Professionelle Baumkletterer haben eine Platane im Exotischen Garten Hohenheim geschnitten. Dabei geht es vor allem um die Sicherheit. Der Baum selbst ist etwas Besonderes.
Rund 20 Meter muss sich der Kollege am Seil senkrecht in die Höhe ziehen. Markus Botta unterstützt vom Boden aus über Funk. Zuerst soll an diesem Tag ein dicker, fast senkrecht nach oben strebender Ast im Krondach der gewaltigen Platane mit einem Kunststoffseil fixiert werden. „Das ist Teil der Kronensicherung“, sagt Botta, Mitarbeiter bei der Stuttgarter Gartenbaufirma Blattwerk.
Die Baumpfleger arbeiten im Auftrag der Universität Hohenheim. Die rund 34 Meter hohe Platane steht direkt neben dem sogenannten Spielhaus im Exotischen Garten der Universität. „Der Baum hat überall im Kronmantel Faulhöhlen und hohle Stämmlinge“, erklärt Frank Kilian, der Gärtnermeister des Exotischen Gartens.
Es geht vor allem um Sicherheit
Die Aufgabe der Baumkletterer sei es, die alten bestehenden Sicherungsseile auf ihre Funktionstüchtigkeit zu untersuchen, die Faulhöhlen zu kontrollieren sowie die sogenannten Ständer im Krondach, starke Äste, die an ehemaligen Bruchstellen unnatürlich senkrecht nach oben wachsen, auf Standsicherheit zu überprüfen. „Wir wollen so wenig wie möglich herunterkürzen“, sagt Kilian. Der Grund: Gekürzte Äste bilden weniger Laub, der Baum verlöre dann weiter an Vitalität. Dass herabfallende Äste im viel besuchten Park eine Gefahr darstellen würden, liegt auf der Hand.
Vor zwei Wochen war die Südseite des Baumriesen an der Reihe, diese Woche erfolgten nun die Kronsicherungsmaßnahmen an der Nordwestseite. Die 1779 gepflanzte Ahornblättrige Platane ist wegen ihrer extremen Höhe, wie Botta betont, für die Baumkletterer ein absoluter Ausnahmefall. „Wir müssen hier enorme Strecken zurücklegen“, sagt der 48-Jährige. Das sei Schwerstarbeit.
„Es geht letztlich darum, dass die Krone der Windlast gewachsen ist“, erklärt der Baumpfleger und blickt dabei immer wieder hinauf ins Dach der Platane, wo seine drei Kollegen in schwindelerregender Höhe zugange sind. Das faulende Holz hat sich an alten Bruch- und Schnittstellen gebildet. Nun breitet sich der Zottige Schillerporling, ein Baumpilz, im Krondach aus und betreibt dort sein Zersetzungswerk. Schon zuvor haben die Baumkletterer die zahlreichen Spechthöhlen untersucht. Zum einen, weil bereits brütende Vögel durch die Arbeiten möglichst nicht gestört werden sollen. Zum anderen messen die Baumpfleger die Restwandstärke der ausgehöhlten Äste. „Die Platane ist ein wichtiger Lebensraum“, sagt Botta. Weit oben im Geäst haben die Männer Hinterlassenschaften des stark gefährdeten Großen Goldkäfers entdeckt.
Bisher gibt es 21 Nationalerbe-Bäume
Die gewaltige Hohenheimer Platane, die auf Schulterhöhe etwa einen Stammumfang von 7,70 Meter misst, hat inzwischen sogar das Interesse der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG) geweckt. Ein Kuratorium der DDG verleiht seit 2019 besonders alten und großen Bäumen in Deutschland die Auszeichnung „Nationalerbe-Baum“. Bisher haben 21 dieser uralten Riesen die Auszeichnung erhalten. 100 sollen es werden. Im Mai soll nun auch die Platane im Exotischen Garten „als ‚Nationalerbe-Baum‘ ausgerufen werden“, wie Andreas Roloff, Forstwissenschaftler und Leiter der Initiative, verrät. Ziel der Auszeichnung sei, die wenigen sehr alten Bäume in Deutschland zu schützen und sie „in Würde altern zu lassen“, sagt Roloff.
Eigentlich ist der Baum noch zu jung
Für den Titel „Nationalerbe-Baum“ ist die Platane in Hohenheim mit 245 Jahren eigentlich noch zu jung. Ausgezeichnet werden üblicherweise Bäume, die mindestens 400 Jahre alt sind und 500 bis 1000 Jahre alt werden können. Doch da es die hierzulande weit verbreitete Hybridplatane, eine Kreuzung aus nordamerikanischer und Mittelmeerplatane, in Mitteleuropa erst seit rund 360 Jahren gibt, müsse bei dieser Baumart eine Ausnahme gemacht werden, so Roloff. Die mediterrane Form der Platane kann bis zu 1000 Jahre alt werden.
Da die Auszeichnung auch die Finanzierung lebensverlängernder Maßnahmen an den jeweiligen Bäumen umfasst und die Hohenheimer Platane offiziell schon in die Liste aufgenommen wurde, werden die aktuellen baumpflegerischen Arbeiten bereits von der Initiative getragen, so Roloff. Finanziert wird die „Nationalerbe-Baum“-Initiative durch die Waiblinger Eva-Mayr-Stihl-Stiftung. Helmut Dalitz, der wissenschaftliche Leiter der Hohenheimer Gärten, betont, dass die Initiative in den Fokus rücke, weil in Deutschland nicht mehr viele alte Bäume existieren. „Diese Bäume“, sagt Dalitz, „stellen eine besondere ökologische Nische dar.“