 3 I But surely we are not to see the two types of defect as
3 IfPlut. De liberis educandis 12F is to be believed Pythagoras may have been the
first to compare a corrupt soul to a putrid vessel: 'cru:iov E~ U!J.Wa ll~ E!J.~Ullitv'
E7tt<IT)!J.atvEt yap ISn E~ 7tOYrJpav IJfUxtlV am:Ei:ov f....Oyov E!J.~aM.stv ou 7tpocrfjKEV. See
further Hor. Ep. 1.2.54: sincerum est nisi vas, quodcumque infundis acescit; Epictetus
in Gellius XVII.l9.3 (fr. 10 Schenkl) uv9p0)7tE, 7tOU ~~; crKbjlat, d KEKU9aptauo
ayyEloV" /iv yap E~ ~V OtT}crtV auta ~clMU~ (viz. philosophical studies into self-
conceit and vague opinion), am.&A.ero ~v cra7tfi, oilpov ~ <S~o~ yevotto ~ Et n tmStOlv
XEtpov.-As to Lucretius Vl.l7ff. commentators point to Plato Prot. 314a-b: crttta ~
yap Kat 7tota 7tpta~J.EVov 1tapa too Kam]A.ou Kat E!J.7t6pou e~Ecrttv ev aA.Aot~
ayydot~ cl7t<><pEpEtV, Kat 7tptv O~acr9at auta E~ tO cr&!J.U m6vta ~ cpay6vta,
140 STORING UP PAST PLEASURES [196]
II
To the best of my knowledge, the soul-vessel-metaphor is not found in
the extant writings of Epicurus. 4 This need not seriously worry us, as
Lucretius' simile seems to be perfectly in line with Epicurus' doctrine.
To have a mind like a rotten vessel clearly means: to be unreasonable,
to entertain unsound ideas, in short: to be not (or not yet) an Epi-
curean; so what Epicurus had to do is (VI.24) 'to purge people's
hearts with his truthful words', i.e. to convince people of his doctrine.
And the soul as a 'leaky' vessel may easily be read as an appeal to
keep in mind and so to store up all commoda, all pleasures received so
far: 5 after all, it is by a treasure of pleasant memories that perpetual
the Epicurean 'goods' or 'pleasure' being basically physical ones which would not
last beyond their actual experience. Cameades mocked at the doctrine of ~oova{
memorized (Plut. Non posse 1089C = fr. 436 Us.= Carneades fr. 20 Mette): This was
like noting down in a diary how often one had made love, enjoyed delicious food etc.,
[1961197] STORING UP PAST PLEASURES 141
and then reviving the experience by studying the lists; similarly Cic. Tusc. V. 74: ... ut
si quis aestuans ... recordari velit sese aliquando in Arpinati nostro gelidis jluminibus
circumjitsum fuisse; non enim video, quo modo sedare possint mala praesentia
praeteritae voluptates. And it was easy enough to argue that if past goods stored up in
memory guaranteed happiness for ever then past evils, stored up likewise in
everyone's memory, should result in perpetual misery, see e.g. Cic. fin. II.l04: illud
quale tandem est: bona praeterita non effluere sapienti, mala meminisse non
oportere? For a more subtle form of criticism, based on a vessel-metaphor, see
Appendix a.
142 STORING UP PAST PLEASURES [1971198)
7 Grg. 492e: oi A.{9m yap av o\hm ye l<Ut oi Vf.l<pol. eUOUlJlOVE<YtU'tOl dev (viz. if
AvvtKepetot KaA.mSJ.LVot ... wu J.LBv oA.ou p!oo -re~ oi>8ev mpmJ.LEvov iha~uv,
eKcicrtTt<; 8E 1tpci~em<; i'litov {mciPXetv -re~, TI]v EK Tfj<; 1tpci~em<; ... ~oovftv. em-rot oi
Kup11vai:Kot n)v <Spov Tfj<; ~8ovil<; 'E1tt1<01Spou, TOl>TEmt n)v wil ciA.yoilv-ro<;
U1tf.~a{pecnv, ci9e-roilcnv Vf.Kpoil l<U'tcl<YtUatV a1t01<aAoUV'tf.<;, Diog. Laert. 11.89 (= fr.
204 Mannebach, SSR IV A 172, on the Cyrenaics in general): ~ ... -roil ciAyoilv-ro<;
144 STORING UP PAST PLEASURES [198jl99]
in his two vessel passages, of course, sides with Epicurus: happy are
those whose souls are watertight vessels, and who have been able to
store up a good number of past commoda. Their vessel is full. It is a
clear implication of the vessel-metaphor that there is a limit to our
hoarding up: When a jar is full, there is no point in trying to pour in
ever more. This is in line with I Epicurean doctrine: as soon as a
human being has managed to do away with all pain and all desire, he
experiences ~oovlj Ka-cacrnu.t.anJ01, 'static' pleasure: happiness in the
highest conceivable degree; there is no way to increase it.
The tenet was dear to the Epicureans: it is by this very idea of
'fullness' that they could compete with the other schools' claims that
perfect happiness was to be achieved and that its perpetuity could be
guaranteed. Suffice it to look at two out of many passages in which
the idea is expounded. The frrst one is Diogenes of Oenoanda, fr. 108
Smith [ou XJHJcrtJ.ldrtepov 'tOY napa] qn)mv n:A.oiho[v ~ uorop &v]yEtQ?
nv1 1l:A~pEt, [OOO"'tE] n:Eptpdv e~roeev, [l)1[0ATJJ.l]n'tEOV, ' [one] must
regard wealth [beyond] what is natural [as of no more use than water]
to a container that is full to overflowing' (Smith's restoration and
translation); the second one is Seneca Ep. 66.45 ... apud Epicurum duo
bona sunt, ex quibus summum illud beatumque componitur: ut corpus
sine do/ore sit, animus sine perturbatione. Haec bona non crescunt si
plena sunt: quo enim crescet quod plenum est?, 'we find mentioned in
the works of Epicurus two goods, of which his Supreme Good, or
blessedness, is composed, namely, a body free from pain and a soul
free from disturbance; these goods, if they are complete, do not
increase; for how can that which is complete increase?' (R. M.
Gummere's translation)). Who would contradict? The argumentation
seems irresistible. Obviously, to convey the idea of absolute fullness,
the vessel-metaphor is singularly appropriate.
And it is also highly appropriate in support of a closely related
Epicurean dogma which is likewise a key-note of Nature's invective
(111.931-965): 'little, very little is needed to get satisfaction'. Jars are
not normally of an excessive size; so it is suggested that it is very easy
indeed to have one's jar filled. It is on the same line that Lucretius, in
lJ1tE~UlpEcrJ.4; (ro<; Ei'pr]tut nap' 'EmKoUJXV) bOKEl UlltOl<; J.U) dvut it&wll, OUbE it UTJbOVlU
ru:yT)cXOV ... it &nov{u oiovd. Ka9euoovt6s &em KU'tUotU<n<;, Diog. Laert. X.l36 (=
fr. 206 Mannebach, SSR N A 200, on Epicurus): btaq>epetat bE npos tous
Kupl]VUtKOUS 1tEpt tfiS ~oovfj<;. oi j.tEv yap tftV KU'tUO'tT)f.Ul'tUCI)V aUK &YKplVOU<n, Jl6VT)V
bE ri]v &v KtVJlcrEt.
[1991200] STORING UP PAST PLEASURES 145
III
And yet there is also a serious shortcoming in our simile. It is only
part of the truth that removal of mental and physical pain is the
ultimate goal for an Epicurean. 'Static' pleasure, Kam<HTJJ.l.UllK1)
~ooV11, is not a state of mind which, once attained, is invariable for
ever. True, it is pleasure in the highest degree, it cannot be increased
in intensity, and in this respect it is stable and absolutely 'full'. But it
can be 'varied' by the experience of all sorts of 'moving' pleasures
(~ooval &v KtV11crst), and therefore it is not monotonous. This, presum-
ably, was the Epicureans' answer to the Cyrenaics who had cavilled
that Epicurus' ethical -reA.o~ was rather that of sleeping or indeed dead
people, and it will be remembered that Callicles in his dispute with
Socrates (Plato Gorgias 494a, above 143 [198]) had argued likewise:
living without desires was like 'living as a stone' (notes 7 and 8).
The locus classicus for the Epicurean reply is Key Doctrine 18: ouK
E1tUU~E'tat f;v Tfi crapKt ~ ~ooV11, E1tE10UV ana~ 'tO Ka't' evostav &A.youv
~atps9fj, &AA.a l116vov notKtAAE'tat ('the pleasure in the flesh does not
increase when once the pain of need has been removed, but it is only
varied' (Sedley's translation)). In Latin, there are no less than four
equivalents to notKO.A.Etv (literally 'to colour'), all found in Cicero and
Seneca: variare, distinguere = to structurize, condire = to flavour,
oblectare. 9 None is found in Lucretius. An essential aspect of
9 Cic. fin. 1.38: omnis autem privatione do loris putat Epicurus terminari summam
10 This must have seemed so queer to Bailey that he, paraphrasing VI.26-28,
interpolated the notion of pleasure being varied (p. 1554): ' ... the limit of pleasure is
the removal of pain and ... anything beyond that is variation, not increase of pleasure'.
There is not a hint of this doctrine in Lucretius.
11 In the discussion at Amsterdam it was suggested Epicurus might have thought
that the contents of the jars was 'consumed' in moderate doses; if so, now and then
minor 'refills' could be enjoyed. It was also considered whether a constantly filled jar
might not be conceived of as 'varying' as to its contents. Neither scheme seems
compatible with the clear image of a full vessel.
[2001201) STORING UP PAST PLEASURES 147
12 ByKenney(ed.l971)215,oni11.945.
148 STORING UP PAST PLEASURES [2011202]
unwelcome and less suitable aspects of his simile he may, now and
then, give preference to the image-and so be 'swept away' by it.
There is something like an 'autonomous power' in metaphors which
should not be underestimated. It may be worthwile to investigate
whether more such cases may be found in De rerum natura and
elsewhere. 13
IV
This last section might be entitled 'The missing term'. There seems to
be a peculiar gap in the terminology of Epicurean ethics. I had become
aware of it when I recently studied the Horatian Carpe diem and its
semantic field, 14 and my impression that we lack an important
technical term has been confirmed in examining the vessel-metaphor.
Let us recall: In 111.931-958 Lucretius first characterizes what he
thinks is the sensible and rational attitude (931-93 7), then the opposite
type ofbehaviour. We would expect a positive description in the first
section (931-93 7), and in fact we find I (935) si grata fuit tibi vita
anteacta (as opposed to 941 vita in offensa est, 958 ingrata). But apart
from this the correct way of life is described only indirectly; quite
oddly, Lucretius in the frrst (positive) part uses largely the same words
and expressions as in the reproving one, availing himself of negations:
it is wrong 'to let one's life slip away (elabi) incompleted'~ 5 and
unenjoyed; the sensible man has not heaped the blessings he had been
imparted as in a vessel full of holes, he has not let them run away as
if through a sieve etc. So, what is the right attitude in positive terms?
An obvious answer, of course, is gratitude. The Epicurean sage is
grateful for what he has been allowed to enjoy; admirably, he manages
to remember frrmly all agreeable experiences and to forget painful
ones (see note 5); so grateful memory can bring about permanent
~8ovt1 Katacrnu.tan~. But I wonder whether this will do. Are we
really to assume that the difference between the sage and the average
person emerges only subsequently, some time after the actual event-
namely that the sage keeps in his memory all he has enjoyed, whereas
13 For another instance of 'thought modified by linguistic form' see Gorier (1992)
16 Note however that in Plato Grg. 493c forgetfulness (and with it subsequent
fadua~ f~rgetti_ng) is l~ene? to, a sieve; Plut. Marius 46.3: tou<; UJ.lvtlJ.lOVa<; ...
U1tEKpEl ta ytyvOJ.lEVU J.lEtU tOU XJJOVOU.
17 fey6vaJ.lEV a1tn<; ... em oc OUK oov tij<; auptov IC6pto<; ava~clM.u t6 xatpov 0 OE
~to<; JlEMTJGJ.lCQ 7tapax6A.A.utat ... Compare Plut. De tranquillitate animi 473D: oi of:
tfi J.lvtlJ.lU tu 7tp6tepov J.l~ crteyovte<; J.lTJO' avaA.aJ.l~avovte<; (on which see presently)
fi).J..' U1tEKpEtv &&vte<; ... 1tOlOUmV eautoU<; ... tij<; auptov &l<KpEJ.lU~OU<; (Sen. Ep.
1.2 ex crastino pendere, brev. 9.1 maximum vivendi impedimentum est expectatio
quae pendet ex crastino, perdit hodiernum); Horace C. 1.9,13: quid sit futurum eras
150 STORING UP PAST PLEASURES [203]
present, see e.g. Plato Gorgias 493c (reverse of the leaky vessel
imagery, see above 142f. [198]): ... 'tOV KO<rl!tffi~ Kat LOt~ act
napoumv iKav&~ Kat E~apKouv'tro~ fxovm ~{ov N::a0m; Cicero fin.
I.59: praesentibus frui; Horace C. III.8.27: dona praesentis cape
laetus horae; C. I.31.17f.: frui paratis ('what is at hand', not 'what I
have provided for myself) ... I Latoe dones ... But capere andfrui are
pretty general verbs, and strangely, it is about the same in most other
texts: we hardly ever read definite positive advice as to what actually
to do with the present goods. Of course, we easily understand that they
should be accepted, gratefully accepted, should be used, should be
enjoyed. And yet, almost invariably, the idea is conveyed in general
terms only, or-more often-indirectly: we are warned not to scorn
the present blessings, not to lapse into l!EM:rJ<rl-1-6~. Some typical ex-
amples: Vatican Saying 35: 'One must not spoil (A.ul!atvcaOm) the
present out of eagerness for what is not yet at hand'; Cic.jin. 1.41 (on
the Epicurean sage): nee praeteritas voluptates ejjluere patiatur;
Tusc. V.96: 'Epicurus taught the Wise Man's mind did not let past
pleasures flow away'.
I have only come across a few positive terms with a 'technical'
ring. Let us consider first Vatican Saying 17 (about the old man): he
'has lowered his anchor as though in harbour, and with secure
gratitude has stowed (or made fast) the good things ... ', aacpuA1
KU'tUKA.daa~ xapm. Ka'tailitEtV has a clear connotation of
firmness, and may function as a counterpart to 'letting pass' or 'flow
off. But note that it is only the old man, as opposed to the young one,
who has this treasure; so it is doubtful whether the 'clamping' occurs
right after or indeed coincides with the act of receiving itself; once
more just memory may be meant. 18
In Plutarch De tranquillitate animi 473D (quoted in note 17) the
wrong attitude is once more characterized by the metaphor of 'letting
flow away'; here it is paraphrased by the negation of the right type of
behaviour: l!~ <r'tEYOV'tE~ l!TJb' avaA.al!~tlVOV'tE~, 'those who are not
leakproof and who do not adopt past advantages'. L'tEYEtV, evidently,
is part of the simile. 1\.vaA.al-1-Mvctv has a different connotation: it
fuge quaerere ... ,Sen. Ep. 15.10 (= fr. 491 Us.= fr. 242 Arrighetti): stulta vita ingrata
est ... tota in futurum fertur, etc.
18 That is clearly so in Plut. Non posse 1089A (= fr. 579 Us.): ... 'tOU't(tl J.UlAtcrtll
'tOV croq>ov ... Otllq>EpEtv, 't{9 flVIlf.lOVEUEtV lvllpyOOIO Kilt cruvexetv lv EllU't{9 'ta 1tEpt
'tU!O TJOOV~ q>Ucrflll'tll Kllt1ta9r) Kilt KlvrlcrEtiO.
[2031204] STORING UP PAST PLEASURES 151
tentatively suggested what has now become the traditional title of the fragment. There
is no certainty as to the author. For further interpretations of O.cr6v0't0t see
152 STORING UP PAST PLEASURES [2041205]
considered (as has been pointed out to me by Jaap Mansfeld) whether perpotare of the
honey-cup simile (!.940 = IV.l5) might carry an analogous connotation: it is only
here that the prefix expresses intensity ('drink up', 'drink thoroughly and
completely'); in all other instances perpotare means 'to drink all night long'.
21 Diog. Laert. 11.92 = fr. 215 Mannebach = SSR IV A 166 (172): n1 re nn9TJ
goods had been 'accepted' as they should have then there could be no 'ingratitude'.
[205] STORING UP PAST PLEASURES 153
Appendix
appears, and then passing to the soul as having more stability; but)
'when you hear their loud protest that the soul is so constituted as to
find joy and tranquillity in nothing in the world but pleasures of I the
body either present or anticipated, and that it is its good, do they not
appear ... to be using the soul as a decanter of the body (otcpafla'tt wu
<HDfla'to~ :xpilcr8m Tfi \j/UXU) and to imagine that by decanting pleasure,
like wine, from a worthless and leaky vessel ( EK 1tOVllPOU Kat 11~
cr'tyovw~ ayydou) and leaving it to age in its new container, they are
turning it into something more respectable and precious?'; ib. 1089D:
opa 8~ npo'Hov flEv ota nmoum, ~v ct8' ~oov~v 'taUTilV ct't' anov{av y
UO"'tU8ctav avm Kat KU'tffi flc'tcp&v't~ EK 'WU <HDfla'W~ ci~ 't~V
\j/UX~V, c'ha 1tUAlV EK 'taUTil~ ci~ EKclVO n!? !l~ O"'tEYclV anopp-
oucrav Kat OlOAtcr8Uvoucrav avayKa1:;6!lVOl Tfi apxu O"UVU1t't1V ... (=
fr. 431 Us.), 'pleasure is poured into the soul, then back into the
body'. Note that both body and soul are likened to leaky vessels: the
body being unable to keep pleasure as it has no memory, the soul
being unable to keep bodily pleasures as such: 1088F 'til~ o' ~oovil~
~ \j/UxTl napaA.apoucra ~v flV~flllV . . . aUo OE OUOEv cpuA.acrcr1"
t;cracra yap E1tt crapKt Ka'tacrpvvumt, Kat 'tO flVllflOVcUOflCVOV au'tll~
a11aup6v lcrn Kat KVtcr&oc~ ... (whereas a good new vessel preserves
the wine that has settled in the course of time and improves its
flavour) 'in the case of pleasure the soul preserves the memory of it ...
and nothing else; for the pleasure effervesces in the flesh and goes flat
and what is left of it in recollection is faint .. .'; compare 1089C,
quoted above note 5. This is brilliant polemics: by the simile of
pouring to and fro, both ways in vain, the Epicurean concept of
Ka'taO"'tllflU'tlK~ ~oov~ is effectively reduced to absurdity. Plutarch's
(or his model's) starting point may have been the concept of the soul
as a leaky jar which we read in Lucretius only; if so it seems to follow
that the simile was not wholly absent from Greek Epicurean texts. Of
course, no Epicurean would have ever considered comparing the body
to a leaky pot.
b) Jars tend to keep the smell of what has been first poured into
them. Horace Epistle 1.2.69f. has become proverbial: quo semel est
imbuta recens servabit odorem I testa diu; compare Quintilian inst.
1.1.15: natura tenacissimi sumus eo rum, quae rudibus annis
percepimus, ut sapor, quo nova imbuas <vasa> durat; more instances
in Otto (1890) s.v. testa; add Hieronymus ep. 107.4: difficulter
eraditur, quod rudes animi perbiberunt. lanarum conchylia quis in
[2061207] STORING UP PAST PLEASURES 155
the human body. And yet the respective aims of argumentation are
opposite; the Stoics endeavour to prove immortality, Lucretius argues
that the human soul is mortal: like the body it is material, only its
atoms are finer; it can subsist as long as it is 'held together' by the
body being its 'vessel'. It serves Lucretius' purpose to stress the
'vessel's' fragility: if the vessel itself is weak and transitory, it is
simply evident that the soul's atoms will be dissipated a fortiori.
Strictly speaking, Lucretius' body-vessel-analogy is not a metaphor or
a simile as it is in Plato and with the Stoics, but a piece of physical
doctrine: for an Epicurean the body is in fact a 'vessel' in a quite
literal sense. 23
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9
Neben der nie nachlassenden Sorge urn den rornischen Staat hat auch
die Philosophie Ciceros Leben gepragt. GewiB ist es nicht zu
bestreiten, daB Cicero in einern auBerlichen Sinne prirnar Anwalt und
Politiker war. Dern F orurn hat er einen weit groBeren Anteil seiner
Lebenszeit gewidrnet als seiner philosophischen Schriftstellerei, und
er selbst verrnittelt in einigen rniBverstandlichen und von seinen
Kritikern denn auch oft und gern rniBverstandenen Formulierungen
den Eindruck, die Philosophie sei ihrn nicht rnehr als eine Ersatz-
beschaftigung gewesen in den Perioden, in denen er an aktiver
politischer Betatigung gehindert war: A e. 1,11 ... nihil aliud video,
quod agere possimus; div. 2,6 nee nihil agere poteram, nee quid
potius agerem reperiebam; Tusc. 2,1 necesse mihi esse arbitror philo-
sophari, nam quid possum, praesertim nihil agens, agere me/ius? An
zahllosen anderen Stellen jedoch versichert Cicero, daB er sich von
friiher Jugend an urn die Philosophie bemliht habe, ihr stets ergeben
gewesen seV und bei Plutarch (Cicero 4,3-5,2) lesen wir, er habe
wahrend seiner griechischen Studienzeit geschwankt, ob er sein Leben
der Redekunst, und darnit der Politik, oder aber der Philosophie
widrnen solle. Ob das in einern konkreten Sinne Glauben verdient, soli
spater gefragt werden, Unbezweifelbar aber ist es, daB es bei Cicero
1 Ftir die Aussagen Ciceros tiber sich selbst kann grundsiitzlich auf Jiirgen Graff,
Ciceros Selbstauffassung, Heidelberg 1963, verwiesen werden. Hier sei nur daran
erinnert, daB sich Bekenntnisse zur Philosophie in fast allen Lebensperioden fmden:
inv. 1,1 (urn 80 v. Chr.); 79-77 Studienzeit in Athen; de consulatu fr. 11 Traglia 3 =
Morel!Btichner, v. 71-76 (60 v. Chr);fam. 1,9,23 (54 v. Chr.); rep. 1,7 (etwa 54-51 v.
Chr.);jam. 13,1,2 (51 v. Chr.);jam. 15,4,16 (45 v. Chr.); Tusc. 1,1 (45 v. Chr.); off
2,4 (44 v. Chr.).-Marian Plezia hat in zwei wichtigen Abhandlungen gezeigt, daB
Ciceros Interesse an philosophischen Fragen noch vor der Abfassung der eigentlichen
philosophischen Schriften in den Jahren 60 und 59 besonders ausgepriigt war: The
a
First of Cicero's Philosophical Essays, in: Ciceroniana. Hommages K. Kumaniecki,
Lei den 1975 (Roma Aetema 9), 196-205 [tiber ep. Q. Jr. 1,1 ]; De la philosophie dans
le De consulatu suo de Ciceron, in: Hommages a Robert Schilling, Paris 1983
(Collection d'Etudes Latines, ser. scient. 37), 383-392.
[61162] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 159
einen Zwiespalt gab: daB er sich sowohl zur I geistigen wie zur aktiv-
politischen Lebensform gedrangt sah. Eduard N orden2 hat es treffend
formuliert: ,Zum Staatsmann fiihlte er sich berufen, nur politische Ta-
tigkeit gab Anwartschaft auf Ruhm bei Mit- und Nachwelt ... Seine
Rednergabe wies ihn dies en W eg, den irdischen. Aber dann blickte er
in sein Inneres, suchte geistige Sammlung, seelische Erhebung: die
Lektiire platonischer und stoischer Schriften wies ihn den Weg zum
Himmlischen . . . Hie Rhetorik, das sophistische, hie Philosophie, das
sokratische Ideal ... ". Vieles deutet darauf hin, daB dieser Zwiespalt
auch nach der auBeren Entscheidung fiir die politische Laufbahn
fortbestand: daB die Philosophie im Inneren Ciceros nie zum Schwei-
gen kam, daB sie nicht verdrangt, sondern nur zeitweilig iiberdeckt
wurde von den Geschaften des Forums und der Tagespolitik. Diese
Erkenntnis ist nicht neu, aber es scheint moglich, sie durch einige
neue Oberlegungen und Beobachtungen zu stiitzen und damit zum
besseren Verstandnis von Ciceros Personlichkeit beizutragen.
Vor allem in der zunehmenden politischen Isolierung im Friihjahr
59 v. Chr. und dann in der erzwungenen MuBe unter Caesars Diktatur
hat Cicero immer wieder geauBert, die Philosophie sei ihm ein Trost
in schwieriger Lage, sie sei ihm ein Ersatz fiir die ihm verwehrte
politische Aktivitat, und das hat zu dem eben angedeuteten MiBver-
standnis gefiihrt, Cicero babe sich damals nur deshalb mit der Philo-
sophie getrostet, weil ihm nichts anderes eingefallen sei. Bei dieser
oberflachlichen Deutung ist jedoch iibersehen, daB es auBer dem
durchgangigen Leitmotiv der erzwungenen MuBe noch zwei weitere
Motive gibt, die mit beachtlicher Konsequenz iiber Jahre hinweg
durchgehalten sind. Erstens: Die Philosophie ist ein Hafen, die Politik
das wilde und gefahrliche Meer. Es ist angenehmer und verntinftiger,
dem Toben des Meeres vom Festland aus zuzusehen. So z. B. Att.
2,7,4 cupio istorum (d.i. der anderen noch aktiven Politiker) naufragia
ex terra intueri; 3 Att. 2, 16,3 ,laB uns in den Hafen zuriickkehren und
Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., 1932, XXXVII-LIII, hier XLN (Nachdruck in: E.
Norden, Kleine Schriflen zum klassischen Altertum, Berlin 1966, 565-582, hier 572).
3 Unmittelbar danach zitiert Cicero ( durch Anapher eng angeschlossen) den
zweiten Teil des bei Stobaios (4,17, 12) tiberlieferten Fragments aus Sophokles'
Tympanistai (fr. 579 N. 2 = 636 Radt): KUV (statt Kge') unocrrt}'u I 1t\JKVfj<; UKOU<Jat
\jiUKalio<; wliou<Jil <ppEVL Da im ersten (von Cicero nicht zitierten) Teil die Rettung
aus einem Schiftbruch angedeutet ist (yfj<; smwaucrav-ra), mages sein, daB Cicero das
Motiv des Schiftbruchs ebenfalls Sophokles verdankt. Es sei jedoch darauf hinge-
160 CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE [62163]
wiesen, daB weder bei Sophok1es noch an anderen verg1eichbaren Stellen (Archippos
bei Stob. 4,17,8 n~ ~M ti]v GUA<lnav uno til~ yfj~ opav [Meineke 2, S. 727, fr. 1];
Horaz ep. 1,11, 10; vgl. femer A. Otto, Die Sprichworter und sprichwortlichen
Redensarten der Romer, Leipzig 1890 [Nachdruck Hildesheim 1964], S. 239 Nr.
1203, und R. Haussler [Hg.], Nachtriige zu Otto, Sprichworter. Darmstadt 1968, S.
191) vom Schifl:bruch eines anderen gesprochen wird. Am niichsten kommt Lukrez
2,1-2 Suave mari magna turbantibus aequora ventis I e terra magnum alterius
spectare laborem. Aufgrund der bekannten dunklen Nachrichten uber Ciceros Ver-
hii1tnis zu Lukrez ist es nicht undenkbar, daB Cicero diese Verse gekannt hat. Aber
auch im Verg1eich mit Lukrez hat er stark zugespitzt, denn Lukrez nennt nur die
,MUhe' der anderen, nicht einma1 eine Gefahr.-Zu den Schiffahrtmetaphem bei
Cicero im allgemeinen siehe Madeleine Bonjour, , Cicero nauticus ", in: R. Chevallier
(Hg.), Presence de Ciceron. Hommage aM Testard, Paris 1984 (Caesarodunum 19
his), 9-19.
4 DaB die Meeresmetaphorik vor1iegt, zeigt auch das kurz davor gebrauchte Bi1d
nobis gubernantibus.
5 Offenkundig ist die hier untersuchte Metaphorik eng verwandt mit dem von
Cicero gem gebrauchten Bi1de des ,Staatsschiffs' (zur Allegorie erweitert Jam.
12,25,5 [43 v. Chr., an Q. Comificius] u.o.; meist nur knapp angedeutet durch die
Metapher ,Steuermann' fur den Leiter des Staates). Sie ist damit jedoch nur bedingt
kompatibe1, da sich Cicero hier (und in Att. 2,7,4 auch die anderen Politiker) jewei1s
a1s Individuen mit einem Schiffe oder dessen Lenker verg1eicht.
[63164] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 161
nen, aber eine b1oBe Notlosung ist das Anlaufen eines Hafens in der
Seefahrt nicht. Jedes Schiff muB von Zeit zu Zeit in einem Hafen neu
geriistet werden. Schon die so konsequent durchgefiihrte Hafenmeta-
phorik spricht also gegen die oberfliichliche Deutung, Philosophie sei
fiir Cicero in diesen Zeitriiumen nur eine Not- oder Ersatzbeschaf-
tigung gewesen.
An einigen der genannten Stellen geht Cicero noch weiter, und das
ist das zweite Motiv, das Aufmerksamkeit verdient: Es war t6richt,
den Hafen I uberhaupt zu verlassen-ich hiitte bei den philosophischen
Studien bleiben sollen. In Att. 2, 7,4 versichert Cicero, er sei seiner
Steuermannsaufgabe schon lange uberdriissig gewesen (vgl. 2,5,2
vel!em ab initio). Noch deutlicher Att. 2, 16,3: ,LaB uns endlich
(aliquando) dorthin zuriickkehren von wo wir nie hatten aufbrechen
durfen (unde discedere non oportuit). Das wird dann theoretisch
begrundet mit einem Bekenntnis zum ~io.; 8cmprrnK6.; im Sinne
Theophrasts und seiner Richtung, quae mihi non modo ut requiescam
permittit, sed reprehendit quia non semper quierim. In Att. 4, 18,2
(Spatherbst 54 v. Chr.) bezeichnet Cicero die geistige Tatigkeit ohne
jede Einschriinkung als die ihm einzig naturgemaBe: quaeque vita
maxime est ad naturam, ad earn me refero. Auch aus dem eben schon
kurz betrachteten Vorwort zum fiinften Tusculanenbuch (5,5) hort
man leicht Ciceros Bedauem dariiber heraus, daB er sich voriiber-
gehend den Sturmen des Lebens ausgeliefert hatte: (philosophiae) in
sinum, cum a primis temporibus aetatis nostra voluntas studiumque
nos compulisset, his casibus in eundem portum ... confugimus-er war
doch damals so sicher im SchoBe (oder darf man auch verstehen: ,in
der schUtzenden Meeresbucht'?) der Philosophie ...
Wir haben eben gesehen, daB sich Cicero in einem Brief an Atticus
(2,16,3) zum theophrastischen Ideal des ~io.; 8EWP11'ttK6.; bekennt;
Atticus seinerseits erscheint dort als Anhiinger Dikaiarchs und des von
ihm empfohlenen ~io.; npantK6.;. 6 Selbstverstiindlich war es beiden
Shackleton Bailey (zur Stelle) diese Worte auf den damals sechsjiihrigen Sohn. DaB
der junge Cicero am SchluB von Att. 2,9 (dort Kudprov 6 JltKpo<;) und von 2,15 (dort
apt<nOKpanKdrta'W<; nat<;) Atticus in iihnlicher Weise griiBt, iindert nichts daran, daB
der Wortlaut in 2, 12,4 ausgezeichnet auf den Vater, auf den Sohn dagegen gar nicht
paBt. Auch in Att. 4,6, 1 wird Atticus noA.mK6<; genannt. Den von Shackleton Bailey
(zu 2,10,6) vermuteten Bedeutungsunterschied vermag ich nicht zu erkennen.-Der
halb scherzhafte Disput unter den Freunden tiber die richtige Lebensform ist noch im
Jahre 50 kenntlich: Aus Att. 7,3,1 ergibt sich, daB sich Atticus in einem konkreten
Faile (Verliingerung von Ciceros Amtszeit in Kilikien) ausnahmsweise gegen den ~{o<;
npaKnK6<; ausgesprochen hatte. Shackleton Baileys Kommentar ist verwirrend, weil
er in Atticus hier irttimlich einen grundsiitzlichen Gegner des ~{o<; npaKnK6<; sieht.
8 Man vergleiche immerhin Att. 1,18,3 (Januar 60) consul is est impositus nobis,
quem nemo praeter nos philosophos adspicere sine suspiritu posset; Jam. 9, 17,2 (an
Paetus, 46 v. Chr. ), in bitterer Selbstironie: quoniam ego vir fortis idemque
philosophus vivere pulcherrimum duxi ...
[65[66] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 163
Ankliingen: 000maximae moles molestiarum ... ; prima aetate incidimus. Moles hat
hier offenkundig die nicht Ieicht erkliirbare Bedeutung ,Wirbel', ,Unruhe'-vgl.
Livius 4,43,3 ex tranquil/a necopinata moles discordiarum 000exorta est (iihnlicher
Gegensatz de or. 1,2: quies, tranquillitas - moles molestiarum, turbulentissimae
tempestates); Livius 6, 14,1 maior domi exorta moles. Vollig verfehlt Hottinger (zitiert
von Pease zur Stelle): amplissimam tibi dedit materiam, in qua vires tuae exerceri
virtusque tua spectari posset.
11 Eine verbliiffende neuzeitliche Parallele findet sich im Lebensweg von David
Ben Gurion. Er trat 1953 als Ministerpriisident des von ihm gegriindeten Staates Israel
zuriick und schloB sich dem Kibbuz Sede Boqer in der Wiiste Negev an, urn dort
Viehzucht zu treiben und eine fruchtbare Oase zu schaffen. Aber schon 1955, als die
auBere Lage Israels sich bedrohlich zuspitzte, wurde er abermals in politische Amter
gerufen; 1963 widmete er sich dann endgiiltig der Landarbeit im Kibbuz. Sein iiberaus
bescheidenes Wohnhaus, das als Denkmal erhalten wird, wirkt auf den heutigen Besu-
cher ahnlich wie die Villa des iilteren Scipio in Litemum auf die Romer einer spiiteren
Generation (Seneca ep. 86,3-5 u.o.).-Auch an die Nachwirkung des Cincinnatus-
Mythos in den Vereinigten Staaten sei erinnert: die ,Society of the Cincinnati" und
die nach ihr genannte Stadt in Ohio.
164 CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE [66[67]
12 Man hat den Besuch in Delphi bezweifelt; aber es sei daran erinnert, daB sich
Cicero und Atticus in die eleusinischen Mysterien einweihen lieBen: leg. 2,36; Tusc.
1,29 (?).-Zum spiiten Eintritt Ciceros in die Politik s. K. Kumaniecki, Cicero.
Mensch - Politiker - Schri.ftsteller, Acta sessionis Ciceronianae Varsoviae habitae,
Warschau 1960, 9-27, hier 22f. (Nachdruck in K. Buchner [Hg.], Das neue
Cicerobild, Darmstadt 1971 [Wege der Forschung 27], 348-370, hier 365).
[67168] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 165
diese Verbindung war, hater vor aHem in den Buchem Vber den Staat
und Ober den Redner ausfiihrlich dargelegt. 13 I
Wir kornrnen zu einer Episode in der plutarchischen Biographie
(4,6-7), in der dieses Ideal und Ciceros geistige Bestirnrnung, ja ich
zogere nicht zu sagen: seine Sendung, in eindrucksvollster Weise
symbolhaft konzentriert erscheint. Als Cicero noch unschltissig war,
ob er seiner Neigung und der Philosophie treu bleiben oder aber dem
Drangen der Freunde und dem Rat des Antiochos folgen und sich
wieder der Politik zuwenden solle, widmete er sich sowohl rheto-
rischen wie philosophischen Studien. Auf Rhodos besuchte er den
bertihmten Rhetor Apollonios Molon und gab ihm, auf dessen Wunsch
in griechischer Sprache, eine Probe seines Konnens. ,Als er geendet,
staunten die Horer und uberschtitteten ihn mit ihrem Lob. Doch Apol-
lonios, der schon wahrend der Rede keine Miene verzogen hatte, blieb
lange in Schweigen versunken. Cicero fiihlte sich dadurch fast
13 Aber auch schon friiher: In De inventione 1,1-5 fordert Cicero die Verbindung
von Redekunst und Phi1osophie (zumindest indirekt unter P1atons EinfluB), und urn
die Jahreswende 60/59 v. Chr. erkliirt er im ungewohnlich langen ,Brief 1,1 an
Quintus, auf dessen philosophische Bedeutung Marian Plezia hingewiesen hat (s.
oben Anm. 1), in der Person des Bruders sei diese Verbindung fiir des sen Provinz
bereits erreicht, fiir den Staat in seiner Gesamtheit ,vielleicht' erreichbar ( ep. Q. fr.
1,1,29). Dabei denkt er selbstverstandlich an sich selbst, ebenso leg. 3,14. Ohne Frage
ist Ciceros Ideal primiir von Platons bekannter Forderung abgeleitet, die Philosophen
muBten zu Konigen, die Konige zu Philosophen werden (Staat 473d, 7. Brief326b).
In jungerer Zeit sind auch hellenistische Einfliisse erwogen worden: 1m Bericht des
Areios Didymos iiber ,die Ethik des Aristoteles und der anderen Peripatetiker'
(Stobaios 2,7,13-26 = vol. 2, 116,19-152,25, hier 144,16 Wachsmuth) ist neben der
,praktischen' und der ,theoretischen' eine ,aus heiden zusammengesetzte'
Lebensforrn genannt ( cr6v9Eto~ ES UJl<pOtv). Joly (Theme philosophique [s. oben Anm.
6], 153f.) sieht in dieser Einteilung die Weiterentwicklung aristotelischer Gedanken;
die Forrnulierung richte sich gegen die Verabsolutierung des ~{o~ npaKnK6~ oder des
~{o~ 9~:ropr)"etK6~ durch Theophrast bzw. Dikaiarch; auch Cicero habe sich die Forrnel
vom ,gemischten' Leben zueigen gemacht (162-164). Eine Empfehlung des ~{o~
cr6v9Eto~ findet Emanuela Andreoni Fontecedro (Dibattito 70-77) auch bei Panaitios
(in Ciceros De officiis), wahrend Reimar Muller (~{o~ 8~:rop11nK~ 222f.) Panaitios
eine Bevorzugung des ~{o~ npaKnK6~ zuschreibt. Auf sichererem Boden stehen wir
bei Antiochos von Askalon. Andreoni Fontecedro (Dibattito 88) erinnert an das his-
lang kaum beachtete (nur beilaufig Joly Theme 172) Zeugnis bei Augustin civ. Dei
19,3 (vol. 2, 355,22-24 Dombart/Kalb): ex tribus ... illis vitae generibus, otioso,
actuoso et quod ex utroque compositum est, hoc tertium sibi placere adseverant (die
veteres Academici ,nach dem Zeugnis', d.i. in der Interpretation des Antiochos).
Cicero war Antiochos, vor all em in der Ethik, vielfach verpflichtet, und er diirfte auch
dieses Lehrstiick gekannt haben. Aber er selbst spricht nirgends von einer
,gemischten' oder ,zusammengesetzten' Lebensforrn, wahrend er Platons Ideal wie-
derholt ausfiihrlich beschreibt. Der EinfluB des Antiochos sollte deshalb nicht iiber-
schatzt werden.
166 CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE [68169]
14 Der sechzehnjiihrige Rimbaud hatte im Sommer 1871 einige Verse an den urn
zehn Jahre alteren Verlaine nach Paris gesandt und erhielt im September die beriihmt
gewordene Einladung: , ... Venez, chere grande arne, on vous appelle, on vous
attend". Der (verlorene) Brief wird zitiert nach E. Delahaye, Rimbaud, Reims 1905,
39f.-Weitere Beispiele aus der griechischen Antike bei 0. Gigon, Antike Erzah-
lungen iiber die Berufung zur Philosophie, Museum Helveticum 3, 1946, 1-21.
15 Ausfiihrlich erortert von Carl Werner Miiller, Zur Datierung des sophokleischen
Odipus, Wiesbaden 1984 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der
Literatur, geistes- u. sozialwiss. Kl., 1984,5), 70-73.
[69170] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 167
Sueton Jul. 1,3), vielleicht auch an die absurden Geriichte, der Wiener
Hofkapellmeister Salieri habe Mozart, nachdem er dessen Genie
erkannt hatte, heimtiickisch vergiftet. 16 Aber der wichtigste Aspekt ist
wohl der, daB hier etwas wie eine Obergabe symbo1isiert ist:
Griechenland reicht den geistigen Primat weiter an Rom. Es ware
interessant, dieses Motiv, gelegentlich als traditio lampadis bezeich-
net, genauer zu verfolgen. 17
Aber uns geht es ja nicht urn Motivgeschichte, sondern urn Cicero.
Und da ist zu fragen: Verdient Plutarchs Molon-Episode, verdienen
die anderen novellistisch anmutenden Details wie der Besuch in
Delphi unser Vertrauen? Handelt es sich nicht urn schematisch-
typische Ziige, urn biographische Formeln, die, beliebig einsetzbar,
nun eben von einem Routinier auch auf Cicero angewandt worden
sind? Dieses MiBtrauen laBt sich leicht noch verstarken: Plutarch
berichtet (Cicero 2,1) auch von einem Traum der Amme Ciceros, nach
dem das von ihr genahrte Kind einst den Romern Rettung bringen
werde. Ich wage die These, daB Plutarch trotz dieser Bedenken ein
ungewohnlich wichtiger Zeuge fur Ciceros geistige Entwicklung und
fur seine Selbstauffasssung ist.
Zwei Wiener Gelehrte, der Psychoanalytiker Ernst Kris und der
Kunsthistoriker Otto Kurz haben 1934 in einer gemeinsamen Studie 18
darauf hingewiesen, daB in zahllosen von ihnen untersuchten I Kiinst-
lerbiographien ein fester Bestand von Begebenheiten regelmaBig wie-
derkehrt (darunter auch das Motiv ,Erkennung des Genies'), und
haben gezeigt, daB dieser Befund nicht gegen die Glaubwiirdigkeit der
einzelnen Biographie spricht. Die Kiinstler hlitten vielmehr wirklich
Vieles deutet darauf hin, daB Cicero schon friih solehe ,F ormeln" als
19 Freud und die Zukunfl. Vortrag, gehalten in Wien am 8. Mai 1936, zur Feier von
Sigmund Freuds 80. Geburtstag, zuerst in: Imago 22, 1936, 257-274 = Gesammelte
Werke, Bd. 10, Frankfurt am Main/Berlin 1955,499-523, hier 512-518. Thomas Mann
bezieht sich primar auf einen von Kris kurz zuvor publizierten Aufsatz: Zur
Psychologie iilterer Biographik, dargestellt an der des Kiinstlers, Imago 21, 1935,
320-344, spater tiberarbeitet u. d. T. The Image of the Artist= Kapitel2 von Psycho-
analytic Explorations in Art, New York 1952 (Nachdrucke).
20 Unabhangig von Kris und Kurz ist Janet Fairweather in einer bahnbrechenden
Vorbilder gewahlt und ihnen nachgelebt hat.Z 1 Es ist gut moglich, daB
er, dem Formelbild eines jungen Philosophen folgend, wirklich in
Delphi war; es ist wahrscheinlich, daB er Apollonios Malon
aufgesucht hat, urn von ihm ein ermutigendes Urteil zu hOren. Freilich
hater dann wohl, im Banne seiner ,Lebensformel', Molons Ausspruch
in einer Weise zugespitzt, die ihm aus der Literatur vertraut war. Die
drei eben umrissenen Motive: Entdeckung der Begabung, Resignation
des Unterlegenen, Ubergang der geistigen Vorrangstellung, diirften
seine Zutat sein. Auch andere Details des plutarchischen Bios mogen
von ihm nicht erlebt, sondem zur Ausfiillung des von ihm als vor-
bildhaft angesehenen Lebensbildes frei erfunden sein.
Aber weshalb von Cicero? Nicht vielmehr von Plutarch? Hier
bleiben wir auf Vermutungen angewiesen. Es ist jedoch daran zu
erinnem, daB es fiir Cicero leicht war, in die Tradition einzugreifen
und sein Bild bei Zeitgenossen und bei der Nachwelt selbst mit zu
pragen, modem ausgedriickt: Imagepflege zu betreiben. 22 Sein
Freigelassener Tiro war seit langem daran, Material fiir eine Cicero-
Vita zu sammeln, und es bedarf keiner allzu lebhaften Phantasie, urn
sich vorzustellen, daB Cicero, der mehrfach biographische Arbeiten
tiber sich selbst verfertigt, erbeten und bestellt hat, dem braven Tiro
massive Ratschlage und Anweisungen fiir die groBe Biographie erteilt
21 Eine eng verwandte Form der Unterordnung unter ein Vorbi1d ist es, wenn
Cicero sich in mehreren Schriften durch zum Tei1 auBerst subtile Andeutungen in
Paralle1e setzt zu romischen Grol3en, aber auch zu griechischen Phi1osophen
(Beispiele und weiterfiihrende Literatur in V From Athens to Tusculum, Rhetorica 6,
1988,215-235 [s.u. S. 172-192]). Plezia (De laphilosophie ... [vgl. oben Anm. 1],
390) vermutet mit guten GrUnden. daB Cicero sein Gedicht De consulatu mit einer
ahn1ichen Vision sch1ieBen lieB wie spater De republica: Kalliope konnte Cicero, wie
in De republica der altere Scipio seinem Enke1, den iiberirdischen Lohn fiir verdiente
Staatenlenker dargelegt haben. Wenn das richtig ist, ist es ein weiteres Beispiel fiir
Ciceros Neigung, jede geeignete Analogie zu als vorbildhaft empfundenen
Lebenslaufen (auch auffiktionaler Ebene) nachdriicklich herauszustellen.
22 Die Sache war im Altertum gut bekannt: Der altere Scipio verfiigte nach Livius
(26,19,3) iiber eine ,gewisse Technik' (ars quaedam), die Geriichte iiber seine
gottliche Abstammung weder zu bestatigen noch zu entkraften, und steigerte dadurch
sein Ansehen; auch Alexander, Augustus und andere widersprachen solchen
Annahmen nicht. Numa Pompilius hat angeblich (Livius 1,19,5) die Zusammenkiinfte
mit Egeria nur fingiert, urn seinen Vorschlagen beim Volke Ieichter Gehor zu
verschaffen. Terenz nahrte mit FleiB das Gerede, hohe Personlichkeiten seien ihm
beim Schreiben behilflich (Donat. vita Ter. 4: numquam nisi leviter refutare conatus).
Diese und andere bewuBte und zweckorientierte ,Anreicherungen' der eigenen
Lebensumstande (auch die lediglich von spateren Biographen unterstellten) hoffe ich
demnachst im Zusammenhang zu behandeln.
170 CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE [71172]
hat. Plutarchs Bios aber basiert weitgehend aufTiros Werk, 23 I und das
heiBt: Cicero ist mit groBter Wahrscheinlichkeit bei Plutarch im gan-
zen so dargestellt, wie er selbst es wiinschte, wie er selbst sich sah. 24
Die symbolhafte Zuspitzung der Molon-Episode mit allen ihren
weitreichenden Implikationen geht auf ihn selbst zuriick: Er sah sich
als denjenigen, der die kulturelle Oberlegenheit endgultig von Grie-
chenland nach Rom ubergehen lieB, und zwar in einer in Griechenland
nie gekannten Verbindung von Philosophie und Politik. Freilich war
die Verbindung das Ideal und wurde als solches nicht erreicht. Im
Leben hatte Cicero zu wahlen zwischen Philosophie und Politik. Er
entschied sich fiir die Politik; nur wenig Zeit blieb ihm in den guten
Tagen fiir seine philosophische Neigung, und wenn er sich in
erzwungener MuBe dem philosophischen Werk widmen konnte, war
er nicht glucklich. Er konnte sich wohl nicht anders entscheiden. Seine
Doppelbegabung wurde ihm zum Fluch. Eindrucksvoll formuliert hat
es Kazimierz Kumaniecki: Es war ein ,von tiefer Tragik gezeichneter
Weg", den Cicero zu gehen hatte: seit dem Konsulat habe er als Politi-
ker stets auf der Seite derer gestanden, die eine Niederlage erleiden
sollten. 25
Die von uns im ersten Teil dieser Ausfiihrungen betrachteten
Stellen aus den Briefen an Atticus zeigen, daB Cicero seine Entschei-
dung fiir die Politik oft bedauert hat; und auch wir sind versucht, sie
zu bedauem. Vielleicht batten wir, wenn Cicero den Pfoc; 9cmprynK6c;
gewahlt hatte, ihm ein noch reicheres philosophisches CEuvre zu
verdanken? Und er selbst ware wohl glticklicher gewesen, wie
23 So Hermann Peter, Die Quellen Plutarchs in den Biographien der Romer, Halle
1865 u.a. Daran halte ich fest gegen A. Gudeman, The Sources of Plutarch's Life of
Cicero, Boston 1902 (Publications of the University of Pennsylvania. Series in
Philosophy and Literature 3,2) und J. Glucker, Cicero's Philosophical Affiliations, in:
J. Dillon I A. A. Long (edd.), The Question of Eclecticism, Berkeley I Los Angeles I
London 1988, S. 34-69 hier 55f.
24 In einem Falle freilich hat er selbst nicht mehr retuschierend eingegriffen.
Plutarch (Cicero 48,3) berichtet, Cicero habe beim Anblick seiner Hiischer die Siinfte
niedersetzen lassen und keinerlei Erregung gezeigt. Nach Livius (bei Seneca suas.
6, 17) waren Ciceros Begleiter bereit, fur ihn zu kiimpfen, urn ihm doch noch ein Ent-
kommen zu ermi:iglichen. Aber er habe auf die Flucht verzichtet mit den Worten:
moriar in patria saepe servata. Dazu Kumaniecki (Cicero [vgl. oben Anm. 12],
271370) nach Giordano Bruno: ,Se non e vero, e ben trovato". Es sei erlaubt, eine
Begrtindung hinzuzufiigen: Wenn es ,erfunden' ist, dann deshalb ,gut', wei! sich
Cicero genau so verhiilt wie Sokrates, der Kritons Rettungsvorschlag ablehnt (Platon
Kriton SOb u.i:i.)-aber vie! spricht dafur, daB es wahr ist, und dann ist die Vermutung
erlaubt, daB Cicero noch im Tode ein Vorbild vor Augen hatte.
25 Cicero (vgl. oben Anm. 12) 211363.
[72173] CICERO ZWISCHEN POLITIK UND PHILOSOPHIE 171
Petrarca klar gesehen hat (jam. 24,4, 7): Ah quanta satius fuerat,
philosopho presertim, in tranquillo rure senuisse, de Iperpetua ilia, ut
ipse quodam scribis loco, non de hac exigua vita cogitantem, nullos
habuisse fasces, nul/is triumphis inhiasse, nullos injlasse tibi animum
Catilinas. sed hec quidem frustra. 26
26 Mit der SchluBformel diirfte mehr gemeint sein als die banale Tatsache, daB
Cicero nach dem Tode seine Lebenswahl nicht mehr andem ki:inne: Auch Petrarca
wird gewuBt haben, daB seine AuBerung einseitig ist; auch er wird sich den rastlosen
Konsular nicht wirklich in ,ruhiger Hindlicher Umgebung' haben vorstellen ki:innen.
Es ist eine gute Fiigung, daB Maristella Lorch noch im Rahmen dieses Colloquiums
Cicero eine Antwort aus dem Jenseits formulieren und damit die andere Seite seines
ambivalenten Wesens hervortreten liiBt [In defense of negotium: Cicero answers
Petrarch (,edited' by M L.), in: Ciceroniana n.s. 7 (1990) 207-214].-Fiir wertvolle
Hinweise danke ich Michael D. Reeve (Cambridge) und Werner Suerbaum
(Miinchen).
10
(Dissertationes Philologicae Halenses 23, 2, pp. I-VII, 147-244), pp. 175-76; Ernst
Becker, "Technik und Szenerie des ciceronischen Dialogs," Diss. Munster, 1938, p.
26; Michel Ruch, "Le pn!ambule dans les reuvres philosophiques de Ciceron," Paris,
1958 (Publications de la Faculte des Lettres de l'Universite de Strasbourg, 136), pp.
197-202; Anton Daniel Leeman!Harm Pinkster, M Tullius Cicero. De oratore libri
III. Kommentar, vol. 1, Heidelberg, 1981, pp. 76-77; vol. 2, Heidelberg, 1985, pp.
202-203, 213.
2 Particular attention has been paid to a number of Platonic features, ranging from
outright imitation to hidden allusions: Rudolf Hirzel, Der Dialog, vol. 1, (Leipzig,
1895), pp. 486-488; Max Pohlenz, "Cicero De re publica als Kunstwerk," in:
Festschrift Richard Reitzenstein, (Leipzig and Berlin 1931), p. 71; Gallus Zoll,
"Cicero Platonis aemulus," (Diss. Ziirich, 1962), pp. 98-105; Leeman/Pinkster, vol. 1,
pp. 65-67. These are the principal findings: a. In De or. 1 the scenery of Plato's
Phaedrus is explicitly evoked, but Cicero's talk is set in a carefully chosen contrast:
see our section I. There are some verbatim quotations: Phdr. 229b uoanov = De or.
1.28 acula; 229c M' ~ tp{a maom = 1.28 duobus spatiis tribusve (first noticed by
Leeman!Pinkster 1, pp. 99-100). b. As in Phaedrus, in De or. a main character
"recants" what he had said before ("palinodia"): see our section I, towards the end. c.
Catulus' and Crassus' praise ofHortensius (De or. 3.228) is modelled after Socrates'
prophetical praise oflsocrates (Phdr. 279a). d. As Plato's Phaedo, De or. immediately
precedes the main speaker's death ("swan-song idea," "Phaidonstimmung"): see our
section III. e. Cicero withdraws old Scaevola after book 1 as Plato had withdrawn
Cephalus at the end of Republic book 1 (see Cicero Att. 4.16 = 89 Shackleton Bailey,
3) f. Crassus' thoughtful attitude (De or. 3.17) and his ever renewed reluctance to go
on are strongly suggestive of Plato's Socrates.
[2161217] FROM ATHENS TO TUSCULUM 173
models, secondly with the local setting, and lastly with the fictitious
date of the dialogue and its far reaching implications: This order
follows the progression in the text itself, since each of these topics
happens to appear successively in the introductions to the three books
of the dialogue.
I
So let us have a look at Book One first. The scenery is described in
1.28: Crassus and his guests decide to settle under a widespreading
plane-tree, not only to enjoy its shade but also to follow the example
of Socrates in Plato's Phaedrus. 3 The implications ofthis setting have
been discussed almost ad nauseam. It has been pointed out, and very
rightly so, that despite many obvious correspondences, there are also
highly significant differences: Socrates and his friend converse in free
and untouched nature--there is a fresh stream, the song of the cicadas,
the stifling heat of high noon. The Romans promenade through
artificial landscape, through a sophisticated park, and they are not in
search of shade (the park has shadowy places all over)--they are led
by sentimental literary associations. Socrates' feet are bare; it goes
without saying that Crassus and his friends wear elegant sandals. And
why should we omit the charming detail cherished by all commen-
tators: The Athenians lie down in wild-growing grass; the Romans
quite happily make use of marble seats and of the cushions provided
by their thoughtful host. 4 1
There can be no doubt as to the meaning of these changes. Cicero is
a "late-comer," an epigone. He lacks the freshness and originality of
Socrates and Plato, and he is aware of it. 5 He is of a weaker genera-
tion, hence the marble seats and the cushions. A pair of opposites
coined by Friedrich Schiller6 fittingly describes the contrast: Plato's
Socrates is "nai've"; he is uninhibited by philosophical and literary tra-
ditions. He simply puts forward what seems right to him here and
now. The Romans on the other hand cannot help but be "sentimental":
it is no longer possible to treat philosophical topics as if nothing had
been thought and written before. Whatever is said is said with at least
a side glance at the past: to a past which is considered to be superior to
the present, even exemplary. The legacy of this great past is felt both
as a wealth of wisdom and as a burden. All this is well known and
perfectly true.
And yet some modifications are indicated. Let us start with a more
thorough look at the respective sceneries. True, the Ilissos valley is
natural landscape, 7 but there too, as in Tusculum, are reminiscences of
a remote past. Phaedrus reminds Socrates (229b) it was this very
region where Oreithyia was said to have been carried off by Boreas.
The Athenians, then, discuss the authenticity of the myth: Did it really
happen? This may seem rather far-fetched a I correspondence between
the park in Tusculum and the Ilissos valley. But my point can be
strengthened. There is another remarkable counterpart to Crassus'
Platonic plane tree-the "oak of Marius", mentioned at the very
beginning of Cicero's De legibus. 8 Not only are both talks staged in
the shade of the respective trees; the two scenes are linked together by
one and the same thought: what matters is not the physical tree, but
the tree as a literary symbol (De orat. 1.28; leg. 1.1). Just as the Ilissos
Entretiens Fondation Hardt 3, 1955 (1957), pp. 25-59 (reprint in: K. Buchner, ed., Das
neue Cicerobild, [Darmstadt, 1971], pp. 229-258).
6 "Ober naive und sentimentalische Dichtung", first complete edition in Schiller's
from it who had just killed a serpent. This was told by Cicero in his lost poem
"Marius" (quotations Leg. 1.2; Div. 1.106).
[2181219] FROM ATHENS TO TUSCULUM 175
9 Cicero, here, draws a neat parallel between Plato and himself: what Plato did for
the plane, he did for the oak; cp. below (section III) on De or. 3, 14-15.
10 See Max Pohlenz, "Der Eingang von Ciceros Gesetzen", Philologus 93 (1938),
pp. 102-127, esp.107-108. Hirzel, Dialog, vol. 1, p. 475 n. 2 notes that both, Phaedrus
and Cicero, function as "guides."
11 It is part of a wider "network." De legibus, e.g., has its own "links", too: a. It is
clearly influenced by Plato's Laws. Both talks are "itinerant": the Cretan company
walks from Cnossus to the cave of Zeus (625b, 632e, 685a, 722a), the Romans ramble
down from the grove to the riverside (Leg. 1, 1, 14, 15). For further details see Hirzel,
Dialog, vol. 1, pp. 473-477; Peter Lebrecht Schmidt, Die Abfassungszeit von Ciceros
Schrift iiber die Gesetze, Roma, 1969 (Collana di Studi Ciceroniani. 4), pp. 48 with n.
176 FROM ATHENS TO TUSCULUM [2191220]
50, 69-70. After Schmidt's thorough investigations it is now generally agreed that
Leg. was written (as Cicero's third dialogue) shortly after rep., i.e. 53/52 B.C. b. On
De legibus contrasting with De re publica ("intimate privacy vs. elevated style of
elder statesmen") see OlofGigon, "Literarische Form und philosophischer Gehalt von
Ciceros De legibus," in: 0. G., Die antike Philosophie als Maflstab und Realitiit
(ZUrich I Miinchen, 1977), pp. 356-377, esp. 357 ( = Ciceroniana n.s. 2 [Atti del II
Colloquium Tullianum], Roma, 1975, pp. 59-72, esp. 60). The respective sceneries
add to the contrast.
12 De or. 3.20; see below section III. To be sure, there are spatia and sessiones in
Arpinum, too. But they are just casually mentioned; the talk is staged elsewhere.
[2201221] FROM ATHENS TO TUSCULUM 177
13 Leg. 2.2 ... magnificas ... villas et pavimenta marmorea et laqueata tecta
contemno; ductus vera aquarum quos isti Nilos et Euripos vacant, quis non cum haec
(the banks of Liris and Fibrenus) videat inriserit?-Note that in Leg. 1 the friends
converse while walking; in De or. 1 the situation is less "natural": the group is
formally seated.
14 See Allan Wolk, The Naming of America (New York, 1977), esp. pp. 121-144:
17 Fluvanna County, Va. See Thomas Jefferson Architect: Original designs ... with
an ess0l and notes by Fiske Kimball (Boston, 1916; reprint New York, 1968), p. 74.
Bremo is now considered to have been built "under the direct influence of Jefferson's
neoclassical revival," not by Jefferson himself: Desmond Guinness/Julius Trousdale
178 FROM ATHENS TO TUSCULUM [2211222]
still in use, nicely decorated with Doric columns and a tiny bell tower,
and in the tower there is a bell given to the owner by the same
Lafayette who brought it over from France. And here, too, the
designer must be mentioned-it is Thomas Jefferson. I tell these
details not for the purpose of ridicule, but to make a double
confession. First, I frankly admit that it did make a difference to me
that the garden was designed and the bell was given by Lafayette. Not
that I am an admirer of Lafayette. I do not know much about him. But
somehow (I apologize for this vague word but I do not know a better
one), somehow a historical dimension is added to the garden and to
the cow bam by the bare fact that a man like Lafayette enters into the
record. And this historical dimension, invisible as it obviously is,
tends to become a factor in my aesthetic evaluation. So here is my
second confession: I am at a loss to explain this phenomenon, and yet
I feel subject to it. It is my conviction that many people feel the same
way, and Cicero demonstrably did. 18
But let us go back to safer ground-to the scenery of De oratore.
We looked at the plane-tree and considered its interrelation with the
tree on the llissos and with Marius' oak in Arpinum. There is more to
be said on the platanus. In De oratore (1.28), the first impression is
that Crassus and his friends just accidentally pass by a tall tree which
happens to be a plane. But this, of course, is out of the question. The
plane tree is part of Cicero's staging, and, in a way, of Crassus'
staging, too: it is an essential element in the I sophisticated design of
his park. For the plane is not just a tree, like other trees. It is, as
GrimaP 9 put it, "l'arbre par excellence des heroa." The Athenian
Academy was a ~p0ov and so, quite fittingly, adorned by planes. The
nA-<havot of the Academy were famous for their size; Pliny in his
Natural History gives a precise calculation of the extension of their
Sadler jr., Mr. Jefferson Architect (New York, 1974), pp. 164-172 (p. 166: photograph
of the bam).
18 Leg. 2.4 (Atticus speaking) Movemur ... nescio quo pacta locis ipsis, in quibus
eorum, quos diligimus aut admiramur, adsunt vestigia; Fin. 5.2 (Piso speaking)
natura ... hoc ... datum ... an errore quodam, ut, cum ea laca videamus, in quibus
memoria dignos viros acceperimus multum esse versatos, magis moveamur quam si
quando eorum ips arum aut facta audiamus aut scriptum aliquod legamus? ibid. 4
(Cicero to Piso) tibi ... adsentior usu hoc venire, ut acrius aliquanto et attentius de
claris viris locorum admonitu cogitemus. See Heinrich Dorrie, "Vestigia summorum
virorum," Grazer Beitriige 7 (1978), pp. 207-220.
19 Pierre Grima!, Les jardins romains, 3e edition, Paris 1984, p. 176.
[2221223] FROM ATHENS TO TUSCULUM 179
roots. 2 Cicero must have known of these nA.chavm; he may even have
seen some of them,-that is, if Sulla in 87 B.C. did not cut them all
down. 21 But in any event, the trees would have still been very much in
the Athenian consciousness in 79 B.C. when Cicero stayed in Athens.
It is safe to say that he must have associated plane-trees with Plato's
Academy, and that is why I am tempted to see in the beginning of
Scaevola's suggestion a slight pun: Platonis Phaedrus in the shade of
a platanus. But this can hardly be proved.
So far, we spoke of Crassus' park and its decoration. But it is quite
unlikely that the historical Crassus ever owned a place like the one
described by Cicero. To quote GrimaF2 again, it was Pompey the
Great who brought "in his luggage from the East" the idea of Greek
garden accessories such as exedrae, gymnasia, palaestrae, etc. Most
commentators, therefore, agree that what is described in De oratore is
not Crassus' but Cicero's park in Tusculum. 23 We know from many
passages in Cicero's treatises and letters that this park had an
elaborate iconography; there were two gymnasia, an upper one and a
lower one, one of them being called Academia. 24 It is a safe guess that
this "Academy" was planted with plane-trees. 25 All those readers of
De oratore who were familiar with Cicero's Tusculum estate would
have quite naturally associated the Iplatanus pointed out by Scaevola
with the platani in the Tusculanum-or even identified the specific
tree if there was a particularly eminent one. Cicero's poem, "Marius,"
clearly presented an analogous identification, and the actual
recognition is depicted at the beginning of De legibus: ... haec
Arpinatium quercus agnoscitur. Just so, I fancy, after reading De
oratore 1, a visitor to Cicero's Tusculanum might have said: agnosci-
tur Scaevolae platanus. To sum up, a plane as an essential part of the
20 Natura/is historia 12.9 (on plane-trees): celebratae sunt primum in ambulatione
B.C. onwards: Att. 1.6=2 Shackleton Bailey, 2; 1.9=5.2; 1.10=6.3; 1.4=9.3; 1.1=10.5;
Jam. 7.23.2; Q. fr. 3.9.7.
25 Planes were a prominent feature of Atticus' Amaltheion, too: Leg. 2.7 (see
Grima!, Jardins, p. 304). Gigon (Literarische Form 375/71) maybe right in assuming
that the Buthrotum planes are mentioned to back up the immediately preceding
reference to the icy stream (2.6). If so, there is an elaborate contrast, once more, in
Cicero's twofold "quotation" of the Phaedrus: actual dialogue in the free nature of
Arpinum, "sentimental" decoration in distant Epirus.
180 FROM ATHENS TO TUSCULUM [223]
Crassus' ineptia see Anton Daniel Leeman, "Ironie in Ciceros De oratore," in: A. D.
L., Form und Sinn: Studien zur romischen Literatur (1954-1984) (Frankfurt a. M.,
Bern etc., 1985), pp. 39-47, esp. 43-44.
27 Plato Phdr. 257c. Crassus, commenting on Antonius' first speech (De or.
1.263): operarium nobis quendam ... oratorem facis, atque haud scio an aliter sentias
... ; Crassus after Antonius' second speech (2.40): nox te ... nobis ... expolivit homi-
nemque reddidit. nam hesterno sermone unius cuiusdam operis ... remigem aliquem
aut baiulum nobis oratorem descripseras, inopem quendam humanitatis atque
inurbanum.-Note, however, that Antonius' ostentatious beginning corresponds
rather to the beginning of Socrates' first speech (237a). It is only when he turns to the
description of the orator peifectus that his tone changes.
[2241225] FROM ATHENS TO TUSCULUM 181
II
Next, we shall deal with the scenery proper; the best starting points
are the relevant sections of Book Two. We learn that the scene is in
porticu (2.12); later Catulus points to a wealth of Greek ornaments
surrounding the group (see below). The archaeological details need
not detain us here. What does matter is the significance attached to
this environment by Catulus and Crassus respectively. Crassus, as we
noticed, feels uneasy about his previous speech (2.15-18); he does not
want to continue, for this might be ineptum once more. Catulus tries to
refute him (2.20): ... locus hie non idoneus videtur, in quo porticus
haec ipsa, ubi inambulamus, et palaestra et tot locis sessiones
gymnasiorum et Graecorum disputationum memoriam quodam modo
commovent? That sounds convincing, and there is good reason to
assume that this was Cicero's view as well. First, he must have been
fond of palaestrae, sessiones, and the like, since his own grounds in
Tusculum and elsewhere were full of them. And secondly, most of
Cicero's dialogues have just this setting-a cultivated villa with a
carefully chosen Greek framework. 28 It does seem as if Cicero is
complimenting himself with Catulus as his mouth- piece: "Look, this
is fine scenery for a talk like this!" But then there comes a surprise.
Crassus, the owner and, we may safely surmise, the designer of all this
Greek splendour, does not agree (2.21): "What makes you think," he
replies, "that a gymnasium and a palaestra are suitable places for talks
and discussions? They are built for sports, for physical exercise-not
for intellectual debate." This harsh rebuke has puzzled commentators.
Surely, Crassus did not have his exedrae and palaestrae built in his
park to be permanently reminded of Greek athletic fields. 29 Does
Crassus mean what he says? After all, in De legibus 2.2 we noticed a
similar verdict on artificiality and theatrical effects in Roman
gardens. I
To find an answer we have to read the text very carefully. The main
line of Crassus' argument is not the contrast between athletics and
philosophy, but the contrast between effort and relaxation. Sports is on
the side of relaxation, disputationes are on the other side: they mean
dialoge" in general see Hirzel, Dialog, vol. 1, pp. 430-431, vol. 2, pp. 352, 363.
29 See Leeman/Pinkster, vol. 2, p. 213. In De or. 1.98, there is not a hint of doubt
that Crassus' palaestra is to be mentally associated with the Athenian Academy and
Lyceum.
182 FROM ATHENS TO TUSCULUM [2251226]
work and strain. The opposition has a slightly different form at the end
of section 21-to watch discus-throwers is delectatio (although a
levissima delectatio ), to listen to a philosopher serves utilitas, and
what is more, gravissima utilitas. This last statement is clearly ironic.
Neither Crassus nor Cicero would have seriously agreed that it was
"useful" to listen to those vulgar philosophers who made themselves
heard in public places. Catulus, urging Crassus to go on, had em-
phasized that the company was at leisure (2.20). In section 22 Crassus
agrees: "Yes, we are otiosi, now;" but his conclusion is: "So let us not
strain our minds, let us relax." The effort-relaxation contrast is also at
the center of the bird-simile (23): the birds build nests for the sake of
utilitas, but once this labor is done they feel free and fly around just
for their delectatio. So, what is Crassus' suggestion? Just to do noth-
ing, to end the conversation and to go for some sort of physical re-
creation? By no means. He is quite prepared to go on (25): ... si iam
mihi disputandum sit ... , but he adds a proviso: he insists that his
audience should not be illiterate but even more that it should not be
overcurious and over-intellectual (as he fears his actual hearers are);
then he winds up: malo enim non intellegi orationem meam quam
reprehendi. This sounds slightly enigmatic, but the sentence is all-
important. To understand it we have to look closely at what precedes
it. Crassus three times uses the metaphor of flying: In 22 he refers to
Scipio and Laelius "flying" out of Rome tamquam e vinculis; the birds
in the simile (23) fly, and just so our souls tend to "fly around," rid of
all grief and all labour (23, end). Leeman adduces a number of highly
interesting parallels, 30 all about the soul "flying up" to heaven after
death, and, most pertinent, Plato Phaedrus 249d "the soul longs to fly
up, but is still unable to; therefore, like a bird, it looks upward
incessantly." What links these passages with Crassus' metaphors is the
idea of knowledge. Real knowledge cannot be obtained here below
but only on high, after death. But even I here, we can get a vague idea
of this divine knowledge by "flying up," by trying to get rid of all
earthly and mortal impediments. Just this is Crassus' concern and
suggestion. What he has to say within the dialogue is, in his view (and
a fortiori in Cicero's view), part of the eternal truth, and this truth
30 Plato Ep. 7, 347e-348a; Cicero Rep. 6.14 (Somnium) hi vivunt, qui e corporum
vinclis tamquam e carcere evolaverunt; ib. 29 (on the patriot's soul) ... in hanc sedem
et do mum suam pervolabit, idque ocius faciet, si iam tum cum erit inc/usus in corpore,
eminebitforas ... See further Laelius 14.
[2261227] FROM ATHENS TO TUSCULUM 183
22b8-cl.
32 Untersuchungen zu Ciceros Philosophie, Heidelberg, 1974, pp. 132-154.
35 See Leeman's excellent remarks on the "upper class tone" of the conversation
cupidiores quam veritatis; Rep. 1.2 ... in angulis personant ... ; Div. 2.119 nihil tam
absurde dici potest, quod non dicatur ab aliquo philosophorum.
[2281229] FROM ATHENS TO TUSCULUM 185
creation but work and would thus seriously impede the attempt to get
nearer to true knowledge.
III
Let us now turn to the introductory section of Book Three and to the
historical background of the dialogue. In his third proem, Cicero tells
his readers what was to happen soon after the discussion in the
peaceful atmosphere of Crassus' Tusculanum. Most of the
interlocutors were to die under horrible circumstances. Technically
speaking, this is an "author's prediction." Its function is aptly de-
scribed by Eberhard Lammert as an appeal to the reader to draw a
comparison between the (narrative) present and what is to come. 37 In
our case, the contrast is very moving, indeed all the more so because
Crassus, the protagonist seems aware of his fate. 38 It has long been
observed that this, too, is a Platonic feature-a philosophical talk on
the eve of the main speaker's death. It has also been observed that
Cicero employs the same technique in the Cato maior and in De re
publica. Robert Coleman, quite fittingly, calls it the "swan-song
idea. " 39 But let us concentrate upon Crassus. It has been pointed out
repeatedly that Cicero's Crassus is modelled after Plato's Socrates,
and there seems to be agreement that the model for De oratore 3 was
the Phaedo (as the Phaedrus was Cicero's model for book 1). The
Phaedo, undoubtedly, is Socrates' "swan-song." But what, exactly, is
Crassus' "swan-song?" In De orat. 3.14, Cicero declares he would
now hand down to posterity Crassus' I "remaining" speech (i.e. re-
maining within the dialogue), which turned out to be "almost his last
one": sermonem ... L. Crassi reliquum ac paene postremum memoriae
prodamus. Cicero, then, refers to Plato who did the same for
Socrates. 40 This, indeed, suggests the Phaedo. The Phaedo is Socrates'
last dialogue, and what Crass us says in the main section of book 3 is
part of a dialogue as well. It is not, however, his last speech. Crassus'
of the Cambridge Philological Society n.s. 10 (1964), pp. 1-14, esp. 2 with n. 2; see
also Pohlenz, Philologus 93 (1938), p. 123; Zoll, Cicero Platonis aemulus p. 81.
4 Compare above note 9.
186 FROM ATHENS TO TUSCULUM [2291230]
41 Theodor Mommsen, Romisches Staatsrecht, vol. 3,2, Berlin 4 1888, pp. 937-938.
42 Valerius Maximus 6.2.2 (L. Philippus consul) alia sibi senatu opus esse dixit
tantumque a paenitentia dicti afuit, ut etiam L. Crass a ... id in curia graviter ferenti
manum inici iuberet.
43 M Tullii Ciceronis "De oratore" libri III, erkHirt von Gustav Sorof, vol. 3,
not cut out Crassus' tongue. One wonders about this macabre excess
of pathos, but there is a similar story elsewhere. Diogenes Laertius
(9.59) tells the following about Anaxarchus of Abdera, who had been
captured by his arch-enemy Nicocreon, the tyrant of Cyprus: He was
put into a mortar "to be pounded to death with iron pestles. But
making light of the punishment, he made the well-known speech:
'Pound, pound the pouch containing Anaxarchus; ye not pound
Anaxarchus.' And when Nicocreon commanded his tongue to be cut
out, they say he bit it off and spat it at him" (Hicks' translation). To be
sure, Anaxarchus was treated much worse than Crassus, but the
narrative structure is the same: There is a ruler and a troublesome
opponent; the ruler tries to silence the opponent by a (more or less)
harsh measure, only to be told by the latter that his back could not be
broken by such means. As to the tongues, the stories differ as
Aristotle's \lepycta and ovva,.w:;. 45 There is more: Crassus makes an
emphatic distinction between the pignora and Crassus himself (note
the third person!); Anaxarchus speaks of the "pouch" which is not
Anaxarchus. Socrates' answer to Crito comes to mind, when Crito had
asked him how he would like to be buried: "You confound Socrates
with Socrates' body!"46 We shall come back to I Socrates presently,
but let us follow up the tongue story first. Valerius Maximus (3.3 ext.
4) has it, with some macabre detail added, 47 and so have other writers.
But the same is also told of Zeno of Elea (Diogenes Laertius 9.27),
with interesting variations again; Zeno is said to have bitten off the
is, therefore, not a surprise that in later rhetorical exercises both Demosthenes and
Cicero are thus punished resp. threatened: Sopater (5th century A.D.), Rhetores
Graeci, ed. Walz, vol. 8, p. 129 =Richard Kohl, "De scholasticorum declamationum
argumentis ex historia petitis", Diss. Miinster, 1915, nr. 306: "Demosthenes is turned
over to Philip who has his tongue cut out"; Seneca suas. 7.3 (Cestius Pius): Si hanc
tibi pactionemferret (Antonius): vives, sed debilitantur pedes, etiam si in alia damna
corporis praestares patientiam, excepisses tamen linguam. (I owe these passages to
the kindness of Doreen Innes.)
46 Plato, Phaedo 115c-e, translated by Cicero Tusc. 1.103. A similar answer is
reported of Theodorus of Cyrene (the "godless"): Cicero Tusc. 1.102 cui cum
Lysimachus rex crucem minaretur, 'istis, quaeso' inquit 'isla horribilia minitare
purpuratis tuis: Theodori quidem nihil interest, humine an sublime putescat' (cp.
5.117); the same story also in Valerius Maximus 6.2 ext. 3; Seneca Dial. 9 (tranq.
an.), 14.3; Ps.-Plutarch An vitiositas 499D, see also Plutarch De exilio 606B. In
Stobaeus 3.7.29 (vol. 3 Wachsmuth/Hense, pp. 316-317) the answer is ascribed to
Anaxarchus (!).
47 (Anaxarchus) ... dentibus abscisam et commanducatam linguam in os eius (i.e.
examples might be found, but Milo (Pro Milone 92) is not a good candidate (pace W.
Stroh, Taxis und Taktik, Stuttgart, 1975, p. 76 n. 77; I owe this reference to Jerzy
Axer).
50 That is how Cicero saw him: De or. 1.231 ... ita in iudicio pro se ipse dixit, ut
non supplexaut reus, sed magister aut dominus videretur esse iudicum; Tusc. 1.71 ...
nee iudicibus supplex fuit adhibuitque liberam contumaciam a magnitudine animi
ductam ... Compare Plato, Apologia 34c.
51 Moreover, Cicero will have remembered a well-known story of the
56 See Karl Buchner, Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt.
(Heidelberg, 1964), p. 200; Leeman/Pinkster, vol. 1, p. 85.
57 Heidelberg, 1963, pp. 29-31, 103-106.
58 See e.g. Prov. cons. 23 (amor patriae) me ... et subvenire olim impendentibus
periculis maximis cum dimicatione capitis, et rursum, cum omnia tela undique esse
intenta in patriam viderem, subire coegit atque excipere unum pro universis; Att. 3.15
= 60 Shackleton Bailey, 5 ... prior lex nos nihillaedebat. quam si, ut est promulgata,
laudare voluissemus aut, ut erat neglegenda, neglegere, nocere omnino nobis non
potuisset. hie mihi primum consilium defuit, sed etiam obfuit. caeci, caeci inquam,
fuimus in vestitu mutando, in populo rogando ...
[234] FROM ATHENS TO TUSCULUM 191
Anaxarchus
Socrates (Phaedrus) Zeno ofElea
Socrates (Apologia)
/
/
Socrates (Phaedo)
/
Plato /
/
CRASS US I~
Cicero in 55 B.C.
'----~.......-----'~~58 B.C.
as
writer orator/politician
theorist of rhetoric
philosopher
"represents" both Thrasymachus and Glauco of Plato's Republic and Cameades of the
"philosophers' embassy." For Cicero's propensity to role game see Att. 2.19 = 39 Sh.
B.,4 and 2.20 = 40 Sh. B.,5 suggesting Atticus should be "Furius" in future letters,
192 FROM ATHENS TO TUSCULUM [2341235]
*
The above observations may seem a mixed bag. Yet there is at least
one common feature. Every detail touched upon indicates some sort of
"background," be it a literary, philosophical, or historical one. It sug-
gests something "between the lines." Now and then, I believe, this
may promote a better understanding of Cicero. But of this I should not
be the judge. I am not Crassus: I am ready to answer questions and I
am waiting for criticism. Malo enim orationem meam reprehendi
quam non intellegi. 60
Cicero himself"Laelius." The alleged reason is discretion, but there is more to it: see
Att. 2.16 = 36 Sh. B., 3 where the correspondents are associated with Dicaearchus and
Theophrastus respectively.
60 This paper has greatly benefited from a lively and critical discussion. I am
Als ich vor etwa drei Jahren versprach, etwas iiber Ciceros Kenntnis
der ,Schule des Aristoteles<~ zu schreiben, hoffte ich, in Ciceros
Schriften das eine oder andere neue Testimonium ausfindig zu
machen. Aber schon bald zeigte sich, dal3 die Arbeit getan war. So gut
wie alles steht in Fritz Wehrlis ,Schule des Aristoteles'; Hans
Gottschalk hat Nachlese gehalten, so griindlich, dal3 Neues vorerst
nicht zu erwarten ist. 2 W enn ich mich nun doch zu dem mir seinerzeit
zugesprochenen Bereich aul3ere, so deshalb, weil mir Ciceros
Verhiiltnis zum nachtheophrastischen Peripatos aufschlul3reich zu sein
scheint, aufschlul3reich nicht fiir unsere Kenntnis der von Wehrli
untersuchten Peripatetiker: iiber sie steht alles W esentliche in den
Handbiichern, und auch nicht fiir Ciceros konkretes Wissen iiber sie:
welche Philosophen Cicero nachweislich gekannt und welche Werke
von ihnen er gelesen hat, lal3t sich anhand der Indices von Wehrli und
Gottschalk rasch feststellen. Aber aufschlul3reich ist es, wie Cicero die
Peripatetiker nach Theophrast benutzt und zitiert, aufschlul3reich ist
sein Urteil iiber sie, sein Umgang mit ihren Schriften. Dieses Ver-
1 Im Sinne der gleichnamigen Sammlung von Fritz Wehrli (Heft 1-10, Supplement
Der junge Cicero mochte die Ethik ,der Akademie und der Peripatetiker'
kennenlemen; dafiir ist Piso der rechte Mann, denn er hatte den Peripatetiker Staseas
,viele Jahre lang bei sich im Hause' und hart nun (im Jahr 79 v. Chr.) ,schon mehrere
Monate lang den Antiochos tiber eben diesen Gegenstand' (Fin. 5,8). Schon die
Zusammenfassung von Akademie und Peripatos weist auf Antiochos, der die beiden
Schulen vor allem in der Ethik immer wieder zusammenriickte. Staseas ist offenbar
nur genannt, urn dem folgenden-im AnschluB an Antiochos----einen peripatetischen
Anstrich zu verleihen. Noch deutlicher wird das in der anschlieBenden auktorialen
Zwischenbemerkung Ciceros, in der Brutus (dem die Schrift gewidmet ist) aufgerufen
wird, sorgfaltig zu priifen, ob die Lehre des Antiochos richtig wiedergeben ist.
Selbstverstandlich hat diese Aufforderung nur rhetorischen Charakter: Brutus war
Anhanger und guter Kenner des Antiochos; Cicero will, in Ieicht durchschaubarer
Koketterie, die Aufmerksarnkeit nicht nur des Adressaten, sondem all seiner Leser auf
die seiner Meinung nach vorziiglich gelungene Wiedergabe einer antiocheischen
Abhandlung lenken. Das wird bestatigt durch das Gesprach am Ende des zusammen-
hangenden Vortrags (Fin. 5,75). Nach einigen iiberschwenglichen Komplimenten
zeigt sich Cicero erstaunt iiber Pisos niedrige Bewertung der auBeren und korper-
lichen Giiter; ,er selbst habe die Lehre des Staseas anders in Erinnerung'. Pi so gibt
das sofort zu: est ut dicis ... sed haec ab Antiocho, familiari nostro, dicuntur multo
me/ius et fortius, quam a Stasea dicebantur; in anderen Worten: ,meine Quelle war
nicht Staseas, sondem Antiochos'. Mit Recht gilt daher seit Madvig und Hirzel eine
Schrift des Antiochos als Vorlage von Pisos Vortrag. Eine von der communis opinio
abweichende Meinung vertrat M. Giusta, I dossograji di etica, vol. I, (Torino 1964),
74-100; seine Argumente wurden von P. Boyance, Latomus 26 (1967), 246-249, und
J. Glucker, Antiochus and the Late Academy, (Gottingen, 1978), 55 Anm. 148,
iiberzeugend zuriickgewiesen. Geradezu irrefiihrend ist es, daB neuerdings Fin. 5 als
,Testimonium' fiir die Lehre des Aristoteles (!) ausgegeben und in fast voller Lange
( 6-96) in einer Sammlung der Aristoteles-Fragmente abgedruckt wurde: Aristotelis
[247] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 195
5 Ciceros Ideal: Inv. 1,1; De or. 3,60; Rep. 3,5; Or. 113 u.o. (s. auch J. Graff,
einer Schrift des Antiochos von Aska1on. Die ,Anerkennung' von Aristote1es und (mit
Einschrankung) Theophrast darf nicht so verstanden werden, a1s hatte einer dieser
Phi1osophen Antiochos fiir das fo1gende als QueUe gedient. Der in Fin. 5,9-74
gegebene ethische AbriB ist Antiochos' geistiges Eigentum. DaB er sein eigenes
System a1s ,peripatetisch' ausgibt, liegt auf der Linie seines Eklektizismus, der ,Alte
Akademie' (wie Antiochos sie verstand), Peripatos und Stoa bis zur Unkenntlichkeit
aneinander annaherte. DaB Aristote1es ,anerkannt' wird, heiBt im Grunde nur, daB
Antiochos dessen Ethik mit der seinen fiir vereinbar hie1t. Im Hinb1ick auf die di-
1ettantische Erwahnung der Nikomachischen Ethik g1aubt M. Pohlenz (Zenon und
Chrysipp, Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen, phil.-
hist. Kl., Neue Folge, Fachgruppe 1, Band 2, 1936-38, Gottingen 1938, 173-210, hier
201 Anm. 3 =Kleine Schriften, Band 1, Hildesheim 1965, 1-38, hier 29 Anm. 3), der
einleitende Teil ( 12) sei von Cicero dem antiocheischen Hauptteil vorangestellt,
Theophrast sei also nur von Cicero, nicht aber von Antiochos erwahnt worden. Der
,Sohn Nikomachos' kann jedoch von Cicero eingefiigt worden sein; auch bei
Antiochos muB der Ablehnung der ,degenerierten' Schulvertreter ein positiver Passus
vorangegangen sein.
8 Dieser Satz ist miBverstanden worden. Darum sei klargestellt, daB adhibere hier
nicht etwa im Sinne von ,benutzen' = ,als Quelle zugrundelegen' verstanden werden
darf. Dafiir sagt Cicero sequi (Off 1,6;2,60;3,7 u.o.); hier ist diese Bedeutung auch
dadurch ausgeschlossen, daB Theophrast erst in zweiter Linie und-im Gegensatz zu
Aristoteles und Nikomachos-nicht durchweg, sondem nur fiir ,das meiste' heran-
[2471248] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 197
ihrer unklaren und ,weichlichen' Aussagen tiber die iiuBeren Outer getadelte Schrift
IIspt ciliatJ.LOVtuc;. Es ist daher nahezu ausgeschlossen, daB gerade diese Schrift
Antiochos als Vorlage gedient hat, wie u.a. Dirlmeier (s. vorangehende Anmerkung)
vermutet hat. Auch die erneute Erwiihnung der Schrift im SchluBgespriich (Fin. 5,85)
spricht nicht fur, sondern gegen die Verwendung: Cicero hat Piso (Antiochos) Inkon-
sequenz vorgeworfen, dem halt Piso entgegen: Theophrasti igitur ... tibi fiber ille
placet de beata vita?, ,bist du demnach mit Theophrasts Schrift einverstanden?'.
Natiirlich erwartet Piso die Antwort ,nein', und das zeigt, daB er selbst anderes
vorgetragen hat als Theophrast. Eine Benutzung der Schrift durch Cicero (unabhiingig
von Antiochos) schlieBt W. W. Fortenbaugh, Que/len zur Ethik Theophrasts, (Amster-
dam 1984) (Studien zur antiken Philosophie 12), 223 (zu L 55, 56) mit Recht aus.
10 V gl. auch Acad. I ,34 tiber Straton von Lampsakos.
11 Sein Vortrag gibt wieder, was er und Atticus ,vor Ianger Zeit von Antiochos
gehort haben' (Acad. 1,14); in Acad. 1,33 begegnet die typisch antiocheische Forme!
Peripateticorum et Academiae veteris auctoritas.
198 CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' [2481249]
Die Annahme liegt nahe, daB Cicero, der bereits der ,echten'
peripatetischen Lehre nur eingeschranktes Interesse zuwandte, der
Lehre der ,degenerierten' Philosophen noch weniger Aufmerksamkeit
gewidmet hat. Das wird durch den Befund bestatigt. Wir erfahren von
ihm nur wenig tiber die wesentlichen Lehrinhalte der Peripatetiker von
Straton bis zu Kratippos von Pergamon (dem jtingsten von Cicero
genannten V ertreter der Schule, Lehrer von Ciceros Sohn und von
Horaz). Die von Wehrli aus Cicero gesammelten Zeugnisse und
Fragmente gelten zum groBen Teil Themen auBerhalb der Philosophie,
oder es handelt sich urn doxographische Details, die Cicero als
Mosaiksteine jeweils in seinen Zusammenhang einfiigt. Dazu spater
einige Beispiele. Aus den groBen philosophischen Auseinander-
setzungen aber bleiben die Aristoteliker nach Theophrast, wie gesagt,
ausgeschlossen.
Eine Abwertung dieser Gruppe begegnet auch bei anderen Autoren
in anderem Zusammenhang. Urn die Mitte des ersten vorchristlichen
Jahrhunderts wurden in zunehmendem MaBe die lange in
V ergessenheit geratenen esoterischen Schriften des Aristoteles (auch
Lehrschriften oder Pragmatien genannt) wieder zuganglich. Der
Rhodier Andronikos gab wenig spater die Schriften heraus und
begriindete damit das uns heute vorliegende Corpus Aristotelicum. 12 In
einem in zwei Fassungen 13 I vorliegenden Bericht tiber diese Vorgange
heiBt es, von Straton an bis zur Wiederentdeckung der Pragmatien
batten die Peripatetiker nicht emsthaft philosophieren konnen, da
ihnen die wirklich wichtigen Schriften des Aristoteles nicht zur
Verfiigung standen. Auch in diesem Bericht also sind die Peri-
patetiker, mit denen wir es hier zu tun haben, stark abgewertet, ja es
wird geradezu bestritten, daB sie tiberhaupt im aristotelischen Geiste
philosophierten. Auf den ersten Blick scheint ein Zusammenhang
zwischen Strabon/Plutarch und Antiochos/Cicero zu bestehen. Aber
bei naherem Hinsehen zeigt sich, daB es auBer der Abwertung selbst
keine Gemeinsamkeiten gibt. Die Begriindungen sind vollig ver-
schieden. Piso und Varro bei Cicero, und das heiBt: Antiochos,
argumentieren inha1tlich: mit Abweichungen von der reinen Lehre des
Aristoteles. Im spateren Bericht wird nur auf die fehlenden Bucher
verwiesen-ein sehr schwaches Argument, denn wie heute niemand
mehr emsthaft bezweifelt, hat es immer, auch in der Zeit nach
Theophrast, in Athen Exemplare der esoterischen Schriften gegeben.
Was man auch von der Legende tiber den Keller in Skepsis 14 halten
mag: er hat nicht die gesamte Bibliothek des Peripatos aufge-
nommen, ohne daB Kopien in Athen verblieben waren. Das ganz ober-
flachliche Argument bei Strabon und Plutarch ist offensichtlich
diktiert von Stolz und Befriedigung tiber die nun in der Ausgabe des
Andronikos wieder bequemer zuganglichen Pragmatien. Von
Antiochos kann dieses Argument schon aus chronologischen Grunden
nicht verwandt worden sein, und auch Cicero war es offensichtlich
unbekannt, denn er hatte sich die handliche Anekdote vom
Btichermangel sicher nicht entgehen lassen. Ein Zusammenhang
zwischen Cicero und Strabon/Plutarch kann allenfalls in der Form
bestehen, daB die Abwertung durch den Kreis urn Andronikos auf der
alteren durch Antiochos autbaute und ein neues Argument hinzufiigte.
Kehren wir zu Cicero und zu seinem Verhaltnis zu den nachtheo-
phrastischen Peripatetikem zurtick. Fur peripatetische Philosophen,
die diesen Namen verdienen, halt er sie also nicht. Aber er ignoriert
sie nicht; er zeigt eine gewisse Vertrautheit mit den wichtigsten
Namen und Werken. Von den gut 30 Schulvertretem zwischen Straton
von Lampsakos und Ciceros eigener Zeit, die wir mit Namen kennen,
nennt er immerhin 14; 15 wo es ihm fiir seinen Zusammenhang ntitzlich
scheint, beruft er sich auf sie, gelegentlich teilt er einzelnes aus ihren
Werken mit. Wir werden sehen, daB er auf dem Felde der Ethik
manche von ihnen sogar in die ehrenvolle Sammelbezeichnung
,Altakademiker und Peripatetiker' einschlieBt.
Weitgehend allerdings handelt es sich bei den Bezeugungen und
Zitaten urn nicht-philosophische Themen. Demetrios von Phaleron
z.B. fand Ciceros Interesse vomehmlich unter rhetorisch-stilistischen I
Gesichtspunkten. Im Brutus (37f. = fr.175 Wehrli, 285 = fr. 177 W.)
und im Orator (92, 94 = fr. 179 W.) gibt er pointierte Urtei1e ab tiber
die Sprache seiner Reden, so daB man zur Annahme ge1angt, er habe
sie wenigstens tei1weise ge1esen. Vie1 summarischer ist das Urtei1liber
den Sti1 von Lykon (Fin. 5,13 = fr. 17 W.) und Ariston von Keos (ib.
= fr. 10 W.); aus dem gleichen Handbuch wahl auch die Charak-
terisierung des Kritolaos (Fin. 5,14 = fr. 11 W.). Die ganz farblose
Aussage in De oratore 2,160 (fr. 10 W.) deutet ebenfalls nicht auf
eigene Lektlire.
Ein anderer Aspekt, der Cicero bei den hier behandelten
Peripatetikem wichtig war, ist die aufiere Gestalt der Dialoge: fiktive
Zeit und Szenerie, Auswahl der Gesprachsteilnehmer, Technik des
Gesprachs. Hier ist zunachst Herakleides vom Pontos zu nennen.
Seine Dialoge faszinierten Cicero, wahl nicht zuletzt durch die bunte
Fabel- und Marchenwelt, die sich darin auftat. Die Gesprachs-
teilnehmer waren bei Herakleides tiberwiegend verstorbene Personen;
in diesem Sinne kann Cicero seine Schrift De republica mit Werken
des Herakleides vergleichen (Att. 13,19,3; Q. fr. 3,5,1 = fr. 24a, b W.).
Im Jahr 44 v. Chr. plante er, auf Anregung von Atticus, ein
,Herakleideion', ein Werk also, das in der auBeren Form aile Merk-
male des Herakleides tragen sollte. In sieben Briefen ist davon die
Rede (Att. 14,17,6?; 15,4,3; 15,27,2; 16,2,6; 16,13,3; 16,11,3; 16,12 =
fr. 27a-f W.); aber der Plan wurde nie verwirklicht. Auch bei
Dikaiarch von Messene war Cicero die auBere Gestalt der Dialoge
wichtig. Vor allem aus Cicero erfahren wir, daB es von Dikaiarch ein
langeres Werk ,Ober die Seele' gab, das aus zwei Teilen hestand: den
,Gesprachen in Korinth' und den ,Gesprachen auf Lesbos', jeweils
drei BUcher umfassend (Tusc. 1,21 = fr. 7 W.; 1,77 = fr. 9 W.). Auch
das wollte Cicero nachahmen; er p1ante im Jahre 45 einen Dialog, der
an einem von der Konvention radikal abweichenden Ort stattfinden
sollte: ,in Olympia oder anderswo' (Att. 13,30 = fr. 68 W.); more
Dicaearchi sollte diese politischen Fragen gewidmete Schrift gestaltet
werden. Aus zahlreichen anderen Erwahnungen wissen wir, daB die
Decemvim, die im Jahr 146 v. Chr. mit der Neuordnung der griechi-
schen Verhaltnisse betraut waren, eine Rolle spielen und den zeit-
lichen Rahmen geben sollten. 16 Viel spricht dafiir, daB der ganz
ungewohnliche Schaup1atz von Ciceros Timaeus: Ephesos, in
16 Siehe Shackleton Baileys Kommentar zu Att. 13,30 = 303,2 und S. Hafner, Die
Chios) ist unsicher; einige Forscher (zuletzt Anna Maria Ioppolo, Aristone di Chio e il
stoicismo antico, Neapel 1980, 292-308) beziehen die Stelle auf den Stoiker Ariston
von Chios. Aber die stiirkeren Argumente sprechen zugunsten des Keers ( dazu
ausfiihrlich J. G. F. Powell in: Cicero, , Cato maior de senectute ", ed. with com-
mentary and introduction by J. G. F. P., Cambridge 1988, 269-272).
18 So Shackleton Bailey zur Stelle (Cicero's ,Letters to Atticus", vol. 1,
Cambridge 1965, 353 [nicht bei Hafuer]). Da auch fiir Aristoteles Verfassungen von
Pellene, Athen und Korinth bezeugt sind, glaubt Wehrli (Kommentar zur Stelle, S.
64f.), es handele sich urn die aristotelischen Schriften, die dann gar nicht zum ,groBen
Haufen' dikaiarchischer Werke gehorten. Das ist jedoch durch Ciceros Wortlaut so
gut wie ausgeschlossen.
19 Nach E. Egermann (Die Prooemien zu den Werken des Sallust, Sitzungsberichte
der Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Kl., 214,3, 1932, hier 54-66)
und E. Bolaffi (La ,dottrina del huon govemo' presso i Romani ... , Latomus !4
( 1955), I 00-115, hier I 03-1 09) vor all em fiir die Theorie der Mischverfassung und fiir
die Betonung der praktisch-politischen virtus. Weitere Literatumachweise bei Peter L.
Schmidt, Cicero De re publica: Die Forschung der letzten fiinf Dezennien, in:
Aufstieg und Niedergang der Romischen Welt, I 4, (Berlin und New York, 1973), 262-
333, hier 312f.
202 CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' [2511252]
20 Den Zusammenhang mit der Mantik bestreitet 0. Gigon, Cicero und Aristoteles,
Hermes 87 (1959), 161 = Studien zur antiken Philosophie, (Berlin und New York,
1972), 324.
21 M. Giusta, I dossograji di etica, vol. I, Torino 1964, 196-198, 425-429 u.o.
Diese schon aus chronologischen Griinden ganz unwahrscheinliche Hypothese ist auf
allgemeine Ablehnung gestoBen; s. u.a. G. B. Kerferd, Classical Review 85 (1971),
371-373; P. Boyance, Latomus 26 (1967), 246-249; J. Glucker, Antiochus, 52 Anm.
135; P. Moraux, Aristotelismus, Bd. 1, 264-268.
[252] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 203
aus zweiter oder dritter Hand. Die einzelnen Lehren interessieren ihn
nur wenig. Wichtig ist ihm, was allen gemeinsam ist: daB das
jeweilige ,Lebensziel' (Telos) irgendwo zwischen den Extremen steht,
zwischen dem Telos der Epikureer, der bloBen ,Lust', und dem der
Stoiker, der bloBen ,Tugend'. Das klingt simpel, fast zu simpel; aber
diese F ormulierung wird Cicero gerecht. Sein ethisches Denken ist
unverriickbar orientiert an den Polen Epikur und Stoa; es steht fiir ihn
fest, daB alle anderen Meinungen dadurch gekennzeichnet sind, daB
sie die Extreme vermeiden, zwischen ihnen stehen-freilich unter-
schieden durch ihre groBere Nahe entweder zu Epikur oder zur Stoa.
Kritolaos z.B. kommt der Stoa sehr nahe, und Cicero zeigt sich be-
eindruckt durch das von ihm gebrauchte Gleichnis der Waage: die
Tugend hat ein solches Obergewicht tiber alles andere, daB nicht
einmal ,die Erde und die Meere' dagegen aufgewogen werden konn-
ten.22 Aber auch Kritolaos steht noch zwischen den Extremen, denn er
liiBt auBer der Tugend auch die anderen Guter gelten. Und das kann
nicht anders sein, denn zur genannten Mittelgruppe gehoren alle
Peripatetiker, auch die meisten der in anderem Zusammenhang, wie
gezeigt, eher abgewerteten Schulvertreter zwischen Straton von
Lampsakos und Ciceros eigener Zeit. Am deutlichsten wird das im
zweiten Argumentationsgang des fiinften Tusculanenbuches (ab 83),
wo kUhn behauptet wird, alle Schulen durften sich zu dem Satze
bekennen, die Tugend allein mache glucklich. Vor allem die Aka-
demiker nennt Cicero in diesem Zusammenhang fast stereotyp--
sofern sie sich zur Ethik geauBert haben. Seit Arkesilaos war in der
22 Tusc. 5,51 (fr. 21 Wehrli) ... libra ilia Critolai, qui cum in alteram lancem animi
Akademie und Peripatos: Fin. 5, 7 und 14; Luc. 131, 139 u.o. Vgl. Glucker, Antiochus
55-58 mit Anmerkungen.
[2531254] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 205
24 Siebe E. Pahnke, Studien iiber Ciceros Kenntnis und Benutzung des Aristoteles,
(Freiburg i. Br., Phil. Diss. 1962) 90; P. Moraux, Aristotelismus, Bd. I, 37-43; Ciceron
et les ouvrages scolaires d' Aristote, Ciceroniana n.s. vol. 2: Atti del II Colloquium
Tullianum, (Roma 1975) 81-96; Elizabeth Rawson, Intellectual Life in the Late
206 CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' [254]
Wir kommen urn die Folgerung nicht herum, daB Cicero seine
wissenschaftliche Gri.indlichkeit zumindest in den Dialogen ein wenig
ubertrieben dargestellt hat. Er hat die Wirklichkeit nicht geradezu
verfalscht; er arbeitete ja wirklich mit Buchem und in Bibliotheken.
Aber er hat diesen Umstand, der die Wirkung seiner Schriften beim
Leser nur erhohen konnte, in sehr effektvoller Weise betont. Eine
Bibliothek als Szenerie, die Dialogpartner als F orscher-das ist schon
eine geschickte Wahl. Und dabei ist nicht mehr Unredlichkeit im
Spiel, als wenn heute ein Gelehrter fiir ein Geburtstagsfoto oder fiir
ein Femsehinterview vor den dekorativsten Teil seiner Bucherwande
postiert wird-vielleicht vor Bucher, die er seit Jahren nicht mehr
benutzt hat.
Und nicht nur eine Bibliothek als Szenerie dient dazu, Ciceros
Belesenheit zu dokumentieren: auch sonst verweist er gem und oft auf
Gelesenes. 25 Es kann hier im einzelnen nicht belegt werden, aber die
These sei gewagt: Wo Cicero entlegene griechische Quellenwerke
wirklich gelesen hat und kennt, da sagt er es auch. Er versteht es,
effizient zu arbeiten, und das heiBt auch, mit dem jeweils Gelesenen
einen moglichst groBen Effekt zu erzielen, nicht nur bei der Arbeit
selbst, sondem auch nach auBen hin: durch ein Zurschaustellen der
eigenen Lesefruchte. W er das ehrenri.ihrig findet, moge sich fragen, ob
er das selbst noch nie getan hat, auch nicht in FuBnoten. Allerdings
gilt es, innerhalb der Quellenangaben zu differenzieren. Es gibt
prazise Zitate mit Nennung des Autors, z.B. Lucullus 98: ,Kleito-
machos, Ober die Urteilsenthaltung, Buch 1'. Auch fiir ganze Bucher
nennt Cicero in wenigen Fallen seine Quelle. 26 Diese Angaben
(London 1965) [Studies in Latin Literature and its Influence], 168 Anm. 7), betont mit
Recht, daB Cicero, verglichen mit anderen antiken Autoren, mit Quellenangaben
,ungewohnlich groBziigig' ist (iihnlich A. J. Kleywegt, Ciceros Arbeitsweise im
zweiten und dritten Buch der Schrift ,De natura deorum' (Groningen 1961) 12).
Leider fehlt bisher eine zuverliissige Sammlung aller einschlagigenStellen.
26 Angaben fiir einzelne Siitze und Gedanken: Off 3,63 Hecatonem ... Rhodium,
discipulum Panaetii, video in iis libris, quos de officio scripsit Q. Tuberoni, dicere;
Div. 1,72 ut in Sullae scriptum historia videmus; weniger priizise Luc. 137 legi apud
Clitomachum; Tusc. 3,59 ut video nostrum scribere Antiochum; fiir ganze BUcher:
Fin. 5,8 und 75 (s. dazu oben Anmerkung 3); Ac. 1,14 (s. oben Anmerkung 11); Luc.
10 (Lucullus soli im dogmatischen Teil ,das bei Antiochos Gehorte' wiedergeben);
Off 1,6; 2,60; 3,7 (Panaitios QueUe fiir Off. 1 und 2). Zur Bewertung von Ciceros
Zitaten treffend z.B. R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften,
[2541255] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 207
3. Theil, (Leipzig 1883), 319: ,(Man kann) daraus, dass Cicero wenn er einmal eine
Schrift des Kleitomachos aus eigener Lecture kennt diess nothig fmdet an die grosse
Glocke zu hlingen, den Schluss ziehen dass wo er diess nicht thut er das betreffende
Citat seinem Mittelsmann verdankt".
27 Diese Forme! wird fast stereotyp gebraucht: Luc. 129; Div. 1,131; 1,89; Cato
5, 12.85) erwahnte Schrift Theophrasts IlEpt EuOatf.WVta~ (De vita beata); s. oben
Anmerkung 9. Ob Cicero das Werk nur aus Antiochos kannte oder selbst ein Exem-
plar besaB (Fortenbaugh, a.a.O. 22f.), laBt sich nicht entscheiden. Einen Anhaltspunkt
dafiir, daB er die Schrift ganz gelesen hat, gibt es nicht-freilich auch keinen
Gegenbeweis. Den AnoKapTEp&v des Kyrenaikers Hegesi'!~ (Tusc. 1,83f.) kannte er
sicher nur aus einem Handbuch. Krantors beriihmtes Buch Uber die Trauer hat Cicero
fiir seine Consolatio wirklich gelesen, aber es diirfte iibertrieben sein, wenn er Luc.
135 formuliert: legimus omnes. Immerhin ist das Buch ,kurz' (non magnus).
208 CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' [2551256]
29 Auch wenn er vom Inhalt enttiiuscht und mit der Lehrmeinung des Poseidonios
nicht einverstanden war (Off. 3,8 und 34). Zu Ciceros Arbeitstechnik in den
philosophischen Schriften grundsiitzlich R. Philippson, Realencyclopiidie, s.v. Tullius,
Sp. 1189. Auch fiir historische Erorterungen greift Cicero zu Ausziigen: Att. 12,5b;
13,8. F. Munzer (Romische Adelsparteien und Adelsfamilien, (Stuttgart 1920)
[Nachdruck Darmstadt 1963], 376-408) zeigt an vielen Beispielen, wie Cicero fremde
und eigene Exzerpte hochst effizient (zum groBen Teil mehrfach) einsetzte. Es sei
auch daran erinnert, daB schon Theophrast eine auf zwei Bucher verkurzte Fassung
von Platons Politeia angefertigt hatte (Diogenes Laert. 5,43).
[256] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 209
3 Ferner: De Or. 2,21 saeculis muftis ante gymnasia inventa sunt, quam in iis
philosophi garrire coeperunt; Rep. 1,2 (tiber die Phi1osophen im Gegensatz zu den
Politikem) in angulis personant; De Or. 1,47 (Graeculi homines) contentionis
cupidiores quam veritatis.
210 CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' [2561257]
der Biihne befmdet sich eine Waage; in mehreren Versuchen erweisen sich die Verse
von Aischy1os stets als ,gewichtiger' a1s die des Euripides; nun fordert der Altere den
Jiingeren auf, ,sich selbst mit seiner Sippschaft und seiner Bibliothek (!) in die eine
Waagschale zu begeben: zwei Worte von ihm, Aischylos, in der anderen wiirden
geniigen, all das aufzuwiegen'. Die Bibliothek ist nicht zufallig erwahnt: Euripides
stand im Rufe der Biicherweisheit (Aristophanes, Frosche 943; Athenaios 1,3a). Wie
bei Cicero wird also hier geschwatzige Theorie mit knapper und markiger Weisheit
konfrontiert, Neues und Modisches mit dem bewahrten Alten. Trotzdem ist
Nachahmung unwahrscheinlich, denn Cicero scheint weder mit Aischylos noch mit
Aristophanes wirklich vertraut gewesen zu sein (die jeweiligen Erwahnungen bei Th.
Piitz, De M Tulli Ciceronis bibliotheca (Miinster, Phil. Diss. 1925) 33); vgl. auch die
oben erwahnte Verwechslung von Aristophanes und Eupolis (S. 207 [255]).
32 Wie Crassus tiber die phi1osophische Ethik, urteilt der ,Akademiker' Cotta iiber
ewigen Gesetze des Kosmos; weiteres bei K. M. Girardet, Die Ordnung der Welt. Ein
Beitrag zur philosophischen und politischen Interpretation von Ciceros Schrift De
legibus, (Wiesbaden 1983) (Historia. Einzelschriften 42), 54-65.
[257] CICERO UND DIE ,SCHULE DES ARISTOTELES' 211
Nun lassen die Themen der fiinf Bucher und der emsthafte, oft
ganz personliche Ton der Erorterungen keinen Zweifel daran, daB der
philosophische Inhalt fiir Cicero das weitaus Wichtigere war, und er
selbst I rechnet die Tusculanen in der bekannten Aufzahlung (div. 2,1-
4) ohne Einschrankung zu seinen philosophischen Schriften. Dennoch
fallt das W erk durch seine eigentiimliche Konzeption aus dem ge-
wohnten Rahmen der Philosophica heraus. Cicero hat, im Gegensatz
zu fast allen anderen Schriften, auf eine historische und szenische
Einkleidung verzichtet. Er selbst schildert die Gesprachssituation so
(Tusc. 1,8): ,Wer etwas von mir hOren wollte, formulierte seine Mei-
nung; ich sprach dann dagegen." Das deutet eher auf Obung und
Rhetorik. Es gibt in den Tusculanen neben Cicero nur einen weiteren
Gesprachspartner: einen anonym bleibenden, offenbar jungeren Mann;
seine fast einzige Funktion scheint es zu sein, eine These aufzustellen,
die Cicero als philosophischer Lehrmeister in einem langeren Vortrag
widerlegt. 1 Zwar finden sich auch-vor allem jeweils im ersten Teil
der einzelnen Bucher-kiirzere dialogische Partien, im ganzen aber ist
der ,Schuler' ein schweigender ZuhOrer. Man kann zu dem Eindruck
gelangen, Ciceros Ausfiihrungen waren auch ohne diesen Zuhorer im
wesentlichen dieselben. Gelegentlich werden die Tusculanen deshalb
auch als ,Diatriben', reine Lehrvortrage, oder gar als Essays bezeich-
net_l Es ist ein Ziel dieses Beitrags, zu I zeigen, daB dabei die Funktion
(Thesaurus Linguae Latinae s.v. disputo 1443,67-1449,8). Wenn der Gegner genannt
ist, kommt das Verbum nahe heran an die Bedeutung ,mit jemand ein Streitgesprach
fiihren, streiten' (ThLL 1449,9-61 disputare contra, adversus alqm, cum alqo). Aber
disputare heiBt nie ,sich mit jemandem unterha1ten'; es ist immer 1ogische und eine
gewisse emotionale Schiirfe impliziert, ebenso, daB einer der Dialogpartner das Ge-
sprach straff fiihrt und iiberlegen auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet. Der Titel einer
bekannten Obersetzung (,Gespriiche in Tuscu1um") ist darum irrefiihrend.-Es ist
bezeichnend, daB Cicero in einer AuBerung tiber De oratore (jam. 1,9 = 20
Shackleton Bailey, 23) ausdriicklich die ,dialogischen' Partien neben den ,dispu-
tierenden' nennt: tres libri in disputatione ac dialogo (iihnlich im Werk selbst: de or.
2,11 und 19 sermo disputatioque); die gleichen Begriffe ohne technische Bedeutung,
fast als Hendiadyoin Att. 1,17 = 17 Sh. B., 2. Die fortlaufende Rede heiBt auch
continens oralio (Tusc. 1, 16) oder perpelua oralio (jat. 1).
2 Zuletzt von A. E. Douglas, Cicero. Tusculan Disputations II and V, ed. with an
introd., trans!. and comm., Warminster 1990, 7, und ders., Form and Content in the
Tusculan Disputations, in: J. G. F. Powell (Hg.), Cicero the Philosopher. Twelve pa-
pers, Oxford 1995, 197-218, hier 199-203. hn Gegensatz zum modemen Sprachge-
brauch ist der korrekte antike Terminus crxoA.~ I schola (so richtig H. D. Jocelyn in ei-
ner Kontroverse mit H. Gottschalk: Liverpool Classical Monthly 4 [1979] 145f.
[Jocelyn]; 7 [1982] 3-7 [Jocelyn], 9lf. [Gottschalk]; 8 [1983] 89-91 [Jocelyn]; 9lf.
[Gottschalk]). Typisch fiir diese vor allem (aber nicht ausschlieBlich) in der Popular-
214 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [191]
des ,Schi.ilers' unterschatzt ist. Ein zweites Ziel ist es, den
literarischen Charakter der Tusculanen und ihren Platz in Ciceros
Werk genauer zu bestimmen, als es bisher geschehen ist.
In beiden eben betrachteten Prooemien lobt es Cicero als Vorzug
der philosophischen Disputation, daB mit ihrer Hilfe , Wahrschein-
liches' gefunden werden konne: 1,8 est enim vetus et Socratica ratio
contra alterius opinionem disserendi; nam ita facillimum, quid veri
simillimum esse!, inveniri posse Socrates arbitrabatur; 2,9 mihi sem-
per Peripateticorum Academiaeque consuetudo de omnibus rebus in
contrarias partes disserendi ... placuit, quod aliter non posse!, quid in
quaque re veri simile esse!, inveniri. Das verbindet die Tusculanen mit
anderen philosophischen Schriften und ist Ausdruck von Ciceros
skeptischer Grundhaltung: Sichere Erkenntnis des ,Wahren' ist un-
moglich, im besten Falle kann man ein ,der Wahrheit Ahnliches'
finden. Auch sonst nennt Cicero oft die Erorterung des Fi.ir und Wider
als besten Weg der Annaherung an die Wahrheit. Wie er das ver-
standen wissen wollte, hat er in den graBen Dialogen Academici libri,
De finibus bonorum et malorum und De natura deorum gezeigt: Zwei
(oder mehr) einander ausschlieBende Standpunkte werden nach-
einander vertreten; durch die jeweilige Gegenrede wird die erste
These einer harten Priifung unterzogen; sie ist dann entweder wider-
legt oder auf einen Kern zuriickgefiihrt, der als ,wahrscheinlich'
gelten und darum ,gebilligt' werden kann. 3 Das entspricht im wesent-
lichen Karl Poppers Grundsatz, Annahmen, die ihrer Natur nach nicht
beweisbar sind, mliBten wenigstens falsifizierbar sein. Bei Cicero wird
gelegentlich der durch Gegenargumente ,geharteten' These eine neue
Antithese gegeni.ibergestellt, am SchluB steht dann eine Synthese (be-
sanders eindrucksvoll in De finibus). 4
Ein solches Verfahren ist in den Tusculanen auf den ersten Blick
kaum erkennbar. Von einer ,Argumentation nach beiden Seiten hin'
philosophic gepflegte Form ist die gelegentliche Einfiihrung eines imaginaren Op-
ponenten durch Formeln wie at enim (,dagegen wird eingewandt'), inquit (,da sagt
nun einer') u.a. (Gottschalk, Mnemosyne ser. 4, 33 [1980] 361; Douglas, Form and
Content 202f.). Aber niemals ist wie in den Tusculanen eine Dialogfigur f6rmlich ein-
gefiihrt.
3 Vgl. Platon, Phaidon 85c ,Sicheres Wissen ist unmoglich oder doch nur sehr
schwer zu erlangen; aile Ansichten mtissen aufjede nur denkbare Weise geprtift wer-
den; der (relativ) beste und am schwersten zu widerlegende (8ucm~E/u:yKTOTam;)
Standpunkt mag als Notbehelf dienen.'
4 Ausfiihrlicher Vf. in: Grundriss der Geschichte der Philosophic. Die Philosophic
ist wenig zu bernerken. Der , Schuler' stellt zwar eine These auf, hat
dann aber kaum Gelegenheit, sie zu begrtinden und zu verteidigen;
der I GroBteil der Bucher wird eingenommen von Ciceros Argumenta-
tion gegen die jeweils formulierte These; eine Antithese von Gewicht
scheint zu fehlen. Nicht ganz zu Unrecht hat man deshalb im Verzicht
auf eine ,konfrontierende Struktur' das Hauptcharakteristikum der
Tusculanen gesehen. 5 Aber der Schein trtigt; Cicero hat recht, wenn er
versichert, in den Tusculanen der gleichen Methode zu folgen wie in
den anderen Schriften: Es gibt ein Gegengewicht gegen die von
Cicero vertretenen Positionen; der Schuler ist kein ,fall-guy' 6 oder
,Ttirkenkopf 1, den Cicero muhelos aber ,mit Geprassel" 8 widerlegt.
Alle fiinf Ausgangsthesen sind dadurch ,stark', daB sie die allgemeine
Erfahrung, menschliche Zweifel und Angste auf ihrer Seite haben.
Niemand muBte wortreich davon uberzeugt werden, daB der Tod als
ein ,Ubel' erscheinen kann, daB man zweifeln kann an den stoischen
Behauptungen, wenn man nur auf die rechte Art Philosophie treibe
und so zum ,Weisen' werde, werde man nie mehr von Kummer befal-
len, und wer als ,Weiser' stets richtig han dele, dem sei immerwah-
rendes ,Gluck' beschieden. Es mag Cicero widerstrebt haben, diese
Zweifel, die ohnehin allgegenwartig sind, in langere Reden zu kleiden,
urn ein auBerliches Gleichgewicht herzustellen. Sie haben Gewicht
durch sich selbst. 9 Es war genug, sie den SchUler als Ausgangsthese
baden 1965 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, geistes- und
sozialwiss. Kl. 1965,5), 233/25:, ... die Rolle des Hortensius (war in Ciceros gleich-
namigem Dialog) keineswegs nur als Tiirkenkopf konstruiert, auf den losgeschossen
werden sollte ... Hortensius (konnte) in dem Dialog nicht nur die Rolle des Priigel-
knaben spielen" (zur Geschichte der Bilder s. L. Rohrich, Lexikon der sprichwort-
lichen Redensarten, Freiburg i. Br. 1973, s. v. ,Priigelknabe' und , Tiirke' ). Den
,Schiiler' in den Tusculanen nennt SueB ,ganz farb- und leblos", gibt jedoch zu, daB
er ,gelegentlich etwas Blut erhalt" (279/71).
8 Th. Mommsen, Romische Geschichte, Bd. 3, Berlin 1856, 619, tiber Cicero als
Politiker und als Anwalt: ,Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauem von
Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt." Ciceros Verfahren in den Tusculanen
wird Mommsen nicht anders beurteilt haben; vgl. seine Charakteristik der philoso-
phischen Werke ebda. 622-24.
9 Cicero wul3te sehr wohl, daB es auf ein aul3erliches Gleichgewicht der Thesen
nicht ankam; so schreibt er an Atticus im Februar 49, als er noch unsicher ist, ob er in
Rom bleiben oder Pompeius folgen soli (Att. 8,3 = 153 Sh. B., 6): acne me existi-
maris ad manendum esse propensiorem, quod plura in earn partem verba fecerim:
potestfieri, quod fit in muftis quaestionibus, ut res verbosior haecfuerit, illa verior.
216 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [192[193]
formulieren zu lassen; und wie sich zeigen wird, hat Cicero noch mehr
getan: immer wieder macht er deutlich, daB die I Zweifel durch seine
Gegenargumente nicht ganz zum Schweigen gebracht werden konnen.
In diesem Sinne sind die Tusculanen ein giiltiges Beispiel fur eine
Argumentation ,nach heiden Seiten hin'.
Unter einem anderen Gesichtspunkt ist das in den Tusculanen
angewandte V erfahren fur eine skeptische Argumentation besonders
geeignet, und das ist fast ein Paradox. Der oft beHichelte formale
Rahmen, daB sich der Meister eine These nennen laBt, urn sie dann in
zusammenhiingender Rede zu widerlegen, scheint dezidiert dogma-
tisch: Man muB nur die vom Schuler aufgestellte These mit einem
negativen Vorzeichen versehen, und man erhiilt Formulierungen, die
iiber dem Vortrag eines Dogmatikers stehen konnten: Mortem malum
non esse, non cadere in sapientem aegritudinem usw. Aber die Proze-
dur der Thesensetzung ist mehr als ein formales Spiel. Indem der
Schiller seine These formuliert, stellt er Cicero eine Aufgabe: er legt
ihn auf die Gegenposition der eigenen These fest. Was Cicero dann
sagt, urn diese Aufgabe zu erfullen, muB nach dieser Spielregel durch-
aus nicht seine eigene Meinung sein. Er spielt eine Rolle-und als
Skeptiker kann und muB er sie gut spielen, denn es soll ja gezeigt
werden, daB der gegnerische Standpunkt, wie jeder andere denkbare
Gegenstandpunkt, iiberwunden werden kann. Je iiberzeugender (und
damit auBerlich auch: dogmatischer) der Skeptiker argumentiert, desto
mehr empfiehlt er indirekt den skeptischen Verzicht auf jedes Urteil.
Und er kann sich gewaltig ins Zeug legen, denn durch die Fiktion, es
werde lediglich eine ,Aufgabe' erfullt, ist der skeptische Vorbehalt
voll und ganz gewahrt. 10 Nun ist es offenkundig, daB der Autor Cicero
den Disputanten in Tusculum keine Thesen vertreten laBt, die nicht
seiner eigenen Auffassung entsprachen. Aber es mag ihn gereizt
haben, sich durch die Fiktion der Thesensetzung von jeder Pflicht zu
skeptischer Zuriickhaltung zu befreien und seine Argumente mit
starkerem rhetorischen Nachdruck vorzutragen, als es in anderen Dia-
logen der Fall ist.
Damit hangt eine andere Besonderheit der Tusculanen zusammen:
Cicero bleibt seiner Rolle nicht durchweg treu. Gelegentlich tritt er
aus ihr heraus, und wir miissen auch innerhalb des Dialogs unter-
scheiden zwischen dem auf Erfolg bedachten, seiner Sache sicheren
Lehrmeister und der bloBen Dialogfigur Cicero, der sich hin und
wieder mit dem SchUler beri:it tiber den Fortgang der Erorterung, der
viele der Zweifel teilt, die den Jiingeren bedriingen-so sehr, daB er
sich selbst manchmal zum Sprecher eben dieser Zweifel macht. I
*
Nach diesen vorliiufigen, eher theoretischen Betrachtungen ein kurzer
Blick auf die einzelnen Bucher:
Das erste Buch gilt der Widerlegung der These, der Tod sei ein
,Obel'. Ciceros Argumentation zerfallt in drei Abschnitte: Zuniichst
(9-16) wird in streng dialektischer Weise gezeigt, daB ,Tod' gleich-
bedeutend sei mit dem Ende des Seins; da mit dem Sein (verstanden
als Existenz) aber auch jedes qualitative Sein aufhore, konne von
einem irgendwie gearteten qualitativen Sein der Toten nicht gespro-
chen werden. In einem umfangreichen zweiten Teil (17 -81) fiihrt
Cicero Argumente dafiir an, daB die Seele mit dem Tode nicht zugrun-
de geht, sondern sich in hOhere Regionen erhebt; in diesem Faile sei
der Tod sogar ein ,Gut'. In einem dritten Beweisgang (82-111) kehrt
Cicero dann zur ersten Annahme zuriick: selbst wenn die Seele mit
dem Korper zugrunde gehe, sei der Tod nicht zu fiirchten, da dann mit
dem Tode jede Empfindung erlosche. Cicero argumentiert also von
zwei verschiedenen Positionen aus.
Es liegt auf der Hand, und Cicero macht es auf vielfache Weise
deutlich, daB die ,platonische' Alternative eines Weiterlebens nach
dem Tode die ,erwiinschtere' ist. Aber gerade gegen sie richten sich
die heftigsten Zweifel. Zunachst ist es der ,Schiiler', der sie artikuliert
(und damit ausdriickt, daB er an seiner Ausgangsthese noch festhiilt).
Nun empfiehlt ihm der ,Meister' die Lektiire von Platons Phaidon
(24 ), aber der Schuler antwortet, den habe er schon oft gelesen, und
wiihrend der Lektiire sei er auch immer ganz einverstanden gewesen;
aber kaum habe er das Buch aus der Hand gelegt und selbst zu griibeln
begonnen, da sei ihm die ganze Zustimmung wieder zerronnen.
Darauf fiihrt Cicero weitere ,Beweise' an, und noch vor dem Ende des
zentralen Teils gibt sich der SchUler iiberzeugt (76). Nun scheinen die
Rollen geradezu vertauscht: Jetzt ist es Cicero, der Zweifel erkennen
laBt (76-78), zuniichst, indem er daran erinnert, daB unverachtliche
218 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [1941195]
11 An erster Stelle die Epikureer, ,die er fiir seine Person nicht verachte" (hier
vollige Empfindungslosigkeit') zieht sich durch Ciceros ganzes Werk: Arch. 30; Sest.
47 (vgl. 131); leg. frg. 1 Ziegler I Gorier (Laktanz inst. div. 3,19,2); Hart. frg. 115
Grilli (Augustin trin. 14, 19,26);/am. 5,16 = 187 Sh. B., 4; Luc. 124; Cato m. 66f., 74;
Lael. 13f.; frg. inc. bei Laktanz inst. 7,8,9. In jam. 5,21 = 182 Sh. B., 4 und 6,21 = 246
[1951196] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 219
Sh. B., 1 scheinen die Zweifel zu iiberwiegen. Vorbild ist vermutlich Platon Apol.
40c5-9. Zur Geschichte des Motivs s. auch R. Kassel, Untersuchungen zur grie-
chischen und romischen Konsolationsliteratur, Miinchen 1958 (Zetemata 18), 76
Anm. 1 (dort weitere Literatur).
220 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [1961197]
unbedeutend; und dar aus ergebe sich (31): , so gut wie gar nichts sei
der Schmerz' (nihil plane est dolor); dem Schmerz nachzugeben sei
schlindlich. Es folgen Beispiele fiir tapfer ertragene Leiden, auf die
meist ein argumentum a minore ad maius folgt (eine auch sonst in den
Tusculanen hliufige Figur), z.B. 34 ,spartanische Knaben ertragen
tapfer die Schllige ihrer Erzieher: so11te das gleiche nicht auch fiir
Manner moglich sein?'. Aber schon bald distanziert sich Cicero wie-
der von der radikalen stoischen Lehre und tadelt nochmals ihre
gekiinstelte und gewundene Beweisfiihrung (42): ,ob der Schmerz ein
,Obel' ist oder nicht, das zu entscheiden wo11en wir den Stoikem
tiberlassen, die durch gewundene, tiberpedantische Sy11ogismen
beweisen wo11en, der Schmerz sei kein ,Obel'" (sitne ... malum do/ere
necne, Stoici viderint, qui contortulis quibusdam I et minutis conclusi-
unculis ... effici volunt non esse malum dolo rem). Er selbst wolle sich
mit einer bescheideneren Annahme begntigen: Die Schrecken des
Schmerzes wtirden tiberschlitzt, der Schmerz sei kein wirklich groBes
Obel und konne in jedem Falle ertragen werden.
Das dritte Buch gilt der Frage, ob der ,Weise' von Kummer
befa11en werden konne. Zunlichst pflichtet Cicero dem SchUler bei
(12): Ja, das sei menschlich empfunden, daB er dem Weisen nicht
jedes Gefiihl abspreche, ,wir sind ja nicht von Stein, sondem von
Natur aus gibt es auch etwas Weiches und Zartes in unserem Gemtit,
das vom Kummer wie von einem Sturm ergriffen werden kann." Das
ist keine captatio benevolentiae--Cicero meint, was er sagt, 13 und er
sttitzt seine Ansicht durch ein Zitat aus der bertihmten Trostschrift des
Akademikers Krantor. Aber sogleich verlli.Bt er diese Ebene wieder
(13): Wer es billige, daB man sich vom Kummer erfassen lasse, ,rede
menschlicher Schwliche das Wort" und lasse sich hineingleiten in eine
weichliche Haltung, 14 , wir aber wo11en es wagen, den Kummer mit
13 Das zeigen vor all em zwei Stellen aus Reden Ciceros nach der Riickkehr aus der
Verbannung. Man hatte Cicero offenbar vorgeworfen, er habe sich nicht so verhalten,
wie man es von einem Philosophen habe erwarten diirfen; dagegen verteidigt er sich
mit dem Argument, er sei ein Mensch mit allen von der Natur gegebenen Schwiichen;
die stoische ,Apathie' sei ebenso unnatiirlich wie unmenschlich (Sest. 49, dom. 97).
Weitere Stellen bei Vf., Untersuchungen zu Ciceros Philosophie, Heidelberg 1974,
110-112.
14 sed videamus, ne haec oratio sit hominum adsentantium nostrae imbecillitati
et indulgentium mollitudini ... In iihnlicher Weise ruft sich Cicero im Prooemium des
fiinften Buches (5) von den Zweifeln an der Autarkie der Tugend zuriick zu einem
,tapfereren' Standpunkt: sed in hoc me ipse castigo, quod ex aliorum et ex nostrafor-
tasse mollitia, non ex ipsa virtute de virtutis robore existimo.
[1971198] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 221
15 Aber man beachte, daB Cicero fortfahrt: tamen aliquid relinquetur fortasse; ita
sunt altae stirpes stultitiae; es bleibt eine gewisse Distanz zur stoischen Forderung
nach volliger ,Apathie'; andererseits ist die Aussage durch fortasse wieder abge-
schwacht.
16 Aber nicht ganz orthodox, denn in 22 sind die Affekte als mala bezeichnet.
Nach stoischer Lehre aber sind die Affekte zwar verwerflich, jedoch keine ,(Jbel';
vielmehr beruhen sie darauf, daB man fiir ein ,Dbel' halt, was in Wahrheit keines ist,
z.B. wenn man den Schmerz fiirchtet.
17 Vorangeht (75) eine weitgehend analoge Aufzahlung ohne Zuordnung zu den
Schulen. In 76 ist die Textiiberlieferung offenbar nach der Erwahnung der Epikureer
gestort; merkwiirdig auch, daB ganz am SchluB der Liste mit Chrysipp noch einmal
die Stoa zu Worte kommt.
222 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [198[199]
Im vierten Buch soll gezeigt werden, daB sich der Weise auch
von den drei tibrigen Grundaffekten freihalten kann: von Furcht, von
freudiger Erregung (laetitia) und von Begierde. Auch hier folgt Cicero
im wesentlichen den Stoikem. Ihre Verurteilung aller Affekte wird his
38 dargestellt und pathetisch abgeschlossen. Danach wendet sich
Cicero gegen die Peripatetiker: ,Deshalb muB uns die peripatetische
Argumentations- und Redeweise als weichlich und kraftlos gelten,
lehren sie doch, es sei ganz unvermeidlich, daB unser Gemtit von Af-
fekten befallen werde; allerdings setzen sie ein bestimmtes MaB fest,
das nicht tiberschritten werden dtirfe ... ". In der Tat, wenn man die
stoische Forderung nach volliger Affektlosigkeit (,Apathie') gelten
laBt, muB man die peripatetische ,Metriopathie' ablehnen. Mit 43
geht Cicero tiber zu der noch weiterreichenden peripatetischen
Annahme, die meisten Affekte seien nicht nur nattirlich, sondem-in
ihren vemtinftigen Grenzen-sogar ,ntitzlich'. Aus den Anfangswor-
ten spricht schroffe Ablehnung: I ,Was soll man nun vollends davon
halten, daB sie lehren, jene Verwirrungen, die, wie wir (!) meinen,
ausgerottet werden mtissen, seien ... uns zu unserem Nutzen von der
Natur gegeben?" Aber sogleich andert sich der Ton. An die Stelle von
Polemik tritt ein im wesentlichen objektives Referat tiber dieses
peripatetische Lehrstlick. Dann fragt Cicero den ,SchUler' (46), was er
von dieser Lehre halte (quae cum exponunt, nihilne tibi videntur an
aliquid dicere?). Dessen Antwort laBt einmal mehr erkennen, daB er
kein bloBer ,Ttirkenkopf ist: ,Mir scheint der peripatetische Stand-
punkt recht vemtinftig', erwidert er: mihi vera dicere aliquid; er sei
nun gespannt, was Cicero dagegen sagen werde. Nach allem Voran-
gegangenen muB der SchUler (und mtissen wir) annehmen, daB Cicero
die These von der Ntitzlichkeit der Affekte schroff ablehnt. Aber
Cicero zeigt akademische Zurlickhaltung (47): Er fiihle sich auBer-
stande, ein apodiktisches Urteil zu fallen, und mochte den Streit am
liebsten den heiden Kontrahenten, den Peripatetikem und den Stoi-
kem, tiberlassen (digladientur illi per me licet). 18 Nur im Sinne bloBer
Wahrscheinlichkeit konne er sich auBem. Das tut er dann, und zwar
auf der Seite der Stoa (47-57): Alle Affekte mtissen und konnen
unterdrlickt werden.
18 Ahn1ich Tusc. 5,83 ,Karneades brannte vor Eifer, die Stoiker zu widerlegen',
Bis jetzt hatte Cicero eher theoretisch argumentiert und war dabei
vom stoischen Grundsatz ausgegangen, nichts auBer der Tugend sei
ein , Gut', nichts auBer sittlicher Schlechtigkeit sei ein ,Obel'. Alle
Affekte beruhten auf irriger Einschiitzung: Kummer z.B. entstehe
dadurch, daB man meine, von einem Obel befallen zu sein, das
vermeintliche ,Obel' geh6re in Wahrheit jedoch zu den ,gleichgiil-
tigen' Dingen. Im niichsten Abschnitt (58-63) verliiBt Cicero dieses
theoretische, und damit auch das orthodox-stoische Niveau. Es sollen
jetzt, ohne Bindung an eine bestimmte philosophische Schule, ,Heil-
mittel' (remedia) gegen die Affekte erortert und bereitgestellt werden.
Der Wechsel ist auch dadurch ausgedrlickt, daB Cicero feststellt, von
nun an gehe es nicht mehr urn den ,W eisen', sondem urn den
durchschnittlichen Menschen 19 wie den ,SchUler' (58 sed quoniam
suspicor te non tam de sapiente quam de te ipso quaerere-illum enim
putas omni perturbatione esse liberum, te vis-videamus, quanta sint,
quae <a> philosophis remedia morbis I animorum adhibeantur). Das
stoische Hauptargument, die Unterscheidung von ,Gutem' (nur die
Tugend) und ,Gleichgiiltigem' (alles andere) ist zwar nicht aufgege-
ben: wenn es akzeptiert werde, sagt Cicero, sei es ideal, denn damit
wlirden ja aile Affekte zugleich getroffen; aber die Erfahrung zeige,
daB es nur selten seine Wirkung tue, darum solle man es bei durch-
schnittlichen Menschen nicht anwenden (60 ratio et oratio, quae simul
et opinionem falsam tollit et aegritudinem detrahit, est ea quidem
utilior, sed raro proficit neque est ad vulgus adhibenda). Gegenliber
jedermann dagegen konne man darauf verweisen, daB aile Affekte als
solche ,fehlerhaft' (vitiosae) seien, daB ihnen durchaus nichts
Natlirliches oder gar Unvermeidliches innewohne (60). Das tue seine
Wirkung auch bei denen, die das, was Kummer und andere Affekte
auslOst, fUr wirkliche , Obel' halten, denn auch sie konne man davon
liberzeugen, daB man diese Obel mit Gleichmut ertragen mlisse.
Bezeichnend ist die Verwendung der Konjunktion !amen: 61 ,obwohl
sich einige dem wirksamsten (stoischen) Argument verschlieBen,
sollten sie dennoch zugeben, daB alle Affekte verfehlt sind', ,jemand
halt die Lust fUr ein Gut, ein anderer das Geld: trotzdem kann der erste
von ausschweifender Lebensweise, der andere von krankhafter
19 hn Lucullus (66) unterscheidet Cicero zwischen ,dem Weisen', der sich jeder
,Zustimmung' zu den Eindriicken, die ihm zuteil werden, enthalt, und sich selbst, dem
er weniger strenge Beschriinkungen auferlegt. Vgl. auch Tusc. 4,63: ,Ich habe schwe-
ren Schmerz empfunden', non enim sapientes eramus; femer Seneca ben. 5,25,3.
224 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [2001201]
corporis, externa tertia, ut Peripatetici nee multo veteres Academici secus ... ; s. auch
unten S. 225 [202].
21 Dies ist der Tenor des mit 58 beginnenden Abschnitts. Man beachte, daB
damit das urspriingliche Beweisziel (8 ,der Weise kann sich von jedem Affekt freihal-
ten') erweitert ist. In ahnlicher Weise ist auch in Buch 1 mehr ,bewiesen' als gefordert
war, namlich daB der Tod nicht nur kein Obel, sondern ,vielleicht sogar ein Gut sei'.
[2011202] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 225
haft, sondern man lasse sie an sich heran aufgrund einer ,freiwilligen'
Entscheidung. Freilich sei es ,schwierig', jedermann davon zu
iiberzeugen, daB nichts von alledem, was Kummer, ausgelassene
Freude oder Begierde auslose, wirklich ,gut' oder ,schlecht' sei (65);
darum miisse man auch zu anderen Mitteln greifen: loquimur nunc
more communi (66). Typisch wiederum das Zugestandnis (66): sint
sane ista bona, quae putantur: honores, divitiae, voluptates, cetera-
tam en in eis ipsis potiundis exultans gestiensque laetitia turpis est
... -In den 78-81 wendet sich Cicero, ausgehend vom Zorn, noch
einmal (ein wenig iiberraschend und unmotiviert) gegen die
peripatetische Lehre von der ,Niitzlichkeit' begrenzter Affekte.-Ein
allgemeiner Epilog zu den Biichern 1-4 schlieBt sich an; auch bier
erscheint-nach einem skeptischen Vorbehalt (82 cognitis, quoad
possunt ab homine cognosci, bonorum et malorum finibus }--das
stoische Argument von der ,freiwilligen' Fehleinschatzung vermeint-
licher ,Giiter' und ,Obel'. Die Ebene des communis mos (66) ist also
am Ende wieder verlassen.
Dem fiinften Buch kommt neben dem ersten sowohl im Urn-
fang wie durch die philosophische Thematik das groBte Gewicht zu.
Als Thema setzt der ,Schiiler' (12): non mihi videtur ad beate
vivendum satis posse virtutem; Ciceros Aufgabe ist es also, zu zeigen,
daB ,die I Tugend allein die Gliickseligkeit sichern kann'. Die Formu-
lierung wirkt auf den heutigen Leser eher befremdlich. Aber in den
hellenistischen Schulen hestand Einvernehmen dariiber, daB die
,Gliickseligkeit' (ct'>8atJ.lOVta, vita beata) immer dann gegeben war,
wenn man das ethische ,Ziel' ('reA.o~, finis) der jeweiligen Schule
erreicht harte, oder anders ausgedriickt: die Schulen verkiindeten das
als ihr ,Ziel', was man anstreben und gegebenenfalls erreichen muBte,
urn in vollem MaBe ,gliicklich' zu sein. Das Thema des funften
Tusculanenbuches beriihrt sich also aufs engste mit dem von De
finibus bonorum et malorum: es geht urn die ethischen Grundfragen.
Die vielschichtige Problematik kann hier nur kurz angedeutet werden,
und auch der Oberblick tiber das Buch muB sich auf das Wesentliche
beschranken.
Das funfte Buch ist gepdigt vom Gegensatz vor allem zweier
Standpunkte. Die Stoiker lehrten, nichts auBer der Tugend sei ein
,Gut'; darum enthielt auch ihre Telos-Formel nur diesen einen
Begriff: ,Aufgabe des Menschen ist es, naturgemaB, und das heiBt:
tugendhaft zu Ieben.' Zur Tugend aber kann man sich jederzeit
226 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [2021203]
hinnehmen miissen, dann kommen mir Zweifel an der Lehre (von der
Autarkie der Tugend)". Gleich darauf ruft sich Cicero zurtick, will
sich zwingen, nicht mehr zu zweifeln: zu Unrecht habe er seine eigene
Schwache zum MaBstab gemacht, nicht die Kraft und die Wiirde der
Tugend.
Die Ausgangsthese des ,Schiilers' (12 non mihi videtur ad beate vi-
vendum satis posse virtutem) ist identisch mit den von Cicero im
Prooemium geauBerten Zweifeln; jedem Leser ist es deutlich, daB der
Schuler hier fiir den Autor Cicero spricht. Die Dialogfigur Cicero frei-
lich, der disputierende ,Meister', muB seiner Funktion gemaB wider-
sprechen: er muB den Nachweis versuchen, daB ,die Tugend allein die
Gliickseligkeit sichert'. Aus dem Prooemium wissen wir, daB dies kei-
ne bloBe ,Rolle' ist, die er gegen seine Oberzeugung iibernimmt:
Cicero , wiinscht', die stoische Ansicht sei richtig, nur wird er immer
wieder von Zweifeln befallen. An diesem eigenartigen Spannungs-
verhaltnis mag es liegen, daB Cicero im fiinften Buch weniger
schulgerecht und weniger scharf disputiert als zuvor. Die deutlichste
Gegenposition zu der Ausgangsthese des Schiilers vertraten die
Stoiker; es hatte also nahegelegen, ihr zunachst den stoischen Stand-
punkt entgegenzuhalten. Oberraschenderweise aber verweist Cicero
zuerst auf Brutus (12), der sich zur Giiterlehre des Antiochos aus
Askalon bekannte (die Cicero in De finibus mit der peripatetischen
identifiziert hatte ). Er wuBte sehr wohl, daB die Anerkennung von
,drei Giiterklassen' sich nicht mit der Lehre von der ,Autarkie der
Tugend' verbinden UiBt, und spater sagt er es auch ausdriicklich (34).
Man konnte ein bloBes Kompliment fiir Brutus, dem die Tusculanen
gewidmet sind, darin sehen, daB sein Name an erster I Stelle steht.
Aber richtiger ist es wohl, daB Cicero in diesem sehr personlichen
Buch den Zweifeln des Schiilers, die auch die seinen waren, nicht
sogleich in aller Harte eine Lehre entgegenhalten wollte, die ihn oft
durch ihren kalten Rationalismus abstieB. Seine ,Rolle' nOtigt Cicero
dann doch, zunachst einige stoische Argumente vorzutragen (12f.),
aber er verzichtet darauf, sie als solche zu bezeichnen. Der SchUler
erkennt ihre Herkunft sofort und protestiert (13f.): Solche alt-
bekannten stoischen Wortspiele und Bilder beeindruckten ihn nicht.
Die Entgegnung ist lang und temperamentvoll; niemand konnte und
kann daran zweifeln, daB wiederum der Autor und Mensch Cicero aus
dem Schiller spricht; bezeichnend dafiir ist auch, daB auf der fiktiven
Ebene der Gesprachssituation der ,Lehrer' eher zustimmt als wider-
228 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [204[205]
spricht (15 facile patior te isla modo agere). Im Dienste seiner Rolle
fuhrt Cicero dann die stoischen Argumente fort (15-17); aber in 18
bricht er von sich aus ab: Das sei eher ein mathematischer Dispu-
tationsstil als ein philosophischer, von bestimmten Pramissen auszu-
gehen, als seien sie gegeben und unbezweifelbar; zwar sei es richtig,
daB wenn nichts auBer der Tugend ein Gut sei, sie allein ausreiche,
,Gluckseligkeit' zu garantieren; oder auch umgekehrt: wenn die
Tugend allein das Gluck sichere, ergebe sich daraus, daB nichts auBer
der Tugend ein Gut sei. Aber eben diese Pramissen sttinden ja in
Frage und muBten erst erortert werden. Danach tritt Cicero ganz
heraus aus der Rolle des uberlegenen Meisters und bekennt-nun
auch innerhalb des Dialogs-seine Zweifel (20): Einen Preis mochte
er aussetzen fur ein Argument, das dazu he1fen konnte, ,ein wenig
fester an die Autarkie der Tugend zu glauben'.
Der folgende zentrale Teil des Buches nimmt nun immer deutlicher
die Diskussionen von De finibus 3-4 und 5 wieder auf: Lassen sich die
,drei Klassen von Gutern' mit dem Anspruch vereinigen, die Tugend
allein sichere dauerhaftes Gluck? In De finibus war Cicero nicht mude
geworden, beide Thesen gegeneinander auszuspielen; nur ganz am
Ende des letzten Buches ist er unter Vorbehalt zu einem KompromiB
bereit. In den Tusculanen versucht Cicero zu harmonisieren, am
kiihnsten darin, daB er die Lehre von der Autarkie und den Satz,
,nichts auBer der Tugend sei ein Gut', Zenon nahezu abspricht: ,auf
Platons Autoritat soll dieser wtirdige Satz sich grtinden' (34 si Zeno
Citieus, advena quidam et ignobilis verborum opifex, insinuasse se in
antiquam philosophiam videtur, huius sententiae gravitas a Platonis
auctoritate repetatur, apud quem saepe haec oralio usurpata est, ut
nihil praeter virtu/em diceretur bonum). Spater ist es Sokrates, der
bereits zu dem SchluB gelangt sein soll, ,das Leben aller Guten sei
glucklich' (47). Dazu fugt es I sich, daB ganz am Anfang Brutus,
Anhanger der ,Alten Akademie' des Antiochos, als Vertreter dieser
Lehre genannt war. Mit derartigen Zuschreibungen geht Cicero hart an
die Grenzen des historisch eben noch V ertretbaren.
Aber den Vorwurf der Verfalschung muB er nicht furchten, denn er
laBt mehrfach den SchUler eingreifen und an die Fakten erinnern, zum
ersten Male indirekt in 21: ,Dem SchluB stimme ich zu, daB wenn
die Tugend das einzige Gut ist, sie allein Gluckseligkeit garantiert,
und auch dem UmkehrschluB: wenn die Tugend allein das GlUck
sichert, kann nur sie ein Gut sein. Aber Brutus und seine Lehrer
[2051206] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 229
23 Denn sie waren es, die die Lehre von den drei ,Giiterklassen' am klarsten
vertraten. Cicero hat zuvor auch die Alt-Akademiker Speusipp, Polemon und Xeno-
krates genannt; damit folgt er der groBziigigen Klassifizierung seines Lehrers An-
tiochos aus Askalon, der aile von ihm gebilligten ,guten alten Philosophen' (veteres
illi) in einer Gruppe zusammenfaBte.
24 Vgl. 5,34 ,Zenon hat sich eingeschlichen in die Lehre von der Selbstgeniig-
samkeit der Tugend; darum soli dieser wiirdevolle Satz aufPlaton zuriickgefiihrt wer-
den.'
25 Ahnliche Appelle auch Tusc. 5,85 ,Allen Philosophen (auBer Theophrast) steht
es frei, die Macht und die Wiirde der Tugend stark herauszustellen; wenn sie ,bis zum
Himmel erhoben ist", fallt es Ieicht, alles andere zu verachten'; 5,119 , Wenn sogar die
Epikureer dem Weisen immerwahrendes Gluck zusprechen, was miissen dann erst die
Philosophen lehren, die in Sokrates' Nachfo1ge stehen?'
[2071208] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 231
ist klar, daB an heiden Stellen der Schuler fiir den Autor Cicero
spricht: der hatte ja an den angegebenen Stellen wirklich so
argumentiert. Damit wird ein wesentliches Charakteristikum der
Tusculanen besonders deutlich: In De finibus stehen die einander
widerstreitenden Stellungnahmen im Dienste eines dialektischen
Verfahrens; durch die Erorterung des Fur und Wider will Cicero der
Wahrheit naherkommen. In den tusculanischen Disputationen, die
jeweils in einer zusammenhangenden Rede eine These beweisen
wollen, ist das dialektische Verfahren in einer so klaren Form nicht
anwendbar; nur in der (abgeschwachten) Form werden verschiedene
philosophische Positionen gegeneinander ausgespielt, daB Cicero in
allen fiinf Biichern von jeweils zwei verschiedenen Positionen aus
argumentiert. Sie sind in der Sache teilweise inkompatibel, ja kontrar;
aber die Form der durchgehenden Verteidigung einer These bringt es
mit sich, daB Cicero als Disputant die Gegensatze eher verwischt; der
Grundtenor ist ja: sowohl von diesem wie von jenem Standpunkt aus
laBt sich die These des Schiilers widerlegen, die meine erharten. Es ist
eine der wichtigsten Funktionen des Schiilers, daB er dieser Harmoni-
sierung (und damit Verunklarung) entgegenwirkt. Es muB Cicero
Freude gemacht haben, den SchUler diese bohrenden Riickverweise
auf friihere gegenteilige Argumente des Meisters formulieren zu
lassen: ein treffliches Gegenmittel gegen den scheinbar ungegliedert
dahinflieBenden diatribenhaften Stil. Die nur allzu berechtigten
Nachfragen des Schiilers erinnern nicht nur den Meister, sondern auch
uns Leser daran, daB es sich bei dem einen und bei dem anderen
scheinbar gleitenden Obergang in Wirklichkeit urn einen tiefgrei-
fenden Standortwechsel handelt.
Von 83 an will Cicero nun zeigen, daB alle Philosophen, ,welche
Meinung sie auch tiber das Endziel haben', zu dem SchluB gelangen
konnen, die Tugend sei stark genug, ein gliickliches Leben zu sichern.
Es wurde bereits angedeutet, wie das geschehen kann: Im Rahmen des
Beweisziels bilden der peripatetische und der stoische Standpunkt
keinen Gegensatz; sie stehen zueinander eher in einem Verhaltnis von
,mehr' und ,weniger': Wenn die Stoiker mit ihrer radikalen Giiter-
lehre recht haben, kann nicht der geringste Zweifel an der Richtigkeit
der These bestehen, daB ,der Weise immer gliicklich ist'. Bei An-
nahme der drei Giiterklassen ist die Beweislage weniger gut; es bedarf
einiger Appelle, die Tugend wirklich sehr hoch tiber alles andere zu
stellen; aber ausreichend sind die peripatetischen Voraussetzungen
[2081209] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 233
I Seele uberdauert den Tod - Seele geht im Tode mit Tod ist kein Obel.
Unsterblichkeit dem Korper zugrunde vielleicht sogar ein Gut
(Plat on) (Epikur, andere
Materialisten)
II Schmerz ist kein Obel Schmerz ist zwar ein Obel, Schmerz kann immer
(Stoa) aber nur ein geringes ertragen werden
III Kummer ist kein Obel Kummer ist zwar ein Obei, Kummer kann ertragen
(Stoa) aber nur ein kleines werden
IV Affekte sind irrige Urteile, Affekte sind schlecht, man Heilung von allen Affekten
darum sinnlos; sie mussen muB sie soweit wie moglich
vollig ausgerottet werden milglich bekampfen
(Stoa) (aile Philosophen)
v ,Nur die Tugend ist ein Drei Guterklassen, aber Die Tugend kannjederzeit
Gut' Obergewicht der Tugend das GlUck sichem
(Stoa) (Peripatos, Antiochos)
Die weitgehend parallele Struktur der funf Bucher zeigt sich auch
in den jeweiligen Obergangen vom ,weiterreichenden' zum ,beschei-
deneren' Niveau:
1,82 ... fac, ut isti volunt, animas non remanere post mortem: ... mali
vera quid adfert ea sententia?
2,42 sitne ... malum do/ere necne, Stoici viderint ... : ego illud,
quidquid sit, tan tum esse, quantum videatur, non puto ... doloremque
omnem esse tolerabilem.
3,83 (bei richtiger Bewertung bleibt vom Kummer nur eine contrac-
tiuncula animi) hanc dicant sane natura/em: dum aegritudinis nomen
absit ...
4,60 putat (fast im Sinne von putet: ,mag er getrost annehmen')
aliquis esse voluptatem bonum, a/ius autem pecuniam: tamen et ille
ab intemperantia et hie ab avaritia revocari potest.
5,76 sint ... tria genera bonorum, ... sint sane ilia genera bonorum:
dum corporis et externa iaceant humi ... ; animi autem ilia ... qui ad-
eptus sit, cur eum beatum modo et non beatissimum dixerim?
83 ... ut quaecumque dissentientium philosophorum sententia sit de
finibus, tamen virtus satis habeat ad vitam beatam praesidii ...
An allen Stellen macht Cicero eine Konzession: selbst wenn sich
die (eigentlich erwiinschtere) These A nicht halten laBt, reicht These B
immer noch aus, das zu beweisen, was bewiesen werden soll.
Diese Struktur und andere unserer Beobachtungen entziehen die
Tusculanen allen gangigen Kategorien. Die Lehrvortrage in Tusculum
sind keine geradlinigen Pladoyers gegen oder fur eine bestimmte
These-sie sind strukturiert durch einen Wechsel des philosophischen
Standpunkts. Es handelt sich aber auch nicht urn eine disputatio in
utramque partem, denn es gibt jeweils ein Beweisziel, das amEnde
erreicht und durch keine Gegenrede in Frage gestellt wird. Auch die
auBere Form laBt sich nicht iiberzeugend benennen. Man wird zogem,
die Tusculanen als Dialoge zu bezeichnen: Die Rolle des ,Schiilers' ist
quantitativ sehr bescheiden, eigene Argumente tragt er nicht vor. Und
doch ist seine Rolle nicht darauf beschrankt, das Thema zu setzen und
dann nur noch willig Fragen zu beantworten: er meldet auch Zweifel
an und weist auf Widerspriiche hin; er ist also kein bloBer ,fall-guy'.
Es hat sich gezeigt, daB er meist ,in Ciceros Namen spricht' :26 Er
26 Ober die personlichen Verhaltnisse des ,Schiilers' erfahren wir nur, daB er ,in
Athen studiert und dort philosophische Vorlesungen gehort hat' und daB er in die
eleusinischen Mysterien eingeweiht ist (1,29). Beides trifft auch auf Cicero zu (Brutus
[2101211] STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES 235
315,fin. 5,1-8 u.o.; leg. 2,36); das legt ebenfalls die Annahme nahe, daB Cicero ibn
als alter ego verstanden wissen wollte.
236 STRUKTUR DER TUSCULANAE DISPUTATIONES [2111212]
zu denken, aber gewil3 schwingt etwas mit vom Stolz eines np6'not;
ci>pe'tf]t;, des ,Erfinders' einer neuen Gattungo 28 l
Vor diesem Hintergrund sollte es nicht befremden, dal3 auch die
Tusculanen durchzogen sind vom Stolz auf eine rhetorische Leistungo
Und wir mussen anerkennen, dal3 Cicero wirklich ein Werk sui
generis geschaffen hat: eine V erbindung von rhetorischer Disputation,
philosophischem Dialog und (durch den Wechsel der Argumentations-
ebene) einer disputatio in utramque partemo Das ist ein kUhnes
Unterfangen, das Cicero kaum gewagt hatte, wenn nicht die ethische
Hauptschrift De .finibus bonorum et malorum vorausgegangen ware,
so dal3 sie den Lesem der Tusculanen helfen konnte, im Auf und Ab
der tusculanischen Erorterungen einen klaren Blick fiir die Grundli-
nien zu behalteno Ein Meisterwerk sind die Tusculanen wahl nicht.
Aber sie sind geeignet, uns davor zu wamen, das V erhaltnis von
Rhetorik und Philosophie, von Form und Inhalt, vorschnell nach
unseren Wertungen zu beurteilen, und sie zeigen uns auf ebenso
ungewohnte wie eindrucksvolle Weise die bewundemswerte Doppel-
begabung ihres Autorso
28 In Tusco 1,16 antwortet Cicero auf die Bitte des ,Schtilers', auch das Sterben-
Miissen als nicht fiirchtenswert zu erweisen: lam istuc nihil negoti est, sed ego maiora
molioro Darauf der Schiiler: Quo modo hoc nihil negoti est? aut quae tandem sunt ista
maiora? Das erinnert an eine Szene in Plautus' Pseudo/us (522f.): Nachdem Pseu-
dolus einen ersten Streich angekiindigt hat, fahrt er fort: vin etiam dicam quod vas
magis miremini?; darauf einer der Angesprochenen: studeo hercle audire, nam ted
ausculto libenso Cicero hatte diese Analogie sicher weit von sich gewiesen; aber ganz
falsch ist sie nicht: In heiden Fallen schwingt eine gewisse Eitelkeit mit, ein Zug von
GroBsprecherei (,seht nur, was ich alles kann 000 ')0
13
1883), 488f. n.l; see also Hirzel, Der Dialog, I (Leipzig, 1895), 511 n. 2, and 534,
where an even more complicated thesis is advanced: that Cicero gradually returned to
a more dogmatic stance most obvious in De Officiis, 'with a short relapse to
scepticism in De Divinatione and in De Fato'. Hirzel was followed by M. Pohlenz
Ciceronis Tusculanarum disputationum libri V, erkliirt von MP., 1: Libri I et II
(Leipzig and Berlin, 1912, repr. Stuttgart, 1957), 13-14; Die Stoa 1, (Gottingen2 ,
1959), 268f.; Die Stoa 2 (Gottingen4, 1972), 138.
2 e.g. by J. S. Reid, M. Tulli Ciceronis Academica (London, 1885, repr. Hildes-
(eds.), The Question of "Eclecticism" (Berkeley, Calif., Los Angeles, and London,
1988), 34-69; P. Steinmetz, 'Beobachtungen zu Ciceros philosophischem Stand-
punk!', in W. W. Fortenbaugh and P. Steinmetz (eds.), Cicero's Knowledge of the
Peripatos (Rutgers University Studies in Classical Humanities, 4; New Brunswick
and London, 1989), 1-22. These two articles are quoted henceforth by author's name
plus page number only.
[86187] SILENCING THE TROUBLEMAKER 241
may lay in ruins all that has been, so far, nicely constructed and com-
posed, and the rest as well. True, Cicero here keeps his distance from
sceptical doubts. But are we really allowed to conclude, with Glucker
and Steinmetz, that he does so as a follower of Antiochean dog-
matism? If Cicero were a convinced dogmatist, why should he then be
afraid of perturbatrix Academia? Glucker admits that there is a
'lingering respect for the skeptical tradition', here and elsewhere, 6 to
be explained as the sentimental feeling of an 'old alumnus'.
But that will not do. It is not only the Academy which is asked to
keep quiet; in the preceding phrase a strikingly similar request is
addressed to Epicurus and his crowd: ... in hortulis suis iubeamus
dicere, atque etiam ab omni societate rei publicae, quoius partem nee
norunt ullam neque umquam nosse voluerunt, paulisper facessant
rogemus. Now Atticus, who figures within the dialogue as next in
importance to Cicero, is an avowed Epicurean. It seems obvious that
the two requests must be seen as parallel: just as Atticus will have to
renounce some basic tenets of his school 'for some time' (paulisper),
so Cicero will keep his troublesome Academia at a distance for the
time being (submovere non audeo). 7 It may be objected that the
parallelism is slightly out of balance: Cicero, in silencing his own
school, makes a concession, whereas he addresses a request to the
Epicureans. But this objection is removed by a glance back to 1.21.
Here Atticus, on his part, makes an important concession8 (prompted
by Cicero): deorum immortalium vi natura ratione potestate mente
numine ... naturam omnem regi, and then he adds: etenim propter
hunc concentum avium strepitumque jluminum non vereor condisci-
pulorum ne quis exaudiat. This not only reminds the reader of the fine
scenery, it is also an indication that Atticus' concession is only
temporary, i.e. it will last only as long as the bewitching atmosphere
of the dialogue continues. This restriction is taken up by paulisper in
1.39. There is more: both Atticus and Cicero have good reason to be I
afraid of their respective schools: 21 (M. Cicero, talking about the
Epicureans) atqui cavendum est; solen! enim, id quod virorum
docere, sed postulare, ut quaedam sibi concedantur, ... sic ego a te postulo, mi
Cicero, ut mihi concedas, si pates, nihil praeter id, quod honestum sit, propter se esse
expetendum. Cicero postulates what he knows cannot be proved. To some extent,
Kant's 'postulates of practical reason' are foreshadowed
[88] SILENCING THE TROUBLEMAKER 243
9 See De Or. 2.20 ii ... ut sine iis studiis vitam nullam esse ducamus; 2.25 qui
Pinkster und H. L. W. Nelson, II (Heidelberg, 1985), 201; see also 217 'wegen ihrer
Fehlerhaftigkeit geriigt'.
11 See below p. 246 [91]; 248 [93] with note 24.
dream for about twenty years, and it is only now that he is ready to
report it. 13 It is the course of the disputation that makes Scipio ready to
tell the dream, but also the unusual duration of otium (Rep. 6.'8' =
Macrobius 1.4.3 patimini me, quoniam tertium diem iam feriati
sumus ... ). It should also be noted that Scipio does not give a plain
report of the dream. By his reaction to the listeners' alarm (6.12, see
above) it is suggested that he is actually dreaming, experiencing, as it
were, his vision for a second time. He is speaking as if in a trance.
Unfortunately, we do not know whether or not the last words of
Scipio's report (Rep. 6.29 ille discessit; ego somno solutus sum) were
also the last words of De Republica. 14 If so, Cicero will have felt that
the spell of the dream should not be destroyed by comments on the
part of the listeners which would risk seeming banal. But he might
equally have thought it necessary to round off the frame of the
dialogue, and he could avoid disenchantment by making the audience
stay in silence for some time. It is also by its being, in a sense, the
legacy of Scipio Aemilianus that the Somnium is set apart from a
conventional piece of conversation. The readers of De Republica had
learnt in 1.14 that the dialogue took place in 129 BC, the year when
Scipio was to die, and in 6.12 (si impias propinquorum manus
effugeris) there is an effective reminder of this. 15 1
13 Gorgemanns (above, n. 2), 61 infers from the long silence that Scipio regarded it
as primarily private, 'not meant for the wider public' (although there is no strict
prohibition against disseminating it). He is certainly right in pointing to the difference
between Cicero and Plato whom Cicero imitated in concluding his De Republica with
a 'revelation': Er is explicitly asked to tell mankind what he has seen (Plato, Rep.
614d, 619b).
14 Pace E. Heck, Die Bezeugung von Ciceros Schrift De Re Publica (Spudasmata,
the case in Cato Maior which also should be read as overshadowed by the imminent
death of the protagonist (Cato M 14; see, however, 77 quo ab ea (sc. morte) propius
absum). In Rep., there may have been more explicit hints at the 'swan-song idea' (for
the term seeR. Coleman, 'The Dream of Cicero', PCPS, NS 10 (1964), l-14, esp. 2
with n. 2) in the lost parts. As the dream is said to have occurred in 149 BC at the
court ofMasinissa, and as Masinissa died that very year, it is tempting to suppose that
Scipio made allusion to his death (after the report of the dream?); the motif of
imminent death would then have been doubled.
246 SILENCING THE TROUBLEMAKER [91]
16 See Hirzel, Der Dialog 1486; G. Zoll, Cicero Platonis aemulus: Untersuchung
fiber die Form von Ciceros Dialogen. besonders von De oratore (Zurich, 1962), 97f.
For further 'Socratic' features in Cicero's Crassus, see my paper 'From Athens to
Tusculum', Rhetorica, 6 (1988), 215-35 [s. o. S. 172-192].
17 Cf Cotta's similar (but much less emphatic) comment 1.161: tantus ... cursus
verborum fuit et sic evolavit oralio, ut eius vim et incitationem aspexerim, vestigia
ingressumque non viderim ....
18 'From Athens to Tusculum' (above, n. 16), 225-6 [s.o. S. 182];
Untersuchungen zu Ciceros Philosophie (Heidelberg, 1974), 96-102.
[92193] SILENCING THE TROUBLEMAKER 247
The Tusculans have virtually no atmosphere at all, and yet there are
some similar traits. Like Cotta-and, we may surmise, like Scipio's
listeners-Cicero's disciple is deeply impressed by what he has heard.
In the first book, after Cicero has 'proved' the immortality of the soul,
he seems unwilling to pay attention to what is to follow. So Cicero
asks (81): sed quid agimus? oblitine sumus hoc nunc nobis esse
propositum, cum satis de aeternitate dixissemus, ne si interirent
quidem animi, quicquam mali esse in morte?, whereupon the disciple
says: ego vero memineram, sed te de aeternitate dicentem aberrare a
proposito facile patiebar. 19 With this, Cicero seems pleased and
satisfied: video te alte spectare et velle in caelum migrare. 20 spero fore
ut contingat id nobis. See further Tusc. 2.11, where the result of the
preceding disputation is recapitulated. The disciple has emphasized
once more his newly won conviction that death is not an evil; Cicero
comments: minime mirum id quidem, nam efficit hoc philosophia ...
sed haec eius vis non idem potest apud omnes: tum valet multum, cum
est idoneam complexa naturam ... te natura excelsum quendam vide-
licet et altum et humana despicientem genuit; itaque facile in animo
forti contra mortem habita insedit oratio. 21 Obviously, there is a close
correspondence to the metaphors of height we noticed in De Oratore. 22
A further feature common to the passages considered becomes
clear: the arguments and confessions are not meant nor are fit to
convince everybody-they are addressed primarily to those who find
them congenial. There is a note of subjectivity and exclusivity, which
in turn fits in with the deprecation of rational criticism. Let us
examine some more of the disciple's reactions. In 1.55, after Cicero
has given a first set of 'proofs' for the survival of the soul, I he
encourages his listener to voice eventual objections. But the latter has
19 Compare De Or. 3.144 (Cotta speaking) equidem ... non possum queri. quod
mihi videare aliud quiddam et id, quod non susceperis, disputasse; plus enim
aliquanto attulisti quam tibi erat tributum a nobis 000;Leg. 1.52 (Quintus speaking)
lubenter oo., frater, cum ista oratione tecum prolabebar.
2 Compare Tusc. 1. 77000 me nemo de immortalitate depellet.
21 See further Tusc. 1.38 magni 000 est ingenii sevocare mentem a sensibus et
cogitationem a consuetudine abducere; Tusc. 5.31 (Epicurus is forbidden) haec loqui,
quae sunt magni cuiusdam et alti viri; Tusc. 5.42 oo celsus et erectus et ea, quae
homini accidere possunt, omnia parva ducens; Rep. 3.4 quorum animi altius se
000
extulerunt.
22 Compare also Rep. 6.20 (the elder Africanus to his grandson) sentio oo te sedem
etiam nunc hominum oo contemplari; quae si tibi parva, ut est, ita videtur, haec
caelestia semper spectato, ilia humana contemnito (6.17 quousque humi defrxa tua
mens erit?); 6.25 igitur alte spectare si voles
000
248 SILENCING THE TROUBLEMAKER [93194]
none: ego vera facile sim passus ne in mentem quidem mihi aliquid
contra venire; ita isti faveo sententiae. This is an outright sacrificium
intellectus, and it is paralleled by 1.24: me ... delectat (i.e. the doctrine
of the return of the soul to heaven), idque primum ita esse velim,
deinde, etiamsi non sit, mihi persuaderi tamen velim, and by 1.39:
errare mehercule malo cum Platone . . . quam cum is tis (i.e. the
materialists) vera sentire. 23 The disciple is not simply convinced and
therefore believing: he is willing to believe from the very outset. He
has renounced rational criticism, he is indeed an animus non
repugnans (2.15). Let us remember his answer to such a request:
habebis id quidem ... rationem, quo ea me cumque ducet, sequar.Z4
Is this the attitude Cicero demands and expects? In a sense, it is. In
Tusc. 1.40 he not only does not disapprove of his young friend's
sympathy for error; he approves of it explicitly: macte virtute! ego
enim ipse cum eadem (i.e. Plato) non invitus erraverim. And he has to,
having himself silenced the troublesome Academy (Leg. 1.39) and
having deprecated through the mouth of Crassus all rational criticism.
Now, as has been shown elsewhere, 25 this is but one side of the
coin. Neither in his 'middle period' (De Oratore, De Republica, De
Legibus) nor later on did Cicero advocate uncritical wishful thinking.
He does advance bold theories and doctrines which he wishes I to be
true, and in doing so he often disregards rational doubts for some time.
But he is perfectly aware that such scruples cannot be done away with
23 See further Tusc. 2.42 (Cicero has invited the disciple to voice possible
something like 'higher' and subjective reason. Similarly, in Tusc. 1.55 (Cicero praises
Plato's proof of the immortality of the soul), quam subtiliter conclusum sit does not
mean that the syllogisms are cogent in a strict sense. Compare also De Or. 3.20
(Crassus on his ideal) veteres illi maius quiddam animo complexi plus multo etiam
vidisse videntur, quam quantum nostrorum ingeniorum acies intueri potest. More
details in Untersuchungen, 123 n. 72; 'From Athens to Tusculum' (cited above, n.
16), 226 [s.o. S. 183].
25 Untersuchungen 168-71.
[94195] SILENCING THE TROUBLEMAKER 249
for good. This is made very clear in the Tusculans themselves. The
disciple keeps to Cicero's demand and does not 'repugn' very often. 26
But Cicero himself, with a remarkable change of role, forces the
objections upon him, e.g. 1.77f. catervae veniunt contra dicentium ...
nihil nimis oportet conjidere. And in most other works rational
counter-arguments are advanced by at least one of the dialogue's
figures. This cannot be shown here in detail. It is enough, for our
purpose, to state that as to the motif of silencing (temporarily)
unwanted criticism, there is no significant difference between the
works of Cicero's 'middle' (allegedly Antiochean) and those of his
latest (undoubtedly sceptical) period.
One more motif underlines the esoteric character of the passages
dealt with so far: the disputants are physically isolated from ordinary
life. Solitudo is a key word. The dialogues are staged in a garden, in
wild countryside, 27 or in the Athenian Academy at early afternoon 'as
this place was then void of any crowd' (Fin. 5.2). 'Loneliness' is a
prerequisite for uninhibited philosophical conversation, for two
reasons. First, Roman nobiles do not easily engage in formal dispu-
tations. This type of activity is regarded as 'unseemly' (ineptum) by
Crassus28 and Piso. 29 Such scruples should not be passed over as mere
fussiness: Cicero had, indeed, to fight I prejudices of this kind. But, of
course, there is more to it. It is not only the Greek form of the dis-
Cicero, Tusculan Disputations II and V (Warminster, 1990), 61 and 147): in the first
parts of the conversations he advances substantial objections, e.g. Tusc. 1.24
(answering Cicero's suggestion to look for help in Plato's Phaedo)feci mehercule ...
sed ... cum posui librum et mecum ipse de immortalitate animorum coepi cogitare,
adsensio omnis ilia elabitur; Tusc. 5.13 (against Cicero's Stoicizing argumentation)
ista me minimemovent ... quia, tamquam levia quaedam vina nihil valent in aqua, sic
Stoicorum ista magis gustata quam potata delectant. As may be seen from the
analogous doubts in Cicero's personal prefaces (e.g. Tusc. 5.3-4), the disciple, in this,
speaks for Cicero himself. [Vgl. hierzu auch oben S. 212-239]
27 De Legibus, imitating Plato's Phaedrus. For details see 'From Athens to
Tusculum', 215-20 [s.o. S. 172-177].
28 De Or. 1.102 .. . tamquam ali cui Graeculo otioso et loquaci et fortasse doc to
atque erudito quaestiunculam, de qua mea arbitratu loquar, ponitis?; 2.13 (Catulus to
Crassus) ... te ... tamquam in schola prope ad Graecorum consuetudinem disputasse;
2.18 (Crassus speaking) ... omnium ... ineptiarum ... haud sciam an nulla sit maior
quam .. . quocumque in loco .. . de rebus aut difficillimis aut non necessariis
argutissime disputare.
29 Fin. 5.8 dat enim id nobis solitudo, quod si qui deus diceret, numquam putarem:
me in Academia tamquam philosophum disputaturum. sed ne ... vobis molestus sim ...
(cf. 5.2 solitudo erat ea, quam volueramus).
250 SILENCING THE TROUBLEMAKER [95196]
cussion that makes the Romans shun the wider public: it is also what
they have to say. In some instances, there is, objectively, good reason
to be afraid of public disapproval. So the Epicureans are teased by
Cicero as not daring to teach publicly that pleasure, in their view, is
the highest end. 3Cato would not venture to expound his radical Stoic
ethics in a public meeting (Fin. 4.22). It could be risky to question the
traditional Roman theology (ND 1.61) and the validity of divination
(Div. 2.28). But more often the conviction to be professed is neither
open to misunderstanding nor invidious: it is simply personal, to such
a degree that it is voiced only with hesitation. So Crassus, before
emphasizing once more the far-reaching requirements for his ideal
orator, prefaces (De Or. 1.119): ac si quaeritis, plane quid sentiam
enuntiabo apud homines familiarissimos, quod adhuc semper tacui et
tacendum putavi; and Scipio, before telling his dream, will have ex-
pressed himself similarly (Macrobius 1.4.2 = Cicero Rep. 6.' 8': ...
Scipionem ipsum haec occasio ad narrandum somnium provocavit,
quod Iongo tempore se testatus est silentio condidisse). There is the
same tinge also in De Natura Deorum. Cotta, throughout, rejects all
alleged proof for the existence of gods, but he professes all the more
ardently his personal creed31 in huiusmodi sermone et in consessu
<[amiliari>. 32
It is very much in the same atmosphere and in the same spirit that
Cicero, in the wilderness surrounding his estate near Arpinum, sets out
to explain his personal conviction about natural law (Leg. 1.39). He
feels it is a risky venture to do so, and that is why not only the Epi-
cureans are kindly requested to keep out but also Academia
perturbatrix. Crassus' theories, too, were a venture, as is subsequently
acknowledged by Catulus (De Or. 3.126): quantis ... ex angustiis
oratorem educere ausus es et in maiorum suorum regno collocare.
Audere (and synonyms, such as non dubitare) are used frequently by
Cicero to characterize a philosophical view which he (or the speaker
in each case) 'favours' but which cannot be proved in a strict sense.
The Elder Cato ( Cato M 77) uses this I verb as a sort of proviso
33 Cf. Fin. 5.7 (Piso to Cicero) audebo te ab hac Academia nova ad veterem illam
vocare ...
34 More Ciceronian examples for 'venturing' a philosophical view in
Untersuchungen, 179-81.
252 SILENCING THE TROUBLEMAKER [97198]
II
35 Cf. ND 1.61 multa enim occurrunt, quae conturbent, ut interdum nulli (sc. dei)
esse videantur.
36 It is only by good luck that we have this decisive addition, as it immediately
quicque dicemus, ne, dum parvulum consequamur,... illud amittamus, quod maximum
est: ut ne cui rei temere atque arroganter assenserimus. verum hoc quidem nos et in
hoc tempore et in omni vita studiose, quoadfacultas feret, consequemur.
40 This fictitious 'conversion' at Tusculum in 91 BC fits in with Cotta's role as
exponent of scepticism in ND. There he is made a frequent listener to Philo (ND 1.17;
1.59; 1.113) during his involuntary stay at Athens (he had been banished from Rome
shortly after the death of Crassus and, therefore, also shortly 'after De Oratore').
Now, Cotta's function in ND will hardly have been in Cicero's mind ten years earlier
when he wrote De Or. But it is remarkable that Cicero did not use the opportunity to
give his fiction coherence subsequently: he might have made Cotta come to Athens as
a recent convert. Yet there is no allusion to De Or. in ND. Cotta's function in De Or.
is also prominent in that it is he who has imparted the dialogue to Cicero (1.23, 1.26,
1.29, 3.16). Note that Sulpicius' reaction on Crassus' second speech is in sharp
contrast (De Or. 3.147): ego vero ... neque Aristotelem istum neque Carneadem nee
philosophorum quemquam desidero; vel me licet existimes desperare ista posse
perdiscere, vel, id quod facio, contemnere. (Strangely, in matters of style, it is the
other way round: Sulpicius is said to have followed Crassus' taste, Cotta that of
Antonius: Brutus 203; De Or. 2.89.)
[1001101] SILENCING THE TROUBLEMAKER 255
41 The same 'pedigree' and the same evaluation are given in ND 1.11 and in Acad
1.44-6.
42 For the Academic principle of 'hiding' one's own views (which anyhow would
be no more than 'probable') see De Or. 3.67; Luc. 60; Tusc. 5.11 and 83; ND 1.10;
Div. 2.150.
43 Antiochus and the Late Academy (Hypomnemata, 56; Gottingen, 1978), 15-21.
44 D. Sedley, 'The End of the Academy', Phronesis, 26 (1981), 67-75, esp. 70.
256 SILENCING THE TROUBLEMAKER [1011102]
almost unnoticed that in Rep. 1.15 Panaetius is severely criticized for his naive
dogmatism (but see now C. Levy, Cicero Academicus: Recherches sur les Aca-
demiques et sur Ia philosophie ciceronienne (Collection de !'Ecole Frans;aise de
Rome, 162, Rome, 1992), 114).
46 Cf. Luc. 60; ND 1.11; Tusc. 1.8, etc.
[1021103] SILENCING THE TROUBLEMAKER 257
Etudes Latines, 55 (1977), 128-56, esp. 153ff. 'Cicero, Rep. 3.11' = Lactantius Epit.
50.8 is not a 'fragment' of book 3: see Heck, Bezeugung (cited above, n. 14), 98 f. and
Ferrary, 'Discours', 130.
48 We do not know what, in the case of Rep., book 3, the 'synthesis' was like. Of
course, Laelius' arguments were meant to appear (and presumably did appear) as the
stronger ones; it may also be true that Cicero, to bring about this effect, inverted the
Cameadean order (as attested by Lactantius Div. Inst. 5.14.3-5, on which see above).
But it is misleading to speak of 'refutation' of Philus tout court (Glucker 60,
Steinmetz 8). Lactantius even thought Cicero had partly failed ('Rep. 3.31' = Inst.
5.16.5-13). The function ofPhilus' speech is to destroy all rational proof of 'justice';
so, even ifLaelius manages to win his hearers over, he cannot hope to keep all doubts
from them for ever.
258 SILENCING THE TROUBLEMAKER [103]
quae fortissime de beata vita dici putem, et, quomodo nunc est, etiam verissime; Off
1.6 sequimur ... hoc quidem tempore ... Stoicos.
52 Steinmetz (9) points to the preface of Cicero's Paradoxa (written Feb. 46 BC)
which are praised (4, end) as maxime ... Socratica longeque verissima. He takes this
as incompatible with 'deep-seated scepticism'. But for Cicero, scepticism does
originate with Socrates, and the very use of comparative forms makes verus a
synonym of veri simi/is. See e.g. Fin. 1.11 quid ... verissimum sit, exquirere; Lael. 14
sin autem ilia veriora, ut idem interitus sit animorum et corporum; Tusc. 5.82 (quoted
above, n. 51). Cicero knew that this use was quite improper: ND 1.5 (about opiniones
... inter se dissidentes) ... alterumfieri ... palest, ut earum nulla, alterum eerie non
palest, ut plus una vera sit; Luc. 115 plura ... vera discrepantia esse non possunt; 147
cum plus uno verum esse non pass it-and just so already in De Or. 2.30. The earliest
[1041105] SILENCING THE TROUBLEMAKER 259
Ill
54 For verus ='genuine' see e.g. Cicero, Philippic 5.50 vera, gravis, salida gloria;
quasi officinas instruxerunt sapientiae. For antiquus 'cum laude' see TLL s.v.
antiquus col. 179.24-77.
[1 0611 07] SILENCING THE TROUBLEMAKER 261
56 See also Cicero's letter to Atticus 13.12.3 (June 45) where the new series of
Philosophica, begun with the Academica, is set off against the earlier books: scis me
antea orationes aut aliquid (!) id genus solitum scribere, ut Varronem (who had told
Atticus he would appreciate figuring in a book of Cicero's) nusquam possem intexere;
postea autem quam haec coepi qnJ..oA.oyd:rcEpa ...
262 SILENCING THE TROUBLEMAKER [1 0711 08]
57 See also Lucullus 11 philosophia quae nunc prope dimissa revocatur (i.e.
Academic scepticism). This is best referred to Cicero and his patronage of this school
in the dialogue itself (Reid ad Joe.; J. P. Lynch, Aristotle's School (Berkeley, Calif.,
1972), 181). Note that the fictional date of Lucullus is between 63 and 60 BC.
58 Bentley's emendation.
[1081109] SILENCING THE TROUBLEMAKER 263
59 The theory of a retouch is ruled out by Acad. 1.13, where the idea of change
61 In other authors, too, there are more instances of tractare I tractatio I tractatus
with reference to writing and books than is admitted by Glucker (44 with n. 30):
Horace, AP 150; Ep. 2.1.209; Gellius 14.2.20 de iudicialis officii tractatibus ... dicere
quid sentiamus conabimur (in 14.2.1 libros ... conquisivi: hence undoubtedly
'books'); Pliny, NH 2.118 scrupulosius ... tractabo ventos; Quintilian Jnst. 1 pr. 21
secundo (libro) prima ... elementa ... tractabimus; 1.2.1 hoc ... loco tractanda
quaestio est. Special meanings: Pliny, NH 14.45 toto tractatu sententia eius (the Elder
Cato's) indicanda est: 'by quoting the full passage'; Pliny, Ep. 7.17.7 nullum
[1101111] SILENCING THE TROUBLEMAKER 265
IV
emendandi genus omitto; ac primum, quae scripsi, mecum ipse pertracto, deinde
duobus aut tribus /ego: 'go through it critically, examining and retouching'.
62 Strictly speaking, it is Antiochus who could claim to represent the 'more recent'
philosophy, as his 'Old Academy', founded in the 90s of the 1st cent. BC, was much
younger than the 'New Academy' which dates from Arcesilaus.
266 SILENCING THE TROUBLEMAKER [1111112]
63 St Augustine, Contra Aeademieos 3.14.31 si igitur nee eerti est quiequam nee
opinari sapientis est, nihil umquam sapiens adprobabit, according to Grilli ( Cieeronis
Hortensius (Milan, 1962), fr. 51, p. 31 ), quoted with approval by Glucker (52), from
Cicero's answer to Hortensius.
64 This, in essence, is the view of Steinmetz ( 17f.).
[1121113] SILENCING THE TROUBLEMAKER 267
Introduction
The above title is ambiguous. In a sense, Cicero's philosophical
position in the Lucullus is identical with that reported and defended by
'Cicero', the character in the dialogue: Academic scepticism as taught
and practised by Arcesilaus and Carneades. But Cicero is hardly ever
just a spokesman for a given doctrine nor is he a simple translator; he
takes great pride in 'applying his own iudicium' throughout (Fin. 1.6).
So even where, on the whole, he subscribes to the tenets he is
reporting, his personal views may differ in emphasis and in details,
and we should be able to detect such personal deviations. It is the aim
of this paper to point to 'unorthodox' elements and judgments of this
kind in the Lucullus and thus to contribute to a clearer idea of what
may be called Cicero's personal brand of scepticism. This is not an
easy task. Cicero's 'Academic books' are our principal source of
information on Academic scepticism; so every attempt to single out
personal comments and 'un-Academic' ingredients risks becoming
circular.
I
Before embarking on his speech, Cicero makes it clear that he will
speak out of sincere conviction, not just take up a role 1 (Luc. 65-6):
1 Contrast Rep. III. 7f. (Philus speaking) praeclaram vera causam ad me defertis,
Personal judgement lies behind Lucullus' remark: after the previous day's discussion
he is no longer absolutely convinced that Antiochus is right and now displays some
sympathy for the opposite view. Calling Antiochus' sententia 'true in the highest
degree' (verissima, ibid.) is weaker than calling it simply 'true': all superlatives make
their adjectives 'relative'.
2 Translations from Lueullus, in this chapter, largely follow Rackham (1933).
3 Visa= q>av-racriat. The other common translation is 'presentation'.
4 Note that nee percipio tamen is not on a level with the preceding avowals of
unorthodox laxity (approbo, assentior, opinor, erro etc.). A strict Academic sceptic
was expected not to give his approval etc., and this was thought to be possible, if
difficult; it is in our power to 'withhold' assent and thus not to opine. In 'giving in' to
some impressions Cicero decides to do so. But he does not decide 'not to perceive':
no sane person would or could. Nee percipio tamen is to be read as a description of a
regrettable fact. Thus Cicero merely reports his own inevitable epistemic limitations;
but when he deals with his yielding to persuasive impressions and his consequent
opining, then he passes judgement on himself: 'I know, all this is possibly false, I do
not pretend any of my attempts to approach the truth is a perception (KUTUAT(\IIl~) in
the strong sense.'
270 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [38139]
firm about the tenet nihil posse percipi he is unerringly aware that all
his 'opinions' may be false.
We shall find just the same compromise at the end of the Lucullus.
But, puzzlingly, what is here 'confessed' by Cicero as his personal
attitude will reappear there as the typical conduct of the wise man, and
moreover we shall be told that Carneades himself (according to the
speaker Catulus) held this view. Why does Cicero, here, stress that he
is not a sage? What are we to make of his personal statement? In
Hellenistic philosophy, the wise man figures largely as the exponent
of the right and orthodox attitude, whereas all those who have not
(yet) attained wisdom are conceived of as wrong-doers, varying at
best in degree. 5 To hold 'opinions', according to Arcesilaus and other
orthodox members of the school, is seriously wrong (Luc. 77). And
yet, reading Cicero's portrayal of his wide and unimpeded 'opining',
we hardly get the impression this should be taken as a confession of
wrong-doing, as a warning to others: 'Look at me, I have turned out
unable to keep the rules, so I am not a sapiens-you try to do
better ... '. On the contrary, the passage reads rather like an appeal to
do just what Cicero does: yield to impressions and 'opine'. We shall
have to come back to section 66later on.
Another key passage where a personal note is struck is Luc. 98.
Cicero has finished the first major part of his discourse: he has proved
that nothing can be 'perceived'. Next, he will expound Carneades'
doctrine of probability. In the main, the part preceding 98 is
'destructive' in that any hope of ever attaining reliable knowledge is
done away with; what is to follow may be labeled 'constructive' in
that some sort of second class cognition (the 'probable', m8av6v) is
introduced. Not unexpectedly Cicero feels more at ease in the second
section, and that is what he makes clear at the very point of transition
(98b ): 'But to leave all those stinging repartees and the whole of the
tortuous class of argument and to display our real position ... '. It is
almost a sigh of relief: the most difficult, and I for that matter the most
suspicor te non tam de sapiente quam de te ipso quaerere: ilium enim putas omni
perturbatione liberum esse, te vis ... ; ibid. 59 simulas enim quaerere te de sapiente,
quaeris autem fortasse de te; ibid. 63 (Cicero about his Consolation is tiber) quem in
media--non enim sapientes eramus~maerore et do/ore conscripsimus; Sen., Ben.
II.l8.4 admoneam necesse est non loqui me de sapientibus ... sed de imperfectis
hominibus'; ibid. V.25.3 'life would be easier among sapientes '; Ep. Mar. 116.4-5.
See further Reid (1885) on Luc. 66.
[39140] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 271
7 Ruch (1969), esp. 320f., takes the first main part (66b-98a) as a 'refutation' of
the dogmatic's objections, the second one (98b-115) as the 'confirmation' of the
sceptic's own view. This is quite misleading, as the first part is a series of arguments
to prove that nothing can be perceived and the second one covers only a special aspect
of the sceptic attitude; equally misleading is Bachli in the (otherwise very helpful)
synopsis at Schaublin (1995) lxxix, on 98b-115: 'Keiner These ist zuzustimmen'.
8 There is a verbatim quotation from another Clitomachean book in Luc. 102 ( ...
scripsit his jere verbis). For Cicero's scarce explicit quotations see Gorier (1989) 253-
256 [oben S. 205-209].
[41142] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 273
arbiter iudicare Carneades; nam cum, quaecumque bona Peripateticis eadem Stoicis
commoda viderentur neque tamen Peripatetici plus tribuerent divitiis bonae
valetudini ... quam Stoici, causam esse dissidendi negabat. In Fin. II.39 Cicero is
willing to follow Cameades' example: quantum potero minuam contentiones
omnesque simplices sententias ... omnino a philosophia semovendas putabo ...
11 The mss. have ... qui ... diceret ... neque adhaerere illam magnam accessionem,
'without saying that that weighty addition is inherent'. That reads slightly awkward:
Accessio ('supplement') should be logically in line with what precedes, i.e. a
requirement formulated by the philosopher. But as it stands accessio is a quality
inherent to the thing defined. Reid's conjecture neque adhibere (on which see his
comment) is fairly cogent.
[43144] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 275
eluded. In Luc. 77 Cicero winds up: 'This is the one and only point of
divergence, up to this day'. 12
Reading this, no one would suspect that Cicero did not approve of
the third clause: He seems to back it without any restriction-and he
has to: it is the very base of Academic scepticism: the Academics
never denied that conditions 1 and 2 can be met and indeed are often
met, and that there are true 'impressions'. So far, there is no need for
sceptical doubts whatsoever. It is quite possible that the Stoics,
originally, formulated just these two conditions and were happy with
it. The real problem may indeed have been pointed to first by
Arcesilaus: How do we ever know whether conditions 1 and 2 are
fulfilled? Maybe when wording the two clauses the Stoics had naively
assumed that we are able to check the reliability of our perceptions. In
fact, if we were able to do this, all epistemological problems would be
solved. Unfortunately we are not. To check the truth-value of our
<pavracr{m, we would have to be aware of the real things as well as of
the 'impressions' and then compare the two. The Stoics may have
held, as was suggested to me by Malcolm Schofield, that 'if 1 and 2
are satisfied, we do know real things, and know them directly.' 13
Arcesilaus, then, may I have insisted that we had to make do with
<pavracr{m alone, the real things being out of our reach. Otherwise,
why restrict ourselves to speaking of <pavracr{m and not consider the
real things directly?
So the logical status of the third criterion is somewhat complicated:
It is not a two-term relation between the real object and the
12 Compare Luc. 83, omnis pugna de quarto (capite) est (i.e. the Academics'
affirmation) nul/urn esse visum verum a sensu profectum, cui non appositum sit visum
aliud, quod ab eo nihil inters it quodque percipi non possit.
13 See also Long and Sedley (1987) 1.239 (on 39 B 2-3, ps.Plu. Plac. 900E = Aet.
IV.l2.3 Diels; no parallel for this ch. in Stobaeus): 'The texts do not imply that
impressions are internal pictures or images, so that what we perceive is images of
objects. Rather, like light, impressions are the illuminations of, or means of our
observing, actual things'; cp. Aet. IV.l2.2, 'just as light reveals itself and its cause'.
But note that the light metaphor is not truly analogous: impressions are caused by the
real thing, being the 'impressor'; light is not caused by the things it is to reveal. Note
further that what may be 'grasped' (KaTaAall~avetv) according to the Stoics is pri-
marily <pavTamat!visa (see e.g. Zeno's answer in Luc. 77), and that memory is a
'treasure of impressions' (Sext. Emp., math. VII.373). So it is perhaps safer to say that
impressions 'point to' their 'impressors', a meaning evoeucwvat (Aet. IV.l2.1) may
well have, and that the real things are known to us by immediate inference; that is
clearly what Cicero has in mind in Ac. 1.41 visa, quae propriam quandam haberent
declarationem earum rerum, quae viderentur.
276 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [44145]
'impression' (as is the case with conditions 1 and 2), but a three-term
relation. The epistemological 'subject' comes in: we (the subject)
must be sure that the <pavracr{a is a true representation of its object. 14
And as the subject cannot perceive the object itself the guarantee
required must be somehow inherent in those 'impressions' which
fulfil the condition. In other words these <pavracr{m must be
distinguished by a certain unmistakable quality. The Stoics pointed to
the 'clearness' and evidence (evapyEta) of some impressions; the Aca-
demics objected that no clarity could ever be found which would
make error impossible. I cannot pursue this point here. 15 But it should
have become clear that the 'weighty addition' questioned by Cicero is
the true nucleus of the epistemological debate: giving up the
requirement tale, quale fa/sum esse non possit is tantamount to giving
up Academic scepticism altogether.
As has been seen, Cicero is well aware of this and in fact he does
not renounce the third clause (Luc. 113 fin., see below). And yet, here,
we are left with the impression that he thinks of it as an irritating,
unnecessary burden and that he feels uncomfortable about it. 16 What
are we to make of Cicero's wish? Let us read on I (112b ): 'Arguing
with a Peripatetic there would not be much of a disagreement: I would
say that nothing can be 'perceived', he would answer that the wise
man, then, would succumb sometimes to 'opinions'-to which I
would not object, as not even Cameades vehemently combatted this
conclusion.' Here it becomes clearer what Cicero is driving at: it is
'freedom of opinion' that is at stake. A 'simple-minded' Peripatetic
14 That is why I find it difficult to accept what Gisela Striker (this volume ["Assent
and Argument"], p. 266) calls the 'weaker interpretation' of that highly disputed
'addition': " ... the third clause makes explicit what is already implied by the second,
namely that the cognitive impression will represent its object with such precision and
accuracy that it could not come from any other thing." Zeno may have thought that
every <pavTama which represented its object correctly would automatically be clear
and accurate; in a way, this is indeed implied by the second clause ('in conformity
with its real characteristics'). But why should he have said so in the form of a third
condition? A clarification of what has been stated already is not an additional clause.
A new condition makes sense only as answering the question how we are to know
whether or not conditions 1 and 2 are met, and this question was not put by the Stoics
but by Arcesilaus.
15 For details see Gorier (1994) 800 and 865.
16 This is not an isolated slip: see Fin. V.76, nihil ... est aliud, quam ob rem mihi
percipi nihil posse videatur, nisi quod percipiendi vis ita definitur a Stoicis, ut negent
quicquam posse percipi nisi tale, quale fa/sum esse non possit. itaque haec cum ill is
est dissensio, cum Peripateticis nulla sane.
[45146] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 277
17 The actual wording is uncertain but the general meaning is beyond doubt.
18 For details see Gorler ( 1994) 859, 869-973.
19 Note that in Luc. 78 and 108 Cicero unmistakably prefers the Clitomachean
but leave to them what is sufficient' (146). This is nearly Cicero's last
sentence within his speech proper. It is clearly irenical in character:
one should not quarrel about words as long as there is agreement in
substance; it does not matter much how to call what a good artist must
have at his disposition: be it 'knowledge' or a set of 'perceptions' or
'probable views'. Amazingly, Cicero's final remark fits both sides. He
had mentioned the Stoic notion of a 'knowledge', reserved to the sage
but unavailable to ordinary people. And as the Stoics were not sure
whether, so far, there had been a wise man at all, in a way 'knowl-
edge' (as they defined it) may be said to be 'nowhere'. If this were
explained to the artists they would cease to be angry with the Stoics.
'And they would not feel any resentment either against us (sci!., the
Academic sceptics) after they had learnt that we do away with a thing
that nowhere exists anyway but leave what is sufficient for them'.
What is 'left' is perception in the case of the Stoics, 'probable views'
with the Academics: both schools 'leave' what is sufficient for arts,
crafts, and everyday action. The specific terms are faded out, and that
is hardly accidental: Cicero, here, does not want to point to the
controversial issues any longer, here the stress is on what both sides
have in common. There are more instances elsewhere in the Lucullus
where the differences seem to be played down, on which more later.
Let us go back to Luc. 112-5 and try to sum up:
1. Cicero shows himself unhappy about technically complicated
reasoning; he wishes he could argue with a more 'plain-minded'
opponent.
2. He does not seem willing to 'fight' with great tenacity for the
maxim of total aKamA:Il\j/ta.
3. He seems unhappy that Zeno (sic!) had added the notorious
third clause to the definition of what can be perceived; such I fierce
standards for 'knowledge' he deems basically un-Academic.
4. Nonetheless, somewhat grudgingly, he accepts the Stoic def-
inition in its entirety. 20
20 Philo of Larisa, in his Roman books, tried to do away with the third clause (Luc.
18; for details see Gorier ( 1994) 922-6); so it is tempting to assume that Cicero was
influenced by his master when he voiced his misgivings about the Stoics' overly
demanding definition. It should, however, be remembered that Cicero in the Lucullus
after all keeps to the third clause; moreover, the innovations of the Roman books are
explicitly left out of consideration by Lucullus (12) and it is hardly credible that
Cicero, in his discourse in the Lucullus, should exploit these books without explicitly
mentioning them.
282 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [50151]
II
So far, we have confined ourselves to those passages of Cicero's
speech which are unequivocally marked as personal statements. We
shall be on less firm ground when looking for personal insertions
elsewhere.
First, a brief look on the third part of Cicero's discourse (Luc. 116-
46). It might be entitled 'Philosophical disagreements'. Its principal
aim is not to furnish doxographical information but to demonstrate
that in matters philosophical no reasonable decision can be made: all
arguments for a given doctrine are 'counter-balanced', as it were, by
arguments advocating the opposite view. This is a traditional
Academic method of arguing, taken over, it seems, from Pyrrhonian
scepticism. 21 The point about diaphonia is prepared for I in 115 (on
which see above) where Cicero tells his Antiochean (and for that
matter, Stoic) opponent that he is at a loss to see why he should opt for
Stoicism of all schools. There is no need here to dwell on details; I
only want to point to some passages in which Cicero, discussing both
sides, does not end up with perfect equilibrium (as Cameades in-
evitably would) but expresses sympathy for one or other view, albeit
in cautious terms. 22 The argumentation is threefold: physics (116-28),
ethics (129-41), dialectic (142-6).
Arcesilaus: nporro<; E7tl<JXWV TU<; ano<pacret<; 8ta TU<; EvUVTtOTllTU<; TOOV AOyffiV. 7tp00TO<;
8e Kat ei<; EKaTspov snex,stpr)crE: what Diogenes has in mind here is changes within the
Academy. On the highly controversial issue whether or not Academic scepticism has
been in part influenced by Pyrrho and his early followers see Gorier (1994) 744f.,
797, 812-5.
22 Glucker (1995) 131 has counted two cases of a view being mentioned as veri
simi/is, eight mentions of a probabilis view. Not surprisingly, these are largely the
[51152] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 283
same philosophical positions Cicero approves of as 'most probable' in his other books
(see Gawlick and Gorler (1994) 1101). His criterion is not probability but rather
subjective 'conviction', which is itself mostly based on the consideration: 'if not so,
undesirable consequences will ensue'. Consider, for example, Luc. 134: 'Unless the
happy life is guaranteed either by virtue alone or predominantly by virtue, virtue is
overthrown'; see further Gorier (1974) 128, Gawlick and Gorier (1994) 1106f. (This
line of thought is not exclusively Ciceronian: see e.g. Chrysippus in Plu., SR. 1040D
= SVF 3.157; Lucr. N.508).
23 On sections 129-141 see Algra, this volume ["Assent and Argument"] pp. 107-
139.
24 On a weaker interpretation cupio might be read as 'indefinite', the first-person
singular being almost synonymous with 'someone' (on this use see Nutting (1924);
Leumann, Hofmann and Szantyr (1965) 419, e.g. Tusc. II.28 raga hoc idem
Epicurum ... (ample and useful comments in Kuhner (1835), ad loc.
284 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [52153]
views. This does not, however, disquiet Cicero greatly, as both are apt
to give virtue her rank (134 ad fin.; see also 139 'I am not easily tom
from the doctrine of Polemo and the Peripatetics and Antiochus', an
almost passionate confession). On the other hand, Cicero is very clear
in expressing his disapproval of the ethical views of Epicurus and
Aristippus (139): ' ... virtue calls me back ... she declares that those
are the feelings of brute cattle, and she links the human being with
god.' Here, a middle line is soon rejected and seems out of the
question (139 ad fin.): 'Truth herself and the weight of right reason
would meet me with the reproach: 'What? When the essence of
morality is to scorn pleasure, will you couple morality with pleasure,
like a human being with a beast?' And yet Cicero does not pretend to
be certain that only those philosophers are right who rank virtue first
and foremost: he is not deaf to the arguments and to the temptations of
the materialists and hedonists (141 ).
So, whatever personal preferences may be detected in the doxo-
graphical part of Cicero's discourse are 'opinions' at best. They are
few in number-but that should not surprise in a section primarily
aimed at the demonstration that no preferences at all can be found and
no opinions whatsoever can be reasonably held.
III
There is common ground in Stoicism and Scepticism, see e.g. Luc.
101 : '. . . our pronouncement against the senses does not differ from I
that of the Stoics, who say that many things are false and widely
different from how they appear to the senses.' But the consequences
drawn from this, notoriously, differ with the two schools, and these
differences are the central issue of Lucullus. Nonetheless, now and
then the divergencies seem to be strangely played down. In Luc. 8,
Cicero's preface, we read, 'There is no difference between ourselves
and those who think that they have positive knowledge except that
they have no doubt that their tenets are true, whereas we hold many
doctrines as probable, which we can easily act upon but can scarcely
advance as certain'; in Luc. 105: 'Whereas you speak of things as
being 'perceived' and 'grasped', we describe the same things-
provided they are probables-as 'appearing" (compare Off II.7 'as
other people call things 'certain' or 'uncertain', just so we, following
another line of thinking, call things 'probable' or 'improbable"). To
[53154] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 285
Cp. Gawlick and Gorier (1994) 1043 on the Tusculans: ' ... das Motiv vom Konsens
im Wesentlichen und Dissens im Unwesentlichen ... , welches das ganze Werk
durchzieht.'
27 Burkert (1965), esp. 192.
286 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [54[55]
meaning is more plausible: Cicero does not feel tied to any particular
doctrine or school: Leg. 1.36, tua libertas disserendi; Tusc. V.33; Off
III.20, nobis .. . nostra Academia magnam licentiam dat ... ; Tusc.
N.7, iudicia Iibera ... nul/is legibus adstricti. Now, non-allegiance of
the kind may lead up to a consistent sceptical attitude: he who feels
free to reject any single doctrine may reject them all-and then
persevere in total E1tOX~ FromLuc. 66 (and many other passages) it is
clear that this is not the libertas Cicero is thinking of either. He does
not feel free in any 'negative' sense ('not in bondage' 28 ). Rather-and
this is the third sense-it is in positive terms that he conceives of his
Academic 'freedom': he feels free to opine and to speculate on a
grand scale about great schemes. Every reader of Cicero's
philosophical books knows what themes he has in mind: God, the
immortality of the soul, freedom of action, the high rank of virtue,
human perfection.
IV
Let us finally turn to the end of the dialogue. When Cicero has ended
his discourse a short informal conversation ensues: Lucullus looks
forward to further discussions, Hortensius ends with a pun; it is left to
Catulus to comment on what Cicero has said and to sum up (148): 'I
am returning to my father's view ... that is to say I that nothing can be
perceived, but that the wise man will assent to things not perceived
and so will hold opinions: with the qualification, to be sure, that he
will be aware it is an opinion and that there is nothing that can be
comprehended and perceived' (the following sentence, unfortunately,
is mutilated in the manuscripts and unintelligible as it stands, but there
can be no doubt as to the general meaning of what Catulus wants to
say). 29 Thereupon Cicero: 'So I have your view, and it is not a
esse quod percipi possit vehementer adsentior. Per may be emended to quare
(Manutius) or ergo (Schaublin), but more difficulties remain. There is some
contradiction between the (immediately preceding) admission that 'the sage will
assent to things not perceived and so opine' and the 'approval' of general en:o;ol;
therefore it is tempting to accept Madvig's conjecture non probans (Davies:
improbans). Yet comprobans may well be sound: epochen ill am seems to point back
to an earlier passage, and I 04 is a good candidate: dupliciter dici adsensus sustinere
sapientem, uno modo, cum hoc intellegatur, omnino eum rei nulli adsentiri, altero ...
The first (stronger) sense of 'withholding' is characterized by 'not assenting to
[55156] CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE 287
negligible one' (nee earn admodum aspernor). This does not sound
like whole-hearted I and unqualified assent. Is it assent at all? Is
Cicero ironical? 30 It is crucial to know what to make of Cicero's last
statement, all the more so as he has now stepped out of his role as a
spokesman. But there is no agreement and the discussion is likely to
go on. My own suggestion is that Cicero is serious here and this is, I
think, borne out by his personal confession in Lue. 66: magnus ... sum
opinator, ... adsentior; nee pereipio tamen, nihil enim arbitror posse
percipi. It is largely the same epistemological stance: there is no
wrong in 'opining' as long as one is aware that certainty can never be
achieved. And yet there is one remarkable difference: in 66 Cicero
speaks of himself, not being a sapiens, indeed as opposed to the sage;
Catulus holds that the wise man will succumb to opinion. His father
had told him this was Carneades' view; from Cicero's discourse we
he will have thought rather unlikely, i.e. that there may be antipodes, qui adversis
vestigiis stent contra nostra vestigia. The litotes is polite and urbane. It fits in with
Cicero's frequent deprecation of pertinacia (on which see Reid on Ac. 1.41, (1885)
156f.); see also above p. 280f. [48] on (Stoic) arrogance and on invidia.
288 CICERO'S PHILOSOPHICAL STANCE [56157]
know that this was indeed so--but only one of two current
interpretations of the master's doctrine, that of Metrodorus of
Stratonicea and of Philo ofLarisa (Luc. 59, 67, 112); Clitornachus, on
the other side, denied that Cameades ever made such concession (Luc.
78, 104, 108). Within his speech, Cicero had favoured the more rigid
Clitornachean interpretation (Luc. 78, 108). Now, if he is serious he is
accepting the Metrodorean one, and so has gone a step further. This
may be why his approval is somewhat reserved.
But this is not of great importance, and it would be misleading to
state as a final result that Cicero's personal stance is somewhere
between the Clitomachean and the Metrodorean interpretation of their
common master. Cicero's 'opining' is of a different character (Luc.
66): ' ... the way in which I steer my thinking is not by that tiny star,
the Cynosure, ... but by Helice and the resplendent Septentriones, that
is by these theories of wider aspect, not fined down and over-
subtilized; the result is that I roam and wander more widely ... '. There
is great pride in these words. Cicero's justification is, of course, that
he is unerringly aware of what he is doing (Luc. 66, 148); and as has
been seen this type of justification may in fact have been accepted by
Cameades and others. And yet we may wonder whether Cameades (be
it the 'Clitomachean' or I the 'Metrodorean' one) would have ap-
proved of the radiant objects of Cicero's opinions and have been
pleased with his personal version of sceptical speculation. 31
Bibliography
Burkert (1965): W. Burkert, 'Cicero als Platoniker und als Skeptiker', Gymnasium 72
(1965) 175-200.
Gawlick and Gorier (1994): G. Gawlick and W. Gorier, Cicero, in H. Flashar, ed., Die
Philosophie der Antike, Bd. 4: Die Hellenistische Philosophie, Basel 1994, 991-
1168.
Glucker (1995): J. Glucker, 'Probabile, veri simile, and related terms', in. J. G. F.
Powell, ed., Cicero the Philosopher, Oxford 1995, 115-43.
Gorier (1974): W. Gorier, Untersuchungen zu Ciceros Philosophie, Heidelberg 1974.
----(1989): W. Gorier, 'Cicero und die 'Schule des Aristoteles", in W. W.
Fortenbaugh and P. Steinmetz, eds., Cicero's Knowledge of the Peripatos, New
Brunswick/London 1989, 246-63. [s.o. S. 193-211]
31 The above has greatly profited by Malcolm Schofield's and other participants'
In the vast literature from Plato to the present day which is dedicated to the
assertion, and also to the denial, of the proposition that the ways in which men
ought to behave may be discovered by human reason, the disputants on one
side seem to say to those on the other, ,You are blind if you cannot see this',
only to receive in reply, ,You have been dreaming' . 1
* Leicht erweiterte Fassung eines Vortrags, der im Dezember 1976 auf einer
Tagung des Instituts fiir Lehrerfort- und weiterbildung (ILF), Mainz, in Vallendar bei
Koblenz gehalten wurde. Der Diskussion nach dem Vortrag verdanke ich wertvolle
Anregungen. Mein besonderer Dank gilt Karl-Heinz llting, Saarbriicken, der mir
wichtige Hinweise hat zuteilwerden lassen und in groBziigigster Weise in noch
unpublizierte Arbeiten Einblick gewahrt hat.
1 Hart, H. L. A.: The Concept of Law, Oxford 1961 (Clarendon Law Series),
S.l82.
[516] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 291
auBen her auferlegt worden, als ein von hoherer Instanz erlassenes
Gesetz. Auf den ersten Blick scheint dieser Ansatz-meist als
heteronom bezeichnet-sich zu empfehlen, ja er scheint der einzige
gangbare Weg zu sein, denn gesucht ist ja eine Gegeninstanz fur das
menschliche Wollen. In der jtidisch-christlichen Ethik ist dies aus-
drticklich gesagt. Gott hat dem Menschen im Dekalog seine Gebote
kundgetan; der Mensch hat sie zu befolgen. Aber dies ist keine
philosophische Ethik-an Gott und seine Gebote kann man nur
glauben. Indes auch dort, wo die fremde gesetzgebende Autoritat
ungenannt bleibt und wo eine philosophische Deduktion versucht
wird, kann ein stringenter Beweis fur die Geltung der jeweils
postulierten ethischen Normen nicht gelingen. Ein solcher Versuch
wurde in unserer Zeit von Nicolai Hartmann untemommen. 2 Hartmann
nimmt ein ,Reich der Werte" an, eine groBe Zahl von absolut
gtiltigen, hierarchisch angeordneten sittlichen Forderungen, die zu
verwirklichen sich der Mensch-unabhangig von seinem Wollen-
verpflichtet fuhle. Auch diese Werte sind eine dem Menschen
gegentiberstehende fremde Autoritat, und es steht jedermann frei, an
das ,Reich der Werte" zu glauben-zu beweisen durch strikte Argu-
mentation ist seine Existenz ebensowenig wie die von Platons ,Reich
der Ideen", an das Hartmann erinnert. 3 Das Scheitem aller hetero-
nomen Deduktionsversuche ist kein Zufall. Eine ,fremde' gesetz-
gebende Autoritat kann nur als ein denkendes und planvoll handelndes
Wesen begriffen werden, und da wir in der uns erkennbaren real en
Welt kein derartiges Wesen vorfinden, muB jede heteronome Theorie
den Bereich der Erfahrung und damit des Beweisbaren transzendieren.
Aber auch der andere Weg, ethische Normen zu deduzieren, ist
nicht gangbar, obwohl er immer wieder beschritten worden ist: der
Versuch namlich, aus dem Wollen und aus der Natur des Menschen
ein fur den Menschen verbindliches Sollen herauszukristallisieren. Die
Gesetze des Handelns waren dann dem Menschen nicht von auBen
auferlegt; er selbst ware sein eigener Gesetzgeber-er ware auto-
nom. Der bekannteste Ansatz ist der des Sokrates: Er erklarte all das,
was der Mensch im Gegensatz zum Sittlich-Richtigen wolle, als nur
scheinbares Wollen, als bloBen Irrtum, und lehrte, im Grunde wolle I
C
2 Hartmann, N.: Ethik, Berlin 3 1949 1925), zur Einfuhrung geeignet S. 119-121;
s. auch: Vom Wesen sittlicher Forderungen, in: Kleinere Schriften, Bd. 1, Berlin
1955, S. 279-311.
3 Ethik (s. Anm. 2), S. 120f.
[7] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 293
niemand das Umecht, sondern immer nur das Rechte: oUBel<; EKffiv
a8tKE1-niemand tut freiwillig unrecht. Platon ist ibm hierin teilweise
gefolgt, 4 hat dann aber doch mit der ,Idee des Guten' den Dualismus,
also das heteronome Prinzip in die Ethik eingefiihrt. Das autonome
Prinzip ist zum Scheitem verurteilt: Auch eine noch so subtile Ana-
lyse des menschlichen Wollens und der menschlichen Bediirfnisse,
auch eine restlose Ausschaltung aller ,Irrtiimer' kann nicht auf ein
Prinzip des Sollens fiihren. Eine solche Analyse kann nur kHiren,
was der Mensch will. Dies aber ist eine deskriptive, eine Fakten-
aussage-gesucht jedoch wurde eine Aussage praskriptiven Charak-
ters. David Hume hat diesen (im Grunde banalen) Sachverhalt auf die
klare, haufig wiederholte Formel gebracht: Aus deskriptiven Aussagen
konnen keine praskriptiven Aussagen abgeleitet werden. 5
4 K.-H. Ilting zeigt in einer eingehenden Interpretation der Politeia (Bediirfnis und
Norm. Platons Begriindung der Ethik, erscheint derrmachst [MittelstraB, J., Riedel, M.
(Hg.), Vernunftiges Denken, Berlin u. New York 1978, S. 420-446]), daB Platon
dort-und zwar nicht nur im ,kiirzeren" sondern auch im ,Hingeren Weg" (vgl. 435d3
und 504b1)-moralische Norrnen im Grunde aus Bediirfnissen ableitet, wenn auch
aus dem sublimierten Bediirfnis eines ,wohlverstandenen" Eigenwohls, das mit dem
Gemeinwohl zusamrnenfallt.
5 A Treatise on Human Nature, Buch 3, Teil I, I. Abschnitt: ,Ich kann nicht
umhin, ... eine Bemerkung hinzuzufiigen, der man vielleicht einige Wichtigkeit nicht
absprechen wird. In jedem Moralsystem, das mir bisher vorkam, habe ich imrner
bemerkt, daB der Verfasser eine Zeitlang in der gewohnlichen Betrachtungsweise
vorgeht, das Dasein Gottes feststellt oder Beobachtungen tiber menschliche Dinge
vorbringt. Plotzlich werde ich damit uberrascht, daB mir anstatt der ublichen
Verbindungen von Worten mit ,ist' und ,ist nicht' kein Satz mehr begegnet, in dem
nicht ein ,so11te' oder ,so11te nicht' sich fande. Dieser Wechsel vollzieht sich unrnerk-
lich; aber er ist von groBter Wichtigkeit. Dies ,sollte' oder ,sollte nicht' druckt eine
neue Beziehung oder Behauptung aus, muB also notwendigerweise beachtet und
erkHirt werden. Gleichzeitig muB ein Grund angegeben werden fiir etwas, das sonst
ganz unbegreiflich scheint, namlich dafiir, wie diese neue Beziehung zuruckgefiihrt
werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind. Da die Schriftsteller diese
Vorsicht meistens nicht gebrauchen, so erlaube ich mir, sie meinen Lesern zu
empfehlen; ich bin iiberzeugt, daB dieser kleine Akt der Aufmerksamkeit aile
gewohnlichen Moralsysteme umwerfen und zeigen wiirde, daB die Unterscheidung
von Laster und Tugend nicht in der bloBen Beziehung der Gegenstiinde begrilndet ist
und nicht durch die Vernunft erkannt wird" (Ubersetzung aus: D. Hume: Ein Traktat
iiber die menschliche Natur, deutsch ... hrsg. v. T. Lipps I R. Brandt, Hamburg 1973
(Philosophische Bibliothek. 283), S. 211). Humes Einwand gilt nicht nur gegen aile
Versuche, aus der Natur des Menschen, d.i. aus seinem ,eigentlichen' Wollen, ein
Sollen abzuleiten, sondem auch gegen den Versuch der Ableitung von Norrnen fiir
das menschliche Handeln aus den Gesetzen des Kosmos, also u.a. gegen Platons ,Idee
des Guten' und gegen die stoische Forderung, ,gemaB der Natur' zu Ieben. Zu Platon
vgl. Graeser, A.: Platons Ideenlehre, Bern u. Stuttgart 1975, S. 161, der eindrucksvoll
von einem ,totalitaren Diktat einer Metaphysik" spricht, ,die sich als solche nicht zu
erkennen gibt"-Ober Immanuel Kants autonome Begrilndung der Ethik vgl. Moore,
294 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [7]
Doch nun zu Cicero. Er hat stets urn die Konzeption eines vom
bloBen Nutzen unabhangigen Sittlich-Richtigen gerungen. Dabei sind
zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Primar ist die Fragestellung,
ob es ein unabhangiges honestum gibt-und diese Frage soll im
Mittelpunkt unserer Oberlegungen stehen; daran kniipft sich die
zweite Frage, die hier im wesentlichen ausgeklammert bleiben muB:
worin dies Sittlich-Richtige besteht.
Ein unwiderlegbarer Nachweis dafur, daB es neben dem Streben
nach Nutzen als mogliche Triebfeder fur menschliches Handeln auch
ein zweckfreies Streben nach dem Sittlich-Richtigen gibt, ist-wie
gesagt-nicht zu erbringen. Aber Cicero tut alles, urn diese These
anhand von Beispielen wahrscheinlich zu machen. Manche dieser
Beispiele wirken auf den ersten Blick klinstlich und gesucht. Das darf
man Cicero jedoch nicht verargen, denn es ist in der Tat schwer,
einleuchtende Beispiele fur zweckfreies sittliches Verhalten zu finden.
All die Falle sind ja als Beispiel unbrauchbar, in denen eine
sittenwidrige Handlung aus Furcht vor Strafe oder anderen negativen
Folgen unterbleibt, genauer noch: all die Falle, in denen nicht
ausgeschlossen werden kann, daB die sittenwidrige Handlung nur aus
einem derartigen Motiv unterbleibt. Eben dies aber kann nur selten
ausgeschlossen werden; fast stets laBt sich also behaupten, die sittlich-
richtige Alternative sei letztlich doch nur aus Eigennutz gewahlt
worden. Einige interessante Beispiele finden sich im zweiten Buch
von De finibus bonorum et malorum, in der Polemik gegen die
epikureische Ethik, die nach Ciceros Darstellung-ob zu Recht oder
zu Unrecht, sei dahingestellt-alles Handeln am MaBstab des Nutzens
orientiert. DaB diese Lehre falsch sei, zeigt Cicero am Verhalten eines
gewissen Sextus Peducaeus (fin. 2,58). Ein Freund hatte ihn ohne
jeden Zeugen gebeten, sein Erbe seiner Frau zu tibermitteln. Pedu-
caeus hatte also ungestraft die Erbschaft behalten konnen, aber er
tiberbrachte sie aus freien Stticken der Witwe. Das Motiv fur diese
Handlung konne nur ein von der Natur eingegebenes Gefuhl fur eine
absolut gtiltige Norm gewesen sein, folgert Cicero gegen Epikur.
Unmittelbar danach (fin. 2,59) ein anderes Beispiel, nach Karneades.
G. E.: Principia Ethica, Cambridge 1903, S. 114, 126-128; Ilting, K.-H.: Der
naturalistische FehlschluB bei Kant, in: Riedel, M. (Hrsg.): Rehabilitierung der
praktischen Philosophie, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1972, S. 113-130; Bockle, F., in:
Bockle, F. I Bockenf6rde, E.-W. (Hrsg.): Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973, S. 169
Anm. 17.
[718] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 295
Wenn jemand sieht, daB ein Gesprachspartner sich auf einer Bank
oder auf einem Marmorsessel im Freien niederlassen will, auf dem
eine Aspis-die gefahrlichste Giftschlange des Altertums-lauert, die
diesen Mann mit Sicherheit beiBen und tOten wird, und wenn der Tod
dieses Mannes dem anderen, der die Schlange vorher bemerkt hat,
einen groBen Vorteil bringen wird, so hat dieser unzweifelhaft eine
Gelegenheit, den Tod des anderen ungestraft herbeizufiihren-nie-
mand kann ihm ja nachweisen, daB er die Schlange bemerkt hat.
Cicero sagt es nicht ausdriicklich, aber was er meint, ist klar: Jeder
nicht ganz verrohte Mann wird die Gelegenheit, vom Tode des ande-
ren zu profitieren, in den Wind schlagen und den anderen vor der
Schlange wamen. I
Im AnschluB an dies Beispiel ist die These formuliert, die Ciceros
Beispielen zugrunde liegt: Wenn Rechtsgefiihl und Billigkeit, Treu
und Glauben, Gerechtigkeit im weitesten Sinne nicht naturgegebene
W erte sind, dann gibt es iiberhaupt keine moralisch handelnden
Menschen, sondem nur kluge Rechner. 6 Ein moralisch einwandfreies
Verhalten, das im Letzten von einem Streben nach Vorteil motiviert
ist, ist nur scheinbar moralisch, in Wahrheit unter dem Gesichtspunkt
der Moralitat vollig wertlos. Freilich ist mit Ciceros Satz nicht
bewiesen, daB es ein moralisches Verhalten im wahren Sinne des
Wortes gibt; es istja moglich, daB die Hypothese als ganze irreal ist-
daB es in der Tat kein von Natur aus Rechtes und darum auch keinen
vir bonus gibt. Aber: Wahrscheinlich machen konnte Cicero, daB es
zweckfreies sittliches Handeln gibt, indem er das Beispiel des
ehrlichen Sextus Peducaeus und das Beispiel von der Schlange
anfiihrte, und dies-nicht mehr, aber auch nicht weniger-gilt auch
fiir die folgenden Beispiele (fin. 2,60f. ), die von selbstloser Tapferkeit
handeln.
Mit dem gleichen Beweisziel schildert er an anderer Stelle einen
sehr delikaten Fall (off. 3,72f.). Ein reicher Mann namens L. Minucius
Basilus war in Griechenland gestorben, und einige raffinierte Betriiger
batten es fertig gebracht, ein gefalschtes Testament dieses Mannes, in
6 Vgl. auch fin. 2,52: Warum streben die Menschen nach sapientia (hier etwa:
dem sie als Erben erschienen, in Rom zu prasentieren. Urn nun ihrer
Falschung mehr Glaubwiirdigkeit zu verleihen, hatten sie darin nicht
nur sich selbst, sondern auch zwei vollig Unbeteiligte, Crassus und
Hortensius, freundlich bedacht. Diese Leute genossen hohes Ansehen,
und die Falscher durften damit rechnen, daB niemand das Testament in
Zweifel ziehen wiirde, wenn Crassus und Hortensius die Erbschaft
antraten. Und ihre Rechnung ging auf: Die heiden Ehrenrnanner
zimmerten sich eine Entschuldigung zurecht-sie seien ja an der
Falschung ganz unbeteiligt-und strichen das ihnen so miihelos zu-
gefallene Siimmchen ein. Cicero laBt keinen Zweifel daran, daB er
dies Verhalten verurteilt: Ein vir bonus hatte auf den unrechtmaBigen
Vorteil verzichtet, auch wenn Entdeckung und Strafe nicht zu be-
fiirchten waren. Ein moralisch denkender Mann wird auch dann auf
unrechtmaBige Bereicherung verzichten, fahrt Cicero fort, wenn er die
magische Fahigkeit hatte, durch bloBes Fingerschnalzen seinen Na-
men in das Testament reicher Leute hineinzuzaubern (off 3,74-76). 7
Freilich, haufig ist eine solche Haltung nicht; ein labiler Charakter wie
Crassus wiirde auf dem Forum tanzen, wenn er dadurch jenes
eintragliche Schnalzen erlangen konnte.
Noch ein letztes Beispiel aus De officiis (3,49): Themistokles
verkiindete nach den Perserkriegen in einer athenischen Volksver-
sammlung, er sehe eine einmalige Gelegenheit, die politische Stellung
Athens zu verbessern; allerdings konne man dariiber in der Offent-
lichkeit nicht reden. Nur einem Vertrauensmann wolle er sagen, woran
er denke. Dies Amt fiel Aristides zu, dessen Redlichkeit sprich-
wortlich war. Themistokles enthiillte ihm seinen Plan: Die spar-
tanische Flotte, die gerade bei Gytheion an Land gezogen war, konne
man zur Zeit ohne viel Miihe und Aufhebens verbrennen. Aristides
berichtet nun der Volksversammlung, Themistokles' Vorschlag sei in
der Tat iiberaus niitzlich (perutile), aber alles andere als anstandig.
Daraufhin verzichteten die Athener darauf, diesen Plan auch nur
erlautert zu bekommen. Die Athener waren also mit Aristides der
Literatur mehrfach diskutierte Problem der ,Ti:itung des Mandarins': ,Wenn man die
Mi:iglichkeit hiitte, durch bloBen Knopfdruck einen reichen Mann zu ti:iten, der einem
ganzlich unbekannt ist-z. B. einen Mandarin im femen China-, und sein Erbe
anzutreten, wiirde man da zi:igem?" Diese Frage stellt Rastignac in Balzacs ,Pere
Goriot', angeblich im AnschluB an Rousseau (ed. Maurois/Mozet, Paris 1974, S. 162
u. 185). Die wahre Quelle ist jedoch Chateaubriand: Genie du Christianisme 1,6,2 (ed.
Paris 1838, vol. I, S. 206).
[8[9] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 297
Ansicht, daB utile und honestum ganz und gar nicht dasselbe seien,
daB es vielmehr neben dem Streben nach dem Niitzlichen noch ein
zweites Prinzip menschlichen Handelns gebe: das Streben nach dem
Sittlich-Richtigen, und daB dies Streben nach dem honestum den
Vorrang babe vor jenem anderen Streben nach dem lediglich
Niitzlichen. I
Es ist auf den ersten Blick iiberraschend, daB Cicero seinen Bericht
schlieBt mit den Worten (off 3,49 E.): itaque Athenienses, quod
honestum non esse!, id ne utile quidem putaverunt totamque earn rem
... repudiaverunt. Hier scheint etwas vorausgesetzt zu sein, was zu
den Worten des Aristides in krassem Widerspruch steht, namlich: nur
was sittlich-richtig sei, sei auch niitzlich, nichts konne (wahrhaft)
niitzlich sein, was nicht auch ,ehrenhaft' sei. Diese und ahnliche
Formulierungen durchziehen wie ein Leitmotiv das dritte Buch von
De officiis (z. B. 3,11; 3,20), ja die zentrale These8 dieses Buches
scheint zu lauten: utile und honestum fallen zusammen, die Begriffe
sind koextensional. Dies scheint allem bisher Gesagten zu wider-
sprechen. Aber man darf sich durch die Formulierung nicht verwirren
lassen. Uti/is, ,niitzlich', ist bier ganz offensichtlich in einem viel
engeren Sinne gebraucht, etwa im Sinne von ,wahrhaft niitzlich',
,auch fiir die sittliche Person des Mens chen zutraglich'. In dies em
Sinne aber ist selbstverstandlich nur das ,niitzlich', was auch sittlich
richtig ist (und umgekehrt), so daB die Formel im Grunde tauto-
logisch9 ist. Beachtenswert ist nur ihre Voraussetzung, namlich daB es
neben dem gewohnlichen utile auch ein wahres utile gibt, und das
wiederum ist nichts anderes als die soeben behandelte These-daB es
namlich neben dem Nutzen eine zweite mogliche Motivation fiir das
menschliche Handeln gibt: einen davon unabhangigen Bereich sitt-
licher Normen.
8 Von Ilting (Antike und modeme Ethik. Zur Lekttire ciceronischer Texte im
Bedeutung verwandt, ware die Gleichung utile - honestum identisch mit dem oben
skizzierten Ansatz des Sokrates: ouoel.~ f:JCOOV UOtKet-normwidrige Handlungen
beruhen nur auflrrtum. Aber hinter Ciceros Forme! verbirgt sich das stoische Paradox
O'tt !!OVOV to KUAOV aya96v, und die Stoiker legten groBten Wert auf die Feststellung,
daB das Sittlich-Gute (to KaA6v) nicht nur dem Grade, sondem auch seinem Wesen
nach vom Ntitzlichen unterschieden sei.
298 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [9110]
Wir hatten bereits betont, daB diese These nicht mit letzter
Stringenz bewiesen werden kann. Und es kommt eine weitere
Schwierigkeit hinzu: Auch wenn man gewillt ist zuzugeben, daB es ein
von Natur aus Rechtes gibt, dessen Befolgung absolutes Gebot ist und
zu dessen Gunsten alles Streben nach Nutzen und Vorteil zuriick-
zutreten hat, selbst dann ist keineswegs in jedem einzelnen Falle klar,
welche Entscheidung zu fallen ist. Cicero hat im dritten Buch von De
officiis, z. T. im AnschluB an Antipater von Tarsos, Diogenes von
Babylon und Hekaton von Rhodos, viele Konfliktfalle beschrieben,
d.h. solche Situationen, in denen es nicht eindeutig ist, was das
hones tum fordert. SoH der Weise bei einem Schiffbruch mit anderen
Schiffbriichigen urn eine rettende Planke kampfen? Nein, wenn es nur
aus Eigennutz geschieht. Aber wenn es fiir sein Land von groBter
Bedeutung ist, daB er iiberlebt? Und wie, wenn zwei Weise urn die
gleiche Planke kampfen, und zwar zwei Weise, deren Oberleben fiir
das Gemeinwesen von gleicher Bedeutung ist? Ciceros (durchaus
ernst gemeinte) Antwort: Dann wird man losen miissen (off. 3,90).-
Darf der Weise stehlen? Im allgemeinen nicht, aber auch dies Verbot
gilt nicht absolut: Wenn der Weise nur dadurch iiberleben kann, daB er
einem minderwertigen Menschen etwas fortnimmt, dann darf er dies
tun (3,29).-Und nicht einmal das Totungsverbot gilt unter allen
Umstanden; Cicero nennt-selbstverstandlich in frischer Erinnerung
an die Iden des Marz-die Ermordung des Tyrannen Phalaris als ein
Beispiel dafiir, daB die Totung eines Menschen sogar ein honestum
sein kann (3,32).
Es ist nicht notig, hier alle Beispiele zu erwahnen, denn es ist klar,
worauf Cicero hinaus will: Inhaltlich definierte Regeln, die schlecht-
hin absolute Geltung haben, d. h. die unter allen Umstanden zu
beachten sind, lassen sich nicht aufstellen. Dem kann man un-
eingeschrankt beipflichten. In der Tat, es ist immer ein Fall denkbar,
in dem eine moralische Forderung, auch elementarster Art, zuriick-
zutreten hat hinter der Forderung einer hoherstehenden Norm. Auch in
unserer Zeit ist ja die absolute Geltung des Totungsverbotes nicht
unbestritten-es sei erinnert an die Diskussionen urn die Todesstrafe
und urn die Abtreibung. Es ist interessant, daB selbst in der
katholischen Moraltheologie neuerdings Zweifel an der Moglichkeit
der Formulierung allgemeinverbindlicher ethischer I Grundsatze laut
geworden sind. In einem sehr lesenswerten Aufsatz hat unlangst
[1 0] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 299
Bruno Schuller, S.J., 10 den Bereich der absolut gliltigen Normen auf
diejenigen Gebote beschrankt, die das Verhaltnis des Menschen zu
Gott regeln, fiir das Verhaltnis zu den Mitmenschen und zur Welt
jedoch die Moglichkeit absolut gliltiger Gebote bestritten. Hier gelte
nur eine formale, inhaltlich nicht bestimmbare ,Vorzugsregel":
,Unausweichlich in die Lage versetzt, ein Ubel zu verursachen,
gleichviel wie er handle, habe der Mensch zu prtifen, welches Ubel
das schlimmere sei, und das zu vermeiden. Da die V ermeidung oder
Beseitigung eines Ubels ein Wert und die Nicht-Verwirklichung eines
moglichen W ertes ein Ubel ist, kann der genannte Grundsatz auch
ohne weiteres ins Positive umgekehrt werden: vor zwei miteinander
konkurrierende, einander ausschlieBende W erte gestellt, hat der
Mensch zu priifen, welcher von heiden den Vorzug verdient, und den
handelnd zu verwirklichen". 11
Eine derart prazise Formulierung findet sich bei Cicero noch nicht,
aber auch er hat gesehen, daB es kaum moglich ist, unter allen
Umstanden gliltige Regeln zu formulieren, und auch er sucht daher
nach einem Kriterium, das es gestattet, in Zweifelsfallen die richtige
Entscheidung zu treffen. Schon am Anfang des dritten Buches von De
officiis (3, 19 E.) wird die Erstellung einer formula angektindigt, die es
gestatten soU, ohne die Gefahr des Irrens eine Entscheidung zu treffen,
wenn es einmal so aussehe, als liege das utile mit dem honestum in
Konflikt. Das ist ziemlich ungenau formuliert, denn er meint wahl
nicht primar einen Konflikt zwischen utile und honestum, 12 sondern
eher einen Konflikt zwischen verschiedenen utilia oder zwischen ver-
schiedenen honesta oder aber solche Falle, in denen nicht klar ist, ob
ein offenkundiges utile auch ein honestum und daher zu verwirklichen
sei. Es ist nicht ganz deutlich, welches die angektindigte formula ist:
die in 3,20 referierte Meinung der Stoiker, die utile und honestum
schlechthin gleichsetzen, oder-und das ist wahrscheinlicher 13---der
12 Ein solcher Konflikt ist gar nicht moglich, wenn man Ciceros Grundthese (utile
= honestum) wortlich nimmt (vgl. jedoch Anm. 9). Und wenn man (was hier
zweifellos vom Sinn gefordert wird) utile in der gewohnlichen Bedeutung versteht,
ware ein Konflikt rasch zugunsten des hones tum entschieden.
13 Sed redeo ad formulam (off 3,20 E.) kann bedeuten ,jetzt fiihre ich meinen
Vorsatz aus und nenne die Formel'; es kann aber auch bedeuten ,nach dem kurzen
Exkurs tiber meine Freiheit als akademischer Skeptiker komme ich jetzt auf die
(bereits genannte) Formel zuriick und nenne ihre Konsequenzen'.
300 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [10]
Anfang von 3,21 : ,DaB ein Mensch einem anderen etwas fortnimmt
und daB jemand zum Nachteil eines anderen seinen Vorteil mehrt, das
ist in hoherem Grade naturwidrig als der Tod, als Armut ... Denn
erstens (primo 14-ein ,zweitens' folgt merkwiirdigerweise nicht,
jedenfalls nicht ausdriicklich) hebt ein solcher Mann das menschliche
Zusammenleben und die menschliche Gemeinschaft aus den Angeln
... " Ganz im gleichen Sinne heiBt es wenig spater (3,26): ,Dies eine
also miissen alle beachten, daB Nutzen des Einzelnen und Nutzen der
Gemeinschaft zusammenfallen; denn wenn jeder nur den eigenen
Nutzen im Auge hat, wird alle Gemeinschaft unter den Menschen
aufgelOst."
Auf den ersten Blick kann diese Formel tiberzeugen. Sie scheint
nicht nur geeignet, in Zweifelsfallen Klarheit zu schaffen, sondern bier
scheint das, was wir bisher immer recht unbestimmt als das honestum
oder das ,von Natur Rechte' bezeichnet haben, zum Teil auch
inhaltlich bestimmt: die Sorge fur die menschliche Gemeinschaft. Es
soll auch gar nicht in Frage gestellt werden, daB dies ein hoher Wert
ist; wir alle handeln ja in der Regel so, wie es Cicero fordert-oder
haben doch ein ungutes Gefuhl, wenn wir nicht so handeln. Aber es
sind zwei Bedenken anzumelden. Erstens: Der Vorrang der Gemein-
schaft vor dem Einzelnen ist eine ganzlich unbewiesene Pramisse.
Wer wie Thrasymachos in Platons Politeia oder wie L. Furius Philus
(nach Karneades) in Ciceros De republica die These vom Recht des
Starkeren vertritt, ist durch diese Formel nicht zu widerlegen. Der
Primat der Gemeinschaft ist schlechterdings nicht beweisbar. 15 Und
14 Die von Ilting, K.-H.: Antike und moderne Ethik, in: Gymnasium 84, 1977, S.
154, vorgeschlagene Dbersetzung ,prinzipiell" (im Gegensatz zu: tatsachlich) ist auf
den ersten Blick bestechend, denn in der Tat hebt die ungerechte Handlung eines
einzelnen faktisch die menschliche Gemeinschaft durchaus nicht auf. Aber im
klassischen Latein kann principia diese Bedeutung nicht haben. Es ist auch
zweifelhaft, ob Cicero sich wirklich dariiber im klaren war, daB er sein
,Generalisierungs-Argument' (vgl. unten) in der von Ilting angenommenen Weise
prazisieren muBte.
15 Dieser Einwand gilt bekanntlich auch gegen Kants ,Kategorischen Imperativ'.
Habe ich einmal zugestanden, daB die menschliche Gemeinschaft erhalten und
gefordert werden soli, bin ich gehalten, stets so zu ,handeln, daB die Maxime meines
Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten konne".
Aber wer dies nicht zugesteht, sondern die eigene Person tiber die Gemeinschaft stellt,
kann sich durch den ,Kategorischen Imperativ' nicht angesprochen fiihlen. Treffend
formuliert Ilting (Der naturalistische FehlschluB bei Kant (s. Anm. 5), S. 129): ,Die
Schwierigkeit dieses Problems (die Anerkennung des Sittengesetzes durch aile
Normadressaten) hangt offenkundig an der Aufgabe, eine Forderung zu recht-
fertigen--die Forderung, aile sollten die Grundnorm anerkennen-, ohne daB es
[10111] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 301
zweitens: Hebt nicht die formula, alles Handeln sei am Wohle der
Gemeinschaft zu messen, jene andere I These Ciceros, es gebe ein
vom utile ganzlich unabhangiges hones tum, wieder auf? Ist nicht jetzt
doch wieder das utile der MaBstab allen Handelns, nur nicht mehr der
Nutzen des Einzelnen, sondern der der Gemeinschaft? Wie schwer-
wiegend diese Fragen sind-zumal die letzte-kann man daran
ersehen, daB es jetzt, nachdem der Nutzen des Einzelnen als Leit-
prinzip ersetzt worden ist durch den Nutzen der Gemeinschaft, auBerst
schwierig ist, sich ein honestum vorzustellen, das nicht mit dem
Nutzen der Gemeinschaft zusammenfiele. GewiB ist es denkbar, daB
jemand als Maxime verkiindet, die hohen Werte von Gerechtigkeit
und Anstand, vielleicht auch die Erhaltung asthetischer Gtiter hatten
Vorrang vor dem kollektiven Wohlbefinden. Aber ist nicht auch der,
der diese Maxime verkiindet, im Grunde der Meinung, durch ein
Handeln nach dieser Maxime werde der Menschheit ein Vorteil, ein
Nutzen entstehen-wenn auch vielleicht erst fur spatere Genera-
tionen? Kann es jemand Ernst sein mit dem Vorsatz ,Fiat iustitia, et
pereat mundus '16? Ist der, der so spricht, nicht doch im Grunde davon
tiberzeugt, die Welt werde durch seine rigide Rechtsprechung schon
nicht zugrundegehen, sondern eher gebessert werden und in diesem
Sinne einen Vorteil davontragen?
Die These vom Naturrecht, vom zweckfreien Guten, scheint zu
zerrinnen. GewiB: der Einzelne handelt oft gegen seinen Nutzen, aber
dann doch stets zum Nutzen der Allgemeinheit. Das aber legt den
Gedanken nahe, daB all das, was der Mensch als moralisch richtig
empfindet, keineswegs ,von Natur aus' und fur ewige Zeiten recht ist,
sondern auf schlichter Abrede beruht. Oder ist dem Menschen zwar
die Verpflichtung, derartige Abreden zu treffen und einzuhalten, nicht
aber ihr Inhalt ,von Natur aus' auferlegt? Diese Fragen konnen hier
nicht weiter verfolgt werden. Aber es ist wohl deutlich geworden, daB
erlaubt ware, irgendeine vorgangig anerkannte Norm vorauszusetzen. Man kann nicht
einmal zugeben, daB die Anerkennung solcher Normen als gesichert angesehen
werden darf, deren Anerkennung in jedem Versuch vorausgesetzt ist, zu einer
Verstandigung iiber Normen zu gelangen, sobald Personen das Normenproblem
ernsthaft untereinander zur Entscheidung zu bringen suchen. Denn die Aufgabe ist
hier nicht, eine Norm zu formulieren, deren Giiltigkeit vorgangig durch die
Anerkennung einiger sichergestellt ist, sondern sich einer Grundnorm zu
vergewissern, die von allen anerkannt werden sollte, selbst wenn sie nicht geneigt
wiiren, dies unter allen Umstanden zu tun." Zu lltings eigener Losung s. Anm. 25.
16 Wahlspruch Kaiser Ferdinands I. Vgl. Bartels, K. I Huber, L.: Veni, vidi, vici.
Gefliigelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen, Ziirich 1966, S. 41.
302 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [11112]
das Problem sehr komplex ist; daher kann es nicht iiberraschen, dal3
auch Cicero immer wieder Zweifel gekommen sind an der Existenz
eines vom utile unabhangigen honestum.
Diese Zweifel sind bei Cicero oft in eine Form gekleidet, die vom
modernen Leser leicht mil3verstanden wird. Daher sei ein kurzer
Exkurs gestattet. Die ethischen Diskussionen der Antike sind gekenn-
zeichnet einerseits durch eine erstaunliche Uniformitat, durch eine fast
durchgangige Obereinstimmung in der Methode und in der Frage-
stellung. Die Philosophen aller Schulen fragten: Welches ist das letzte
Ziel menschlichen Handelns? Man war sich dariiber einig, dal3 es
Ziele und Zwecke gab, die nur urn anderer Ziele willen angestrebt
wurden. Man sah klar, dal3 der Mensch sich die elementare Bildung
aneignet, urn die komplex en Zusammenhange des W eltlaufs zu ver-
stehen, dal3 der Mensch Nahrung aufnimmt und seine Gesundheit
erhalt, urn hOhere Ziele verwirklichen zu konnen. Und man war sich
auch dariiber einig, dal3 dies kein regressus ad infinitum sein konne-
es miisse ein letztes Ziel oder mehrere letzte Ziele fiir das menschliche
Handeln geben. Und schliel3lich war man sich dariiber einig, dal3 der
Mensch dann, wenn er dies-einfache oder komplexe--letzte Ziel
erreicht babe, im Besitze der Gliickseligkeit, der vita beata sei. Das
galt als eine Selbstverstandlichkeit, denn-wie sollte der Mensch nicht
gliickselig sein, wenn er ans letzte Ziel gelangt war? Wem nichts mehr
fehlt, der ist schlechthin gliickselig. Insofem ist es richtig, dal3 alle
antiken ethischen Theorien eudamonistisch sind. Das wird vom mo-
dernen Betrachter, wie gesagt, leicht mil3verstanden, denn wir asso-
ziieren allzuleicht Gliickseligkeit, vita beata, mit der Vorstellung von
Freude und Genul3. Aber das ist falsch; die Mehrzahl der antiken
Ethiker war weit entfemt davon, Freude und Genul3 als den finis
bonorum zu bezeichnen. Eu8atJ10Vta, vita beata, Gliickseligkeit ist ein
rein fonnaler Begriff; nichts anderes ist damit gemeint, als dal3 das
letzte Ziel erreicht ist. I
Ober den Inhalt des finis bonorum aber hestand tiefe Uneinigkeit.
Cicero unterscheidet immer wieder drei Hauptansichten: Die Stoiker
lehrten, letztes Ziel sei nur die sittliche Vollkommenheit, nur die
virtus sei ein Ziel, das urn seiner selbst willen angestrebt werde, alle
anderen Ziele dagegen wiirden urn der virtus willen angestrebt. Die
nachplatonischen Akademiker und die Peripatetiker bestritten nicht,
dal3 die Tugend ein absolutes Ziel, ein finis bonorum, ein propter se
expetendum sei, aber sie legten Wert auf die Feststellung, dal3 daneben
[12] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 303
verteidigte. Laktanz sagt nun kurz und btindig, Laelius habe Furius
nicht widerlegen konnen; mit anderen Worten, bei Laktanz war der
Eindruck entstanden, Cicero habe in De republica 3 das Naturrecht in
Zweifel ziehen wollen. Dies war sicher nicht Ciceros Absicht, denn er
verweist in einer Argumentation fur das Naturrecht (fin. 2,59) voller
Stolz auf die Rede des Laelius, aber-wenn die Argumentation des
Philus so eindrucksvoll war, zeigt sich doch einmal mehr, daB
derartige Zweifel Cicero nicht fern waren.
Diese und viele andere Stellen machen es klar: Cicero war sich
dessen bewuBt, daB die absolute Gtiltigkeit ethischer Normen mit
logischen Mitteln nicht zu beweisen ist. 20 Und nicht weniger als seine
Zweifel zeigen das diejenigen Stellen, an denen er das versucht, was
moglich ist: die Gtiltigkeit von Normen wahrscheinlich zu machen, sie
als ein Phanomen zu erweisen. Auf die unlosbare Aufgabe, moralische
Normen von universaler Geltung zu deduzieren, auf den Beweis dafur,
daB es ein Naturrecht geben muB, weil es nicht anders sein kann, hat
er verzichtet; aber in einem bescheideneren Ansatz zeigt er, wie vieles
dafur spricht, daB es ein von Natur aus Rechtes gibt.
Dabei bedient er sich zweier verschiedener Methoden. Erstens
verweist er auf das sittliche Empfinden als Phanomen; er erinnert ganz
einfach daran, daB oft sittlich-richtig gehandelt wird, ohne daB ein
Vorteil von der Handlung erwartet werden kann. Wir haben solche
Falle am Anfang unserer Oberlegungen betrachtet. In diesem
Zusammenhang erinnert Cicero immer wieder an das eigenartige
Wirken des Gewissens. So fordert er in De finibus 2,118 den
Epikureer auf: tute introspice in mentem tuam ipse eamque omni
cogitatione pertractans percontare ipse te, perpetuisne malis
voluptatibus perfruens in ea, quam saepe usurpabas, tranquillitate
degere omnem aetatem sine do lore ... an, cum de omnibus gentibus
optime mererere, cum opem indigentibus salutemque ferres, vel
Herculis perpeti aerumnas. Er ist sich durchaus dessen bewuBt, daB
das Gewissen vielfach unentwickelt, nur wenig ausgepragt ist, aber er
glaubt daran, daB es grundsatzlich fur jeden Menschen moglich ist,
sein Gewissen voll zu entfalten, das heiBt: die jedem Menschen von
Natur aus innewohnende Kenntnis des Sittlich-Richtigen von aller
Unklarheit und von allem lrrtum zu befreien (off 3,76): at vera, si qui
20 Oft begniigt sich Cicero nicht mit vorsichtig geauBerten Zweifeln, sondem stellt
21 Vgl. auch off 3,81: explica atque excute intellegentiam tuam, ut videas, quae sit
Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, S.
211-265. Irn Unterschied zum klassischen argumentum e consensu omnium gewinnt
Habermas seinen Wahrheitsbegriff nicht auf der Basis des hier und jetzt allgemein
(oder ilberwiegend) fiir wahr Gehaltenen. Er postuliert eine ,,ideale Sprechsituation"
und einen unendlichen Diskurs, in dessen Verlauf ein Konsens milsse erzielt werden
konnen. Nur was sich unter diesen Umstanden als konsensfahig erweise, konne als
, wahr' gelten. Eine kritische Analyse dieser Theorie und ihrer Anwendung auf die
Frage nach der Geltung von Normen bei Ilting, K.-H.: Geltung als Konsens, in: Neue
Hefte fiir Philosophie I 0, 1975, S. 20-50.
308 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [15]
23 Singer, M. G.: Generalization in Ethics. An essay in the logic of ethics with the
rudiments of a system of moral philosophy, New York 1961 (Nachdrucke; dt. Obers.
u. d. T. ,Verallgemeinerung in der Ethik', Frankfurt a. M. 1975), hier S. 63-66 (dt.
Obers. S. 88-91).
[15116] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 309
24 Singer (s. Anm. 23), S. 5 (dt. Dbers. S. 25).-Dber das Verhiiltnis des
modeme Ethik (s. Anm. 8), S. 154f. Nach Ilting sind ungerechte Handlungen, die fiir
die Gemeinschaft unschiidlich b1eiben, allein desha1b unmoralisch, wei! ,der
ungerecht Handelnde die normativen Grundlagen der Gemeinschaft, soweit es an ihm
liegt, auBer kraft (setzt)" (S. 155) und damit sich selbst als handelnde und moralisch
verantwortliche Person aufgibt (vgl. llting: Wahrheit und Verbindlichkeit, erscheint
dernniichst [in: Lorenz, K. (Hg.), Konstruktionen versus Positionen. <Paul Lorenzen
zum 60. Geburtstag>, Bd. 2, Berlin u. New York 1979, S. 115-145]). An anderer Stelle
erliiutert er dies am Beispiel des Gyges. Wenn Gyges seinen Ring zu ungerechten
Handlungen verwendet, muB er aufhoren zu sein, ,als was er unter seinen
Mitmenschen gilt: ein verantwortlich und zurechnungsfahig Handelnder. Durch die
Aufgabe seiner Personlichkeit ist er aber auf seine physische Existenz reduziert und
miiBte sich nun fragen, ob er dies wirklich wollen kann: ein bedingungslos die
Befriedigung seiner Begierden und Bediirfuisse suchendes Triebwesen zu sein, und
zwar unter der Bedingung, sich dauemd den Anschein geben zu miissen, er sei jene
verantwortlich hande1nde Person, fiir die ihn die anderen hal ten und der sie vertrauen"
310 ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO [161119]
jeder stiehlt und betriigt, und wenn auch jede einzelne derartige
Handlung, die offen geschieht und darum andere zur Nachahmung
reizen konnte, bis zu einem gewissen Grade schadlich ist, ist damit
eine einzelne unmoralische Handlung, die im V erborgenen geschieht,
durchaus nicht schadlich, sondern nur-unmoralisch. Denken wir
zuriick an die Testamentsfalscher, an jenen Mann, der vor der
Entscheidung steht, ob er seinen F eind vor der Giftschlange warn en
soll oder nicht. Wenn er ihn sich setzen und sterben HiBt und dies fiir
sich behalt, schadet dies Fehlverhalten der Gemeinschaft iiberhaupt
nicht. Wer es trotzdem verurteilt, wird geneigt sein, mit Cicero an ein
von Nutzen und Schaden unabhangiges Sittlich-Richtiges, an ein von
Natur aus Rechtes zu glauben. II
Weiterfiihrende Literatur
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Patzig, G.: Ethik ohne Metaphysik, Gottingen 1971 (Kleine Vandenhoeck-Reihe
326 S).
(Bediirfuis und Norm, s. Anm. 4). Hier drangt sich die Gegenfrage auf: Warum sollte
Gyges das nicht wollen? Aufgrund welcher Norm empfinden wires als so gewiB, daB
Gyges nicht so handeln sollte? Ferner: Es ist schwer einzusehen, daB Gyges-wenn er
sich fiir den ungerechten Gebrauch des Ringes entscheidet-aufhort, ein
verantwortlich Handelnder zu sein. (In ,Wahrheit und Verbindlichkeit', S. (Mskr.) 35
[S. 141], noch deutlicher: , ... die Anerkennung dieser Grundnorm [Sei eine Person
und respektiere jeden als Person, der dazu bereit ist] (ist) ein Akt, der als freie
Entscheidung vorausgesetzt werden muB, damit eine Handlung einer Person
iiberhaupt moralisch zugerechnet werden kann. "). Gerade die Entscheidung, eine , Un-
Person' zu sein und sich der menschlichen Gemeinschaft zu entziehen, hat Gyges
nach allgemeinem sittlichen Empfmden zu verantworten.
[19] ABLEITUNG ETHISCHER NORMEN BEl CICERO 311
Reiner, H.: Die Grundlagen der Sittlichkeit (Zweite, durchgesehene und stark
erweiterte Auflage von ,Pflicht und Neigung'), Meisenheim a. G. 1974 (Mono-
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Welzel, H.: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Gottingen 4 1962.
Wolf, E.: Das Problem der Naturrechtslehre. Versuch einer Orientierung, Karlsruhe
3 1964.
16
Dies wird kein Vortrag tiber Sokrates sein. Es soU nicht versucht
werden, aus Ciceros Schriften mehr und Genaueres tiber Sokrates zu
erfahren, als bereits bekannt ist. Das ware auch aussichtslos. Cicero ist
einer unserer wichtigsten Gewahrsleute fur die Geschichte der griechi-
schen Philosophie, und es versteht sich von selbst, daB alle seine
Werke, auch die Reden, immer wieder gelesen worden sind mit dem
Ziel, all das, was er uns tiber Philosophen mitteilt, einzufugen in unser
Wissen aus anderen Quellen. Die letzte und, wie mir scheint, griind-
lichste derartige Durchmusterung fur Sokrates verdanken wir John
Glucker, Professor fur Klassische Philologie und antike Philosophie in
Tel Aviv. 1
lch mochte tiber Cicero sprechen: tiber Ciceros Sokratesbild. Es
geht also, urn einen inzwischen schon nicht mehr ganz modischen
Ausdruck zu gebrauchen, urn ,Rezeption'. Ein solcher Vorgang der
Obernahme ist stets nach zwei Seiten hin von Interesse. Jede Ober-
nahme laBt sich ja auch als ,EinfluB' betrachten, und noch vor einigen
Jahrzehnten sprach man auch unbefangen und selbstverstandlich z.B.
vom EinfluB des Sokrates auf die Stoa, jetzt eher von der Sokrates-
Rezeption durch die Stoa. Aber es ist die gleiche Sache.
,Sokrates' EinfluB auf Cicero' oder, anders herum: ,Ciceros
Sokrates-Rezeption'-das scheint fast provozierend. Allzu verschie-
den voneinander sind die beiden: Dort einer der ganz groBen Philoso-
phen, nach Ciceros Urteil der Vater aller Philosophie tiberhaupt,Z in
armlichen Verhaltnissen lebend, vorbildhaft in seiner Bedtirfnislosig-
keit, das eigene Wissen und I Denken verkleinernd, ja verbergend-
1 Socrates in the Academic Books and other Ciceronian works, in: B. Inwood, J.
Mansfeld (Hgg.): Assent and Argument. Studies in Cicero's Academic Books, Leiden
1997 (Philosophia Antiqua 76), 58-88.
2 Cic. fin. 2, l ... Socrates, qui parens philosophiae iure dici potest ... ; vgl. nat.
hier der romische Staatsmann, Anwalt und Redner, als Philosoph nur
,dilettierend', wenn auch im eigentlichen und besten Sinne: als ein
,Liebhaber' der Philosophie, Cicero, aufgewachsen im W ohlstand,
den er mit wechselndem, meist aber gutem Erfolg zu vermehren
suchte und den er in vollen Ztigen genoB; und alles andere als
bescheiden-schon die Zeitgenossen und nicht weniger die Nachwelt
empfanden seine hohe Selbsteinschatzung und seine Ruhmredigkeit
als peinlich, lacherlich, ja unertraglich. Trotzdem lohnt es, der Frage
nachzugehen, welche Ztige des Sokrates den auf den ersten Blick so
wesensverschiedenen Romer beeindrucken konnten. Das wirft Licht
auf beide. Es sagt uns etwas tiber Sokrates, wenn wir sehen, was an
seinem Leben und seiner Lehre tiber die Zunft der Philosophen hinaus
in die Breite gewirkt hat, und es sagt uns etwas tiber Cicero, wenn wir
sehen, was ihm das Wesentliche an Sokrates war.
3 Tusc. 2,62 berichtet er lobend iiber den jiingeren Scipio Africanus, er habe
mit Platon die wichtigste Quelle fiber den historischen Sokrates bildet,
Xenophons Memorabilien, eindeutig, d.i. mit ihrem Titel. Aber man
sollte doch nicht bezweifeln, daB Cicero sie gekannt und gelesen hat. 4
Im ganzen laBt sich sagen: Cicero verfiigt fiber die gleichen Quellen
wie wir; sein faktisches Wissen fiber Sokrates durfte sich von unserem
nicht wesentlich unterschieden haben.
II
Suppl. 13,2, 1920, 80-82; skeptischer K. Doring, Sokrates, die Sokratiker und die von
ihnen begrtindeten Traditionen, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie,
begrtindet von F. Ueberweg, vi:illig neubearb. Ausgabe, Die Philosophie der Antike.
Band 2/1, Basel 1998, 139-364, hier 199.
5 Tusc. 5,10 Socrates ... primus philosophiam devocavit e caelo et in urbibus
seiunxisset ... ; lihnlich off 3,11 accepimus Socratem exsecrari soli tum eos, qui
primum haec natura cohaerentia opinione distraxissent. Eine solche ,Verwtinschung'
findet sich weder bei Platon noch bei Xenophon. Aber ein Gedankengang in Platons
Nomoi (660e-663b) kommt Ciceros Wortlaut nahe: ,Die Dichter sollen lehren, daB die
[2351236] SOKRATES BEl CICERO 315
Sittlich-Guten immer gliicklich sind ... ; eine schwere Strafe soll denjenigen treffen,
der lehrt, auch Schlechte konnten gliicklich sein ... ; richtig ist nur die Rede, die
Angenehmes und Gerechtes nicht trennt .. .'. Nach Clemens Alex. strom. II 22,131 =
SVF 1,558 hat schon der Stoiker Kleanthes Platon in gleicher Weise vereinfacht
(,Verwiinschung') wie Cicero: 8u) Kat KN:avfh"t~ f.v t0 8eutepro IIepl. ~8ovfj~ tov
LCOKpatr)V <pl]crl nap' liKacrta 8t8Ummv cO~ o UlltO~ 8tKutO~ te KUt eu8Utf.UOV avTjp KUt
t0 nprotro 8teA6vn to 8katov &no toil (Jl)~<pepovto~ Katapiicr9at w~ &ae~es n npiiy~u
8e8paK6n aae~et~ yap t0 ovn oi tO (Jl)~<pepov ano tou 8tKUlOU tOU KUta v6~ov
xcopli;ovtes. Zur stoischen Sokrates-Aneignung s. auch Erler [,Sokrates' Rolle im
Hellenismus", in: ,Sokrates. Nachfolge und Eigenwege"] S. 204.
7 Vorbild Platon, Apologie 40c5-9. Bei Cicero Cato maior 66, Tusc. 1,97 und
von F. Ueberweg, vollig neubearbeitete Ausgabe, Die Philosophie der Antike, Band
4/2, Basel 1994, 821-824, 928, 930, 1089-1092; knapper V in F. Rieken (Hg.),
Philosophen der Antike, Stuttgart 1996, Bd. 2, 95-98.
316 SOKRATES BEl CICERO [236[237]
sermonibusque Socraticis hoc maxime arripuit, nihil esse certi quod aut sensibus aut
animo percipi possit.
11 Luc. 74; Acad. 1,45 (Sokrates) und 46 (Platon); nat. d. 1,11 (Sokrates); div.
2,150 (,Akademie') u.o. In A cad. I, 16 wird die skeptische Haltung nur Sokrates zuge-
schrieben, wiihrend Platon kurz darauf (17) eher als Dogmatiker erscheint (Platonis ...
auctoritate ... una et consentiens duobus vocabulis philosophiae forma instituta est
Academicorum et Peripateticorum ... ). Das darf nicht iiberraschen, denn hier spricht
Varro als Anhiinger des Antiochos aus Askalon, der Platon dogmatisch interpretierte
und die skeptische Phase der Akademie als Fehlentwicklung und Verfalschung ansah.
[2371238] SOKRATES BEl CICERO 317
III
Wir wenden uns nun emtgen Bereichen zu, in denen Cicero mit
Sokrates nicht einverstanden ist, ibn auch nicht umzudeuten versucht,
sondern-wenn auch mit groBem Respekt-kritisiert. Zunachst etwas
AuBerliches. Cicero, dem luxusgewohnten, in asthetischen Dingen
hochsensiblen AngehOrigen der romischen Oberschicht, muBte die
Lebensweise des Sokrates ganz fremd sein, und er hat sie allenfalls
entschuldigend zur Kenntnis genommen, nicht wirklich gebilligt.
Bezeichnend ist eine Stelle aus De officiis, einem Werk, das man nicht
ganz zu Unrecht als ,romischen Knigge' bezeichnet hat: Die Sitten
und herkommlichen Gepflogenheiten des Umgangs der Burger mitein-
ander gelte es zu befolgen; ,niemand solle sich zu dem Irrtum
hinreiBen lassen, daB, da sich I Sokrates und Aristipp anders auf-
gefuhrt haben und anders geredet haben, als es der Sitte und dem
Herkommen entsprach, nun auch ibm das gleiche Recht zustehe-nur
im Hinblick auf ihre groBen, ja gottlichen Verdienste gestand man
jenen eine solche Freiheit zu." 12 Ein recht tiberschwengliches Kompli-
ment verbunden mit indirekter Distanzierung. Das Unkonventionelle,
Rauhe, Widerborstige an Sokrates war Cicero fremd.
Den gleichen Eindruck gewinnen wir, wenn wir die Eingangsszene
von De oratore mit ihrem Vorbild vergleichen, mit Platons Phaidros.
Wie bei Platon lassen sich die Gesprachsteilnehmer unter einer
Platane nieder, und Scaevola, einer der Alteren in der Runde, weist
ausdrticklich auf die analoge Situation bei Platon hin. 13 Aber gerade
12 Off 1,148 Quae ... more agentur institutisque civilibus, de his nihil est
praecipiendum; ilia enim ipsa praecepta sunt, nee quemquam hoc errore duci oportet,
ut siquid Socrates aut Aristippus contra morem consuetudinemque civilem fecerint
locutive sint, idem sibi arbitretur licere; magnis illi et divinis bonis hanc licentiam
assequebantur.
13 De or. 1,28f. , Cur non imitamur, Crasse, Socratem ilium, qui est in Phaedro
Platonis? Nam me haec tua platanus admonuit, quae non minus ad opacandum hunc
locum patulis est diffusa ramis, quam ilia, cuius umbram secutus est Socrates, ... et
quod ille durissimis pedibus fecit, ut se abiceret in herba atque ita ilia, quae
philosophi divinitus ferunt esse dicta, loqueretur, id meis pedibus certe concedi est
aequius. " Tum Crassum , immo vero commodius etiam "; pulvinosque poposcisse et
omnis in eis sedibus, quae erant sub platano, consedisse dicebat. Zu den
Obereinstimmungen und zu den markanten Unterschieden in der auBeren Atmosphare
und der Stimmung ausfiihrlicher Vf. in: From Athens to Tuscu1um. Reconsidering the
Background of Cicero's De oratore, in: Rhetorica 6 (1988), 215-235, bes. 216-223.
[Vgl. oben S. 172-192, bes. 173-180]
318 SOKRATES BEl CICERO [2381239]
14 Vgl. oben 314 [235] mit Anm. 5. Sokrates' Abkehr von der Naturphilosophie
15 Acad 1,5 res occultae et ab ipsa natura involutae; ib. 44; Luc. 30 abditae reset
von Renate Zopfel in diesem Band [Sokrates und die Pythagoreer, in: ,Sokrates.
Nachfolge und Eigenwege"], bes. Anm. 77.
17 Immerhin ist Sokrates fiir Aristophanes (Wolken 143-168) primar ein Natur-
Grund: Es ist richtig, daB sich aus dem sokratischen Satz, niemand tue
willentlich Unrecht, der Grundsatz ,Tugend ist Wissen' herleiten HiBt
(vgl. dazu R. HauBler in diesem Band [,Sokrates. Nachfolge und
Eigenwege"]), und dann erscheint umgekehrt das wirkliche Wissen,
das Wissen urn das Wesentliche, als Tugend. Und da wirkliches
Wissen allumfassend und unteilbar sein muB, gibt es nur ein Wissen
und damit nur eine Tugend-die konventionellen Einzeltugenden sind
lediglich ihre Aspekte. Jedoch: Ratte das Sokrates schon so gelehrt?
Es ist schwer, ja unmoglich, eine Grenzlinie zu ziehen zwischen
sokratischem und stoischem Tugendwissen. Aus der Gleichsetzung
von Tugend und Wissen ergibt sich auch die Lehre von der ,Gleich-
giiltigkeit' (a~hacpopia) aller herkommlichen, nur vermeintlichen ,Gti-
ter' auBer der Tugend (wer diesen Dingen Wert beimiBt, weiB noch
nicht das Rechte), daraus wieder der Lehrsatz, der Tugendhafte sei
immer gliicklich. Gegen diese provozierend paradoxe These der Stoi-
ker hat sich Cicero mehrfach gewandt, 18 aber wo die Kritik am scharf-
sten ist, bleiben die Gemeinsamkeiten zwischen der Stoa und Sokrates
stets im Hintergrund. Nur indirekt wird Sokrates von Ciceros Einwand
getroffen, die stoische Ethik sei wirklichkeitsfremd und im Kern
inhuman. I
Wir kommen zu dem Bereich, in dem Cicero Sokrates auf das
entschiedenste widersprach, deshalb so entschieden, weil hier ein ganz
personliches Anliegen Ciceros beriihrt war: Die Beziehung zwischen
Philosophie und Rhetorik, allgemeiner formuliert: das Verhaltnis von
Wissen und Wort. Im groBen Werk Uber den Redner betont Crassus,
fast durchweg Ciceros Sprachrohr, den Eigenwert der Rhetorik: Wenn
ein Architekt oder ein Arzt es verstiinden, ansprechend und tiberzeu-
gend tiber Fragen ihres Fachs zu sprechen, dann verdankten sie diese
Fahigkeit nicht etwa ihrem fachlichen Wissen, sondern der Rhetorik.
, Wahrscheinlicher ist dann schon, und doch falsch, was Sokrates zu
sagen pflegte, daB ein jeder tiber das, was er wisse, auch hinlanglich
reden konne." 19 Viel spricht fiir Sokrates' Standpunkt: Wer etwas
wirklich weiB, ist auch in der Lage, dariiber zu reden und es anderen
zu erkHi.ren. Dieser Ansicht war auch der altere Cato; er brachte sie
auf die kurze Formel: rem tene, verba sequentur, ,hab' nur die Sache
fest im Griff, die Worte kommen dann schon von selbst. " 20 Aber
Cicero dachte anders. Crassus fahrt fort: ,Der Wahrheit naher kommt
es, daB einerseits niemand sich gewandt iiber etwas auBem kann,
wovon er nichts versteht, noch andererseits jemand, der seine Sache
vorziiglich versteht, aber nichts weiB von Redekunst und rhetorischen
Schmuckmitteln, gewandt iiber eben dieses sein Wissen sprechen
kann." Kurz gesagt: Wissen und Wortgewandtheit stehen gleichbe-
rechtigt nebeneinander, sind aufeinander wechselseitig angewiesen. In
etwas anderer Formulierung sagt es Crassus in Buch 3: ,Weder die
,Sprachlosigkeit' eines Manne, der seine Sache gut versteht, sie aber
nicht erklaren kann, verdient Lob, noch die Ahnungslosigkeit dessen,
der die Sache nicht beherrscht, aber urn Worte nicht verlegen ist." 21
Sachwissen und Rhetorik gehoren zusammen. Das gilt nach Cicero I
Crassus auch fiir die Philosophie. In der alteren Zeit-vor Sokrates-
bildeten Erkenntnisstreben und formale Bildung noch eine Einheit-
aber kein anderer als Sokrates babe damit ein Ende gemacht: ,Es
fanden sich einige Leute, hochgebildet und hochbegabt, jedoch der
Beschaftigung mit politischen Angelegenheiten I aufgrund einer
personlichen Entscheidung abgeneigt, die diese unsere Bemiihung urn
die Redekunst (hanc dicendi exercitationem) von sich wiesen und
verachteten. Ihr Wortfiihrer war Sokrates.'m Im folgenden wird die
Diktion noch komplizierter-wohl ein Indiz dafiir, wie schwer sich
Cicero damit tat, dem sonst so geschatzten ,Ahnherrn aller Philoso-
ernst damit. Die Einheit von Redekunst und Philosophie ist Teil seines
Lebensprogramms. Platon hatte gefordert, die Philosophen mliBten
Konige, die Konige Philosophen werden. 24 Er woilte Weisheitsliebe
und politische Verantwortung zusammenfiihren. Cicero iibernimmt
diese Forderung und erweitert sie zu einer Dreiheit: Staatskunst,
Philosophie und Kunst des Wortes sind nach seiner Oberzeugung
wechselseitig aufeinander angewiesen und soilten in der gleichen
Person vereinigt sein. Dieser Gedanke durchzieht Ciceros ganzes
theoretisches Werk. Man sieht Ieicht, daB er damit die Grundpfeiler
seiner eigenen Tatigkeit und seiner eigenen Begabung nennt, und es
ware toricht zu bestreiten, daB er gelegentlich in sich selbst das ur-
spriinglich platonische Ideal wenigstens teilweise verwirklicht sah. 25
Manch einer lachelt dariiber-zu Unrecht, wie ich meine. Aber das
steht hier nicht zur Diskussion. Es soilte nur gezeigt werden, daB
Cicero sehr starke Griinde hatte, gegen die sokratische Abwertung der
Redekunst zu protestieren.
IV
Es soil schlieBlich von einer besonderen Art von Rezeption die Rede
sein, von einer Rezeption, die wohl typisch romisch ist: Sokrates als
Vorbild nicht fiir theoretische Lehre oder fiir ein literarisches Werk,
sondern fiir konkretes Verhalten und I fiir konkretes Handeln. Zu-
nachst soilen einige Faile betrachtet werden, in denen Cicero andere,
iiberwiegend altere, von ihm hochgeschatzte Romer in einer gewissen
Analogie zu Sokrates sieht, bei ihnen sokratische Ziige herausstellt.
Da wir meist nur Ciceros Zeugnis fiir solche Obereinstimmungen
haben, muB es offenbleiben, ob Cicero im historischen Sinne recht
hat, und wenn das so ist, ob die Betroffenen selbst wirklich Sokrates
vor Augen batten. Aber uns geht es ja urn Ciceros Sokratesbild, und
dafiir ist es in jedem Faile aussagekraftig, wenn Cicero Romern cha-
rakteristische Ziige des Sokrates zuschreibt.
Da ist zunachst die so viel diskutierte sokratische Ironie. Cicero
findet sie bei S c i p i o A em i I i anus und beruft sich dabei auf das
26 De or. 2,270 hoc in genere ... Fannius in annalibus suis Africanum hunc
Aemilianum dicit fuisse et eum Graeco verba appellat ~:tprova. Sed, uti ei ferunt, qui
me/ius haec norunt, Socratem opinor in hac dprovdg dissimulantiaque Ionge Iepore
et humanitate omnibus praestitisse. In De oratore 2,269 (vgl. 3,203) betont Cicero,
die urbana dissimulatio, deren sich auch Sokrates bedient habe, bestehe nicht darin,
daB man ,anderes sagt als man denkt, oder gar das Gegenteil', sondem in einem
eleganten ,Spiel'; im Lucullus (15, s. folgende Anmerkung) dagegen bietet er eben
diese Definition ( ... cum aliud diceret atque sentiret ... ) und betont die
,Selbstverkleinerung' des Sokrates; vgl. auch Brutus 292. Zum nach wie vor
umstrittenen Begriff der ,sokratischen Ironie' sei verwiesen auf Doring, Sokrates ...
(wie Anm. 4), 163f., 175 (Nachwirkung bei Kierkegaard), 335 (Bibliographie).
27 Luc. 15 Socrates autem de se ipse detrahens in disputatione plus tribuebat is
quos volebat refellere; ita cum aliud dicere! atque sentiret, libenter uti solitus est ea
dissimulatione quam Graeci ~:1provdav vacant; quam ait etiam in Africano foisse
Fannius, idque propterea vitiosum in illo non putandum quod idemfuerit in Socrate.
Vgl. auch Brutus 299, dazu unten 330 [250]. Eigenartigerweise spricht Cicero in off
1,208 nicht von Scipios dprovda, sondem nur von dessen ambitio, obwohl er die
sokratische Ironie unmittelbar danach beschreibt. Hatte er das Zeugnis des Fannius
vergessen?
28 Anal. post. 97 b 20-25.
[245] SOKRATES BEl CICERO 325
29 Cicero, Tusc. 3,31 hie est enim ille voltus semper idem, quem dicitur Xanthippe
praedicare so/ita in viro suo fuisse Socrate: eadem semper se vidisse exeuntem ilium
domo et revertentem. Vgl. Stobaeus 4,44,77a = Socratis et Socraticorum reliquiae, ed.
G. Giannantoni, IC 65; Seneca ep. 104,28.
3 Cicero, off 1,90 praeclara ... est aequabilitas in omni vita et idem semper
etiam studio et doctrina esse sapientem, nee sicut vulgus, sed ut eruditi solent
appellare sapientem, qua/em in reliqua Graecia neminem (nam qui septem
appellantur, eos, qui ista subtilius quaerunt, in numero sapientium non habent),
Athenis unum accepimus, et eum quidem etiam Apollinis oraculo sapientissimum
iudicatum; hanc esse in te sapientiam existumant, ut omnia tua in te posita esse ducas
humanosque casus virtute iriferiores putes.
32 Es sei nicht verschwiegen, daB Cicero in seiner Verteidigungsrede fiir den
genden zeichnet Cicero Laelius nach dem Bilde des Sokrates. Auf die
I Frage, wie er nur den Verlust seines kurz zuvor verstorbenen
Freundes Scipio so gleichgiiltig ertrage, antwortet er-nun wirklich
gut sokratisch-, Scipio habe ein gutes Los getroffen, er sei in den
Himmel zurlickgekehrt (Lael. I Of., 13).
Ein weiterer sokratischer Zug ist es, dal3 Laelius es nicht einfach
hinnimmt, von seinen Gespdichspartnern als der weiseste Romer
schlechthin und damit als romischer Sokrates bezeichnet zu werden.
Er verweist seinerseits auf den a 1t ere n Cat o (den Zensorier), dem
Fannius nur praktische Klugheit hatte zugestehen wollen (Lael. 10):
,Nein, wenn es urn Weisheit gehe, dtirfe man nicht einmal Sokrates
dem alten Cato vorziehen.' Es fallt schwer, das ganz ernst zu nehmen,
ist wohl auch von Laelius nicht ganz ernst gemeint: Es geht ja urn
einen Mann, der fur seine Prozel3freudigkeit und fur seine
Hartherzigkeit bekannt war, der dazu riet, Sklaven, bei denen
Anzeichen von Krankheit auftraten, schnellstens zu verkaufen. An-
dererseits ist daran zu erinnern, dal3 Cicero Cato im nach ihm
benannten Dialog tiber das Alter ganz im sokratischen Sinne fur ein
Fortleben der Seele nach dem Tod argumentieren lal3t. Dieses Ge-
sprach ist in der Fiktion kurz vor Catos Tod gefuhrt; wir spliren eine
ahnliche Abschiedsstimmung wie in Platons Phaidon. 33
Auch zwei andere ciceronische Dialoge spielen kurz vor dem Tode
der Hauptperson und sind damit von der gleichen ,Phaidon-
Stimmung' getragen. Das ftktive Datum von De re publica ist das
Todesjahr von Scipio Aemilianus, 34 von dem wir eben gesehen haben,
dal3 Cicero ihn im Hinblick auf seine Ironie mit Sokrates parallelisiert.
Das fiktive Gesprach von De oratore ist kurz vor dem Tod des
Redners Crass us angesetzt, der im ganzen Dialog immer wieder
durch platonische Reminiszenzen an Sokrates angenahert ist. Das ist
nem stabilem ac non mutatam videtis ... ). Aber das ist rhetorische Routine, und W.
Stroh (Taxis und Taktik, Stuttgart 1975, 76 Anm. 77) geht zu weit, wenn er darin eine
Stilisierung ,zum Typ des philosophischen Heiden vor Gericht, wie Sokrates, wie
Rutilius ... " sieht. Schon aus Grunden des guten Geschmacks, vor allem aber im
Hinblick auf die moralisch liuBerst fragwiirdige Sache Milos hat Cicero solche Namen
nicht genannt und wohl kaum ernsthaft an sie gedacht.
33 R. Coleman (Proceedings of the Cambridge Philological Society, n.s. 10, 1964,
2 mit Anm. 2) spricht treffend von der ,swan-song idea". Vgl. auch Vf. in J. G. F.
Powell (Hg.), Cicero the Philosopher, Oxford 1995, 89-91. [s.o. S. 244-246]
34 Das ergibt sich aus rep. 1,14 und 6,12; dazu Vf (wie Anm. 33) 90 [o. S. 245]
oratore, in: Rhetorica 6 (1988), 215-235, bes. 228-235 [s.o. 172-192, bes. 185-192].
36 De or. 1,231 .. . imitatus est homo Roman us et consularis veterem illum
Socratem ...
37 Etwas vorsichtiger formu1iert Quinti1ian inst. 11, 1,12 P. Rutilius ... cum ille
freudig aus dieser Finstemis hinaus in jenes Licht ... " 38 Es fallt auf,
daB die Hinrichtung des Sokrates hier geradezu als Freitod gilt. Cicero
hatte bald nach Catos Tod eine ihn verherrlichende Gedenkschrift
verfaBt (die natiirlich zugleich eine Anklage gegen I Caesar war); sie
ist Ieider verloren. Aber wir wissen, daB sie eine starke Wirkung hatte,
und darum liegt es nahe, daB zwei spatere Zeugnisse von Cicero
beeinfluBt sind. Seneca bietet im 104. Brief (27-33) eine breit
angelegte parallele Wurdigung von Sokrates und Cato. Dabei steht das
uns schon bekannte Motiv des Gleichmuts im Zentrum (28): ,All dies
(die Anklage, das Gefangnis, der Giftbecher) hat Sokrates so wenig
beeindruckt, daB er nicht einmal sein Mienenspiel veranderte ... Bis
zum Ende hat niemand Sokrates je eher heiter oder eher betrubt
gesehen-gleichmutig war er bei so wechselhaftem Schicksal. Willst
du ein anderes Beispiel? Nimm unseren jungeren Cato ... Niemand
hat Cato je verandert gesehen, wo doch das Gemeinwesen viele
Veranderungen erfuhr ... " 39 Die Ahnlichkeit dieser Stelle mit der oben
betrachteten AuBerung tiber Laelius40 macht es nahezu sicher, daB
Seneca hier Ciceros verlorener Schrift folgt. Vielleicht gilt das auch
fur Plutarchs ausfiihrliche Schilderung von Catos Ende: 41 Cato fiihrt
im Kreis der Freunde philosophische Gesprache; er liest zweimal
Platons Phaidon; vergeblich versuchen die philosophischen Vertrau-
ten, ihn von seinem EntschluB abzubringen: er solle nicht zogem,
Casars Gnade anzunehmen. Die Analogie zu Sokrates, vor allem zu
Kritons Rettungsvorschlag, ist unverkennbar.
38 Tusc. 1,74 Cato ... sic abiit e vita, ut causam moriendi nactum se esse gauderet.
Vetat enim dominans ille in nobis deus iniussu hinc nos suo demigrare; cum vera
causam iustam deus ipse dederit, ut tunc Socrati, nunc Catoni, vir sapiens laetus ex
his tenebris in lucem ill am excesserit ...
39 Seneca ep. 104,28 Post haec career et venenum. Haec usque eo animum
41 Cat a minor 67-71; Plutarch kann Cicero auch indirekt benutzt haben; als
Plutarchs direkte Quelle hat man eine (ebenfalls verlorene) Cato-Biographie des
Thrasea Paetus vermutet; s. K. Doring, Exemplum Socratis. Studien zur Sokrates-
nachwirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der fiiihen Kaiserzeit und
im fiiihen Christentum, Wiesbaden 1979, 39 mit Anm. 85.
[2481249] SOKRATES BEl CICERO 329
In sechs Fi:i.llen also hat Cicero bedeutende Romer mit Sokrates ,in
Verbindung gebracht'. Das ist ein Verlegenheitsausdruck. Wir haben
auch von ,Analogie' und ,Parallelisierung' gesprochen. Es ist deshalb
schwer, einen prazisen Begriff zu gebrauchen, weil die Sache nicht
wirklich klar und eindeutig ist. Hat Cicero bei Scipio Aemilianus, bei
Laelius und den anderen sokratische Ziige gesehen, die objektiv da
waren, und sie lediglich herausgestellt? Oder hat er ihnen diese Ziige
angedichtet? Seit Hermann Strasburgers erniichternden Untersu-
chungen zum Scipionenkreis 42 steht es fest, daB Cicero die geistigen
Interessen dieses ,Kreises' nachhaltig idealisiert hat. Und auch das
wissen wir nicht, ob die genannten Romer, wenn das von Cicero
Herausgestellte der I historischen Wahrheit entspricht, damit bewuBt
Sokrates nacheiferten, oder ob es sich nicht nur urn zufallige
Ubereinstimmungen handelte. Wir konnen nur ganz allgemein formu-
lieren: Es war Cicero offenbar wichtig, daB die sokratische Tradition
auf die eine oder andere Weise in Rom weiterlebte. Halten wir auch
fest, daB es in allen Fallen nur einzelne sokratische Elemente sind, die
Cicero bei den Romern sieht. Darum ginge es viel zu weit, etwa in
Scipio Aemilianus oder in Laelius einen ,romischen Sokrates' zu
sehen43 oder gar einen Begriff wie Reinkarnation zu verwenden-
schon deshalb, weil keiner der Genannten ein Philosoph war (am
ehesten noch der jiingere Cato, aber der war Stoiker und nicht Sokra-
tiker). Andererseits ist es wohl zu wenig, von einem bloBen Giitesiegel
zu sprechen, das Cicero mit der Annaherung an Sokrates erteilt babe.
v
Wir schlieBen mit dem interessantesten Fall. Nicht nur andere hat
Cicero mit Sokrates in Zusammenhang gebracht, sondern auch sich
selbst. Das klingt schockierend, und auch Cicero wuBte das. Spott und
Gelachter hatte er geerntet, hatte er ohne Umschweife erklart: ,Seht
her, in dieser Hinsicht bin ich wie Sokrates.' Das konnte und wollte er
nicht tun. Es sind also eher versteckte und indirekte Hinweise, denen
jetzt nachzugehen ist. Betrachten wir zunachst die publizierten Schrif-
ten. Es besagt nicht allzuviel, daB Cicero sich oft auf die sokratisch-
akademische Gepflogenheit der Argumentation ,nach heiden Seiten
hin' beruft: 44 das ist die Obernahme einer Methode, nicht Annaherung
an die Person. Aber es ist mehr, wenn er selbst in die ihm aus Platon
so gut bekannte Rolle des Sokrates schliipft und ganz im sokratischen
Stil mit einem Jiingeren disputiert-das tut er in den Anfangspartien
aller funf Tusculanenbiicher. Jeder Platonkenner muBte bemerken,
welche Parallelisierung Cicero hier wagte. I
Von anderer Art ist seine Annaherung an Sokrates in De oratore
und in De re publica. Crassus und Scipio Aemilianus tragen klare
sokratische Ziige, nicht zuletzt durch die ,Phaidon-Stimmung'-beide
disputieren kurz vor ihrem Tode, dessen Nahe sie spiiren. Andererseits
konnte keinem aufmerksamen Leser entgehen, daB sowohl Crassus
wie Aemilianus fur Cicero selbst sprechen: sie sind es, denen er die
eigenen Ansichten in den Mund legt. Eine indirekte Beziehung zu
Sokrates also, die nicht jeden iiberzeugen mag. Aber wenigstens an
einer anderen Stelle ist ein solches Dreierverhaltnis ausformuliert. Wir
haben zuvor45 gesehen, daB Cicero (im AnschluB an den Historiker
Fannius) dem jiingeren Africanus mehrfach sokratische Ironie
bescheinigt. Das tut er auch im Dialog Brutus, im Gesprach mit
Atticus: ,Als Etpmv mochte ich nicht gelten, selbst wenn Africanus
das war," sagt Cicero bescheiden. Atticus widerspricht taktvoll: , ...
wie du meinst; ich fur mein Teil hatte es allerdings passend gefunden,
daB du eine Eigenschaft hast, die ebenso Africanus wie Sokrates
ausgezeichnet hat."46 Nun ist klar: Es ist Cicero selbst als Autor, der
Atticus hier widersprechen laBt-und sich damit in indirekter Form
bescheinigt, eben doch ein Etpmv zu sein.
Einige aussagekraftige Stellen finden sich in den Briefen an
Atticus; gegeniiber dem Freund konnte sich Cicero unbefangener
auBern. Auch hier schildert er mehrfach, wie er sich vor schwierigen
Entscheidungen der sokratischen Methode bediene, einer
Gegeniiberstellung des Fiir und Wider. 47 Das hat mehr Gewicht als in
den publizierten Schriften, ist aber doch nicht eigentlich eine
Fannius, existumari velim. Ut voles, inquit Atticus. ego enim non alienum a te
putabam quod et in Africanofuisset et in Socrate.
47 Att. 2,3 = 23 Shackleton Bailey, 3; Att. 9,4 = 173 Sh. B.; Att. 14,13 = 367 Sh. B.,
Parallelisierung mit der Person des Sokrates. Diese ist jedoch ganz
deutlich in einem Briefvom Februar 49. Cicero will Caesar urn keinen
Preis anhoren oder auch nur sehen, und dafiir beruft er sich auf das
Beispiel des Sokrates: ,.. . als ob ich ein noch uberzeugenderes
Vorbild brauchte als Sokrates, der zur Zeit der 30 Tyrannen keinen
FuB vor seine Tiir setzte. " 48 Cicero wuBte, daB sein Verhalten nicht
unumstritten war; er versucht, es dem Freund plausibel I zu machen,
indem er ihm suggeriert, er fiihle sich wie Sokrates unter den 30
Tyrannen. Ein kiihner, durchaus nicht naheliegender Vergleich. Man
hatte die Nennung eines Politikers erwartet.-Auf einer ganz anderen
Ebene stilisiert sich Cicero zum sokratischen Philosophen in einem
Brief vom April 44. Auf seinem Landgut bei Puteoli waren zwei
Wirtschaftsgebaude eingestiirzt, andere zeigten so bedenkliche Risse,
daB ,nicht nur die Bewohner, sondern auch die Mause sich
davongemacht haben"---offenbar ein betrachtlicher Schaden. Aber
Cicero gibt sich unbekiimmert: ,Andere nennen so etwas eine Kata-
strophe, ich nicht einmal eine Unannehmlichkeit. Oh Sokrates und ihr
Sokratiker! Nie werde ich euch angemessen Dank abstatten konnen." 49
Es kommt hier nicht darauf an, daB die Terminologie eher stoisch ist
(wir haben ja auch in anderem Zusammenhang gesehen, daB Cicero
hier nicht genau unterscheidet). Wichtig ist, daB er Atticus gegenuber
beteuert, einen materiellen Schaden beurteile er so, wie Sokrates ihn
beurteilt hatte. Wie der Kontext zeigt, ist es ihm damit allerdings nicht
ganz ernst.
Die Annaherung an Sokrates ist am deutlichsten in zwei Zeug-
nissen aus der Zeit nach Ciceros Tod. In Plutarchs Cicero-Biographie
(5,1) lesen wir, wahrend seines Studienaufenthalts in Griechenland im
Jahr 77 v. Chr. habe Cicero das delphische Orakel nach dem fur ihn
angemessenen Lebensweg befragt und die Antwort erhalten, er solle
seiner eigenen Natur, nicht der Meinung der vielen folgen. Dieser
Spruch habe Cicero zogern lassen, sich der Politik zuzuwenden. In
einem Brief an Atticus aus dem Jahr 54 bezeichnet Cicero als ,seine
48 Att. 8,2 = 152 Sh. B., 4 ... quasi intersit audiam an videam, aut locupletior mihi
sit quaerendus auctor quam Socrates, qui, cum XXX tyranni essent, pedem porta non
extulit.
49 Att. 14,9 = 363 Sh. B., 1 tabernae mihi duae corruerunt reliquaeque rimas
agunt; itaque non so/urn inquilini sed mures etiam migraverunt. hanc ceteri
calamitatem vacant, ego ne incommodum quidem. o Socrate et Socratici viri!
numquam vobis gratiam referam. di immortales, quam mihi ista pro nihilo!
332 SOKRATES BEl CICERO [2511252]
53 Seneca der Altere suas. 6, 17 (aus Livius) taedium tandem eum et fugae et vitae
cepit, regressusque ad superiorem villam, quae paulo plus mille passibus a mari
abest, , moriar" inquit , in patria saepe servata. " Salis constat servos fortiter
fideliterque paratos foisse ad dimicandum; ipsum deponi lecticam et quietos pati quod
sors iniqua cogeret iussisse.
[2521253] SOKRATES BEl CICERO 333
54 P1aton, Kriton SOb u.i:i.; vgl. Doring, Sokrates ... (wie Anm. 4), 165.
55 Wie spater Seneca-dazu von Albrecht unten [in ,Sokrates. Nachfo1ge und
Eigenwege"] S. 261fT.
56 Ernst Kris I Otto Kurz, Die Legende vom Kiinstler. Ein historischer Versuch,
Wien 1934 (erg. dt. Neuausgabe Frankfurt/Main 1979 Edition Suhrkamp 1034); Tho-
mas Mann, Freud und die Zukunft, Imago 22 (1936), 257-274 = Gesammelte Werke,
Frankfurt/Main und Berlin 1955, Bd. 10, 512-518; Janet Fairweather, Fiction in the
Biographies of Ancient Writers, Ancient Society 5 (1974), 231-275; Vf. wie Anm. 51,
69-71 [o. S. 167-169].
57 Luc. 74.
17
Die Stoiker haben die Idealfigur des ,Weisen' in einer immer wieder
erweiterten und variierten Folge von Paradoxa gepriesen: Nur der
Weise ist klug, nur er ist gerecht, nur er ist ,sch6n' (womit die ,innere'
als die eigentliche Sch6nheit gemeint war), nur er ist frei, nur er ein
wahrer Herrscher ... Auch die ,Gltickseligkeit' (cUbatf..tOVta) ist dem
Weisen vorbehalten. Wer noch nicht zur Weisheit gelangt ist, ist
tiberhaupt nicht glticklich, da er ja nicht (im gtinstigeren Falle: noch
nicht) tiber das wahre und einzige Gut verfiigt: tiber die Tugend, die in
der vollendeten Einsicht besteht. Der Weise aber genieBt voll-
kommenes Gluck, denn die Einsicht in das Walten des gottlichen
Logos ist unteilbar; wer sie hat, hat sie also ganz. Die Lehre der Stoa
ist eine Philosophie des Alles oder Nichts.
Urn den Gegensatz zwischen der tibergroBen Schar der ,Toren' und
den wenigen ,Weisen' aufs auBerste zuzuspitzen, wagte man sogar,
den Weisen den Gottem anzunahem. Seneca berichtet, der romische
Stoiker Sextius habe oft gesagt (Epist. 73, 12) lavern plus non posse
quam bonum virum. Die Formulierung ist sorgfaltig gewahlt und
kaum tibersetzbar. Sextius war nicht so weit gegangen zu sagen: ,Der
Weise steht Jupiter gleich' oder gar ,Der Weise ist ein Gott'. Er er-
kennt einen Unterschied an: plura Iuppiter habet, quae praestet
hominibus. Durch die groBere Zahl der ihm moglichen segensreichen
Handlungen ist Gott dem Menschen tiberlegen. Plus im ersten Satz
bezeichnet demnach keine Quantitat, sondem das Wesen: die QualWit
der Handlungen des Weisen. Im folgenden stellt Seneca, wohl noch
immer im AnschluB an Sextius, das ,Mehr' (plura) des Gottes auf eine
Stufe mit materiellem Reichtum, von dem er die Gesinnung des Wohl-
taters (,gut' = sittlich gut) abhebt: sed inter duos bonos non est melior,
qui locupletior; auch ein llichtiger Steuermann werde ja nicht als
solcher noch ttichtiger, wenn er tiber ein besonders groBes und
schones Schiff verfiige. Ein auBerlicher quantitativer Vorteil ist ohne
EinfluB auf die innere Qualitat des Handelnden.
[1601161] DIDO UND SENECA 335
Aber Jupiter hat dem Menschen noch ein weiteres voraus (Epist.
73, 13): diutius bonus est. Gott ist ewig, das menschliche Dasein ist
begrenzt. Auch diesen Unterschied spielt Seneca herunter: ,Der Weise
braucht nicht geringer von sich zu denken, weil seine sittlichen
Leistungen auf einen engeren Rahmen beschrankt sind.' Wiederum ist
die , Quantitat' geringschatzig von der bei Jupiter und dem W eisen
gleichen ,Qualitat' der ethischen Haltung abgehoben. Danach
verschiebt Seneca fast unmerklich den Gesichtspunkt und spricht vom
,Gluck': Ebensowenig wie von zwei Weisen nicht derjenige gluck-
licher ist, dem eine langere Lebenszeit vergonnt ist, ebensowenig ist
Gott glucklicher als I der , weise' Mensch. 1 Der AnalogieschluB ist
kUhn und scheint ans Blasphemische zu grenzen. Aber er ist gerecht-
fertigt durch das stoische V erstandnis der ,Tugend' als der schlechthin
vollkommenen Einsicht, aus der notwendigerweise vollkommenes
Gluck resultiert. Schon Chrysipp hatte gelehrt (Plut. De comm. not.
1061F-1062A = SVF 3,54a = 63 I Long/Sedley): aya8ov o:xp6vo<; 01JK
aul;et npocrytyYOJ.lGVO<;, &Ua KUV UKapE<; Lt<; ffipa<; yvrrrat <ppOVlJ.lO<;,
ou8f.v npo<; eUbatJ.lOVtav U1tOAEt<p8~cre't"at l"OU 't"OV at&va )(p(J)J.lEvOU 'tfi
ape'tfi Kat J.lUKaptro<; Sv UUTtJ KULa~toUVW<;-nur darauf kommt es an,
zum ,Weisen zu werden'; wem dieser Schritt gelungen ist, der genieBt
sogleich vollendetes GlUck; selbst wenn es ihm nur einen ganz kurzen
Augenblick beschieden sein sollte, steht er urn nichts schlechter da als
ein anderer, der eben dieses (in seiner Qualitat vollig gleiche) Gluck
,eine ganze Ewigkeit hindurch genieBen kann'. 2 Wahrscheinlich ist
der ,Weise' auch hier mit den Gottern verglichen.
Dieses Lehrsttick vermag uns nicht zu befriedigen: die Intensitat
des Glucksgefiihls scheint uns nicht verrechenbar mit der Dauer des
Glucks. Aber den Stoikern legte die Neigung zu scharfer Grenzzie-
hung einen absoluten Begriff von , Vollkommenheit' nahe, der alle
1 Vgl. auch Seneca Epist. 53,11 quaeris quid inter te et illos (sc. deos)
inteifuturum sit? diutius erunt.
2 Weniger pointiert (und nicht auf die Stoa beschrankt) Cicero Tusc. 5,5
(,Hymnus' auf die Philosophie) est autem unus dies bene et ex praeceptis tuis actus
peccanti immortalitati anteponendus. Dazu Wolfgang Schmid, Ein Tag und der Aion,
in: Wort und Text. Festschrift Schalk (Frankfurt a. M. 1963) 14-33, ND in: G.
Maurach (Hg.), Romische Philosophie (Darmstadt 1976) 142-168; H. Hommel,
Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie, Sitz.-Ber. Heidelberg, phil.-hist. Kl.
1968,3; noch allgemeiner Poseidonios frg. 179 Edelstein/Kidd = Seneca Epist. 78,28
ut Posidonius ait, ,unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis
longissima aetas'. Vgl. auch unten S. 338 [163] zu Heraklits Gedanken, ,ein Tag sei
jedem g1eich'.
336 DIDO UND SENECA [1611162]
3 Ernst Gunther Schmidt, Eine Frtihforrn der Lehre vom Umschlag Quantitat-
Qualitiit bei Seneca, Forschungen und Fortschritte 34,4 (1960) 112-115. Der
griechische Terminus fiir ,Umschlag' war offenbar j.teracrtpo<p~ oder j.tETa~oA.~
(Clemens AI. Strom. 4,6 = SVF 3,221). Bei Seneca besonders anschaulich Epist.
118,13-16: (bonum) ad aliam proprietatem pervenit ... ipsa scilicet magnitudine. nee
hoc novum est quaedam crescendo mutari: infans foit, factus est pubes: alia eius
proprietas fit ... unus lapis facit fornicem: ... non auget, sed imp let.
4 Vgl. Ernst Gunther Schmidt, Das aristotelische Begriffspaar Quantitat-Qualitiit
und die Entwicklung der Dialektik (Seneca, Plotinos, Hegel, Marx), in: Proceedings
of the World Congress on Aristotle Thessaloniki 1978 (Athen 1982) 209-215.
5 Titel einer nutzlichen Textauswahl: J. Bliinsdorf/E. Breckel, Das Paradoxon der
Zeit. Zeitbesitz und Zeitverlust in Senecas Epistulae morales und De brevitate vitae,
Heidelberger Texte, Didaktische Reihe 13 (Freiburg/Wurzburg 1983).
[1621163] DIDO UND SENECA 337
imp/ere vitam, non annis adiciendum est. 6 Oberall ist primar die
sittliche Vollendung gemeint, aber die doppeldeutigen Verben lassen
fast suggestiv auch an eine quantitative ,Erfiillung' der Lebenszeit
denken. Da jedoch nach dem Eintritt in den Status der ,Weisheit' das
Leben in der Regel fortdauert, kann Seneca in einem gelungenen Oxy-
moron von einem ,Leben nach AbschluB des Lebens' sprechen.
Fur eine solche Zuspitzung bietet das Lateinische offenbar bessere
Moglichkeiten als das Griechische. Die Substantive tEAo<; (seltener
tEAunl) und finis sind in heiden Sprachen ambivalent und bedeuten
sowohl das zeitliche ,Ende' wie das ,Ziel', die qualitative Vollendung.
Das gilt schon nicht mehr fiir die davon abgeleiteten Adjektive:
tEAEto<; (seltener tEAtKo<;) bezeichnet ausschlieBlich den Zustand der
,Vollendung' ,1 tEAEUtato<; ist weit iiberwiegend auf das zeitliche
,Ende' bezogen. 8 Finalis ist dem klassischen Latein I unerklarlicher-
weise ganz fremd; spater heiBt es ,am Ende stehend' o.a. Das latei-
nische Adjektiv fiir ,vollendet' ist perfectus. Von den Verben ist im
Griechischen tEActv fiir beide Bedeutungen verwendbar (Liddell/
Scott I 5 und 6), weit haufiger ist jedoch tEAurav fiir das (zeitliche)
,Beenden', tEActauv fiir (qualitatives) ,Vollenden'. Fin ire heiBt stets
,beenden', niemals ,zur Vollendung bringen'. Daneben aber gibt es im
Lateinischen, wie sich gezeigt hat, eine Reihe von anderen Verben,
die in Verbindung mit geeigneten Objekten (vita, fatum, cursus u.a.)
fiir beide Bedeutungen verwendbar sind: perficere, peragere, explere,
imp/ere, complere, consummare u.a. 9 Wo sie verwendet sind, bleibt
nirgends wie bei Seneca fiir eine ambiva1ente Aussage oder gar fiir ein Oxymoron
genutzt. Zum Bilde des ,vollendeten Laufs' siehe unten Anm. 13.
338 DIDO UND SENECA [1631164]
Carmen 1,9,13-15
quid sit futurum eras, fuge quaerere, et
quem Fors dierum cumque dabit, lucro
adpone ... ;
erreichbare) Ziel liegt noch vor ihm: die vollendete Einsicht, die
zugleich vollendetes sittliches Verhalten ist und damit-aber eben erst
damit-vollendetes GlUck bewirkt. Es mag iiberraschen, dal3 Seneca
die horazischen Empfehlungen in einen stoischen Zusammenhang
stellt. Aber hiiten wir uns vor dem Vorwurf, Seneca habe nachlassig
argumentiert oder er habe gar das von ihm Geschriebene nicht
hinlanglich durchdacht. Ihm lag nicht daran, sauber geordnetes
doxographisches Wissen zu vermitteln. Wie er die Kenntnis von
Horaz und Vergil bei seinen Lesern voraussetzt, setzt er auch die
Kenntnis der epikureischen und der stoischen Lehre in der syste-
matisch reinen Form voraus. Wenner hier die Unterschiede verwischt,
wenn er die heiden Systeme aneinander annahert, ist eben dies Teil
seiner ,Botschaft': Er will grol3ziigig die Gemeinsamkeiten herausstel-
len, die so augenfallig sind im iibereinstimmenden Ritual der all-
abendlichen Selbstbesinnung.
Auch Didos letzte Worte schienen Seneca mit der Lehre Epikurs
vereinbar. An anderer Stelle (De vita beata =Dial. 7,19,3) berichtet
er, der (sonst ganzlich unbekannte) Epikureer Diodor habe den
gleichen Vers (Aen. 4,653) zitiert, bevor er freiwillig aus dem Leben
schied. Allerdings schildert ihn Seneca als einen wenig orthodoxen
Anhanger seiner Schule, der ,gliicklich und erfiillt von gutem Gewis-
sen" gestorben sei. In ihrem eigenen Zusammenhang jedoch und
innerhalb des zwolften Briefes erweisen sich Didos Gedanken als
stark stoisch gefarbt. Nach ihrem pragnanten vixi fahrt die von Aeneas
verratene und verlassene Konigin fort (Vergil, Aen. 4,653-658): J
13 Eng verwandt ist Aen. 3,493f. (Aeneas zu He1enus, der in Epirus bereits eine
neue Heirnstatt gefunden hat) vivite felices, qui bus est fortuna peracta I iam sua; aber
die Konnotation der sinnhaften ,Vollendung' ist hier schwiicher a1s die des Endes
(ihrer Miihen). Vgl. auch Lucan 4,361 (Afranius bittet urn Gnade fi.ir seine Truppen;
sie sollen nicht verpflichtet werden, fi.ir Caesar zu kiimpfen) turba haec sua fata
[1671168] DIDO UND SENECA 343
Das ist mehr als die F eststellung , ich habe gelebt', ,me in Leben ist
nun beendet'. Sie sagt auch, was sie als ihre groBten Leistungen
ansieht: ,Eine herrliche Stadt habe ich gegriindet, ich habe eigene
Mauem hochwachsen sehen, und ich habe durch Bestrafung meines
Bruders den Gatten geracht." Soweit kann Dido in der Tat den
Eindruck haben, ihr Leben sei sinnvoll verlaufen und nun sinnhaft
vollendet-und darum nennt sie sich ,gliicklich, ja allzugliicklich". 14 I
Diese Bezeichnung ist h6chst provozierend. Der Dichter spricht
sonst fast leitmotivisch-und sachlich fur uns viel einleuchtender-
von der ,ungliicklichen Dido', infelix Dido. Auch hier wird die
Aussage sogleich eingeschrankt; Dido fiigt hinzu: , ... allzugliicklich,
wenn nur niemals die dardanischen Schiffe unsere Kiiste erreicht
batten". Damit stellt sich ein syntaktisches Problem: Der Kondizional-
satz hangt ab von dem unvollstandigen ,Hauptsatz' felix, heu nimium
peregit.-Das Bild des ,vollendeten Laufes' oder der ,durchmessenen Bahn' findet
sich auch im Neuen Testament: 2. Timotheus 4,7 (Abschiedsworte wie bei Dido): ,lch
habe einen guten Kampf gekampft, ich habe den Lauf vollendet (T(JV 8p6f.tov
TETD..TtKa), ich habe Glauben gehalten"; Paulus in der Apostelgeschichte 20,24 zu den
Altesten der Epheser tiber seine Entschlossenheit, seine Mission zu beenden: w<;
Td.w:Ocrw TOV 8pOf.lOV f.lOU. Hier sind also fiir das gleiche Bild zwei verschiedene
Verben verwendet; der Gedanke der ,Vollendung' scheint schwacher als bei Vergil,
aber vor allem an der ersten Stelle ist die gleiche Doppeldeutigkeit gegeben. Durch
Konjektur ist das Bild des ,vollendeten Laufes' auch in Seneca, De vita beata =Dial.
7,9,3 und in Sophokles frg. 646 Pearson, Radt (Stobaeus 4,41,3), v. 3 hergestellt. Zur
Geschichte der Metapher ,Leben als Lauf ( ohne Doppeldeutigkeit) s. Elaine
Fantham, Comparative Studies in Republican Latin Imagery (Toronto 1972) (Phoenix,
suppl. vol. 10) 68; R. H. Martin, Terence. Adelphoe (Cambridge 1976), zu v. 860.
14 Der Charakter von Didos letzten Worten ist verkannt von C. Neumeister
(Gedanken tiber den rechten Gebrauch der Zeit in Senecas Epistulae ad Lucilium, in:
Romische Lebenskunst. Interdiszipliniires Kolloquium zum 85. Geburtstag von Viktor
Posch!, hg. von G. Alfoldy/T. HOlscher/R. Kettemann/H. Petersmann, Heidelberg
1995, S. 76f Anm. 23), der Seneca vorwirft, er habe das Vergil-Zitat ,seltsam
unpassend" verwandt: Dido befinde sich ,in einem Zustand verzweifelter Raserei".
Dem widerspricht der gelassen-ruhige Ton, in dem die Konigin ihre Bilanz zieht; er
steht in einem vom Dichter gewollten und betonten Kontrast zum vorangehenden
furor. Ebenso falsch ist es, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen dem stoischen
,Weg zur sapientia aus eigener Anstrengung" und Didos ,Weg, den die Fortuna ihr
gewahrt hat": nach stoischer Lehre besteht der ,eigene' Wegja gerade in der Einsicht
in das vom Schicksal Zugewiesene. DaB Dido aus Junos und des Dichters Sicht nee
Jato ... peribat I sed misera ante diem subitoque accensa furore (A en. 4,696f.), ist
kein giiltiges Gegenargument: fiir Seneca war wichtig, wie Dido selbst ihren
Lebensweg sah. H. Gorgemanns weist (miindlich) darauf hin, daB mit nimium ausge-
driickt sein konnte, Dido habe es nicht verstanden, in ihrem Gltick MaB zu halten.
Nun liegt ihre Verfehlung sicher nicht darin, daB ,die dardanischen Schiffe ihre Ktiste
erreicht haben'. Aber sie steht damit im Zusammenhang, ist also vielleicht in ver-
schleierter Form genannt.
344 DIDO UND SENECA [168]
felix. Es liegt offenbar ,Ellipse von esse' vor. Aber welche Form ist
unterdriickt? Felix eram, ,die ich glticklich war'? Dann hiitte man
anstelle des Kondizionalsatzes erwartet ,bevor' oder ,his die Trojaner
kamen'. Felix fuissem? Ware sie glticklich gewesen, wenn Aeneas
nicht an ihrer Ktiste gelandet ware? Das ware eine sehr harte Ellipse
und tiberzeugt auch sachlich nicht: warum war Dido dann nicht
glticklich? Die drei Erfolge, die sie nennt, liegen ja alle vor der
Landung der Trojaner. Also doch wohl: quae felix essem, ,die ich jetzt
glticklich ware'; das ist auch die ertraglichste Ellipse. Aber warum
ware Dido erst jetzt ,glticklich', hiitte sich nicht Aeneas in ihr Leben
gedrangt, warum war sie es nicht vorher? Eine Vermutung liegt nahe:
Vergil will andeuten, daB sich Dido erst jetzt, in der Stunde ihres
Todes, Rechenschaft ablegt tiber ihr Leben, daB sie sich erst jetzt
dessen bewuBt wird, wie sinnhaft ihr Leben verlaufen ist. Das
entspricht genau der stoischen Lehre: Zur Vollkommenheit gentigt es
nicht, faktisch richtig zu handeln-das hatte Dido getan-; es gehort
dazu auch das BewuBtsein und die voile Einsicht, daB man so und
nicht anders handeln soiL 15
Dido stellt mit Befriedigung fest, sie habe ,den ihr vom Schicksal
zugewiesenen Lauf vollendet'. Das ist in der gleichen Weise
doppeldeutig wie die eingangs betrachteten Beispiele aus Seneca: Ihr
Leben ist beendet, und zugleich wird ihr klar, daB es auch vollendet
ist. Aus ihren Worten spricht tiefe Trauer, aber auch tiefe Befrie-
digung. Vergils Sprachgenie hat beides zusammengefaBt: vixi heiBt
einerseits ,ich habe gelebt', ,nun ist alles zu Ende'; es hat andererseits
einen stolz konstatierenden Charakter: ,ich habe mein Leben gelebt',
es hat einen Sinn gehabt. Und mit peragere hat Vergil ein Verbum
gefunden, das in vollendeter Ambiguitat den quantitativen Aspekt des
Beendens ebenso enthalt wie den der Vollendung. Nicht zufallig ist
Seneca mit eben diesem Verbum die knappste und eindrucksvollste
der oben (S. 336f. [162]) besprochenen Formulierungen gelungen:
vivere vita peracta.
nimium, sua si bona norint, I agricolas-nur das steht vielleicht noch (Potentialis)
ihrem vollen Gliick entgegen, daB sie sich dessen nicht bewuBt sind; iihnlich schon I.
Lana, Quid de felicitate Vergilius senserit, Atene e Roma 29 (1984) 56-69, bes. 59f.,
der auch Vergil Buc. 6,45f. etfortunatam, si numquam armentafuissent I Pasiphaen
in diesem Sinne deutet.
[1681169] DIDO UND SENECA 345
Seneca hatte wohl auch deshalb Freude am Spiel mit den oben
(S. 337f. [163]) genannten doppeldeutigen Verben, weil er damit
etwas tat, was die griechischen Stoiker nicht getan haben, weil er stolz
darauf war, daB ihm die eigene Sprache ein so treffiiches Mittel bot,
einen Kernsatz ethischer Lehre auf I neuartige Weise zu pointieren.
Entdeckt hat er dieses Mittel nicht. Wenn unsere Interpretation richtig
ist, war ihm Vergil darin vorausgegangen. Vergil hat als erster den
stoischen Glaubenssatz, sinnhafte Vollendung zahle mehr als eine
lange Lebensdauer, in eine knappe und einpragsame Form gegossen.
Wir diirfen vermuten, daB Seneca mit dem Zitat im zwolften Brief
seinem Vorganger eine dankbare Reverenz erweisen wollte.
SCHRIFTENVERZEICHNIS
1961
Menander, Dyskolos 233-381, und Terenz, Eunuchus 817-922, in: Philologus 105
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1962
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Knemon, in: Hermes 91 (1963) 268-287.
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Vergilzitate in Ausonius' Mosella, in: Hermes 97 (1969) 94-114.-Erw. ND 1991.
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Die Veriinderung des Erziihlerstandpunktes in Caesars Bellum Gallicum, in: Poetica 8
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1979
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1993
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1994
(mit H. Flashar) Einleitung, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begriindet
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(mit G. Gawlick) Cicero, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begriindet
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Rez. Nicholas Horsfall, Virgilio. L'epopea in alambicco, Neapel1991, in: Gnomon 66
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352 SCHRIFTENVERZEICHNIS
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*[17] Dido und Seneca tiber Gliick und Vollendung, in: Museum Helveticum 53
(1996) [Festschrift Thomas Gelzer] 160-169. Schwabe & Co. AG- Verlag Basel.
*[12] Zum literarischen Charakter und zur Struktur der Tusculanae disputationes, in:
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... ut ne imparatus sim si venial Phormia oder: Wie man sich auf eine heikle
Begegnung (besser nicht) vorbereitet, in: Jerzy Axer, Woldemar Gi:irler (Hg.),
Scaenica Saravi-Varsoviensia. Beitriige zum antiken Theater und zu seinem
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*[14] Cicero's Philosophical Stance in the Lucullus, in: B. Inwood, J. Mansfeld (Hg.),
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memoriadi Gabriele Giannantoni], 57-77.
Verkleidungsintrigen, in: Dramatische Wiildchen. Festschrift fiir Eckard Lerevre zum
65. Geburtstag, hg. von Ekkehard Stiirk und Gregor Vogt-Spira, Hildesheim-Ziirich-
New York 2000,267-286.
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2002
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Hyperboreus 8 (2002) [Festschrift Alexander K. Gavrilov] 302-313.
2003
L'art et la technique exigent-ils un savoir certain? Reflexions sur un argument
antisceptique, in: C. Levy, B. Besnier, A. Gigandet (Hg), Ars et Ratio. Sciences, art et
metiers dans la philosophie hellenistique et romaine, Brtissel 2003 (Collection
Latomus 273).
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philosophes antiques, publie sous la direction de Richard Goulet, Supplement prepare
par Richard Goulet avec la collaboration de Jean-Marie Flamand et Maroun Aouad,
Paris 2003, 732-741.
Unfreiwilliges Spiel im Spiel-Andria 734-794 und Verwandtes, in: Lore Benz (Hg. ),
Terenz und die Tradition des Stegreifspiels, Ttibingen 2003 (ScriptOralia), im Druck.
INDEX NOMINUM ET RERUM
I
Abschiedsstimmung s. Swan-song idea Archedemos von Tarsos 17f.
Academia (Parkstaffage) 179 Areios Didymos 202
Affekte als ,Urteile' 25f., 224 Aristipp von Kyrene 152, 317
Affektenlehre, stoische 16-39 Ariston von Chios
s. auch dma8Etat radika1eEthik 100A.31, 115f., 135
Aischylos 166, 210 A.31 Ariston von Keos 199 A.l5
Akademie, skeptische Vorbild fiir Ciceros Cato maior? 201
tiber Sokrates und P1aton 88, 99f. Aristoteles 229
,Einheit' der Akademie 88, 99f., 265 verbindet Philosophie und Rhetorik
von den Stoikern , berichtigt' 100-1 03 195
Aktwert I Giiterwert 116f. m.A.30.31, bestreitet Platons ,Ideen' 98 A.27
123 skeptisch gedeutet 254
Anaxarch von Abdera 187f. Wertung durch Cicero 195
Andronikos von Rhodos 199 Veroffentlichung der Pragmatien 199
[Andronikos] I1Eptnu8&v 22 A.l5, 37 Aristoxenos von Tarent 199 A.l5, 202
Antiochos von Aska1on Arkesilaos 268-89
Interpretation und Wertung der beruft sich auf Sokrates und Platon
hellenistischen Philosophenschulen 100 A.31, 315f.
87-104, 196 m.A.7, 204, 227, 277f., und Zenon von Kition 99, 103
285,316A.ll von Antiochos von Askalon getadelt
,veteres illi' 173 A.5, 204, 230 A.23 99f., 100 A.31
Grunder einer ,Alten Akademie' 90, Atticus, T. Pomponius 242f.
277 audere (,kiihne' philosophische
Platoniker? 90f., 104 Ansichten) 250f.
,fast ein Stoiker' 87-104, 279 Aufiiihrer, Skeptiker ais ~ 100 A.31, 280
physikalisches Weltbild 91-94
zitiert Platon verfalschend 92-94 ,Bahn durchlaufen' 342 m.A.13
Erkenntnisvorgang 94-97 beenden I vollenden 337-45
immaterielles Sein abgelehnt 96f. Ben Gurion, David 163 All
,gemischte' Lebensform 165 A.13 Bentley, Richard 253 A.38
vita beata I beatissima125 A. 57 Berufungen (typische Ziige) 166f.
und Cicero 164, 240-67 Beweise untauglich, nur Glaube moglich
Hauptquelle von Cic.fin. 5 194 A.3, 184, 256f., 308-10
196f. A.8 ,Billigung' in der stoischen und akade-
Anti pater von Tarsos mischen Erkenntnistheorie 60-7 5
ethische Kasuistik 298 griechische Bezeichnungen 65-67
Telosformell08f., 120-25, 130, 135 Ciceros Sprachgebrauch (probare)
Schriften 125 A.57 70-72
Antonius, C. (Redner) 253, 255 Bion vom Borysthenes 142
Apennin (Gleichnis) 322f. Blick (Flug) nach oben 182-84, 218, 247
Apollonios Molon 165f. Bogenschiitzengleichnis 119
356 INDEX NOMINUM ET RERUM
Antiochos von Askalon) 194 A.3, Scipio Africanus d.A. 163 All, 169
196f.,249f. A.22,244
Platanen 173 f., 177-80, 31 7 Scipio Africanus d.J. 244f., 319
Plat on sokratische Ironie 324
,Gott der Philosophen' 313 Scipionenkreis 106, 129, 257, 329
Szenerie, mythische Assoziationen Selbstpriifung, abendliche 314
174 Semantische Felder 61
bei Cicero 172 A.2, 180, 185f., 313, Seneca d.J. 153, 334-45
317f., 333 Sextius, romischer Stoiker 334
bei Antiochos von Askalon 92-97 Sieb, lochriges GefaB 137f., 140, 142f.,
bei Lukrez (?) 142f. 146, 149 m.A.16
plebei philosophi 183 Singer, Marcus G. 308f.
Plutarch Sinnenwelt abgewertet 94, 183, 247
Tiro Quelle fiir Cicero-Biographie Sittlich-Gutes inkommensurabel mit
332 Ka'ta q>umv 116, 123
Quelle fiir Cato-Biographie 328f. Sittlich-Richtiges = Niitzliches 314 f.,
m.A.41 322
Kritik der Stoa 47-49, 117f. , Skeptisch', antiker und modemer
Popper, Karl214 Begriff 63 A.4
Poseidonios 208 A.29, 260 Skeptische Bescheidenheit 279f., 283
Polemon 103 A.34, 229, 284 Skeptische Elemente bei Sokrates und
Postulate 84-86, 242 A.8, 305 Platon 315-17
pretium= a~{a (stoisch) 105-112 Skeptische Methoden 254f., 261, 266
principalis, principia/is 41 m.A.2 s. auch disputatio in utramque
principia nicht = ,prinzipiell' 300 A.l4 partem
probare, probabilis s. ,Billigung' Sokrates
probare doppeldeutig 72 A.l6 bei Cicero 87-104
Pyrrhon von Elis Alternative tiber den Tod 219 A.l2,
radikale Ethik 100 A.31 315
EinfluB auf die skeptische Akade- Todesverachtung 187f.
mie? 100 A.31, 282 A.21 OUOEl~ EKWV UOtKEt 293, 297 A.9,
315,319 A.9, 320
Quantitat- Qua1itiit, Umschlag 336 Skeptiker? 254, 315-17
und die Stoa 314f. A.6
ratio= ,hOhere' Rationalitiit 248 A.24 unkonventionelles Betragen 317f.
Rationale Kritik unerwiinscht und Bewertung der Rhetorik 321 f.
schiidlich 184, 218, 243f. Sophokles 166f.
Recht des Stiirkeren 300 Soranus (Arzt) 46
,Rezeption' und ,EinfluB' 312 Speusipp 98, 229
Rhetorik, Bewertung durch Cicero 320- Sprachliche Form beeinfluBt
323 Gedankenfiihrung 60-75, 148
Rimbaud, Arthur 166 m.A.l4 Staatsschiff I Steuermann (Gleichnis)
Rollenspiele 191 A.59 160f.
Ruhm, stoische Bewertung 131 f. Staseas von Neapell99 A.15
Stein, Versteinerung, Holzklotz
Salieri, Antonio 157 (Gefiihllosigkeit) 19 A.7, 143, 145
Scaevola ,der Augur' 318 Stilistisches 42, 81, 131 A.68, 160, 32lf.,
Scheler, Max 116 A.30 344
Schiller 174 Stoa
schola (crxo/c~) 213 A.2 Affektenlehre 16-39
Schuller, Bruno 299 Affekte als (irrige) Urteile 23 A.16,
360 INDEX NOMINUM ET RERUM
II
a1nu.ta (Postu1at) 85 A.13 (Kritik der Kyrenaiker 143 A.8)
aina, a1nov 40-59 ,variiert' (nmKiMEtv) nicht bei
a1no'tEA~~ aina 40-59, bes. 44, 50 Lukrez 145f.
K6ptat ah{at (?) 44 ~<iov~ (stoisch) 16-39
1tpOT)YOU~ atna (?) 44 A.13, 54
A.30 6EA!:m~ (,Streben' des stoischen Weisen)
npoKampKn~ aina 40-59, bes. 45- 20
50
cruvEpyov a1nov 40, 50 53 f. Ka'taAT)1tn~ <pavmma (,erkenntnis-
cruvcx~~ ( cruveKn~, npocrem~) ah1a vermittelnde Vorstellung')
44 A.13, 54-59 Definition 13 m.A.29, 274f.
ana6eta 16, 19, 38 Doppe1deutigkeit 58
anpa~ta (Unfahigkeit zu handeln) 272f. Ka'taAT)'Jf~ ( comprehensio, perceptio,
anpon1:roma (Nicht-Vorei1igkeit) 12 ,Erfassung') 1-15, 21, 30f., 95, 269
a~{a (pretium), stoisch 105-112 A.4
U~taV ExOV'tU nicht ayae<i 113 = (Freuden) ,fest' ergreifen? 153
a~1ro~ta 84-86 Ciceros Dbersetzung 50 A.23
Epistulae MACROBIUS
1,2,54 139 A.3 Commentarii in Ciceronis somnium
1,2,69f. 154f. Scipionis
1,11,10 160 A.3 1,4,2 250
2,1,209 264 A.61 1,4,3 245
Epodi 1,1,7 245 A.14
17,18 131 A.69 1, 1,8 245 A.14
KALLIMACHOS (Pfeiffer) MARcus AURELIUS
Aitien 12,2 155
frg. 1,9 203 A.22 MARTIAL
LAKTANZ 1,15 341 A.12
1' 15,8-10 153
Epitome
5,58,7f. 341 A.12
50,8 256,257 A.47
Institutiones divinae NEMESIUS EMESENUS
5,14,3-5 256, 257 A.48 De natura hominis (Matthaei)
5,16,5-13 257 A.48 p. 223 20 A.12
6,5,4 106 A.3
OVID
7,8,9 218 A.12
Metamorphosen
LIVIUS 15,816f. 337 A.6
1,19,5 169 A.22
3,26,8-10 163 PAPYRI HERCULANENSES
4,43,4 163 A.10 1020 5, 11 A.20, 12f.
6,14,1 163 A.10 1251 col. 19,15-19 151
26,19,3 169 A.22 PHILODEM
LUCAN De morte
4,361 342 A.13 4,35 188 A.48
Lucruus (Marx) PHILON VON ALEXANDRIA
1326-1338 105, 129-134 De migratione Abrahami
LUKREZ 193 155
1,940 152 A.20 De providentia
2,1-2 160 A.3 48-51 188 A.48
2,423 41 A.2 Quod deterius potiori insidiari so/eat
3,440 155 170 155
3,545f. 155 176 188 A.48
3,793 155
3,870-873 138 Quod omnis probus fiber sit
3,931-965 136f. 106-109 188 A.48
3,1003-1010 138 Desomniis
4,15 152 A.20 1,26 155
4,508 283 A.22
5,246 41 A.2
6,9-27 139
374 INDEX LOCORUM
PLATON Theaitet
179d 138A.2
Apologie
34c 188 A.50 Timaios
40c5-9 219 A.12, 315 A.7 28a1-3 94 A.18
29d 70 A.13
Epistulae
165 A.13, 323 A.24 48d 70 A.13
7,326b
7, 347e-348a 182 A.30 59c 70 A.13
52b 92f.
Gorgias 52c6-8 94
492e 143 A.7
493a-494b 140, 142, 145, 149 PLAUTUS
A.16 Pseudo/us
493c 150 522 239 A.28
Kriton PLINIUS MAIOR
SOb 170, 333 A.54
2,118 264 A.61
Nomoi 12,9 179 A.20
625b 175A.11 14,45 264 A.61
632e 175A.11
660e-663b 314 A.6 PLINIUS MINOR
685a 175A.11 Epistulae
722a 175A.11 7,17,7 264 A.61
Phaidon PLUTARCH
78d5-7 94 A.18
Caesar
84e2-85b7 185 A.39
1,4 166
85c 214 A.3
Cato minor
Phaidros
67-71 328 A.41
229a-b 172 A.2, 173 A.3,
174 Adversus Colotem
229c 172 A.2 1121D-1122A 316 A.9
230b 174A.7 1122A 14 A.29
237a 180 A.27 1122C 13 A.26
245c 183 Cicero
257c 180 A.27 2,1 167
272d-e 70 A.13 4,3-5,2 158
279a 166, 172 A.2 4,3 164
Philebos 4,4 164
37b 26 A.19 4,6-7 165
55c 138A.2 5,1 331
5,2 162
Politeia
48,3 170 A.24, 332
473d 165 A.13, 323 A.24
De communibus notitiis
Protagoras
1061C 6
314a-b 139 A.3
1061F-1062A 335
337a 86 A.14
1068F 132
1069E 114 A.26, 117
INDEX LOCORUM 375
TERTULLIAN VERGIL
Apologeticum Aeneis
50 188 A.48 3,493f. 342 A.13
4,653-658 342
VALERIUS MAXIMUS
4,653 340
3,3ext.,4 187
4,696f. 343 A.14
6,2,2 186 A.42, 189 A.53
8,56 197 A.8
VARRO 10,603 241 A.5
De lingua latina Bucolica
6,39 86 6,45 344 A.15
[VARRO] Georgiea
2,458f. 344A.15
Sententiae
49 82 A.8
PHILOSOPHIA ANTIQUA
A SERIES OF STUDIES ON ANCIENT PHILOSOPHY
EDITED BY
J. MANSFELD, D. T. RUNIA
AND J.C.M. VAN WIND EN
13. Nicolaus Damascenus. On the Philosophy of Aristotle. Fragments of the First Five
Books, Translated from the Syriac with an Introduction and Commentary by
H.J. Drossaart Lulofs. Reprint of the lst (1965) ed. 1969.
ISBN 90 04 01725 9
14. Edelstein, L. Plato's Seventh Letter. 1966. ISBN 90 04 01726 7
17. Gould,]. B. The Philosophy ofChrysippus. Reprint 1971. ISBN 90 04 01729 1
18. Boeft, J. den. Calcidius on Fate. His Doctrine and Sources. 1970.
ISBN 90 04 01730 5
20. Bertier,]. Mnesithie et Dieuches. 1972. ISBN 90 04 03468 4
21. Timaios Lokros. Uber die Natur des Kosmos und der Seele. Kommentiert von M.
Baltes. 1972. ISBN 90 04 03344 0
23. lamblichus Chalcidensis. In Platonis dialogos commentariorum.ftagmenta. Edited with
Translation and Commentary by J. M. Dillon. 1973.
ISBN 90 04 035 78 8
24. Timacus Locrus. De natura mundi et animae. Uberlieferung, Testimonia,
Text und Ubersetzung von W Marg. Editio maior. 1972. ISBN 90 04 03505 2
26. Gersh, S. E. Kiv1]atc; auiv1]r:oc;. A Study of Spiritual Motion in the Philosophy of
Proclus. 1973. ISBN 90 04 03784 5
27. O'Meara, D. Structures hierarchiques dans la pensee de Plotin. Etude historique et
interpretative. 1975. ISBN 90 04 04372 1
28. Todd, R. B. Alexander of Aphrodisias on the Stoic Physics. A Study of the De Mixtione
with Preliminary Essays, Text, Translation and Commentary. 1976.
ISBN 90 04 04402 7
29. Scheffel, W. Aspekte der platonischen Kosmologie. Untersuchungen zum Dialog
'Timaios'. 1976. ISBN 90 04 04509 0
31. Edlow, R.B. Galen on Language and Ambiguity. An English Translation of Galen's De
Captionibus (On Fallacies), With Introduction, Text and Commentary. 1977.
ISBN 90 04 04869 3
34. Epiktet. Vom Kynismus. Herausgegeben und iibersetzt mit einem Kommentar von
M. Billerbeck. 1978. ISBN 90 04 05 770 6
35. Baltes, M. Die Weltentstehung des platonischen Timaios nach den antiken Interpreten. Teil
2. Proklos. 1979. ISBN 90 04 05799 4
39. Tar<in, L. Speusippus of Athens. A Critical Study with a Collection of the Related
Texts and Commentary. 1982. ISBN 90 04 06505 9
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Plato and Aristotle. A Study in the Development of Ideas 2. Plato: Weight
and Sensation. The Two Theories of the 'Timaeus'.l984.ISBN 90 04 06934 8
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ISBN 90 04 07510 0
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Selected Texts. 1988. ISBN 90 04 08996 9
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de I. Hadot. I: Introduction, premiere partie (p. 1-9, 3 Kalbfleisch). Traduction
de Ph. Hoffmann (avec la collaboration d'I. et P. Hadot). Commentaire et notes
a la traduction par I. Hadot avec des appendices de P. Hadot et J.-P. Mahe.
1990. ISBN 90 04 09015 0
51. Simplicius. Commentaire sur les Categories. Traduction commentee sous la direction
de I. Hadot. III: Preambule aux Categories. Commentaire au premier chapitre
des Categories (p. 21-40, 13 Kalbfleisch). Traduction de Ph. Hoffmann (avec
la collaboration d'I. Hadot, P. Hadot et C. Luna). Commentaire et notes a Ia
traduction par C. Luna. 1990. ISBN 90 04 09016 9
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ISBN 90 04 09998 0
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ISBN 90 04 10446 I
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Edition, Translation, Prolegomena, and Commentary. 1998.
ISBN 90 04 10873 4
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K. Lycos & H. Tarrant. Introduction by H. Tarrant. 1998.
ISBN 90 04 10972 2
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Influence. Commentary Volume 3.1. Sources on Physics (Texts 137-223). With
Contributions on the Arabic Material by Dimitri Gutas. 1998.
ISBN 90 04 11130 I
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With an Appendix on Pappus and the History of Platonism. 1998.
ISBN 90 04 11267 7
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Commentary Volume 4. Psychology (Texts 254-327). With Contributions on the
Arabic Material by D. Gutas. 1999. ISBN 90 04 11317 7
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and Critical Editions. 1999. ISBN 90 04 11358 4
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ISBN 90 04 11797 0
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2001. ISBN 90 04 120074 2
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Background and Aftermath. 200 l. ISBN 90 04 12264 8
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ISBN 90 04 12236 2
91. Rijk, L.M. de. Aristotle -Semantics and Ontology. 2 volumes.
Volume I. General Introduction. The Works on Logic. 2002. ISBN 90 04 12324 5
Volume II. The Metaphysics. Semantics in Aristotle's Strategy of Argument. 2002.
ISBN 90 04 12467 5
92. Finamore, J.F. & J.M. Dillon. Iamblichus De Anima. Text, Translation, and Commen-
tary. 2002 ISBN 90 04 12510 8
93. Fortenbaugh, WW, R.W Sharples, & M.G. Sollenberger. Theophrastus qf Eresus. On
Sweat, on Dizziness and on Fatigue. 2003. ISBN 90 04 12890 5
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ISBN 90 04 12998 7
95. Gorier, W. Kleine Schriften zur hellenistisch-romischen Philosophie. Herausgegeben von
C. Catrein. 2004. ISBN 90 04 13736 X
96. Polito, R. The Sceptical Road. Aenesidemus' Appropriation of Heraclitus. 2004.
ISBN 90 04 13742 4