Abdominelles Kompartmentsyndrom

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Unfallchirurg

2001 · 104:99–100 © Springer-Verlag 2001 Für Sie gelesen


Redaktion M. Engelhardt
W. Mutschler, München Abteilung Chirurgie,Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Abdominelles
Kompartmentsyndrom
Töns C,Schachtrupp A,Rau M,Mumme T,Schumpelick V
(2000) Abdominelles Kompartmentsyndrom:
Vermeidung und Behandlung. Chirurg 71: 918–926

I n einer ausführlichen Übersichtsarbeit


befassen sich die Autoren mit der Patho-
tive Bauchwandrekonstruktion inner-
halb von 14 Tagen, bei der überwiegen-
gie und wiesen hierbei auf die Bedeu-
tung einer Laparostomaanlage als The-
physiologie, Diagnostik und Therapie den Zahl erfolgte eine späte (>6 Monate) rapie bzw. Prophylaxe eines ACS hin. Die
des akuten abdominellen Kompart- Reparation der Bauchwandhernie. hohe Inzidenz des ACS auch nach abdo-
mentsyndroms (ACS) und stellen eige- Schlussfolgernd stellen Töns et al. minellen Traumata zeigt, dass auch in
ne klinische Daten zu Patienten mit ACS fest, dass angesichts eines drohenden der Unfallchirurgie der intraabdominel-
aus den Bereichen Viszeralchirurgie und ACS in vielen Fällen ein erzwungener len Druckerhöhung gar nicht genug Be-
Traumatologie vor. Verschluss der Bauchwand heutzutage achtung geschenkt werden kann. In ei-
Die Autoren definieren das ACS als nicht mehr dem an der Pathophysiolo- ner aktuellen Studie an Patienten mit ei-
intraabdominelle Druckerhöhung über gie orientierten Handeln des Chirurgen nem Abdominal- und/oder Beckentrau-
20 mmHg bei gleichzeitigem Vorliegen entspricht. ma und initialer Laparotomie fanden
einer klinischen Symptomatik mit re- Ertel et al. für das ACS eine Inzidenz von
spiratorischen und renalen Funktions- Kommentar 5,5% (abdominelles Trauma 4,4%,
störungen. Unterschieden wird zwi- Beckentrauma 6,4%, kombiniertes
schen dem primären ACS infolge eines Das abdominelle Kompartmentsyn- Bauch-Becken-Trauma 9,1%) [4]. Bei al-
akuten intraabdominellen Ereignisses, drom wird in den letzten Jahren zuneh- len Patienten, die ein ACS entwickelten,
z. B. Peritonitis, Ileus, mesenteriale Isch- mend als schwerwiegende Komplikati- war zuvor nach der „Damage-control“-
ämie oder Trauma und einem sekundä- on abdomineller Erkrankungen oder Laparotomie ein Faszienverschluss er-
ren ACS durch forcierten Bauchdecken- Verletzungen erkannt. Bei den primär folgt. Diese Beobachtung unterstreicht
verschluss nach einer abdominellen schon intensivpflichtigen Patienten ist die Forderung der Autoren, bei drohen-
Notfalloperation oder nach Operation diese zusätzliche Komplikation, die alle dem ACS auf einen forcierten Bauch-
einer großen Bauchwandhernie mit lebenswichtigen Organsysteme beein- deckenverschluss zu verzichten.
Eviszeration. trächtigen kann, mit einer hohen Letali- Von besonderem unfallchirurgi-
Die Symptomatik des ACS erklärt tät zwischen 42% und 68% behaftet [7]. schem Interesse ist die Entwicklung ei-
sich aus der unphysiologischen Druck- Ein einfach zu handhabendes Monito- nes ACS auch bei Schwerverletzten ohne
erhöhung in Thorax und Abdomen. Die ring zusammen mit der entsprechenden abdominelles Trauma. Anders als in der
reduzierte kardiale Vorlast durch Kom- Klinik ermöglichen jedoch eine schnel- Definition von Töns et al. wird in der an-
pression der abdominellen V. cava führt le und zuverlässige Diagnostik, und mit gloamerikanischen Literatur dieses „Re-
zu einer Abnahme des Herzzeitvolu- der Anlage eines Laparostomas bietet suscitation-induced“-Kompartment-
mens. Die intrathorakale Druckerhö- sich in vielen Fällen auch eine erfolgver- syndrom als sekundäres ACS bezeichnet
hung führt zum Anstieg der Beat- sprechende Therapiemöglichkeit. Ent- [7]. Maxwell et al. geben für das sekun-
mungsdrücke und zur Abnahme der scheidend ist jedoch, dass Chirurgen däre ACS eine Inzidenz von 0,5% aller
pulmonalen Compliance. Die renale ve- und Intensivmediziner rechtzeitig an die intensivpflichtigen Traumapatienten an;
nöse Abstrombehinderung schränkt die Möglichkeit einer intraabdominellen sie fanden in ihrer Studie eine deutlich
Nierenfunktion bis hin zur Anurie ein. Hypertonie (IAH) oder gar eines ACS bessere Überlebensrate nach frühzeiti-
Ebenso werden Schäden an Leber, Pan- denken.
kreas und Darm durch lokale Perfusi- Töns et al. betrachteten bei ihrer Dr. M. Engelhardt
onsstörungen beobachtet. Am Intesti- Untersuchung überwiegend Patienten Priv.-Doz.Dr.C.Willy, Abteilung Chirurgie,
naltrakt führen diese zu einer Beein- mit schweren abdominellen Erkrankun- Bundeswehrkrankenhaus Ulm,
trächtigung der Schleimhautbarriere gen aus dem Bereich der Viszeralchirur- Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

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Für Sie gelesen
mit Gefahr der bakteriellen Translokati- ger operativer Dekompression [7]. Da mie erst bei intraabdominellen Druck-
on. Bei intrathorakaler Kompression die Entwicklung des sekundären ACS werten über 20–25 mmHg bei gleichzei-
der hirnabführenden Gefäße kommt es eng mit dem Vorliegen eines hämorrha- tig eingeschränkter Diurese und erhöh-
schließlich zu einem Anstieg des intra- gischen Schocks korreliert, empfehlen ten Beatmungsdrücken [7].
kraniellen Drucks (ICP). die Autoren ein routinemäßiges Blasen- 4. Nach einer Laparotomie sollte bei er-
Das gebräuchlichste Verfahren zur druckmonitoring bei allen Patienten mit höhtem Risiko eines ACS konsequent
Bestimmung des intraabdominellen einem Infusionsbedarf von mehr als 10 l auf einen forcierten Bauchwandver-
Drucks (IAP) ist die Blasendruckmes- kristalloider Lösung oder 10 Einheiten schluss verzichtet werden, dies insbe-
sung. Hierbei wird eine im Probenfen- Erythrozytenkonzentrats. Bislang exi- sondere bei Polytraumatisierten mit be-
ster des Blasenkatheters eingebrachte stieren nur wenige Beschreibungen ei- gleitendem Schädel-Hirn-Trauma.
Nadel an einen Druckabnehmer ange- ner solchen IAH nach hämorrhagi- 5. Bei entsprechender Klinik eines Schwer-
schlossen. Nach distalem Abklemmen schem Schock und konsekutivem Re- verletzten muss stets auch an die Mög-
des Katheters und Instillation von perfusionstrauma [2, 7]. lichkeit eines ACS nach hämorrhagi-
100 ml Kochsalzlösung können der in- Zusätzlich zu den gut belegten re- schem Schock ohne abdominelles Trau-
travesikale und damit indirekt der intra- nalen, pulmonalen und kardiozirkula- ma gedacht werden.
abdominelle Druck gemessen werden. torischen Funktionsstörungen wurde in
Während eine Prävention des pri- jüngerer Zeit auch die Bedeutung der
mären ACS nicht möglich ist, da es sich intestinalen Zirkulationsstörungen
Literatur
schicksalhaft mit den Grundleiden ent- beim ACS erkannt. Tierexperimentell
1. Bloomfield GL, Dalton JM, Sugerman HJ,
wickelt, kann das sekundäre ACS durch konnte bei einem IAP von 25 mmHg ei- Ridings PC, DeMaria EJ, Bullock R (1995)
konsequenten Verzicht auf einen er- ne Reduktion der Mukosaperfusion mit Treatment of increasing intracranial pressure
zwungenen Bauchdeckenverschluss, z. B. Schleimhautschädigung und bakteriel- secondary to the acute abdominal compart-
mit Stahldrähten und Gegendruckplat- le Translokation nachgewiesen werden ment syndrome in a patient with combined
ten, in vielen Fällen verhindert werden. [3]. Letztere könnte wiederum als Trig- abdominal and head trauma.J Trauma
Postoperatives Blasendruckmonitoring ger zur Entwicklung einer Sepsis und 39/6: 1168–1170
nach ACS-gefährdeten Operationen er- letztendlich eines Multiorganversagens 2. Burrows R, Edington J, Robbs JV (1995) A wolf
in wolf's clothing: The abdominal compart-
möglicht darüberhinaus eine frühzeitige führen. ment syndrome.South Afr Med J 85: 46–48
Diagnosestellung.Vor Reparation ausge- Von unfallchirurgischem Interesse 3. Diebel LN, Dulchavsky SA, Brown WJ (1997)
dehnter Bauchwandhernien wird die ist zudem der Einfluss eines erhöhten Splanchnic ischemia and bacterial transloca-
Vordehnung der Bauchdecke mittels ei- intraabdominellen Drucks auf den in- tion in the abdominal compartment syn-
nes sukzessive gesteigerten Pneumope- trakraniellen Druck (ICP). Experimen- drome.J Trauma 43/5: 852–855
ritoneums empfohlen. telle Untersuchungen mit Pneumoperi- 4. Ertel W,Oberholzer A,Platz A,Stocker R,Trentz O
Therapie der Wahl beim manifesten toneum [6] und erste klinische Beob- (2000) Incidence and clinical pattern of the
abdominal compartment syndrome after
ACS ist den Autoren zufolge die Druck- achtungen weisen eindeutig auf einen
„damage-control“ laparotomy in 311 patients
entlastung durch Laparotomie und An- Anstieg des ICP bei Zunahme des intra- with severe abdominal and/or pelvic trauma.
lage eines Laparostomas bis zur anhal- abdominellen Drucks hin [1, 4]. Ange- Crit Care Med 28/6: 1747–1753
tenden Druckminderung und Konsoli- sichts der Häufigkeit einer Kombinati- 5. Ivatury RR, Porter JM, Simon RJ, Islam S, John R,
dierung der Organfunktionen. Als on eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) Stahl WM (1998) Intra-abdominal hyperten-
Schutz der freiliegenden Darmschlingen mit abdominellen Verletzungen von sion after life-threatening penetrating abdo-
bietet sich die Verwendung eines resor- 40% kommt einem steigenden intraab- minal trauma: Prophylaxis, incidence, and clini-
dominellen Druck bei drohender oder cal relevance to gastric mucosal pH and abdo-
bierbaren Netzes an.
minal compartment syndrome.J Trauma
Abschließend wird über eigene Er- bestehender Hirndrucksymptomatik 44/6: 1016–1021
fahrungen mit druckentlastenden tem- eine erhebliche Rolle zu. Auch hier ist 6. Josephs LG, Este-McDonald JR, Birkett DH,
porären Netzlaparostomata (n=377) be- eine frühzeitige Dekompression zu ver- Hirsch EF (1994) Diagnostic laparoscopy
richtet. Bei 95% der Patienten waren ein langen. increases intracranial pressure.J Trauma
primäres oder drohendes sekundäres 36/6: 815–818
ACS unterschiedlicher Genese (83% in- 7. Maxwell RA, Fabian TC, Croce MA, Davis KA
traabdominelle Erkrankungen, 8% Fazit für die Praxis (1999) Secondary abdominal compartment
syndrome: An underappreciated manifestation
Trauma, 9% andere Ursachen) Indikati-
of severe hemorrhagic shock.J Trauma
on des Laparostomas. Beim primären 1. Das abdominelle Kompartmentsyndrom 47/6: 995–999
ACS konnten pathologische intraabdo- ist definiert als erhöhter intraabdomi-
minelle Drücke gemessen werden, die 2 neller Druck in Kombination mit renalen
Tage nach Anlage eines Laparostomas und pulmonalen Funktionsstörungen.
wieder Normalwerte erreichten. Nur bei 2. Die regelmäßige Blasendruckmessung
18% der Patienten gelang eine frühelek- eignet sich als zuverlässiges Monitoring.
3. Die Indikation zur operativen Dekom-
pression wird noch kontrovers diskutiert
und reicht von frühzeitiger Entlastung
bereits bei Erreichen eines IAP von
>18 mmHg [5] bis zu später Laparoto-

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