Mit der Kirche fühlen
Von Medard Kehl
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Buchvorschau
Mit der Kirche fühlen - Medard Kehl
1. Eine biographische Annäherung
Es war in der Zeit meines Theologiestudiums in Frankfurt/Sankt Georgen, also in der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Es war zugleich die erste Phase der Rezeption des 2. Vatikanischen Konzils mit all ihren Unruhen und zunehmend stärker werdenden Polarisierungen in der Kirche. Da empfahl mir mein damaliger, von mir sehr verehrter theologischer Lehrmeister, P. Otto Semmelroth, dessen Nachfolger in Sankt Georgen ich einige Jahre später werden sollte, ein Buch des zu dieser Zeit sehr berühmten französischen Jesuiten und Theologen Henri de Lubac SJ zu lesen: »Méditation sur l’Église«. Ich las es in der kongenialen Übersetzung von Hans Urs von Balthasar: »Die Kirche. Eine Betrachtung« (Einsiedeln 1968). Diese aus der ganzen Fülle der patristischen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchenspiritualität und Kirchentheologie schöpfende Meditation über die Kirche hat mich einfach begeistert. Ich konnte den Sätzen von Hans Urs von Balthasar in seinem Vorwort voll zustimmen: »Es ist ein Betrachtungs-, kein Lehrbuch über die Kirche; aber Weisheit kann mehr sein als Wissenschaft. Es ist ein Buch der Liebe mehr als des Verstandes, und Liebe, die erleuchtet und geordnet ist, ist auf jeden Fall mehr als Verstand« (S. 9). Im Nachhinein sehe ich es als eine glückliche Fügung, dass dies das erste größere Buch über die Kirche war, das ich gelesen habe. Die Kirchenmeditation von Henri de Lubac hat nachhaltig die Weichen für mein eigenes geistliches Verhältnis zur Kirche und nicht minder für mein theologisches Verständnis von Kirche gestellt.
Aber noch tiefer als die vielen guten Gedanken dieses Buches hat sich in meinem Gedächtnis eingeprägt, was P. Semmelroth mir über die Begleitumstände der Entstehung dieses Buches erzählt hat: Henri de Lubac war ja in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts einer der großen Vordenker der so genannten »Nouvelle Théologie« und damit auch der geistigen Überwinder des starren, ungeschichtlichen Denkens der seinerzeit dominierenden Neuscholastik. 1962 sollte er zu einem der bedeutendsten Konzilstheologen aufsteigen. Gerade die großen dogmatischen Konstitutionen über die Offenbarung (Dei Verbum) und über die Kirche (Lumen Gentium) verraten deutlich seine Handschrift. Aber in den Jahren davor musste Henri de Lubac einen schweren Kreuzweg in der Kirche gehen: 1950 wurde ihm von seinen römischen Ordensoberen (auf Anweisung des Hl. Offiziums) die Lehrerlaubnis am Institut Catholique in Lyon entzogen, und alle seine Veröffentlichungen wurden unter eine scharfe Vorzensur gestellt. Was mich bei diesem Vorgang bis heute tief beeindruckt und worin ich ein authentisches Modell für das ignatianische Fühlen mit der Kirche (»Sentire cum ecclesia«) in unserer Zeit sehe, ist die Reaktion von Henri de Lubac auf dieses offenkundige, schon damals von vielen Theologen und Gläubigen so empfundene Unrecht: Er nahm diese Entscheidung im Gehorsam an; er verzichtete auf jeden öffentlichen Protest, veranstaltete keinen Medienrummel (wie wir es zur Genüge aus der nachkonziliaren Zeit kennen); nein, er zog sich in seine Studierstube zurück, überarbeitete viele noch unveröffentlichte Vorträge und Betrachtungen zum Thema Kirche und fasste sie zu einem der schönsten Bücher der neueren Theologiegeschichte über die Kirche zusammen: eben zu dieser »Meditation über die Kirche«, die 1953 auch erscheinen durfte.
Dieses Buch erlebte innerhalb eines Jahres drei Auflagen und nahm sehr viel von den späteren Aussagen des Konzils über die Kirche vorweg. Henri de Lubac brachte damals die Geduld des Wachsens und Reifens auf, ohne die ein fruchtbares Leben und Denken innerhalb und mit der Kirche nicht möglich ist. Diese Art und Weise, einen schweren innerkirchlichen Konflikt aufzuarbeiten und auf Dauer zu einem Segen für die Kirche werden zu lassen (eine Weise, die übrigens auch Madeleine Delbrêl ungefähr zur gleichen Zeit im Konflikt um die französischen Arbeiterpriester anwandte), gab mir und anderen jüngeren Theologen damals